Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 02.12.2009, Az.: 5 A 238/08
Bankkonto; Bargeld; Betäubungsmittel; Beweislast; Einzahlung; Ermessensfehler; Gefahr; Gefahr durch das Geld; Gefahr für das Geld; Gefahr, gegenwärtige; Geldbetrag; Gewinnabschöpfung; Gewinnabschöpfung, präventive; Konto; Prognose; Sicherstellung; deliktische Herkunft; gegenwärtige Gefahr; mutmaßlicher Wille; präventive Gewinnabschöpfung
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 02.12.2009
- Aktenzeichen
- 5 A 238/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 43824
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2009:1202.5A238.08.0A
Rechtsgrundlagen
Fundstelle
- NVwZ-RR 2010, 354
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Bei der Sicherstellung eines Geldbetrages zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr (§ 26 Nr. 1 Nds. SOG) im Rahmen der sogenannten "präventiven Gewinnabschöpfung" sind zwei Varianten denkbar: Die gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit kann sich zum einen aus der Verwendungsabsicht des Besitzers des Geldbetrages ergeben ("Gefahr durch das Geld"). Zum anderen kann sich eine gegenwärtige Gefahr dadurch ergeben, dass durch die Auszahlung des Geldes an den Besitzer Rückzahlungsansprüche des wahren Berechtigten vereitelt oder erschwert werden ("Gefahr für das Geld").
- 2.
Für die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr "durch das Geld" muss mit hinreichender Sicherheit zu befürchten sein, der Besitzer des Geldes werde dies unmittelbar zur Vorbereitung oder Begehung von Straftaten verwenden. Notwendige Voraussetzung hierfür ist in der Regel, dass das sichergestellte Geld selbst aus Straftaten stammt. Wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass der sichergestellte Geldbetrag deliktischen Ursprungs ist, und keine vernünftigen Zweifel an der Herkunft des Geldbetrages aus Straftaten bestehen, kann dies ggf. - insbesondere im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität - die Prognose stützen, der Betrag werde mit hinreichender Sicherheit auch zukünftig zur Begehung vergleichbarer Straftaten eingesetzt.
- 3.
Eine gegenwärtige Gefahr "für das Geld" kann nur bestehen, wenn Rückforderungsansprüche des wahren Berechtigten existieren. Für diesen Umstand ist grundsätzlich die Behörde materiell beweisbelastet.
- 4.
Die Sicherstellung eines Geldbetrages wegen einer Gefahr "für das Geld" ist regelmäßig ermessensfehlerhaft, wenn die zu schützenden Rückforderungsansprüche - beispielsweise wegen der Regelung des § 817 Satz 2 BGB - keinen zivilrechtlichen Schutz genießen und die Sicherstellung des Geldes dem mutmaßlichen Willen der Forderungsinhaber zuwider läuft.
- 5.
Nach Einzahlung eines Bargeldbetrages auf ein Bankkonto kann dessen Sicherstellung im Rahmen der "präventiven Gewinnabschöpfung" nicht mehr auf § 26 Nr. 2 Nds. SOG gestützt werden.
Tenor:
Der Sicherstellungsbescheid der Beklagten vom 20. August 2008 sowie der Kostenbescheid vom selben Tage werden aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, den Geldbetrag von 1 010,00 Euro an den Kläger auszuzahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 1 162,30 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem die Beklagte einen Geldbetrag in Höhe von 1 010,- Euro sichergestellt und ein Verfügungsverbot hinsichtlich dieses Betrages ausgesprochen hat, sowie gegen den hierfür ergangenen Kostenbescheid.
