Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 18.06.2002, Az.: 1 A 189/99
Ahmadiyya; Asyl; Asylberechtigte; Asylbewerber; beachtliche Wahrscheinlichkeit; Blasphemie; Glaubensgemeinschaft; Gruppenverfolgung; herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab; Mullah; Pakistan; Verfolgungsdichte; Wahrscheinlichkeitsmaßstab
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 18.06.2002
- Aktenzeichen
- 1 A 189/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43705
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 16a Abs 1 GG
- § 51 Abs 1 AuslG
- § 53 AuslG
- § 3 AsylVfG
- § 31 Abs 3 S 2 AsylVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft unterliegen in Pakistan keiner (mittelbaren) Gruppenverfolgung.
2. Belästigungen und Bedrohungen begründen noch keine Vorverfolgung (Art. 16 a I GG).
3. Mittelbare Staatsverfolgung liegt bei staatlich geduldeten, sogar erwünschten, jedenfalls unbeanstandet und tatenlos hingenommenen Maßnahmen extremistischer Mullahs vor.
Tatbestand:
Die 1965 und 1971 in L. geborenen Kläger zu 1) und 2) und deren 1998 und 1999 in W. geborene Kinder, die Kläger zu 3) und 4), alle pakistanischer Staatsangehörigkeit, erstreben ihre Anerkennung als Asylberechtigte bzw. die Feststellung von Abschiebungsverboten / -hindernissen gem. den §§ 51 und 53 AuslG.
Die beiden Kläger zu 1) und 2) reisten im Juli 1998 per Flugzeug (Karachi-Hamburg) in das Bundesgebiet ein und beantragten am 6. August 1998 ihre Anerkennung als Asylberechtigte mit der Begründung, sie seien Angehörige der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft und für diese lange tätig gewesen, hätten zugleich aber auch unter Nachstellungen, Anfeindungen und auch Bedrohungen aller Art durch örtliche Mullahs und deren Organisationen zu leiden gehabt. Ihre Familien seien ständig überwacht worden. Sie hätten daraufhin ihre Heimatstadt verlassen und seien in ein anderes Bundesland, nach Quetta, gegangen. Als man sie auch dort entdeckt und ihnen nachgestellt habe, seien sie nach Deutschland gekommen.
Durch Bescheid vom 8. Juni 1999 - zugestellt per Einwurfeinschreiben am 10. Juni 1999 - und durch Bescheid vom 30. Oktober 2000 (Verfahren 1 A 364/00) - zugestellt durch Niederlegung einer Postzustellungsurkunde am 1. November 2000 - wurden die Anträge abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote (§ 51 Abs. 1 AuslG) oder -hindernisse (§ 53 AuslG) nicht vorliegen. Zugleich erging jeweils eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung für Pakistan bzw. für einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei.
Zur Begründung der dagegen gerichteten, am 24. Juni 1999 (1 A 189/99) bzw. am 15. November 2000 (1 A 364/00) erhobenen Klagen, die durch Beschluss der Kammer vom 9. November 2001 miteinander verbunden wurden, beziehen sich die Kläger auf den bisherigen Vortrag, den sie unter Vorlage von Dokumenten erläutert und um Ausführungen zur Verfolgung als Ahmadiya-Angehörige in Pakistan ergänzen.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide als Asylberechtigte anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Pakistans vorliegen bzw. weiterhin festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide vom 8. Juni 1999 und vom 30. Oktober 2000.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorgelegten Verwaltungsvorgänge, dort insbesondere die Asylanträge und die Anhörungen beim Bundesamt, sowie die Gerichtsakten Bezug genommen. Die genannten Vorgänge und die vom Gericht in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse zur Lage in Pakistan waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nur zu einem Teil, nämlich hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 51 Abs. 1 AuslG, begründet. Im übrigen ist sie unbegründet.
Denn die Kläger haben keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte (unten 1), sondern nur Anspruch auf die Feststellung, dass hinsichtlich ihrer Personen Abschiebungsverbote gem. § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (unten 2).
1. Die Kläger haben aus Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte, weil sie in der Vergangenheit - als sie noch in Pakistan lebten - nicht politisch verfolgt worden sind.
