Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.02.1989, Az.: 2 M 5/89
Sonderanspruch auf Dienstzeitbefreiung zur Erfüllung mütterlicher Pflichten im Lehramtsverhältnis; Optimierung der Dienstzeitgestaltung; Vermeidung rechtswidriger Nacharbeit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 24.02.1989
- Aktenzeichen
- 2 M 5/89
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1989, 16913
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1989:0224.2M5.89.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 04.01.1989 - AZ: 4 VG D 113/88
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 1 MuschVO
- § 7 Abs. 2 MuschVO
Fundstelle
- ZBR 1989, 151-152
Verfahrensgegenstand
Anordnung von Mehrarbeit
Der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein hat
am 24. Februar 1989
beschlossen:
Tenor:
Der Beschluß des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer Lüneburg - vom 4. Januar 1989 ist unwirksam.
Das Verfahren wird eingestellt.
Von den Kosten des Verfahrens trägen die Antragstellerin 1/3 und die Antragsgegnerin 2/3.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin ist durch einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer Lüneburg - vom 26. August 1988 (Az.: 4 VG D 82/88) verpflichtet worden, der Antragstellerin, die als teilzeitbeschäftigte Lehrerin mit 20 Wochenstunden an der Orientierungsstufe W. unterrichtet hat, montags und freitags während der 5. Unterrichtsstunde Dienstbefreiung zum Stillen ihres am 11. Juni 1987 geborenen Kindes zu gewähren.
Am 1. September 1988 bestätigte der Schulleiter gegenüber der Antragstellerin, daß ihr die Freistellung gewährt werde, und verfügte zugleich, daß die Antragstellerin vom gleichen Tage an montags und freitags statt in der 5. nun in der 6. Stunde Unterricht zu erteilen habe.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 1988, mit dem sie auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung verband, zurück.
Die Antragstellerin hat am 18. November 1988 Klage erhoben und die Wiederherstellung von deren aufschiebender Wirkung beantragt.
Mit Beschluß vom 4. Januar 1989 (Az.: 4 VG D 113/88) hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, im Gegensatz zur Auffassung der Antragstellerin werde durch die Stundenplanänderung keine rechtswidrige Nacharbeit im Sinne von § 7 Abs. 2 MuschVO angeordnet. Sie führe nämlich nicht zu einer Verringerung der an sich arbeitsfreien Zelt der Antragstellerin. Es sei nicht Sinn von § 7 Abs. 1 MuschVO, stillenden Beamtinnen allgemein eine Entlastung durch Verminderung ihrer Arbeitszeit zu gewähren.
Gegen den am 6. Januar 1989 zugestellten Beschluß hat die Antragsteller in am 12. Januar 1989 Beschwerde erhoben. Sie hat geltend gemacht, es verstoße gegen das Nacharbeitsverbot des § 7 Abs. 2 MuschVO, wenn der Stundenplan einer beamteten Lehrerin allein deshalb nachträglich umgestellt werde, um ihr den Anspruch auf Freistellung zu entziehen.
Die Antragstellerin hat beantragt,
den Beschluß des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer Lüneburg - vom 4. Januar 1989 zu ändern und die aufschiebende Wirkung des gegen die Weisung des Schulleiters der Orientierungsstufe W. vom 1. September 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 1988 erhobenen Klage wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin hat - mit Schriftsatz vom 14. Februar 1989 - beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, der Rechtsstreit habe sich in der Hauptsache erledigt, nachdem die Antragstellerin vom 1. Februar 1989 an mit voller Regelstundenzahl beschäftigt und ihr hierbei jeweils montags und freitags in der 6. Unterrichtsstunde Dienstbefreiung gewährt werde.
Mit Schriftsatz vom 20. Februar 1989 hat die Antragsteller in die Erledigung der Hauptsache erklärt und mitgeteilt, der Abstand zwischen den Stillzelten habe aufgrund der altersmäßigen Entwicklung des Kindes gestreckt werden können.
II.
In entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 2 VwGO ist das Verfahren einzustellen und die erstinstanzliche Entscheidung für unwirksam zu erklären (BVerfGE 13, 174), nachdem es die Beteiligten übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben. Die Antragsgegnerin hat dabei der Erledigungserklärung der Antragstellerin vom 20. Februar 1989 bereits mit ihrem Schriftsatz vom 14. Februar 1989 vorgegriffen. Der Senat faßt diesen Schriftsatz als Erklärung der Hauptsachenerledigung auf. Zwar hat die Antragsgegnerin darin die Zurückweisung der Beschwerde beantragt. Sie hat dies jedoch gerade damit begründet, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei und die Antragstellerin deshalb Ihren Sachantrag zu Unrecht aufrechterhalte.