Der im Jahr E. geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Während seiner Jugendzeit ist er wiederholt strafrechtlich auffällig geworden, unter anderem wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Haschisch). Im Jahr 2004 schließlich verurteilte ihn das Landgericht Braunschweig insbesondere wegen einer gefährlichen Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten. Von September 2004 bis November 2006 befand sich der Kläger in der Jugendanstalt F.. Die Vollziehung der restlichen Jugendstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit wurde zuletzt bis zum 23. Oktober 2010 verlängert. Mit Strafbefehl vom April 2007 wurde der Kläger wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (1,64 Gramm Marihuana) zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt. Zuletzt verurteilte ihn das Amtsgericht Hannover mit Urteil vom Juli 2009 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und 6 Monaten, weil er zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs im Zeitraum zwischen Oktober und November 2007 ca. 500 gr. Marihuana zu einem Kaufpreis von 2 600,- Euro erworben und am 30. September 2008 ca. 50 gr. Marihuanablüten in seiner Wohnung vorrätig gehalten hatte. Das Amtsgericht Hannover setzte die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, da es eine äußert günstige Sozialprognose für den Kläger feststellte. Hierbei berücksichtigte das Amtsgericht Hannover ausweislich der Urteilsbegründung, dass sich der Kläger zuvor selbstständig um eine stationäre Drogenentzugstherapie bemüht und diese im Juli 2009 erfolgreich beendet hatte sowie den Hauptschulabschluss nachgeholt und sich erfolgreich um einen Arbeitsplatz bemüht hatte. Der Kläger ist derzeit weiterhin in einem Beschäftigungsverhältnis angestellt.
Am Sonntag, den 20. Juli 2008, machten Polizeibeamte in Zivil die Beobachtung, dass sich gegen 1.30 Uhr morgens der Kläger sowie vier weitere Personen in einem Pkw in der G. in H. aufhielten und während eines Zeitraums von ca. 20 Minuten immer wieder für kurze Zeit das Fahrzeug verließen, um sich in Richtung des baulich abgetrennten Bereichs des "Rotlichtbezirks" zur I. zu begeben. Nach polizeilichen Erkenntnissen ist dies ein bekannter Drogenumschlagsplatz für Konsumenten. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten konnten die Polizeibeamten nicht beobachten, welche Handlungen der Kläger oder die vier weiteren Personen dort vornahmen. Der Kläger sowie die vier weiteren Personen fuhren anschließend in nördlicher Richtung davon und wurden gegen 1:50 Uhr auf der J. in H. von Polizeibeamten kontrolliert. Bei der Kontrolle wurde auf dem Fahrersitz eine abgepackte Einheit Kokain (ca. 0,6 gr netto) gefunden, für die niemand der Insassen die Verantwortung übernahm. Der Kläger saß auf dem Platz rechts im Fond des Wagens. Lose in der Jackentasche des Klägers fanden die Polizeibeamten Bargeld in einer Höhe von 1 010,- Euro (14 × 50,- Euro, 15 × 20,- Euro und 1 × 10 Euro). Nach den Aufzeichnungen der Polizeibeamten machte der Kläger zur Herkunft des Geldes zunächst die Angabe, seine Freundin habe ihn wegen eines Streites aus der gemeinsamen Wohnung geworfen und er habe sein gesamtes Barvermögen mitnehmen müssen. Einige Minuten später erklärte der Kläger, das Geld würde einem namentlich nicht bezeichneten Onkel gehören, der es aus einer beruflichen Abfindung erhalten habe. Später gab er an, das Geld gehöre einem Freund und er solle an seinen Onkel weiterreichen. Das Bargeld wurde - vorläufig - beschlagnahmt. Später erklärte der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten, das Geld stamme von seinem Onkel und sei für seine Mutter bestimmt gewesen, die es für eine Reise in die Türkei benötigt habe.
Am 31. Juli 2008 gab die Staatsanwaltschaft Braunschweig das zuvor von der Polizei für das Ermittlungsverfahren beschlagnahmte Bargeld mit der Begründung frei, ein begründeter Tatverdacht bestehe allein wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln, nicht hingegen wegen des Handeltreibens. Zugleich regte die Staatsanwaltschaft an, dass die Beklagte das Geld im Rahmen einer "präventiven Gewinnabschöpfung" gemäß § 26 Nds. SOG sicherstellt.
