Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 09.12.2020, Az.: L 3 U 42/19
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 09.12.2020
- Aktenzeichen
- L 3 U 42/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 71530
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 13.03.2019 - AZ: S 2 U 49/17
Rechtsgrundlagen
- § 8 Abs 1 SGB 7
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zum Ursachenzusammenhang zwischen Waldarbeiten und einem dabei aufgetretenen Leistenbruch.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 12. März 2019 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
Der 1957 geborene Kläger ist als Eigentümer eines Waldstücks bei der Beklagten gesetzlich unfallversichert. Am 26. September 2016 versuchte er, bei Aufräumarbeiten in seinem Wald ein schweres Holzstück anzuheben. Dabei spürte er ein Ziehen im Unterleib, aus dem sich in den nächsten Tagen stärkere Beschwerden entwickelten. Der behandelnde Facharzt für Allgemeinmedizin E. diagnostizierte eine Hernia inguinalis (Leistenbruch) links (Bericht vom 24. November 2016). Diese wurde am 19. Oktober 2016 im F. Klinikum G. durch eine laparoskopische Hernioplastik (TAPP) operativ behoben (Operationsbericht des Chirurgen H. vom 20. Oktober 2016).
Nachdem der Kläger die Beklagte über den Vorfall in Kenntnis gesetzt hatte (Schreiben vom 30. September 2016), lehnte diese mit Bescheid vom 10. Oktober 2016 die Entschädigung des Ereignisses ab, weil kein Arbeitsunfall iS des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) vorgelegen habe.
Auf den Widerspruch des Klägers holte sie eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. I. ein, der unter dem 18. März 2017 ausführte, das beschriebene Ereignis sei nach Art und Hergang nicht geeignet, eine traumatische Leistenhernie hervorzurufen. Die Beklagte wies den Widerspruch daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2017 zurück. Nach der vorliegenden Hergangsschilderung habe kein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis stattgefunden und das beschriebene Ereignis sei nach Art und Hergang nicht geeignet gewesen, eine traumatische Leistenhernie hervorzurufen. Grundsätzlich sei eine unfallbedingte Hernie durch Blutungen, Zerreißungen oder Hämatome und einen Riss in der Bauchwand gekennzeichnet und ihr Auslöser sei ein Stoß, Tritt oder Stich in den Unterleib mit nachfolgender Rissbildung. Eine solche Krafteinwirkung könne im vorliegenden Fall jedoch ausgeschlossen werden, weil das Anheben des Holzstückes nur zur natürlichen Erhöhung des Druckes im Bauchraum selbst geführt habe. Dies werde nach Auswertung der medizinischen Unterlagen, insbesondere des Operationsberichts - in dem eine deutliche Ausdünnung des Bauchfells beschrieben sei -, durch den Beratungsarzt Dr. I. bestätigt. Deshalb sei davon auszugehen, dass der festgestellte Gesundheitsschaden nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit traumatisch entstanden sei. Das auslösende Ereignis in diesem Fall sei als Gelegenheitsereignis zu betrachten, da eine andere Belastung im Alltag innerhalb eines kurzen überschaubaren Zeitraums eine gleiche Verletzung hätte auslösen können.
Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 10. Mai 2017 Klage erhoben, die am 11. Mai 2017 beim Sozialgericht (SG) Lüneburg eingegangen ist. Zur Begründung hat er ausgeführt, zwischen dem Vorfall vom 26. September 2016 und seinem Leistenbruch bestehe ein naturwissenschaftlicher Ursachenzusammenhang, der sich aus einer schlichten Zugbelastung ergebe. Hierin sei keine innere Ursache, sondern eine äußere Krafteinleitung durch den Arbeitsprozess zu sehen. Ausschließlich einen Schlag als Zerreißungsursache zu fordern, sei deshalb falsch. Die von der Beklagten aufgestellte Behauptung, der gleiche Leistenbruch hätte auch im Alltag vorkommen können, sei hochgradig hypothetisch. Da bei ihm in den letzten 59 Jahren kein Leistenbruch oä aufgetreten sei, gebe es auch keine Vorschädigung. Auch seinem Hausarzt E. sei keine Bindegewebsschwäche bekannt (im Klageverfahren vorgelegtes Attest vom 18. Januar 2018). Der Operateur H. habe nach eigenen Angaben nur deshalb ein dünnes Peritoneum festgestellt, weil dahinter das Netz habe installiert werden müssen. Da Leistenbrüche fast ausschließlich bei Männern auftreten, stelle die pauschale Ablehnung im Übrigen eine massive geschlechtsspezifische Diskriminierung dar.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12. März 2019 abgewiesen. Die sich aus dem Gesetz und der hierzu ergangenen Rechtsprechung ergebenden Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls lägen nicht vor, weil ein wesentlicher Beitrag des Ereignisses vom 26. September 2016 an dem streitgegenständlichen Leistenbruch nicht erkannt werden könne. Aus der überzeugenden Expertise von Dr. I. ergebe sich, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine unfallbedingte Entstehung des Leistenbruchs nicht bestehe. Der Beratungsarzt habe insbesondere auf die medizinische Literatur hingewiesen, wobei nach herrschender medizinischer Lehrmeinung die anlagebedingten Faktoren als die allein wesentlichen Ursachen für die Verletzung anzusehen seien, während dem sog Pressbruch nur die Bedeutung einer rechtlich unwesentlichen Gelegenheitsursache zukomme. Eine Verletzung, die ausnahmsweise zu einem Leistenbruch als Unfallfolge führen könne, liege nicht vor. Auch eine geschlechtsspezifische Diskriminierung durch die Beklagte könne nicht erkannt werden.
Gegen diese ihm am 15. März 2019 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 15. April 2019 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein erstinstanzliches Vorbringen. Es obliege zudem der Beklagten, einen evtl bei ihm gegebenen Vorschaden zu beweisen. Hierzu legt er eine Bescheinigung der Hautärzte Dipl.-Med. bzw Dr. J. vor, wonach aus dermatologischer Sicht kein Hinweis für einen mehr als altersentsprechenden Bindegewebsschaden bestehe. Zerreißungen der vorliegenden Art könnten aus dem Versicherungsschutz nur herausgenommen werden, wenn dies in entsprechenden Versicherungsbedingungen (wie in der privaten Unfallversicherung) ausdrücklich vorgesehen sei.
Der Kläger beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 12. März 2019 und den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. April 2017 aufzuheben,
2. festzustellen, dass der Vorfall vom 26. September 2016 ein Arbeitsunfall war,
3. die Beklagte zu verurteilen, die dem Unfall zuzuordnenden Behandlungskosten von 3.057,77 Euro zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach der unfallmedizinischen Literatur werde für die Annahme eines traumatischen Leistenbruchs eine von außen auf die Bauchdecke einwirkende stumpfe oder spitze Kraft gefordert. Ein solches Unfallgeschehen habe der Kläger nicht geschildert. Auch traumatische Begleitverletzungen seien beim Kläger nicht vorgefunden worden. Im Übrigen habe der Beratungsarzt der Beklagten darauf hingewiesen, dass der Operationsbericht eine angeborene indirekte Hernie beschreibe.
Der Senat hat einen Befundbericht des Allgemeinmediziners E. (vom 14. November und vom 9. Dezember 2019, mit beigefügten weiteren medizinischen Unterlagen) eingeholt und den Chirurgen Dr. K. als Sachverständigen befragt. Dieser ist in seinem Gutachten vom 9. April 2020 zum Ergebnis gekommen, dass der Leistenbruch des Klägers durch das Ereignis vom 26. September 2016 nicht verursacht worden, sondern hierdurch nur offenkundig geworden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
I. Die Klage ist als Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 55 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Das gilt auch für die unter 3. erhobene Leistungsklage auf Übernahme von Behandlungskosten in Höhe von 3.057,77 Euro. Im Verfügungssatz des Verwaltungsakts vom 10. Oktober 2016 hat die Beklagte zwar zunächst nur die Anerkennung eines Arbeitsunfalls und im Zusammenhang damit die Entschädigung des Vorfalls vom 26. September 2016 dem Grunde nach abgelehnt. Mit dieser Entscheidung über den Versicherungsfall ist im Regelfall noch keine Entscheidung über konkret bestimmte Leistungen nach den §§ 26 ff SGB VII getroffen worden (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 16. März 2010 - B 2 U 4/09 R, juris), die Voraussetzung für eine auf Gewährung einzelner Leistungen gerichtete Anfechtungs- und Leistungsklage wäre. Der angefochtene Bescheid enthält in seinem Begründungsteil jedoch außerdem die Formulierung, dass die Kosten der Behandlung „zu Lasten Ihrer Krankenkasse“ gehen, dh von der Beklagten nicht übernommen werden. Darin ist eine Ablehnung der Kostentragung zu sehen, die den hier in der Sache geltend gemachten Erstattungsanspruch analog § 13 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) auslösen kann (vgl hierzu zB BSG, Urteil vom 5. Oktober 1995 – 2 RU 47/94, SozR 3-2200 § 557 Nr 1), der mit der vorliegenden Leistungsklage verfolgt wird.
