Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 19.01.1998, Az.: 3 B 3401/97

Antrag auf die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs bzw. einer Klage gegen eine landesbeamtenrechtliche Abordnungsverfügung; Abordnung eines an chronischem Alkoholismus leidenden Lehrers

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
19.01.1998
Aktenzeichen
3 B 3401/97
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1998, 32606
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:1998:0119.3B3401.97.0A

Fundstellen

  • NVwZ-RR 1998, 667-668 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZBR 1998, 184

Verfahrensgegenstand

Abordnung
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen hat
am 19. Januar 1998
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Abordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 26.08.1997 anzuordnen, wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.000,00 DM festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die angefochtene Abordnungsverfügung vom 26.08.1997 anzuordnen, durch die der Antragsteller mit Wirkung vom 28.08.1997 bis auf weiteres von der Grundschule ... (Gemeinde ... /Landkreis ... an die Grundschule ... in ... abgeordnet und an dieser Schule mit der Wahrnehmung der Dienstgeschäfte eines Konrektors beauftragt wurde, hat keinen Erfolg.

2

Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig. Denn S 126 Abs. 3 Nr. 3 des Beamtenrechtsrahmengesetzes - BRRG - in der Fassung des Reformgesetzes vom 24.02.1997 (BGBl. I S. 322) hat mit Wirkung vom 01.07.1997 als unmittelbar geltende bundesrechtliche Sonderregelung i. S. v. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 1. Alternative VwGO die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs (bzw. einer Klage) gegen eine landesbeamtenrechtliche Abordnungsverfügung zulässigerweise ausgeschlossen.

3

Der Aussetzungsantrag ist aber unbegründet. Die von der Kammer vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen fällt zu ungunsten des Antragstellers aus; das gesetzlich unterstellte öffentliche Interessen der sofortigen Vollziehung überwiegt insoweit eindeutig das private Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung einstweilen verschont zu bleiben. Bei dieser Bewertung geht die Kammer davon aus, daß die hier angesprochene Abordnung offensichtlich rechtmäßig ist.

4

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtslage in diesem verfahren ist der Zeitpunkt dir gerichtlichen Entscheidung. Zwischen dem Erlaß der angefochtenen Verfügung vom 26.08.1997 und dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eingetretene Rechtsänderungen sind zu berücksichtigen. Dies folgt bereits daraus, daß es in diesem Verfahren auch um die Erfolgsaussichten des Widerspruchs und einer sich daran anschließenden Anfechtungsklage geht. Die Rechtslage ist im Falle einer Anfechtungsklage bis zum Erlaß des Widerspruchsbescheides zu berücksichtigen. Folglich sind vor Erlaß des Widerspruchsbescheides - wie hier - eingetretene Rechtsänderungen auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu berücksichtigen (vgl. VGH Kassel, Beschluß vom 26.07.1994 - 4 TH 1779/93 -, NVwZ 1995, 922; Schenke, JZ 1996, 1155/1163). Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Abordnungsverfügung ist daher seit Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zurÄnderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 17.12.1997 Nds. GVBl. S. 528) am 31.12.1997 (Art. 10 Satz 1 des Gesetzes) nach§ 31 des Niedersächsischen Beamtengesetzes in der Fassung von Art. 1 Nr. 9 des Änderungsgesetzes vom 17.12.1997 - NBG n. F. - zu beurteilen. Mit dieser Änderung ist der niedersächsische Landesgesetzgeber seiner Verpflichtung nachgekommen, die bereits seit dem 01.07.1997 geltende rahmenrechtliche Vorschrift des § 17 BRRG i. d. F. des Reformgesetzes vom 24.02.1997 (BGBl. I S. 322) in Landesrecht umzusetzen (Art. 15 § 4 des Reformgesetzes). Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 NBG n. F. kann der Beamte aus dienstlichen Gründen vorübergehend zu einer seinem Amt entsprechenden Tätigkeit an eine andere Dienststelle abgeordnet werden. Er darf nach Abs. 1 auch zu einer nicht seinem Amt entsprechenden Tätigkeit abgeordnet werden, wenn ihm die Wahrnehmung der neuen Tätigkeit aufgrund seiner Vorbildung oder Berufsausbildung zuzumuten ist (§ 31 Abs. 2 Satz 1 NBG n. F.). Dies gilt auch, wenn die neue Tätigkeit nicht einem Amt mit demselben Endgrundgehalt entspricht (§ 31 Abs. 2 Satz 2 NBG n. F.). Die Abordnung bedarf nur dann der Zustimmung des Beamten, wenn sie in den Fällen des Abs. 2 die Dauer von zwei Jahren übersteigt (§ 31 Abs. 3 Nr. 2 NBG n. F.). Die Voraussetzungen der vorgenannten Vorschriften sind im vorliegenden Fall zweifelsfrei erfüllt.