Am 13. August 2008 wurde das sichergestellte Bargeld auf ein Konto der Beklagten bei der Norddeutschen Landesbank eingezahlt.
Unter dem 20. August 2008 erließ die Beklagte die streitgegenständlichen Bescheide. Sie ordnete hierin zum einen die Sicherstellung des von der Polizei beschlagnahmten Geldbetrages in Höhe von 1 010,- Euro an, erließ zugleich ein Verfügungsverbot für den Kläger und ordnete die sofortige Vollziehung ihres Bescheides an. Zum anderen erließ die Beklagte einen Kostenbescheid, mit dem sie eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 150,- Euro sowie Auslagen in Höhe von 2,30 Euro geltend machte. Diese Maßnahmen begründete sie im Wesentlichen wie folgt: Rechtsgrundlage der Sicherstellung sei § 26 Nr. 1 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG). Es müsse dringend davon ausgegangen werden, dass das Geld aus dem unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln stamme. Hierfür sprächen das auffällige Verhalten des Klägers an dem als Drogenumschlagsplatz bekannten Bereich der G., die sog. szenetypische Stückelung des Bargeldbetrages, die wechselnden und nicht glaubhaften Einlassungen des Klägers zur Herkunft des Geldes sowie der Umstand, dass im Pkw eine Konsumeinheit Kokain gefunden wurde. Es müsse deswegen dringend befürchtet werden, dass der Kläger das Geld zur Begehung von Straftaten einsetzen werde, wenn er es zurückerhielte, bspw. um Betäubungsmittel für einen illegalen Weiterverkauf zu erwerben. Außerdem sei zu befürchten, dass der Kläger bei einer Aushändigung des sichergestellten Bargeldes das Eigentums- und Besitzrecht zu Lasten des rechtmäßigen Eigentümers ausübe. Die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB sei insoweit widerlegt. Rechtsgrundlage des Verfügungsverbots sei § 11 Nds. SOG. Den Gebührenrahmen von Nr. 108.3.2 der Anlage 1 zur Allgemeinen Gebührenordnung (AllGO) habe sie angesichts des Verwaltungsaufwandes und der Bedeutung der Sache ausschöpfen dürfen.
Am 19. September 2009 hat der Kläger gegen beide Bescheide Klage erhoben, die er im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Sicherstellungsverfügung sei rechtswidrig, denn die Beklagte habe nicht nachgewiesen, dass er nicht Eigentümer bzw. rechtmäßiger Gewahrsamsinhaber des Geldes gewesen ist. Er habe das Geld von seinem "Onkel", Herrn K. L., erhalten und habe es seiner Mutter bringen sollen. Dies bestätige eine schriftliche Erklärung von Herrn L. und seiner Mutter. Die gesetzliche Vermutung des § 1006 BGB sei nicht widerlegt. Es bestehe auch nicht die Gefahr, dass er das Geld zur Begehung von Straftaten einsetzen werde. Das Strafverfahren wegen des Vorfalls vom 20. Juli 2008 habe die Staatsanwaltschaft Braunschweig am 29. August 2008 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da sich ein hinreichender Tatverdacht selbst hinsichtlich eines illegalen Besitzes von Betäubungsmitteln nicht begründen lasse. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass das Amtsgericht Hannover eine äußerst günstige Sozialprognose für ihn festgestellt habe.
Der Kläger beantragt,
den Sicherstellungsbescheid der Beklagten vom 20. August 2008 sowie den Kostenbescheid vom selben Tage aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Geldbetrag von 1 010,00 Euro an ihn bzw. seinen Onkel auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf ihre angefochtenen Bescheide und führt ergänzend im Wesentlichen wie folgt aus: Es sei davon auszugehen, dass das sichergestellte Bargeld unrechtmäßig erworben wurde. Die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB sei insoweit durch entgegenstehende Beweiszeichen und Erfahrungssätze widerlegt. Dem Kläger sei es nicht gelungen, dem nunmehr ihm obliegenden Nachweis zu führen, dass er Eigentümer des Geldes sei. Die schriftliche Erklärung von Herrn L. und der Mutter des Klägers könne die Einlassung des Klägers zur Herkunft des Geldes, die aufgrund der gesamten Umstände als Schutzbehauptung zu werten sei, nicht beweisen.