Über die Kosten des erledigten Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Dabei entspricht es im vorliegenden Fall der Billigkeit, die Kosten in der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Weise zwischen den Beteiligten aufzuteilen; denn die Antragsgegnerin wäre voraussichtlich mit überwiegender, wenn auch nicht an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unterlegen gewesen, hätte sich eine streitige Entscheidung nicht durch die Erledigung des Verfahrens erübrigt (vgl. Kopp, VwGO, 6. Aufl. 1984, § 161 RdNr. 29). Gegen die im Verfahren zur Hauptsache angefochtene Dienstzeitregelung bestehen schwerwiegende rechtliche Bedenken:
Grundsätzlich ist nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 9.5.1988 - 2 OVG B 36/88 -, S. 3 des amtlichen Abdrucks), die durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt worden ist, davon auszugehen, daß Dienstbefreiung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 MuschVO nur dann zu erteilen ist, wenn die Beamtin ihr Kind während der festgesetzten Dienststunden stillt. Hieraus ergibt sich für den Fall von beamteten Lehrerinnen für den Dienstherrn die Möglichkeit, dem Bedürfnis nach Stillzelten auch auf andere Weise als durch Dienstbefreiung dadurch Rechnung zu tragen, daß er die Dienstzelten der Beamtin von vornherein derart festsetzt, daß Dienstzelten und Stillzeiten nicht miteinander kollidieren und ein Anspruch auf Dienstbefreiung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 MuschVO erst gar nicht zur Entstehung kommt. In einem solchen Fall bleibt auch die Beamtin verpflichtet, die volle Dienstzelt zu erbringen. Dies verstößt als Folge einer die Stillzeiten bereits berücksichtigenden Dienstzeitgestaltung deshalb nicht gegen das Verbot des Vor- und Nacharbeitens gemäß § 7 Abs. 2 MuschVO, weil dieses lediglich freigegebene Dienststunden im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 MuschVO erfaßt (BVerwG. Urt. v. 30.6.1988 - 2 C 60.86 -, DVBl 1988, 1064, S. 1064, re. Sp. unter 1). Von einer derartigen Gestaltung unterscheidet sich aber der vorliegende Fall in rechtlich erheblicher Weise dadurch, daß die ursprünglich für die Antragstellerin getroffene Dienstzeitregelung die Stillzeiten zunächst nicht berücksichtigt hat, so daß die Antragstellerin - erst einmal - einen Anspruch darauf erworben hat, gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 MuschVO Dienstbefreiung ohne die Verpflichtung zur Vor- oder Nacharbeit zu erhalten. Überdies hat das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin durch seinen Beschluß vom 26. August 1988 im Wege einstweiliger Anordnung rechtskräftig verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig montags und freitags jeweils für die 5. Unterrichtsstunde Dienstbefreiung im Sinne von § 7 Abs. 1 und 2 MuSchVO zu gewähren.
Die anschließende Stundenplanänderung, mit der die Dienstzelt der Antragstellerin nachträglich so gestaltet worden ist, daß eine Kollision zwischen den Stillzeiten und den Unterrichtsstunden nicht mehr auftrat, hat den bereits entstandenen Anspruch der Antragstellerin auf Dienstbefreiung im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 MuschVO nicht erfüllt. Zu diesem Schluß führt die Überlegung, daß Dienstbefreiung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 MuschVO einerseits und eine die Stillzeiten berücksichtigende Stundenplangestaltung andererseits von einander rechtlich verschiedene Regelungen sind. Gerade hierauf beruht die eingangs erwähnte Möglichkeit des Dienstherrn, die Arbeitskraft einer stillenden Beamtin bei einer die Stillzeiten berücksichtigenden Regelung der Dienstzeiten ohne weitere Dienstbefreiung in vollem Umfang in Anspruch zu nehmen.
Ob die Antragstellerin rechtmäßig dazu verpflichtet worden ist, montags und freitags statt während der 5. in der 6. Unterrichtsstunde Dienst zu leisten, hängt danach davon ab, ob die nachträgliche Dienstzeitregelung geeignet gewesen ist, den bereits entstandenen Anspruch auf Dienstbefreiung ohne Vor- oder Nacharbeit wieder entfallen zu lassen.
Im Rahmen der bei seiner Billigkeitsentscheidung gebotenen summarischen Beurteilung geht der Senat davon aus, daß diese Frage bei streitiger Entscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu Lasten der Antragsgegnerin zu verneinen gewesen wäre. Es kann allerdings nicht angenommen werden, daß ein Anspruch auf Dienstbefreiung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 MuschVO jeder künftigen, auch durch dienstliche Gründe gerechtfertigten Änderung der zugrundeliegenden Dienstzeitregelung entgegensteht. Der vorliegende Fall gibt indessen keinen Anlaß, der Frage näher nachzugehen, ob und unter welchen Voraussetzungen im einzelnen ein zur Entstehung gelangter Anspruch auf Dienstbefreiung durch eine Änderung der Arbeitszeitregelung wieder entfallen kann. Aufgrund des bisherigen Sach- und Streitstandes, der nach der Erledigung des Verfahrens weiterer gerichtlicher Sachaufklärung nicht zugänglich ist (vgl. Kopp, a.a.O., RdNr. 28), ist davon auszugehen, daß die Verlegung des von der Antragstellerin montags und freitags jeweils in der 5. Stunde zu erteilenden Unterrichts auf die 6. Unterrichtsstunde gerade dazu gedient hat, der Antragstellerin Gelegenheit zum Stillen ihres Kindes zu geben, jedoch die bei einer Dienstbefreiung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 MuschVO zwangsläufige Folge zu vermelden, daß die Stillzelten als geleistete Arbeitszeit zu behandeln sind (vgl. BVerwG, a.a.O., S. 1064). Unter diesen Umständen stellt sich eine nachträgliche, die Stillzelten berücksichtigende Regelung der Dienstzeit als Umgehung der Schutzvorschrift des § 7 Abs. 1 und 2 MuschVO dar, die als solche gegen die Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 87 Abs. 1 NBG) verstößt.
Dieser Beschluß ist gemäß Art. 2 § 8 EntlG unanfechtbar.
Dr. Große
Hübschmann