Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 19.11.1997, Az.: 2 B 2493/97

Antrag der Mutter eines Gymnasiasten auf Übernahme der Aufwendungen für Nachhilfeunterricht als Hilfe zum Lebensunterhalt

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
19.11.1997
Aktenzeichen
2 B 2493/97
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1997, 15154
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:1997:1119.2B2493.97.0A

Verfahrensgegenstand

Hilfe zum Lebensunterhalt (Nachhilfeunterricht)
Antrag nach § 123 VwGO.

Prozessführer

Herr ...

Prozessgegner

Landkreis Northeim,
vertreten durch den Oberkreisdirektor, Medenheimer Straße 6-8, 37154 Northeim

In der Verwaltungsrechtssache
hat die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen
am 19. November 1997
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1

I.

Der am ... geborene Antragsteller lebt mit seiner Mutter und zwei minderjährigen Geschwistern in Haushaltsgemeinschaft, erhält wie diese laufende Hilfe zum Lebensunterhalt und besucht den 13. Jahrgang des Gymnasiums ... in ... Er stellte bei der Stadt Northeim, die namens und im Auftrage des Antragsgegners handelt, unter dem 10. September 1997 den Antrag, Kosten für Nachhilfeunterricht in Mathematik und Physik für jeweils sechs Stunden in Höhe von 180,00 DM im Monat zu übernehmen. Er fügte ein nicht unterschriebenes, aber ausgefülltes Anmeldeformular der "Unterrichtshilfe" bei, aus dem sich ergab, daß die Anmeldung zum 11. September 1997 erfolgte. Ein Mitarbeiter des Sozialamtes des Antragsgegners nahm daraufhin mit dem Gymnasium ... Kontakt auf und erfuhr dort, daß der Antragsteller, dessen Leistungen in Mathematik bisher im oberen Dreierbereich gelegen hätten, zur Zeit in diesem Fach Schwierigkeiten habe, was evtl. auch auf mangelnden Einsatz zurückzuführen sei, und daß sich im Fach Physik im letzten Semester eine Unterwertung ergeben habe; eine generelle Gefährdung des Abiturs werde zur Zeit von seiten der Schule nicht gesehen. Einige Tage später reichte der Antragsteller die Kopie eines Schulzeugnisses über das 2. Kurshalbjahr des Schuljahres 1996/97 nach, aus dem sich (lediglich) folgende Punktwertungen ergeben:

  • Mathematik: 7 Punkte (schwaches befriedigend),
  • Physik: 4 Punkte (schwaches ausreichend).

2

Die Stadt Northeim lehnte daraufhin den Antrag mit Bescheid vom 1. Oktober 1997 mit der Begründung ab, grundsätzlich seien Kosten für Nachhilfeunterricht aus Sozialhilfemitteln nicht zu übernehmen, im Falle des Antragstellers könne eine Ausnahme nicht gemacht werden, weil sein Abitur nicht gefährdet sei. Unter dem 9. Oktober 1997 übersandte die Mutter des Antragstellers eine "korrigierte" Anmeldung an die "Unterrichtshilfe", in der sie selbst nunmehr als Anmeldende aufgeführt wurde und die sie auch unterschrieben hatte.

3

Am 17. Oktober 1997 hat der Antragsteller um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Er trägt vor: Er müsse sofort Nachhilfeunterricht in Anspruch nehmen, weil seine mangelhafte Leistung im Fach Physik sich nicht wiederholen dürfe und um eine Unterwertung in Mathematik zu vermeiden; Widerspruch gegen den Bescheid vom 1. Oktober 1997 habe er nicht gesondert eingelegt, weil er vom Verwaltungsgericht eine schnelle Entscheidung erwartet habe und über diese Notwendigkeit nicht belehrt worden sei; in dem korrigierten "Anmeldungsantrag" habe eine Sekretärin ohne seine Einwilligung den Vornamen seiner Mutter eingetragen.

4

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, ab sofort bis auf weiteres im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt die Kosten des von ihm in Anspruch genommenen Nachhilfeunterrichts in Höhe von monatlich 345,00 DM zu übernehmen.