Das Gericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen L.. Der Kläger hat hierbei im Wesentlichen angegeben, er habe von seiner Mutter telefonisch den Auftrag erhalten, für sie 1 000,- Euro von Herrn L. abzuholen. Zu diesem Zeitpunkt habe er sich in der zum damaligen Zeitpunkt gemeinsam mit den Eltern bewohnten Wohnung im M. in H. aufgehalten. Herr L. habe seiner Mutter das Geld leihen wollen. Diese habe es benötigt, um ihre erkrankten Mutter in der Türkei besuchen zu können. Am Nachmittag des 19. Juli 2008 habe er sich zu Herrn L. begeben und dort ca. zwischen vier und sechs Uhr Nachmittags das Geld erhalten. Anschließend sei er mit dem Bus zu seiner Freundin gefahren. Das Geld habe er seiner Mutter am folgenden Tag geben wollen. Hierzu sei es jedoch nicht gekommen, weil es in der Nacht sichergestellt worden sei. Die zusätzlich sichergestellten 10,- Euro hätten ihm gehört. Herr L. erklärte im Wesentlichen, die Mutter des Klägers habe ihn angerufen, und darum gebeten, ihm 1 000 Euro zu leihen. Weil es um die Mutter in der Türkei gegangen sei, habe er zugesagt, das Geld zu geben. Eigentlich sei vereinbart gewesen, dass die Mutter des Klägers das Geld selbst abhole. Sie habe dann aber den Kläger vorbeigeschickt, dem er das Geld, das er der Kasse seines N. ladens entnommen habe, gegeben habe. Dies sei zu einem Zeitpunkt gewesen, nachdem er seinen N. laden geschlossen hatte, an den Wochentag könne er sich nicht mehr erinnern. Wochentags habe er bis 19 Uhr geöffnet, Samstags bis 15 Uhr. Kurz darauf, vermutlich schon am nächsten Tag, habe er erfahren, dass das Geld weg war. Daraufhin sei er mit der Mutter des Klägers zur Polizei gegangen und habe bereits dort erklärt, dass das Geld von ihm stamme.
Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung eine schriftliche Stellungnahme der Polizeiinspektion H. vorgelegt. Hiernach wurde der Kläger am 21. November 2009 nach einem Verkehrsunfall durchsucht und es wurde in seiner Bekleidung ein gefalteter Notizzettel gefunden, in dem laut der Stellungnahme sich eine vermutliche Brutto-Crack-Menge von 1,0 Gramm aufbewahrt wurde. Deswegen sei ein Ermittlungsverfahren wegen des Erwerbs/Besitzes von Betäubungsmitteln in geringer Menge eingeleitet worden. Der Kläger machte zu diesem Vorfall keine Angaben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, den Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie die beigezogenen Strafakten der Staatsanwaltschaften Braunschweig und Hannover verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Sicherstellungsbescheid und der Kostenfestsetzungsbescheid der Beklagten vom 20. August 2008 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat deswegen auch einen Anspruch auf Auszahlung des sichergestellten Geldbetrages in Höhe von 1 010,- Euro.
Der Sicherstellungsbescheid vom 20. August 2008 ist rechtswidrig.
Rechtsgrundlage für die Sicherstellung des Geldbetrages ist § 26 Nds. SOG. Danach können die Verwaltungsbehörden und die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren (Nr. 1) oder um den Eigentümer oder den rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt vor Verlust oder Beschädigung einer Sache zu schützen (Nr. 2). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt.
