Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 20.06.2017, Az.: 1 Ws 156/17
Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Maßregelvollstreckungsverfahren
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 20.06.2017
- Aktenzeichen
- 1 Ws 156/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 17862
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 26.05.2017 - AZ: 51 StVK 11/17
Rechtsgrundlagen
- StGB § 67d
- StGB § 67e
- StPO § 140 Abs. 2
Fundstelle
- R&P 2017, 252-253
Amtlicher Leitsatz
1. Der Senat hält daran fest, dass im Maßregelvollstreckungsverfahren über die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus die Mitwirkung eines Verteidigers nicht in allen Fällen der Überprüfung gemäß § 67d StGB und § 67e StGB notwendig ist (OLG Braunschweig, Beschluss vom 18.12.2014 - 1 Ws 343/14, juris).
2. In entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO ist aber dann ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sach- und Rechtslage, insbesondere wegen Besonderheiten im Diagnose- und Prognosebereich, schwierig ist, wenn ersichtlich ist, dass sich der Verurteilte aufgrund seiner Erkrankung, einer erheblichen Intelligenzminderung oder aus anderen Gründen nicht selbst verteidigen kann oder wenn die Entscheidung unter Würdigung aller Umstände, bspw. wegen einer schon langen Dauer der Freiheitsentziehung, für den Verurteilten von besonders hohem Gewicht ist.
Tenor:
Die Beschwerde des Verurteilten gegen die Entscheidung des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts G. vom 26. Mai 2017 wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer (Verurteilte) wurde durch Urteil des Landgerichts G. vom 20. Januar 2015 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und weiter in Tateinheit mit Verbreitung kinderpornografischer Schriften in sechs Fällen, des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen, des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Verbreitung kinderpornografischer Schriften in einem Fall, des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in sechs Fällen und des Sichverschaffens kinderpornografischer Schriften in zwei Fällen mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren belegt. Daneben wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nach den Feststellungen der sachverständig beratenen Strafkammer war der Verurteilte bei der Begehung von 15 Taten sicher und bei 2 Taten nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt, weil er an einer multiplen Störung der Sexualpräferenz litt, die eine schwere andere seelische Abartigkeit darstellte. Ergänzend litt der Verurteilte nach den Urteilsfeststellungen an einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung im Sinne einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstörung.
Seit dem 28. Januar 2015 wird die Maßregel vollstreckt. Mit Beschluss vom 14. Oktober 2016 hat die Strafvollstreckungskammer erstmals die Fortdauer der Unterbringung angeordnet.
Mit Schriftsatz vom 06. Januar 2017 hat der Verteidiger des Verurteilten die erneute (vorzeitige) Überprüfung nach § 67e StGB beantragt. Darüber hinaus hat er seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt. Mit der angefochtenen Entscheidung hat der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer den Antrag auf Beiordnung abgelehnt.
Dagegen wendet sich der Verurteilte mit seiner Beschwerde vom 08. Juni 2017. Wegen der Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf den Schriftsatz vom 08. Juni 2017 (Bl. 113ff. d. VH) sowie auf die ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 17. Juni 2017 (Bl. 134ff. d. VH) Bezug genommen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.
II.
Die statthafte (§ 304 Abs. 1 StPO) und formgerecht angebrachte (§ 306 Abs. 1 StPO) Beschwerde ist zulässig, aber in der Sache unbegründet. Die Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer hat richtig entschieden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senates, die auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 06.07.2009 - 2 BvR 703/09, NJW 2009, 3153) genügt, ist im Maßregelvollstreckungsverfahren über die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dem Verurteilten in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sach- und Rechtslage schwierig, wenn sonst ersichtlich ist, dass sich der Verurteilte nicht selbst verteidigen kann, oder wenn die Entscheidung von besonders hohem Gewicht ist. Danach ist die Mitwirkung eines Verteidigers in entsprechender Anwendung der §§ 140 Abs. 2, 141 ff. StPO nicht in allen Fällen der Überprüfung gemäß § 67dStGB und § 67e StGB, sondern nur dann erforderlich, wenn insbesondere aufgrund von Besonderheiten oder Schwierigkeiten im Diagnose- und Prognosebereich als evident erscheint, dass sich der Verurteilte angesichts seiner Erkrankung nicht selbst verteidigen kann, oder wenn sonst die Würdigung aller Umstände - wobei der Dauer der weiteren Freiheitsentziehung besonderes Gewicht zukommt - das Vorliegen eines schwerwiegenden Falles ergibt (zum Ganzen vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 18.12.2014 - 1 Ws 343/14, juris, Rn. 13 m. w. Nachw.). Es entspricht weiter der Rechtsprechung des Senates, dass demjenigen, der wegen einer Straftat, für die er wegen einer Geisteskrankheit nicht verantwortlich gemacht werden kann (§ 20 StGB), im Verfahren über die Fortdauer der Unterbringung regelmäßig - analog § 140 Abs. 2 StPO - ein Verteidiger zu bestellen ist, wenn die Erkrankung und damit der Zustand gemäß § 20 StGB fortdauert (OLG Braunschweig, Beschluss vom 05.07.2012 - Ws 176/12, juris, Rn. 26). Schließlich ist eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 2 StPO im Regelüberprüfungsverfahren erforderlich, wenn ein Untergebrachter über eine Intelligenz im Grenzbereich zur Intelligenzminderung verfügt und von den behandelnden Ärzten "kognitive Verzerrungen und falsche Selbsteinschätzungen" festgestellt werden (OLG Braunschweig, Beschluss vom 06.03.2013 - Ws 26/13, juris, Rn. 7).
Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch allesamt nicht vor.
Besonderheiten oder Schwierigkeiten im Diagnosebereich bestehen nicht. Der Verurteilte leidet in erster Linie an einer multiplen Störung der Sexualpräferenz, die bereits Anlass für die Unterbringung war. Darüber hinaus wurde - ebenfalls bereits im Anlassverfahren - die Diagnose einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstörung gestellt. Auch Besonderheiten oder Schwierigkeiten im Prognosebereich sind nach schriftlichen Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung vom 21. März 2017 nicht ersichtlich.
Bei der Anlassverurteilung ist keine Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) des Verurteilten sondern lediglich eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) festgestellt worden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 14. Juni 2017 bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass die von der Beschwerdebegründung in Bezug genommene Entscheidung des OLG Hamm, die wiederum auf den Beschluss des OLG Frankfurt vom 10. Juni 2014, 3 Ws 547/14, verweist, als Regelfall der Verteidigerbestellung lediglich denjenigen ansieht, in dem der in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachte für die zugrundeliegenden Straftaten wegen Geisteskrankheit nicht verantwortlich gemacht werden konnte (§ 20 StGB). Gleiches gilt für die von der ergänzenden Beschwerdebegründung in Bezug genommene Entscheidung des EGMR vom 12. Mai 1992. Auch in den dem Urteil des EGMR zugrundeliegenden Sachverhalt war der Beschwerdeführer aufgrund einer paranoiden Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zu den Tatzeiten schuldunfähig. So liegt der Fall hier jedoch gerade nicht.
Durchgreifende Zweifel an der Fähigkeit des Verurteilten, sich selbst zu verteidigen und sich prozessual angemessen zu verhalten, bestehen nicht. Dem Vermerk über die frühere Anhörung vom 27. September 2016 (Bl. 60ff. d. VH) ist zu entnehmen, dass der Verurteilte trotz der diagnostizierten weiteren Erkrankung einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung in der Lage ist, seinen Therapieverlauf zu schildern, sich mit der Stellungnahme des Maßregelvollzugszentrums auseinanderzusetzen und klar seine Schwierigkeiten, Fortschritte und Wünsche zu definieren und zu äußern.
Schließlich ist der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer auch zutreffend davon ausgegangen, dass noch kein schwerwiegender Fall im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Senates sowie der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung vorliegt. Die Unterbringung, die bislang seit knapp zwei Jahren und fünf Monaten vollstreckt wird, dauert bisher - weder absolut gesehen noch in Relation zu den schwerwiegenden Anlasstaten und der verhängten Parallelstrafe von 7 Jahren Gesamtfreiheitsstrafe - lang an.
Soweit der Verteidiger Beiordnungsbeschlüsse aus anderen Überprüfungsverfahren vorgelegt hat, zum Nachweis, dass die Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammern des Landgerichts Göttingen ihn kontinuierlich beigeordnet hätten, kann er auch damit nicht durchdringen. Überprüfungsverfahren nach § 67e StGB liegen üblicherweise vollständig andere Sachverhalte zugrunde, so dass aus der Beiordnung in einem Verfahren kein Anspruch auf eine Beiordnung in einem anderen Verfahren hergeleitet werden kann. Unabhängig davon sind dem Senat aber auch einige dieser Verfahren bekannt, so dass nur beispielhaft darauf hingewiesen werden soll, dass die Beiordnung im Verfahren 51 StVK 279/14 erfolgt sein dürfte, weil der Betroffene dort zu den Tatzeiten schuldunfähig gewesen ist und die Beiordnung im Verfahren 51 StVK 33/17, weil die Unterbringung der dortigen Betroffenen schon mehr als 10 Jahre andauerte. Mit dem hier zugrundeliegenden Sachverhalt sind die genannten Verfahren somit nicht vergleichbar.
Ein Fall zwingender Pflichtverteidigerbestellung nach § 463 Abs. 4 S. 8 StPO liegt - worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat - ebenfalls nicht vor.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.