II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Entscheidung der Beklagten, das Vorliegen eines Arbeitsunfalls abzulehnen und die Behandlungskosten nicht zu übernehmen, ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
1. Nach § 8 Abs 1 S 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs 1 S 2 SGB VII). Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Betroffenen zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität; vgl BSG, Urteil vom 3. April 2014 - B 2 U 25/12 R, SozR 4-2700 § 136 Nr 6 mwN).
Dabei müssen die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“, „Unfallereignis“ sowie „Gesundheitsschaden“ erfüllen sollen, im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen (vgl hierzu BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R, SozR 4-2700 § 8 Nr 43). Dafür ist zwar keine absolute Gewissheit erforderlich; verbliebene Restzweifel sind bei einem Vollbeweis jedoch nur solange unschädlich, wie sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R, juris mwN). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu vgl 2.d>bb>) zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt demgegenüber die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 2. April 2009 - B 2 U 30/07 R, SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 mwN). Dabei ist der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (BSG, Urteil vom 27. Juni 2017 - B 2 U 17/15 R, juris mwN).
2. Nach diesen Vorgaben war das Ereignis vom 26. September 2016 kein Arbeitsunfall.
a) Der Kläger stand allerdings am 26. September 2016 bei der Tätigkeit in seinem Waldstück grundsätzlich unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, weil er Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens gemäß § 2 Abs 1 Nr 5a SGB VII ist (zu Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft vgl § 123 Abs 1 Nr 1 SGB VII). Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass die von ihm geschilderten Aufräumarbeiten im Wald zum Bereich der unter Unfallversicherungsschutz stehenden Tätigkeiten gehörten. Dies gilt auch für die hier maßgebliche Verrichtung, die darin bestand, ein schweres Holzstück unter ruckelnden Bewegungen anzuheben (vgl Angaben im Widerspruchsschreiben vom 27. Oktober 2016).
b) Diese Verrichtung führte auch zu einem Unfallereignis, dh einem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis. Dazu ist kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich; es reicht auch eine Kraftanstrengung beim Anheben eines schweren Gegenstands (BSG, Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr 15), wie sie hier vorgelegen hat. Durch das Gewicht des Baumstamms als von außen kommende Kraft und der zu dessen Überwindung erforderlichen Anstrengung ist es auch zu einer Einwirkung auf den Körper des Klägers gekommen, dh zu einer Veränderung des physiologischen Körperzustands (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R, SozR 4-2700 § 8 Nr 44; vom 26. November 2019 - B 2 U 8/18 R, juris). Insoweit hat bereits der beratende Arzt der Beklagten Dr. I. zutreffend ausgeführt, dass es hierdurch zu einer Erhöhung des Drucks im Bauchraum gekommen ist.
c) Beim Kläger liegt ferner ein Gesundheitsschaden vor, nämlich eine Leistenhernie (Hernia inguinalis) links.
d) Es ist jedoch nicht wahrscheinlich, dass dieser Gesundheitsschaden durch das Ereignis vom 26. September 2016 und die damit verbundene Einwirkung verursacht worden ist. Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des chirurgischen Sachverständigen Dr. K..
aa) Der Sachverständige hat zunächst dargelegt, dass die beim Kläger diagnostizierte indirekte Leistenhernie (vgl hierzu den Operationsbericht vom 20. Oktober 2016 bzw den Entlassungsbericht des F. Klinikums G. vom 21. Oktober 2016) ein Bruch ist, bei dem Körpermaterial durch den inneren Leistenring in den Leistenkanal dringt. Dieser Bruch ist entweder angeboren oder entwickelt sich später infolge einer Bindegewebsschwäche mit Erweiterung des Leistenkanals. Er ist häufig für längere Zeit symptomlos, verursacht also zunächst keine Beschwerden (ebenso: Netters Innere Medizin, 2. Aufl 2014, S 626). Diese Ausführungen stehen mit dem unfallmedizinischen Schrifttum in Übereinstimmung (so ausdrücklich zu den Ursachen eines Leistenbruchs: Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, S 931; vgl auch Hegelmaier in: Fritze/Mehrhoff, Die ärztliche Begutachtung, 8. Aufl 2012, S 740).