Nach Rechtsauffassung der Kammer sind bei der Sicherstellung eines Geldbetrages zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr ( § 26 Nr. 1 Nds. SOG ) im Rahmen der sogenannten "präventiven Gewinnabschöpfung" zwei Varianten denkbar: Die gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung i.S.d. Vorschrift kann sich zum einen aus der Verwendungsabsicht des Besitzers des Geldbetrages ergeben ("Gefahr durch das Geld"). In dieser Fallgruppe dient die Sicherstellung von Geldbeträgen dazu, deren ansonsten drohende Verwendung zur Vorbereitung und Begehung von Straftaten zu verhindern (vgl. - Nds. OVG, U. v. 17.11.2009 - 11 LB 401/09 ). Für die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr "durch das Geld" i.d.S. kommt es nicht maßgeblich darauf an, wer Eigentümer des Geldes ist, solange das Geld in den Händen seines Besitzers eine Gefahr darstellt (vgl. Söllner, NJW 2009, 3339, 3340). Zum anderen kann eine gegenwärtige Gefahr i.S.d. § 26 Nr. 1 Nds. SOG gegeben sein, wenn durch die Auszahlung des Geldes an den Besitzer Rückzahlungsansprüche des vom Besitzers abweichenden wahren Berechtigten vereitelt oder erschwert werden ("Gefahr für das Geld").
Eine Gefahr ist hierbei nach der Legaldefinition in § 2 Nr. 1a Nds. SOG eine Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten wird. Die Gefahr ist nach § 2 Nr. 1b Nds. SOG gegenwärtig, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder wenn diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Eine bereits eingetretene, in ihrer Wirkung noch andauernde Störung begründet stets eine gegenwärtige Gefahr. Der Begriff "gegenwärtige Gefahr" stellt somit hohe Anforderungen an die zeitliche Nähe und den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Es kommt aber auch auf die Schwere des drohenden Schadens und die Intensität des Eingriffs an. (vgl. Nds. OVG, B. v. 17.11.2009, a.a.O.). Ob eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung "durch das Geld" oder "für das Geld" besteht, beurteilt sich wegen der Dauerwirkung des Sicherstellungsbescheides in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren anhand der Sachlage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. VG Oldenburg, B. v. 30.01.2008 - 2 A 969/07 -, juris Rn. 3; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 113 Rn. 43).
Nach diesem Maßstab liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme vor, es bestehe die gegenwärtige Gefahr, der Kläger werde das zuvor beschlagnahmte Geld im Fall einer Rückzahlung unmittelbar zur Vorbereitung oder Begehung von Straftaten verwenden und somit wegen der Verletzung von Rechtsverletzung die öffentliche Sicherheit schädigen ("Gefahr durch das Geld").
Maßgebliches Gewicht kommt bei der insoweit erforderlichen Prognose dem Umstand zu, ob das sichergestellte Geld selbst aus Straftaten stammt. Wenn mit hinreichender, nämlich an Sicherheit grenzender, Wahrscheinlichkeit feststeht, dass der sichergestellte Geldbetrag deliktischen Ursprungs ist, und keine vernünftigen Zweifel an der Herkunft des Geldbetrages aus Straftaten im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität bestehen, kann dies die Annahme unterstützen, mit hinreichender Sicherheit werde der Betrag auch zukünftig zur Begehung vergleichbarer Straftaten eingesetzt (vgl. Nds. OVG, U. v. 17.11.2009, a.a.O.; U. v. 02.07.2009 - 11 LC 4/08 -, juris Rn. 40 f.; Barthel, KommJur 2009, 81, 84).
Diese Feststellung einer deliktischen Herkunft lässt sich für den beim Kläger sichergestellten Geldbetrag von 1 010,- Euro nicht mit hinreichender Sicherheit treffen.