5

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

6

Er meint, das Abitur des Antragstellers sei in Wahrheit nicht akut gefährdet; mit den Mitteln des Sozialhilferechtes könne ein bestmögliches Abitur jedoch nicht eingefordert werden; der Antragsteller habe ferner nicht vorgetragen, daß er verpflichtet wäre, seiner Mutter die Kosten zu erstatten, die diese an die "Unterrichtshilfe" zu erbringen habe; schließlich sei der am 7. Oktober 1997 an den Antragsteller abgesandte Bescheid vom 1. Oktober 1997 inzwischen unanfechtbar geworden.

7

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und auf die Verwaltungsvorgänge der Stadt Northeim Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.

8

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

9

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Da nach Wesen und Zweck dieses Verfahrens eine vorläufige Regelung grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Erbringung von Geldleistungen - wie sie im vorliegenden Fall begehrt wird - in diesem Verfahren nur ausgesprochen werden, wenn der Antragsteller die tatsächlichen Voraussetzungen für den entsprechenden Anspruch (sog. Anordnungsanspruch) sowie weiterhin glaubhaft macht, er befinde sich in einer existentiellen Notlage und sei deswegen - mit gerichtlicher Hilfe - auf die sofortige Befriedigung des Anspruchs dringend angewiesen (sog. Anordnungsgrund). Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, einen Anordnungsanspruch zu besitzen.

10

Abgesehen von den nicht ohne weiteres von der Hand zu weisenden Einwänden des Antragsgegners hinsichtlich der inzwischen eingetretenen Bestandskraft des Bescheides vom 1. Oktober 1997 sowie hinsichtlich des Umstandes, daß nicht der Antragsteller selbst, sondern seine Mutter Vertragspartnerin der "Unterrichtshilfe" geworden ist, bleibt der Antrag auch deshalb erfolglos, weil der Antragsteller nicht zu dem Personenkreis gehört, dem als Leistung der Hilfe zum Lebensunterhalt die Kosten von Nachhilfeunterricht zu gewähren sind.

11

Gemäß § 12 Abs. 2 BSHG umfaßt der notwendige Lebensunterhalt bei Kindern und Jugendlichen auch den besonderen, vor allem den durch ihre Entwicklung und ihr Heranwachsen bedingten Bedarf. Bei der Beschreibung dessen, was in diesem Sinne notwendig ist, sind die Lebensgewohnheiten und -gepflogenheiten geringverdienender Bevölkerungsschichten maßgebend; denn nur eine - annähernde - Gleichstellung mit diesen kann der Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt beanspruchen. Die Kammer hat danach erhebliche Bedenken, ob die Gefährdung des Abiturs allein ein Umstand ist, der die Inanspruchnahme von Nachhilfeunterricht notwendig macht (so aber wohl VGH Kassel, Beschluß vom 17.04.1996 - 9 TG 1283/84 -, FEVS 35, 453). Im Regelfall wird sie darauf zurückzuführen sein, daß die Leistungen des betreffenden Schülers/der betreffenden Schülerin im 13. Jahrgang nicht den gestellten Anforderungen entsprechen, was aus schulischer Sicht eine Wiederholung dieses Jahrgangs als sinnvoll erscheinen läßt - um den Schüler/die Schülerin ein Jahr später zum Abitur zu führen -. Diese fachliche Einschätzung hat der Schüler/die Schülerin - ebenfalls im Regelfall - hinzunehmen. Die Kammer ist allenfalls in äußerst begrenzten Ausnahmefällen geneigt, Nachhilfeunterricht für Schüler als Bestandteil des notwendigen Lebensunterhalts anzusehen, namentlich in solchen Fällen, wo der betreffende Schüler/die betreffende Schülerin (der/die an sich ausreichend begabt ist) in eine Lebenskrise geraten ist mit der Folge, daß sich die Noten drastisch verschlechtert haben.

12

Es ist nicht angezeigt, an dieser Stelle die infrage kommenden Fälle genau zu bezeichnen, denn der Antragsteller behauptet nicht, in eine drastische Lebenskrise geraten zu sein. Er macht noch nicht einmal glaubhaft, daß das Erreichen des Abiturs ernsthaft gefährdet ist. Bei schwach befriedigenden Leistungen im Leistungskurs Mathematik und schwach ausreichenden Leistungen im 3. Prüfungsfach Physik (bei ansonsten offenbar mindestens durchschnittlichen Leistungen) kann davon überhaupt nicht die Rede sein. Der Antrag kann deshalb unter keinem Gesichtspunkt Erfolg haben.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

Prilop,
Lenz,
Pardey