Für die Frage, ob einem Asylbewerber nach Art und Schwere staatliche oder dem Staat zuzurechnende (mittelbare) Verfolgung in asylrelevanter Form mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit gedroht hat bzw. droht, ist maßgeblich, ob ihm bei lebensnaher und verständiger Würdigung der gesamten Entwicklung und Umstände in seinem Heimatland zuzumuten ist, dort noch zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Hierbei ist - im Sinne einer „qualifizierenden“ Betrachtung - eine Gewichtung und Abwägung aller asylrelevanten Umstände einschließlich ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob angesichts der Lage im Heimatstaat bei einem vernünftig und besonnen wertenden Menschen, der sich in die Lage des Asylsuchenden versetzt, begründete Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn auf der Grundlage einer nur quantitativen (mehr mathematischen) Betrachtung weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgungsfurcht spricht, aber qualitativ wichtige Ereignisse bei zusammenfassender Wertung ein großes Gewicht besitzen und behalten, die deshalb gegenüber den dagegen sprechenden - nur zahlenmäßig ins Gewicht fallenden - Umständen überwiegen. Entscheidend ist letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit, wobei keine unumstößliche Gewißheit verlangt werden kann, sondern es ausreicht, wenn Zweifeln Schweigen geboten wird - auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, DVBl. 1985, 956; BVerwG, DVBl. 1991, 1o89 / 1o92; OVG Lüneburg, Urt. v. 25.1.1996 - 12 L 3695/95 -, m.w.N.). Ist der Asylbewerber bereits einmal Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen, so kann ihm asylrechtlicher Schutz grundsätzlich nur noch dann verwehrt werden, wenn eine Wiederholung solcher Maßnahmen realistischerweise mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann (BVerwGE 70, 169; herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab).
Bei zusammenfassender Wertung und Würdigung der hier maßgeblichen (asylrelevanten) Umstände besteht eine derartige beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung der Kläger in der Vergangenheit nicht.
Eine solche läßt sich nicht schon daraus herleiten, dass die Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft etwa einer Gruppenverfolgung ausgesetzt waren oder werden könnten. Denn nach allen der Kammer zugänglichen Erkenntnissen liegt es so, dass zwar Angehörige dieser Glaubensgemeinschaft in Pakistan immer wieder erhebliche Nachteile und Übergriffe hinzunehmen haben, aber dass die Voraussetzungen für eine Gruppenverfolgung letztlich nicht vorliegen (VGH Baden-Württ., Beschl. v. 24. Nov. 2000 - A 6 S 672/99 - ; ebenso BVerwG, Urt. v. 25.1.1995 - 9 C 279.94 - ; BVerwG, NVwZ 1994, 4oo; Hess.VGH, Urt. v. 3o.1.1995 - 10 UE 2626/92 - ;OVG Rheinland-Pfalz, InfAuslR 1995, 211 [BVerfG 19.12.1994 - 2 BvR 1426/91]; OVG Lüneburg, Urt. v. 25.1.1996 - 12 L 3695/95 - ; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.1.1996 - 6 A 13364/95 - ; VG Köln, Urt. v. 2.9.1997 - 2 K 4692/97.A - ;OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 4.11.1997 - 6 A 12234/96.OVG - ).