5

Für die nach einem am 22.08.1997 in der Grundschule ... mit dem gesamten Lehrerkollegium, dem Antragsteller und Vertretern der Antragsgegnerin (Dezernate 402 - Schulaufsicht -, 410 - Lehrerpersonalien - und Suchtbeauftragte) durchgeführten Dienstgespräch und nach Erteilung der Zustimmung des Schulbezirkspersonalrats am 25.08.1997 von der Antragsgegnerin unter dem 26.08.1997 verfügte Abordnung des 57-jährigen, an chronischem Alkoholismus leidenden Antragstellers von der Grundschule ... zur Grundschule ... in ... ab 28.08.1997 sind die nach § 31 Abs. 1 und Abs. 2 NBG n.F. erforderlichen dienstlichen Gründe eindeutig gegeben. Solche dienstlichen Gründe dafür, den Antragsteller nicht mehr als Leiter der Grundschule ... sondern als mit der Wahrnehmung der Dienstgeschäfte eines Konrektors beauftragte Lehrkraft an der Grundschule ... zu verwenden, sind deshalb zu bejahen, weil zwischen dem Antragsteller und dem übrigen Lehrerkollegium der Grundschule ... sowie einem Teil der Elternschaft ein erhebliches - durch das Verhalten des ersichtlich mindestens seit 10 Jahren schwer alkoholabhängigen Antragstellers verursachtes - Spannungsverhältnis besteht, wodurch der Schulfrieden unstreitig nachhaltig gestört ist. Das Bestehen tiefgreifender Spannungen und Zerwürfnisse ist anhand der der Kammer vorliegenden Akten offenkundig und kann auch vom Antragsteller nicht ernsthaft geleugnet werden; er wertet es lediglich anders als die Antragsgegnerin und meint, der Schulbetrieb an der Grundschule ... werde durch seine Alkoholabhängigkeit und die dadurch aufgetretenen Spannungen nicht beeinträchtigt. Diese Einschätzung ist jedoch nicht zutreffend. Das gesamte Kollegium der Grundschule ... sieht die Vertrauensbasis durch eine Vielzahl von Ereignissen, Entscheidungen und Unregelmäßigkeiten des Antragstellers im Laufe der letzten Jahre als zerstört an und kann sich eine Zusammenarbeit mit dem Antragsteller nicht mehr vorstellen. Der Schulelternrat der Grundschule ... hat bei der Antragsgegnerin unter dem 05.06.1997 einen Antrag auf Abberufung des Antragstellers als Schulleiter gestellt. Auch einige Klassenelternschaften können sich eine weitere Zusammenarbeit mit dem Antragsteller aufgrund fehlenden Respekts, fehlender Achtung und eines völlig zerstörten Vertrauensverhältnisses nicht mehr vorstellen. Daraus, daß die Mitglieder des Lehrerkollegiums und wesentliche Teile der Elternschaft der Grundschule ... ihre ganz erheblichen Vorbehalte gegenüber der Amtsführung des wegen zweier Alkoholdelikte strafrechtlich und disziplinarisch vorbestraften Antragstellers erst nach dessen am 08.05.1997 mit einem Blutalkoholgehalt von 2,54 Promille begangener Trunkenheitsfahrt unmißverständlich gegenüber der Antragsgegnerin geäußert haben, läßt sich zugunsten des Antragstellers nichts herleiten. Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, daß in der hier vorliegenden Konstellation ein weiterer Verbleib bzw. ein Neuanfang des Antragstellers nach dessen Alkoholentwöhnungstherapie an der Grundschule ... nicht mehr in Betracht kam und unweigerlich zu weiteren gravierenden Spannungen an dieser Schule geführt hätte, was zwangsläufig eine nicht hinnehmbare Beeinträchtigung des gesetzlichen Erziehungsauftrages nach sich gezogen hätte. Demzufolge mußte die Antragsgegnerin vorübergehend eine anderweitige Verwendung für den Antragsteller finden.

6

Soweit der Antragsteller rügt, die Abordnung an die Grundschule ... sei unzulässig, weil der ihm dort zugewiesene Aufgabenkreis (Wahrnehmung der Dienstgeschäfte eines Konrektors, BesGr. A 12 Z BBesO) nicht seinem statusrechtlichen Amt (BesGr. A 13 g.D. BBesO) entspreche und "unterwertig" sei, kann er damit aus Rechtsgründen nicht durchdringen. Selbst wenn die Ansicht des Antragstellers zutreffen sollte, wäre dies unerheblich. Denn § 31 Abs. 2 Satz 1 und 2 NBG n.F. läßt eine nicht dem Amt entsprechende ("unterwertige") Abordnung ausdrücklich zu, und zwar auch dann, wenn die neue Tätigkeit nicht einem Amt mit demselben Endgrundgehalt entspricht. Die neue Tätigkeit ist - sollte sie als "unterwertig" anzusehen sein - dem Antragsteller jedenfalls i.S.v. § 31 Abs. 2 Satz 1 NBG n.F. aufgrund seiner Vorbildung bzw. Berufsausbildung zuzumuten. Die Zumutbarkeit in diesem Sinne stellt nicht ab auf Belastungen, die die Abordnung auf die persönliche Sphäre des Antragstellers hat, vielmehr ist dieses Tatbestandsmerkmal laufbahnbezogen auszulegen (vgl, Battis, BBG, 2. Auflage 1997, § 27 Rn. 10). Da dem Antragsteller durch die Abordnung an die Grundschule ... und die gleichzeitige Übertragung der Dienstgeschäfte eines Konrektors an dieser Schule ermöglicht wird, im gehobenen Dienst weiterhin Funktionstätigkeiten aus dem Bereich der Schulleitung wahrzunehmen (ohne allerdings die volle Verantwortung für eine Schule tragen zu müssen), kann an der Zumutbarkeit kein Zweifel bestehen. Der Zustimmung des Antragstellers bedurfte die Abordnung gemäß § 31 Abs. 3 Nr. 2 NBG n.F. hier nicht, weil sie die Dauer von zwei Jahren nicht übersteigt und erkennbar auch nicht übersteigen soll. Die Abordnungszeit brauchte in der angefochtenen Verfügung vom 26.08.1997 nicht bestimmt zu sein (vgl. Battis, aaO,§ 27 Rn. 3, S. 314).