Ein von außen kommendes (Unfall)ereignis als Ursache für das Entstehen eines Leistenbruchs kann demgegenüber nur angenommen werden, wenn es infolge einer stumpfen oder spitzen Krafteinwirkung zu einer lokalen Schädigung der Bauchdecke mit einer Erhöhung des Bauchdrucks kommt. In diesem Fall sind allerdings Ödeme, Blutungen oder sichtbare Zerreißungen der Bauchwand zu erwarten. Auch diese Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. entsprechen den im unfallmedizinischen Schrifttum dargelegten Erfahrungswerten (Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO, S 931 f; Hegelmaier aaO).
Derartige für eine traumatische Entstehung sprechende Verletzungszeichen sind im Fall des Klägers jedoch nicht erwiesen. Weder in den Berichten des Arztes E. oder des F. Klinikums noch im Operationsbericht sind Anzeichen hierfür ersichtlich. Es fehlt ersichtlich auch an einer hierfür geeigneten spitzen oder stumpfen Krafteinwirkung wie bei einem Stoß, Tritt oder Stich in den Unterleib (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO, S 931).
Dagegen hat der Operateur H. ausweislich seines Berichts vom 20. Oktober 2016 bei der Operation einen großen Bruchsack vorgefunden. Hieraus hat Dr. K. plausibel geschlossen, dass das Bauchfell (Peritoneum) ausgestülpt gewesen ist, wie es typisch für eine angeborene Hernie ist. Auch für die Alternative eines durch Bindegewebsschwäche entstandenen Leistenbruchs sind deutliche Hinweise erkennbar. Denn der Sachverständige weist überzeugend darauf hin, dass sich im Verlauf der Operation ein nur noch hauchdünnes Peritoneum gezeigt hat.
Die vom Kläger angeregte ergänzende Befragung des Chirurgen H. zu diesem Befund war nicht veranlasst. Insoweit ist insbesondere unerheblich, aus welchem Grund der Operateur diese Angabe in den Operationsbericht aufgenommen hat. Denn die Schilderung dieses anatomischen Tatbestands, der vom Operateur mit bloßem Auge wahrgenommen werden konnte, ist eindeutig. Dies gilt umso mehr, als er hinzugefügt hat, die hauchdünne Beschaffenheit des Peritoneums habe sogar dazu geführt, dass es bei der Freipräparation des großen Bruchsacks zu kleineren Einrissen gekommen ist. Überdies wird auch im Entlassungsbericht des F. Klinikums vom 21. Oktober 2016 nochmals ein „ausgesprochen dünnes Peritoneum“ hervorgehoben. Ob andere Ärzte eine Bindegewebsschwäche in anderen Körperteilen bestätigt haben bzw ob der Kläger in der Vergangenheit in Hinblick auf hieraus folgende Erkrankungen behandelt worden ist, ist schließlich nicht maßgeblich. Denn jedenfalls im Bereich des hier entscheidenden Unterbauchraums ist die Bindegewebsschwäche nachgewiesen.
bb) Ist nach alledem nicht erwiesen, dass der Leistenbruch infolge des Ereignisses vom 26. September 2016 entstanden ist, bleibt allerdings zu prüfen, ob es infolgedessen zu seiner Verschlimmerung gekommen ist. Denn aus dem vom Kläger geschilderten Geschehensablauf ergibt sich, dass es erst nach dem Ereignis zu Schmerzen und damit zu Symptomen des (vor- bestehenden) Leistenbruchs gekommen ist. Die hierin liegende Verschlimmerung des Gesundheitsschadens ist naturwissenschaftlich mit Wahrscheinlichkeit durch das Ereignis mitverursacht worden, weil Dr. K. (und vor ihm Dr. I.) dargelegt hat, dass es beim Heben einer Last (als von außen kommende Einwirkung) zu einem Hervortreten bzw Offenkundigwerden des Leistenbruchs kommen kann, weil sich hierdurch Bauchgewebe in den Leistenkanal vorwölbt.