Das gilt auch angesichts der Islamisierung des Rechtslebens in Pakistan unter der Regierung des ehemaligen Premierministers Nawaz Sharif auf der Grundlage der Shariah-Ordinance vom Mai 1991. Zwar ist dieses Gesetz als markanter, bisher nicht revidierter Schritt im Zuge der islamisch-orthodoxen Entwicklung und Ausrichtung Pakistans zu werten, jedoch ist die Regierung mit diesem Gesetz damals noch zugleich (bewußt) hinter dem Entwurf der Islamisten zurückgeblieben und hat damit Interesse daran gezeigt, einer weiteren religiösen Radikalisierung entgegenzuwirken. Allerdings ist derzeit - auch unter der neuen Regierung des Generals Pervez Musharraf - nicht zu verkennen, dass die Ahmadis durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung in Pakistan „als Abtrünnige“ nach wie vor „diskriminiert“ werden (so Lagebericht des Ausw. Amtes v. 2.1.2002) und sie - wie früher auch - im Alltagsleben erheblichen Benachteiligungen und Übergriffen ausgesetzt sind. Das ergibt sich aus der allgemeinen Anwendung des pakistanischen Strafgesetzbuches und speziell des Anti-Terror-Gesetzes des Jahres 1997, aus einer Entscheidung des Bundes-Shariah-Gerichtes vom Herbst 1990, in der festgestellt wurde, dass als Sanktion von Verstößen gegen § 295 c PPC allein die Todesstrafe in Betracht komme, aus dem ernst zu nehmenden Druck, der von extremistischen Religionsgruppen zu Lasten der Ahmadis immer wieder auf Richter ausgeübt wird (vgl. II 1 c des Lageberichts des Ausw. Amtes v. 16.1.1998), sowie - last not least - aus dem allgemein feindlichen Klima, das gegen die Ahmadis auch durch Staatsorgane geschürt worden ist (vgl. die Rede des Premierministers Nawaz Sharif vom 17.8.1997 in Islamabad anläßlich des 9. Todestages des Präsidenten Zia ul Haq). Trotz anderslautender Ankündigungen hat der seit Oktober 1999 regierende Militärmachthaber Pervez Musharraf keine Änderung des Blasphemiegesetzes und der Wahlrechtsbestimmungen durchsetzen können (so IGFM-Pressemitteilung v. 22.3.2001, Lagebericht AA v. 2.1.2002). In diesem Klima wird die ohnehin weitgehend korrupte Polizei (Lagebericht des Ausw. Amtes v. 2.1.2002 und I 1 des Lageberichts des Ausw. Amtes v. 16.1.1998) nachhaltig zu einseitig-parteilichem Verhalten ermutigt, etwa zum Verzögern gebotener Amtshandlungen bzw. zur Untätigkeit bei Ausschreitungen gegen Ahmadis, zum strafrechtlichen Vorgehen gegen Opfer statt Störer, zum Legen falscher Spuren und Schaffen von Vorwänden zwecks Verwüstung von Kirchen und Häusern (vgl. NZZ v. 9.5.1998), zu grundlosen Verhaftungen (am 9.5.1997 in Lahore, vgl. „Ahmadi-Muslim-Jamaat“ Nr. 3 v. Dez. 1997), ggf. zu Folterungen mit der Folge „death in custody“ (I 4 des Lageberichts des Ausw. Amtes v. 16.1.1998) oder dem schlichten „Verschwindenlassen“ (Lagebericht, AA v. 2.1.2002, S. 13), so wie das alles schon einmal Ende der 80er-Jahre der Fall war (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, InfAuslR 1995, 211 [BVerfG 19.12.1994 - 2 BvR 1426/91] m. zahlr. w. N.).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Pakistan nicht Unterzeichnerstaat des Intern. Paktes über bürgerl. und politische Rechte und des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe ist. Das Abkommen über die Rechte der Frau ist von Pakistan unter dem Vorbehalt des Vorrangs islamischen Rechts unterzeichnet und damit zugleich „weitgehend entwertet“ worden (Lagebericht des AA v. 2.1.2002). Im Lagebericht des Ausw. Amtes v. 12.5. 1997 heißt es demgemäß u.a.:
„Defizite beim Schutz der Menschenrechte gibt es neben der Strafverfolgung, wo es zusätzlich zu den vorgenannten extralegalen Tötungen den Vorwurf von Folter und Miß-brauch durch die Polizei gibt, im Bereich des Strafverfahrens und des Strafvollzugs. Problematischster Bereich ist nach wie vor der Schutz der Rechte der religiösen Minderheiten, hier vor allem der Ahmadis.“
Daran hat sich nichts geändert. Eher hat sich die Lage verschärft, wie der Lagebericht des Ausw. Amtes v. 2.1.2002 zeigt:
„Auch 2000 und 2001 wurden Ahmadis Opfer strafrechtlicher Verfolgung (in mindestens 15 Fällen Anklage wegen religiöser Delikte) und gewalttätiger Übergriffe. Im Punjab wurden am 30.10. und 10.11.2000 insgesamt 10 Ahmadis bei Feuerüberfällen auf Ahmadi-Moscheen von religiösen Extremisten getötet.“
An der Gesamteinschätzung, dass auch unter Berücksichtigung dieser Umstände jedenfalls eine Gruppenverfolgung der Ahmadis derzeit nicht vorliege, ändern allerdings auch die jüngsten Vorfälle (noch) nichts. Zwar hat es diskriminierende Maßnahmen pakistanischer Behörden und auch der pakistanischen Justiz (in Art und Form der unfairen Strafverfolgung, vgl. Lagebericht des AA v. 2.1.2002: „bizarre Ergebnisse“) sowie Über- und Angriffe seitens orthodoxer Moslems mit Unterstützung durch Tageszeitungen gegeben (vgl. etwa die Veröffentlichungen der „Ahmadiyya-Muslim-Jamaat“ Nr. 2 und Nr. 3/97 sowie die Ausführungen des Journalisten J. F. Engelmann vom März 1998 unter Bezug auf Artikel in verschiedenen Tageszeitungen), die allesamt den europäischen bzw. deutschen Rechtsstandards hinsichtlich einer freien Religionsausübung ganz eindeutig nicht genügen. Aber diese in das allgemeine Leben in Pakistan einzubettenden Vorfälle zeigen lediglich, dass sich die allgemeine Sicherheitslage der Menschen in Pakistan - nicht nur der Ahmadis, sondern eben auch anderer Gruppen - nicht verändert hat und noch auf demselben Niveau fortbesteht, auf dem diese Lage nun schon seit einiger Zeit verharrt. Es ist insgesamt eine ganz allgemeine Tendenz zu einem „religiös motivierten Terrorismus“ feststellbar (II 3 des Lageberichts des Ausw. Amtes v. 16.1.1998), der sich jedoch nicht speziell nur gegen Ahmadis im Sinne einer begrenzten Gruppenverfolgung richtet. Eine Intensivierung oder sich markant häufende Steigerung von Über- und Angriffen gerade auf Ahmadis ist durch die jüngsten Ereignisse noch nicht festzustellen. Eine höhere „Verfolgungsdichte“ (vgl. S. 18 f. des Urteils d. OVG Lüneburg v. 25.1.1996) gerade gegenüber Ahmadis, die diskriminiert werden, ist nicht ersichtlich.
Unterliegen die Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft somit z.Z. grundsätzlich weder einer unmittelbaren noch einer mittelbaren Gruppenverfolgung (VGH Baden-Württ., Beschl. v. 24.11.2000 - A 6 S. 672/99), so kommt es für das vorliegende Verfahren darauf an, ob die Kläger zu 1) und 2) als vorverfolgte oder aber als politisch noch nicht verfolgte Personen ihr Heimatland verlassen haben. Denn dass ein bereits einmal (persönlich) verfolgter Ahmadi bei seiner Rückkehr nach Pakistan nicht mehr in die Gefahr der Einleitung eines Strafverfahrens oder von Übergriffen fundamentalistisch-orthodoxer Moslems geraten könnte, ist bei lebensnaher Wertung aller Umstände unwahrscheinlich, jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen (herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, vgl. BVerfGE 54, 341 f / 361.; BVerfGE 80, 315 f / 345; BVerwGE 70, 169). Dabei ist das Verhalten orthodoxer Moslems dem pakistanischen Staat als mittelbare staatliche Verfolgung zuzurechnen, da eine nur verbal versicherte Schutzbereitschaft des Staates, an der es im übrigen fehlt, nicht ausreicht (OVG Rheinland-Pfalz, InfAuslR 1995, 211 [BVerfG 19.12.1994 - 2 BvR 1426/91]; HessVGH, Urt. v. 15.3.1995 - 1o UE 1o2/94 -).
In Übereinstimmung mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Juni 1999 ist davon auszugehen, dass die beiden Kläger zu 1) und 2) nach ihrem Vortrag - beim Bundesamt wie auch bei der Kammer - zwar als vielfältig Belästigte und auch Bedrohte, aber nicht auch als Vorverfolgte aus Pakistan ausgereist sind, so dass sie nicht als Asylberechtigte iSv Art. 16 a Abs. 1 GG anzuerkennen sind. Die Belästigungen und Drohungen sind in den Asylanträgen aus dem Jahre 1998 bereits dargestellt und insbesondere von der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2002 nochmals ausführlich wiederholt und - mit einigen Behauptungen und Verstärkungen - vertieft worden. An der Gesamteinschätzung, dass die beiden Kläger zu 1) und 2) durch die geschilderten Belästigungen und Drohungen noch nicht einer wirklich ernsthaften Verfolgung in Pakistan ausgesetzt waren, hat sich jedoch damit nichts geändert.