Zwar begründen verschiedene Gesichtspunkte - insbesondere die Umstände, unter denen der Geldbetrag beim Kläger aufgefunden wurde - den Verdacht, dass das Geld aus dem Verkauf von Drogen stammt. Insbesondere sprechen hierfür das auffällige Verhalten des einschlägig vorbestraften Klägers, als er am Sonntag, den 20. Juli 2008, um 1.30 Uhr morgens innerhalb eines Zeitraums von circa 20 Minuten wiederholt das Fahrzeug verlassen und sich in Richtung des als Drogenumschlagsplatz bekannten Bereichs des "Rotlichtbezirks" zur I. begeben hat, dass in dem Fahrzeug später eine Konsumeinheit Kokain gefunden wurde, dass beim Kläger der Geldbetrag von 1 010,- Euro in einer sogenannten szenetypischen Stückelung (d.h. mit einer auffälligen Häufung von 50,- und 20,- Euro - Scheinen) gefunden wurde und er nach den Angaben im Polizeibericht zunächst widersprüchliche Angaben zu dessen Herkunft machte (vgl. zu Anhaltspunkten, die für die Herkunft eines Geldbetrages aus einem Drogengeschäft sprechen können, Nds. OVG. U. v. 02.07.2009, a.a.O., juris Rn. 43 ff).
Die vorliegenden Erkenntnisse reichen aber nicht dazu aus, um mit hinreichender Sicherheit feststellen zu können, dass der sichergestellte Geldbetrag deliktischen Ursprungs ist.
Die Ermittlungsbehörden haben keinen direkten Tatnachweis führen können, insbesondere weil das konkrete Verhalten des Klägers im Bereich der I. nicht beobachtet wurde und das auffällige Verhalten des Klägers nicht zwingend auf den Verkauf von Drogen hindeutet, sondern andere Erklärungsansätze denkbar sind. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat das strafrechtliche Ermittlungsverfahren dementsprechend gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, was zwar der Rechtmäßigkeit der Sicherstellungsverfügung nicht von vornherein entgegensteht, allerdings bei der Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Sicherstellung vorliegen, zu berücksichtigen ist (vgl. Nds. OVG, U. v. 02.07.2009, a.a.O., juris Rn. 34 f.).
Insbesondere spricht zudem vieles dafür, dass der beim Kläger sichergestellte Geldbetrag von 1 010,- Euro zu einem Großteil (nämlich in Höhe von 1 000,- Euro) von dem Zeugen Herrn L. stammt, der ihn dem Kläger gegeben hat, damit er ihn an seine Mutter weiterreicht, der er den Betrag als Darlehen zur Verfügung stellen wollte. Auch wenn wegen der Umstände, unter denen das Geld beim Kläger aufgefunden wurde, ein Restverdacht bleibt, dass das Geld aus dem Verkauf von Drogen am frühen Morgen des 20. Juli 2008 stammt, bestehen deswegen jedenfalls erhebliche Zweifel an der deliktischen Herkunft des sichergestellten Geldbetrages.