Diese Mitursächlichkeit kann bei der Feststellung, ob ein Arbeitsunfall vorgelegen hat, aber aus Rechtsgründen nicht berücksichtigt werden.
Denn in der gesetzlichen Unfallversicherung gilt nach st BSG-Rspr (zB Urteil vom 28. Juni 1988 - 2/9b RU 28/87, SozR 2200 § 548 Nr 91; vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr 17) die Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung. Danach ist auf der ersten Stufe der Kausalitätsprüfung zu untersuchen, ob das fragliche Ereignis hinweggedacht werden könnte, ohne dass der Erfolg (hier: Verschlimmerung des Leistenbruchs Ende September 2016) entfiele. Ist dies - wie vorliegend - zu verneinen, ist das Ereignis Bedingung des Erfolges im naturwissenschaftlichen Sinne (conditio sine qua non). Sind für den Erfolg - wie im Regelfall - auch andere (unfallunabhängige) Bedingungen mitursächlich gewesen, ist sodann auf der zweiten Stufe zu untersuchen, ob die Unfallbedingung rechtlich wesentlich gewesen ist. Welche Ursache im Einzelfall rechtlich wesentlich ist und welche nicht, muss nach der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs vom Rechtsanwender (Juristen) wertend entschieden werden (BSG, Urteil vom 30. März 2017 - B 2 U 6/15 R, SozR 4-5671 Anl 1 Nr 1103 Nr 1 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 aaO). Die Wesentlichkeit ist zu bejahen, wenn die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller festgestellter mitwirkender unversicherter Ursachen die Realisierung einer Gefahr ist, die in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fällt (BSG, Urteil vom 30. März 2017 aaO). Für Schäden, die außerhalb des Schutzzwecks der Norm liegen, muss der jeweils zuständige Unfallversicherungsträger nicht einstehen. Entscheidend ist mithin, ob der begründete Versicherungsschutz den Sinn und Zweck hat, gegen Schäden der konkret eingetretenen Art zu schützen (BSG aaO).
Die hier maßgebliche Unternehmerversicherung gegen Arbeitsunfälle zielt primär auf die Verhütung von Gesundheitsschäden und Tod infolge der Gefahren ab, denen der Unternehmer gerade durch die Verrichtung der unternehmerischen Tätigkeit ausgesetzt ist (so zur vergleichbaren Beschäftigtenversicherung: BSG, Urteil vom 15. Mai 2012 - B 2 U 8/11 R, SozR 4-2700 § 2 Nr 20). Hiervon abzugrenzen sind Gefahren, denen der Versicherte nicht in erster Linie infolge seiner unternehmerischen Tätigkeiten ausgesetzt ist, sondern die sich aus bei ihm vorbestehenden Erkrankungen oder Krankheitsanlagen ergeben; diese fallen in seinen privaten Risikobereich. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer unter den Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung fallenden äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage oder Erkrankung zu vergleichen und abzuwägen ist, ist in diesem Zusammenhang darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage bzw Vorerkrankung so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass auch jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu etwa derselben Zeit die Erscheinung hätte auslösen können (BSG, Urteil vom 27. Oktober 1987 - 2 RU 35/87, SozR 2200 § 589 Nr 10; vom 9. Mai 2006, aaO). Ist dies zu bejahen, war das Unfallereignis keine wesentliche Ursache (sondern eine sogenannte „Gelegenheitsursache“).
Im Fall des Klägers ist auf der Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens davon auszugehen, dass schon alltägliche Ereignisse ohne schwerere Einwirkung auf den Körper die Ende September 2016 aufgetretenen Beschwerden auslösen konnten. Denn Dr. K. hat dargelegt, dass zB auch beim Niesen und beim Pressen - etwa beim Stuhlgang - hoher Druck im Bauchraum entwickelt wird und es hierdurch zum Hervortreten eines (bereits bestehenden, aber symptomlosen) Leistenbruchs kommen kann. Dies wird durch Erfahrungswerte im unfallmedizinischen Schrifttum bestätigt, wonach der Leistenbruch jederzeit, nicht nur bei körperlicher Anstrengung, erstmals auftreten kann (Hegelmaier aaO).