7

Auch hinsichtlich des Abordnungsermessens, das von der Kammer nur im Rahmen des § 114 VwGOüberprüft werden kann, sind nach der hier gegebenen Sachlage Rechtsfehler nicht erkennbar. Dabei ist zu berücksichtigen, daß grundsätzlich - so auch hier - dienstliche Belange den Vorrang genießen und nur ganz ausnahmsweise ganz schwerwiegende Gründe oder persönliche Härten eine Abordnung als Verstoß gegen die Fürsorgepflicht (§ 87 Abs. 1 NBG) erscheinen lassen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. vom 26.11.1992 - 5 M 4753/92 - S. 9; BVerwG, Urteil vom 25.01.1967 - VI C 58.65 -, BVerwGE 26, 65/69). Wie der Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 07.11.1997 (S. 3) zeigt, ist die Möglichkeit eines Einsatzes des Antragstellers an anderen Grundschulen geprüft, aber aus sachlichen Gründen verneint worden, da im Zeitpunkt der Abordnung keine andere Funktionsstelle zur Verfügung stand, die in Anbetracht der fehlenden Fahrerlaubnis des Antragstellers in angemessener Entfernung liegt und mit öffentlichen Verkehrsmitteln in zumutbarer Zeit hätte erreicht werden können. Die Ausführungen des Antragstellers zur angeblich unzumutbaren Belastung des täglichen Weges zur Arbeit nach ... sind mittlerweile überholt, da der Antragsteller nach dem unwidersprochenen Vortrag der Antragsgegnerin (Schriftsatz vom 07.11.1997, S. 4 letzter Absatz) seit dem 31.10.1997 über eine Wohnung in ... verfügt. Entgegen der Ansicht des Antragstellers kann keine Rede davon sein, daß sein Gesundheitszustand, den die Antragsgegnerin zur Kenntnis genommen und angemessen mit abgewogen hat, bei der Abordnung an die Grundschule ... eine Gefährdung der Dienstfähigkeit des Antragstellers besorgen läßt. Die insoweit nicht nachvollziehbar gemachte Auffassung der ... klinik ... in der von den Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers erbetenen Stellungnahme vom 15.08.1997 (Blatt 8 der Gerichtsakte = Blatt 466 der Beiakte F), ein Einsatz des Antragstellers in einer untergeordneten Funktion an einer anderen Schule würde stark rückfallgefährdend wirken, teilt die Kammer nicht. Nach der dazu von der Antragsgegnerin eingeholten Stellungnahme der Amtsärztin des Landkreises ... vom 20.10.1997 (S. 3, Blatt 257 der Beiakte F = Blatt 29 der Gerichtsakte) wird es aus amtsärztlicher Sicht bezweifelt, daß ein Einsatz in der Grundschule ... dem Antragsteller wunschgemäß mehr helfen würde, seine Probleme aufzuarbeiten, da die dortigen Kollegen und Kolleginnen nicht unvoreingenommen mit ihm zusammenarbeiten könnten und der Antragsteller offensichtlich die dort aufgetretenen Schwierigkeiten unterbewerte. Die Amtsärztin kommt deshalb zu der gegenteiligen Auffassung, daß die Chance in einem neuen Kollegium größer sei, vorurteilsfrei seiner Tätigkeit als Lehrer nachgehen zu können. Vor diesem Hintergrund kann aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden, daß die Antragsgegnerin dem gravierendenöffentlichen Interesse am ungestörten Fortgang des Schulbetriebes der Grundschule ... größeres Gewicht als den persönlichen Belangen des Antragstellers beigemessen hat, weil sie rechtsfehlerfrei davon ausgegangen ist - und zu Recht weiterhin davon ausgeht -, der alkoholkranke Antragsteller sei entgegen seiner eigenen subjektiven Einschätzung seit seiner Alkoholentziehungskur (noch) nicht wieder in der Lage, seinen Dienst als Schulleiter an der Grundschule ... oder einer anderen Schule des Landes zu versehen. Erst die weitere Bewährung an der Grundschule ... in ... wird zeigen, ob es verantwortet werden kann, dem Antragsteller möglicherweise dauerhaft wieder eine eigenverantwortliche Schulleitungsfunktion anzuvertrauen.

8

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

9

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.