Herr L. hat die Einlassung des Klägers aus dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sowie dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Wesentlichen bestätigt. Nach dem persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung hat Herr L. zur Überzeugung der Kammer glaubhaft ausgesagt, der Mutter des Klägers versprochen zu haben, ihr den Betrag von 1 000,- Euro zu leihen, und den Barbetrag, den er seiner Ladenkasse entnommen hatte, dem Kläger ausgehändigt zu haben, damit er ihn an seine Mutter weitergebe. Dass Herr L. kurz darauf, nach seiner Erinnerung am nächsten Tag, erfahren hat, dass das Geld nicht bei der Mutter des Klägers angekommen ist, sondern von der Polizei sichergestellt wurde, belegt die unmittelbare zeitliche Nähe zwischen der Übergabe des Geldes von Herrn L. an den Kläger und der Sicherstellung. Dies spricht dafür, dass die Übergabe am 19. Juli 2008 stattgefunden hat und es sich bei dem beim Kläger sichergestellten Geldbetrag um die 1 000 Euro von Herrn L. handelt. Da Herr L. glaubhaft erklärt hat, der Mutter des Klägers nur dieses eine Mal Geld geliehen zu haben, kann eine Verwechslung ausgeschlossen werden. Angesichts dessen liegt es nahe, dass die Mutter des Klägers und Herr L. in ihrer schriftlichen Erklärung (Bl. 22 der Gerichtsakte) nur versehentlich den 20. September 2009 als Übergabedatum anführen. Für die Richtigkeit der Einlassung des Klägers, er habe das Geld am Nachmittag zwischen vier und sechs Uhr in Empfang genommen, spricht, dass Herr L. sich daran erinnern konnte, zum Zeitpunkt der Geldübergabe sein Ladengeschäft, das Samstags bis 15 Uhr geöffnet hat, bereits geschlossen und das Gebet verrichtet zu haben. Hierbei ist er zwar zunächst davon ausgegangen, es sei das Abendgebet gewesen, konnte aber nicht ausschließen, dass es auch das Nachmittagsgebet gewesen ist.
Ohne eine hinreichend sichere Feststellung, dass der Geldbetrag von 1 010,- Euro aus Drogengeschäften stammt, lässt sich dessen Sicherstellung vorliegend nicht rechtfertigen. Schon um einer ausufernden Anwendung der Sicherstellungsvorschriften vorzubeugen, kann die Sicherstellung eines Geldbetrages nicht deliktischen Ursprungs im Rahmen der "präventiven Gewinnabschöpfung" allenfalls im Ausnahmefall in Betracht kommen. Vorliegend ist eine solche Ausnahme nicht geboten. Vielmehr spricht zusätzlich gegen die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr "durch" den sichergestellten Betrag, dass dieser mit einer Höhe von 1 010,- Euro relativ niedrig ausfällt. Selbst bei einer unterstellten deliktischen Herkunft erscheint es deswegen nicht ausgeschlossen, dass er für allgemeine Lebenshaltungskosten verwendet wird. Bei hohen Summen, wie sie oftmals im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität im Bereich von Betäubungsmitteldelikten sichergestellt werden und die den Bereich allgemeiner Lebenshaltungskosten weit überschreiten, liegt der Verdacht näher, dass sie - quasi als "Betriebsmittel" einer kriminellen Organisation - unmittelbar erneut zur Vorbereitung oder Begehung von Betäubungsmittelstraftaten verwendet werden (vgl. auch Söllner, NJW 2009, S. 3339, 3341, wonach die Sicherstellung von Geldbeträgen zur Verhinderung von Straftaten nur bei Beträgen in Betracht kommt, die deutlich oberhalb von Summen liegen, die einer gewöhnlichen Lebensführung dienen können, und bei einer alleinstehenden Person zumindest höher als der dreifache Sozialhilfesatz von 351,- Euro, also über 1053 Euro, liegen müsste).
Die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr "durch das Geld" rechtfertigt sich auch nicht aufgrund sonstiger Indizien. Insbesondere begründet der Vorfall vom 21. November 2009, bei dem vermutlich erneut Drogen bei dem Kläger gefunden wurden, keine gegenwärtige Gefahr i.S.d. § 26 Nr. 1 Nds. SOG. Zwar ist hierdurch die Annahme einer drogenabstinenten Lebensweise des Klägers erschüttert. Allerdings sind die genauen Umstände ungeklärt und begründet die aufgefundene - geringe - Menge allenfalls den Verdacht eines Drogenkonsums, nicht aber eines unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln. Die weiteren Umstände, die das Amtsgericht Hannover zur Feststellung einer "äußerst günstigen Sozialprognose" veranlasst haben, sind zudem von dem Vorfall nicht betroffen, insbesondere die berufliche Tätigkeit, der der Kläger weiterhin nachgeht.