Nach alledem war die Einwirkung vom 26. September 2016 nach den Vorgaben der gesetzlichen Unfallversicherung keine wesentliche Bedingung dafür, dass die vorbestehende Leistenhernie des Klägers im Anschluss erstmals zu Symptomen geführt hat. Auf Regelungen der privaten Unfallversicherung kann sich der Kläger demgegenüber schon deshalb nicht berufen, weil für diese nicht die Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung, sondern die sog Adäquanztheorie (vgl Bundesgerichtshof <BGH>, Urteil vom 19. Oktober 2016 - IV ZR 521/14, juris) gilt.
cc) Dieses Ergebnis führt entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht zu einer rechtswidrigen Diskriminierung von Männern.
Art 3 Abs 3 S 1 Grundgesetz (GG) regelt, dass niemand wegen seines Geschlechtes benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Einfach-rechtlich folgt aus §§ 1, 2 Abs 1 Nr 5 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), dass auch im Bereich der Sozialversicherung Benachteiligungen aus Gründen des Geschlechtes unzulässig sind. Hierzu gehören gemäß § 3 Abs 2 AGG auch mittelbare Benachteiligungen, die vorliegen, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen (ua) wegen des Geschlechtes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können.
Ausgangspunkt für die Argumentation des Klägers ist ein von ihm wiedergegebener Artikel der Kaufmännischen Krankenkasse, wonach der Leistenbruch eine typische Männerkrankheit sei, weil die Leistengegend von Männern aufgrund des Verlaufs der Samenstränge im Leistenkanal besonders empfindlich sei. Folge hiervon ist aber zunächst lediglich, dass mehr Männer als Frauen einen Leistenbruch erleiden. Hierin liegt keine von den Trägern der Sozialversicherung zu verantwortende Benachteiligung von Männern.
Einzuräumen mag allenfalls sein, dass Leistenbrüche, die während einer unfallversicherten Tätigkeit symptomatisch werden, bei Frauen (prozentual) häufiger als Folge eines Arbeitsunfalls anerkannt werden dürften als bei Männern. Auch dies stellt jedoch keine unzulässige Ungleichbehandlung dar. Denn eine Differenzierung nach dem Geschlecht ist zulässig, wenn in Hinblick auf die objektiven biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau nach der Natur des jeweiligen Lebensverhältnisses eine besondere Regelung erlaubt oder sogar geboten ist (Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschluss vom 28. Januar 1987 - 1 BvR 455/82, BVerfGE 74, 163 <179> mwN). Ist - wie dargelegt - bei der rechtlichen Untersuchung eines Ursachenzusammenhangs eine Abwägung unter Versicherungsschutz stehender Risiken gegenüber körpereigenen Dispositionen vorzunehmen, ist es aber geboten, hierbei auch anatomische Gegebenheiten zu berücksichtigen, die mit dem Geschlecht des jeweiligen Versicherten zusammenhängen. Die Berücksichtigung der biologischen Gegebenheiten ist auch ein rechtmäßiges Ziel, das eine ggf vorliegende mittelbare Benachteiligung von Männern iS von § 3 Abs 2 AGG sachlich rechtfertigt und zur Erreichung des Ziels einer Klärung des Versicherungsschutzes angemessen und erforderlich ist.
Letzteres gilt auch, soweit der Kläger darauf hingewiesen hat, im Alter sei das Risiko besonders hoch, sich einen Leistenbruch zuzuziehen. Auch wenn die Anerkennung eines Leistenbruchs als Folge eines Arbeitsunfalls bei älteren Versicherten demnach häufiger abgelehnt werden mag, ist dies wiederum durch biologische und damit sachliche Umstände gerechtfertigt, nämlich den altersbedingt höheren Abnutzungsgrad des körpereigenen Gewebes.
3. War der Vorfall vom 26. September 2016 demnach kein Arbeitsunfall, steht dem Kläger gegenüber der Beklagten auch kein Anspruch auf Übernahme von Behandlungskosten zu.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), sind nicht ersichtlich.