2. Jedoch war die Beklagte hinsichtlich aller vier Kläger zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, also die vier Kläger als Flüchtlinge iSd der Genfer Konvention anzuerkennen sind (§ 3 AsylVfG).
Maßgeblich hierfür sind zum einen die o.a. politischen Verhältnisse in Pakistan einschließlich der in den letzten Jahren - vor allem aber seit dem 11. September 2001 - zu beobachtenden Zunahme an Gewalttätigkeiten und Übergriffen. Das Klima der Bedrohung und Verfolgung von Sektierern und die Zahl verschiedenster Terror-Anschläge hat erheblich zugenommen (vgl. z.B. Südd. Zeitg. v. 17.6.2002). Zum andern sind dafür maßgeblich die Aussagen der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2002, vor allem jener der Klägerin zu 2). Die von ihr als Bedrohung empfundene Verhaftung und Mitnahme zur Polizeiwache wegen verbotener Missionierung zweier Kinder ist zum damaligen Zeitpunkt deshalb glimpflich ausgegangen, weil sie nach kurzer Zeit schon wieder freigekauft werden konnte. Im derzeitigen Klima Pakistans und unter den heute dort herrschenden Bedingungen sind gewalttätige Übergriffe und intrigante Verfolgungsmaßnahmen einschließlich strafrechtlicher Verfolgung durch beteiligte Mullahs jedoch sehr viel wahrscheinlicher als in früheren Jahren. Das zeigt sich schon daran, dass religiöse Extremisten zunehmend Feuerüberfälle auf Ahmadi-Moscheen durchführen und anschließend nicht etwa nur die Täter strafrechtlich verfolgt werden, sondern auch die Opfer, die die Vorfälle ursprünglich zur Anzeige gebracht hatten (so Lagebericht AA v. 2.1.2002, S. 8). Das zeigt sich weiterhin daran, dass islamistische Gruppierungen wie die der „Khatm-e-Nabuwwat“ und sogar staatliche Behörden versuchen, Strafverfahren gegen Ahmadis einzuleiten, um sie ganz gezielt dem Vorwurf der Blasphemie auszusetzen (so Lagebericht des AA, aaO., S. 8), ein Vorwurf, der - wie allen bekannt ist - die Todesstrafe oder häufig lebenslange Freiheitsstrafe zur Folge hat. Die Aussichten der Ahmadis in solchen Strafverfahren sind gering, da diese Verfahren zumindest in den unteren Instanzen in aller Regel sehr einseitig und unfair verlaufen (Lagebericht, aaO., S. 8):
„Wohlmeinende Richter tendieren eher dazu, die Verfahren unendlich in die Länge zu ziehen, um einer Entscheidung aus dem Weg zu gehen. Dies hat zur Folge, dass die Angeklagten immer wieder zu den Gerichtsterminen erscheinen müssen, die dann aber wieder abgesagt werden.“
In diesem Zusammenhang gewinnt dann Bedeutung, dass der Vater des Klägers zu 1) lange Zeit Präsident der Ahmadi-Gemeinde war und als solcher natürlich auch einen entsprechenden Bekanntheitsgrad bei den Mullahs erreicht hatte. Auch die Tätigkeit des Klägers zu 1) als Sekretär der Ahmadiyya-Gemeinde und jene der Klägerin zu 2) als Vizepräsidentin für Frauen in der Ahmadiyya-Gemeinschaft erhält Gewicht. Die Glückwünsche des 4. Kalifen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft zur Hochzeit der Kläger zu 1) und 2), die in der mündlichen Verhandlung verlesen wurden, runden das Bild der Kläger zu 1) und 2) als Aktivisten der Ahmadiyya-Gemeinschaft ab. Die ausdauernde, religiös gespeiste und sehr fanatische Verfolgung solcher und vor allem herausgehobener Ahmadis in Pakistan darf insgesamt und besonders in dem aufgeheizten Gesamtklima seit September des letzten Jahres nicht unterschätzt werden, so dass deutliche Anhaltspunkte für eine künftige Verfolgung der Kläger im Falle ihrer Rückkehr nach Pakistan bestehen.