Die Sicherstellung des Geldbetrages ist auch nicht gerechtfertigt, um zu verhindern, dass bei einer Auszahlung des Geldes Rückzahlungsansprüche des oder der wahren Berechtigten vereitelt oder erschwert werden (gegenwärtige Gefahr "für das Geld" i.S.v. § 26 Nr. 1 Nds. SOG ). Voraussetzung dafür, dass die Auszahlung des Geldbetrages Rückzahlungsansprüche des wahren Berechtigten vereiteln oder erschweren kann, ist das Bestehen solcher Ansprüche. Dass das sichergestellte Geld aus Drogenverkäufen des Klägers stammt und den Käufern der Drogen wegen der zivilrechtlichen Unwirksamkeit der Kaufgeschäfte gemäß § 134 BGB Rückzahlungsansprüche zustehen, hat die - insoweit materiell beweisbelastete - Beklagte jedoch nicht nachweisen können. Vielmehr spricht nach vorstehenden Ausführungen vieles dafür, dass das Geld von Herrn L. stammt.
Unabhängig hiervon ist die Sicherstellung zur Sicherung potenzieller Rückzahlungsansprüche von Drogenkäufern ermessensfehlerhaft. Denn die Sicherstellung wegen einer "Gefahr für das Geld" bedeutet ein ordnungsbehördliches Einschreiten zum ausschließlichen Schutz privater Rechte, das - wie die Vorschrift des § 1 Abs. 3 Nds. SOG zeigt - einen Ausnahmefall darstellt und regelmäßig jedenfalls dann nicht in Betracht kommt, wenn die private Rechtsposition keinen zivilrechtlichen Schutz genießt. Vorliegend wären zivilrechtliche Rückforderungsansprüche potenzieller Drogenkäufer wegen der Vorschrift des § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Dass ein ordnungsbehördliches Einschreiten zum Schutz dieser schon zivilrechtlich nicht geschützten Rechtspositionen ausnahmsweise zulässig sein sollte, ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die Drogenkäufer wegen des auch mit dem Erwerb einhergehenden Verstoßes gegen Strafrechtsvorschriften mutmaßlich kein Interesse an einer Rückerstattung der von ihnen bezahlten Beträge durch die Beklagte haben und die Sicherstellung des Geldes ihrem mutmaßlichen Willen zuwider läuft. Bei einer Sicherstellung zum Schutz privater Rechte kommt dem mutmaßlichen Willen des Berechtigten jedoch eine maßgebliche Bedeutung zu, weil es sich letztlich um eine Form der Geschäftsführung ohne Auftrag zum Schutz privater Rechte handelt (vgl. Söllner, NJW 2009, 3339, 3340).
Die Voraussetzungen des § 26 Nr. 2 Nds. SOG sind nach der Rechtsauffassung der erkennenden Kammer von vornherein nicht gegeben, weil der Geldbetrag bereits am 13. August 2008 und somit vor Erlass der Sicherstellungsverfügung auf ein Konto eingezahlt wurde und deswegen nicht mehr bestimmte Gegenstände - Geldscheine - sichergestellt sind, die potenziellen Eigentümern herausgegeben werden könnten, sondern lediglich der Betrag (vgl. erkennende Kammer , U. v. 29.05.2008 - 5 A 251/07 -; Söllner, NJW 2009, 3339, 3341 a. A. wohl VG Oldenburg, B. v. 30.01.2008 - 2 A 969/07 -, juris Rn. 28).
Mit der Rechtswidrigkeit der Sicherstellung des Geldbetrages sind auch das hieran anknüpfende Verfügungsverbot im Bescheid vom 20. August 2008 sowie der Kostenfestsetzungsbescheid vom selben Tag rechtswidrig und aufzuheben. Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG hat der Kläger einen Anspruch auf Auszahlung des sichergestellten Geldbetrages.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711ZPO.
Streitwertbeschluss:
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG. Dabei sind der sichergestellte Geldbetrag in voller Höhe sowie die festgesetzten Verwaltungskosten in Ansatz gebracht worden.