Der Umzug der Kläger nach Quetta vom Januar 1998 zu einem Freund des Klägers zu 1) und die dortigen Bedrohungen und Nachstellungen durch Mullahs belegen, dass für die Kläger auch in anderen Regionen keine echte Verfolgungssicherheit bestehen dürfte, was durch die offenbar gezielten Nachforschungen der Gruppierung „Sipah Sahaba“ (Öffnen privater Briefe aus Quetta an die Eltern zuhause), wie vom Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung dargelegt, unterstrichen wird. Die Kläger zu 1) und 2) waren offenbar bekannt und daher schon 1998 gezielt Objekte von Belästigungen, Drohungen und Nachstellungen. Im Falle ihrer Rückkehr könnten sie unter den jetzt geänderten Verhältnissen in Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Opfer von Gewalttätigkeiten und Übergriffen werden.
Schließlich ist mit Blick auf die Aussagen der Klägerin zu ihrer - offenbar glimpflich verlaufenen - Verhaftung einzubeziehen, dass Folterungen inzwischen als „fester Bestandteil der Polizeirealität“ gelten (so Lagebericht v. 16.1.1998 I 4) - bis hin zum Tod im Polizeigewahrsam („death in custody“). Auch die Beteiligung höherer Polizisten an Straftaten ist in Pakistan bekannt. Angesichts des allgemeinen politischen Klimas der Islamisierung, das von Medien und fundamentalistischen Mullahs erzeugt wird, erscheint eine Verfolgung der Kläger aus religiösem Anlaß überaus wahrscheinlich. Da im Rahmen des § 51 Abs. 1 AuslG keine unumstößliche Gewißheit, sondern lediglich eine - im Sinne einer qualifizierenden Betrachtung - beachtliche Wahrscheinlichkeit gefordert ist, die hier gegeben ist, reicht es aus, wenn Zweifeln vernünftigerweise Schweigen geboten wird. Das ist der Fall.
Dass es sich bei den geschilderten Nachstellungen und Bedrohungen um solche handelt, die als staatlich geduldete, ja sogar erwünschte, jedenfalls unbeanstandet und tatenlos hingenommene Maßnahmen extremistischer Mullahs zu qualifizieren sind, die sich gegen eine religiöse Minderheit - die Ahmadis - richten und die damit im Falle ihrer Verschärfung als mittelbare Staatsverfolgung im Sinne der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, InfAuslR 1995, 211 [BVerfG 19.12.1994 - 2 BvR 1426/91]) zu werten sind, braucht unter diesen Umständen nicht mehr betont zu werden. Denn nach den vorliegenden Erkenntnissen (vgl. Lagebericht des AA v. 2.1.2002, NZZ v. 16.9.1995, Die Zeit v. 27.1o.1995, Lagebericht des Ausw. Amtes v. 16.1.1998, Stellungn. von ai v. 8.9.1997) ist ein deutlicher Mangel an Bereitschaft und Fähigkeit des pakistanischen Staates zu konstatieren, religiöse Minderheiten wie die Ahmadis in einem Land mit 97 % Moslems noch durch strikt rechtsstaatliches, ein die Gleichheit aller vor dem Gesetz betonendes Handeln zu schützen. Die staatlichen Organe wie auch die Justiz versäumen es im Angesicht des „religiös motivierten Terrorismus“ (Die Zeit v. 27.1o.1995, Lagebericht, aaO.), sich konsequent für Rechtsstaatlichkeit, Fairness und Rechtsschutz auf allen Ebenen zu engagieren, was naturgemäß zu Lasten religiöser Minderheiten geht.
Unter diesen Umständen liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG für ein Abschiebungsverbot vor. Denn eine politische Verfolgung der Kläger ist bei zusammenfassender Würdigung aller Gesichtspunkte und Umstände im Falle ihrer Rückkehr nach Pakistan in beachtlicher Weise wahrscheinlich.
Eine Entscheidung über Abschiebungshindernisse (§ 53 AuslG) ist bei dieser Lage der Dinge entbehrlich (§ 31 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 und 2 AsylVfG analog).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.