Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 05.11.2013, Az.: 12 U 94/13

Berücksichtigung eines vom Erblasser gewährten Darlehens bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
05.11.2013
Aktenzeichen
12 U 94/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 54686
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2013:1105.12U94.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 08.05.2013 - AZ: 10 O 2467/11

Fundstellen

  • FamRZ 2014, 1739
  • NJW 2014, 6
  • ZEV 2014, 359-361
  • ZInsO 2014, 671-673
  • ZVI 2014, 394-396

In dem Rechtsstreit
G .... A....., ... H ....,
Beklagter und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte S ...... & Partner, .........., ....H .......,
gegen
J .... A......, ..........., .....L.....,
Kläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte K .... & Partner, ........................, .... L ....,
hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den .................................., den .....................................und den ........................ auf die mündliche Verhandlung vom 29. Oktober 2013
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 8. Mai 2013 verkündete Urteil des Einzelrichters der 10. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über Pflichtteilsansprüche des Klägers nach dem Tod ihrer am ..................verstorbenen Mutter.

Am 19. Februar 1999 schlossen die Erblasserin und der Kläger einen Darlehensvertrag über 30.000,00 DM. In dem Vertrag war u.a. geregelt:

"§ 2

Das Darlehen wird zeitlich unbeschränkt gewährt. Darlehensbetrag und Zinsen sind spätestens einen Monat nach dem Tode der Darlehensgeberin fällig und rückzahlbar an die Erben der Darlehensgeberin.

§ 4

Darlehensgeberin und Darlehensnehmer sind sich darüber einig, daß für den Fall, daß das Darlehen nebst Zinsen zum Zeitpunkt des Todes der Darlehensgeberin noch nicht zurückgezahlt ist, dieses als Verbindlichkeit des Darlehensnehmers gegenüber den Erben der Darlehensgeberin gilt."

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Darlehensvertrag (Bd. I Bl. 50 d. A.) verwiesen.

Am 25. Februar 2004 meldete die Erblasserin die Darlehensforderung nebst Zinsen in dem Insolvenzverfahren gegen den Kläger (AZ.: AG Lingen 18 IN 7/04) an. Die Forderung wurde zur Insolvenztabelle festgestellt.

Mit notariellem Testament vom 6. Juni 2005 (Bd. I Bl. 6 d. A.) setzte die Erblasserin den Beklagten zum alleinigen Erben ein. Außerdem bestimmte sie:

Mein Sohn J .... A .... , L .... , hat bereits im Jahre 2000 30.000,00 DM im Zusammenhang mit der Praxisgründung erhalten.

Diesen Betrag muss er sich anrechnen lassen und die Rückzahlung entfällt, sofern in diesem Zusammenhang ein Darlehen vereinbart wurde."

Mit Beschluss vom 6. März 2010 wurde dem Kläger im Insolvenzverfahren Restschuldbefreiung erteilt.

Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 11.455,32 € nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Es führt aus, der dem Kläger zustehende Anspruch sei nicht durch eine Verrechnung mit dem ihm von der Erblasserin gewährten Darlehen in Höhe von 30.000,00 DM entfallen.

Der Beklagte macht mit seiner Berufung geltend, das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass zum Zeitpunkt des Erbfalls die Darlehensforderung der Erblasserin gegen den Kläger wegen der ihm im Rahmen des Privatinsolvenzverfahrens erteilten Restschuldbefreiung nicht mehr bestanden habe. Durch die Anrechnungsbestimmung im Darlehensvertrag habe klargestellt werden sollen, dass der Kläger neben dem Darlehen nicht auch noch einen erbrechtlichen Anspruch in voller Höhe geltend machen könne. Der Kläger verstoße gegen Treu und Glauben, wenn er sich trotz der Darlehensvereinbarung auf die Restschuldbefreiung berufe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Osnabrück abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das Urteil des Landgerichts. Er meint, dass die wegen der Restschuldbefreiung nicht mehr existente Forderung nicht zur Aufrechnung gestellt werden könne. Erklärungen der Erblasserin im Testament könnten daran nichts ändern. Anrechnungsbestimmungen könnten nicht später durch letztwillige Verfügung getroffen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivortrags wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung hat in der Sache Erfolg. Der Kläger hat keinen Zahlungsanspruch gegen den Beklagten. Bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs ist das dem Kläger von der Erblasserin gewährte Darlehen zu berücksichtigen.

Der Kläger geht allerdings zu Recht davon aus, dass eine Anrechnungspflicht nach § 2315 BGB nicht besteht. Eine solche Pflicht setzt eine lebzeitige Zuwendung des Erblassers an den Pflichtteilsberechtigten voraus. Daran fehlt es. Unter einer Zuwendung versteht man allgemein eine freigiebige Leistung der Erblassers, also z.B. die Verschaffung eines Vorteils durch eine Schenkung, ein Schenkungsversprechen, Ausstattungen nach § 1624 BGB oder die Bezahlung von Schulden (Palandt/Weidlich, BGB, 72. Aufl. § 2315 Rn. 1). Der hier in Rede stehende Betrag ist aufgrund eines Darlehensvertrages an Kläger gezahlt worden. Dieses Darlehen war verzinslich. Der vereinbarte Zinssatz bewegt sich im üblichen Rahmen und stellt eine angemessene Gegenleistung für die Überlassung des Kapitals dar. Damit handelt es sich nicht um eine freigiebige Leistung der Erblasserin, und zwar auch nicht teilweise. Anhaltspunkte dafür, dass der Zins aufgrund des verwandtschaftlichen Verhältnisses bewusst zu niedrig angesetzt worden ist, bestehen nicht. Eine Zuwendung der Erblasserin an den Kläger im Sinne von § 2315 BGB liegt auch nicht etwa darin, dass die Erblasserin in ihrem notariellen Testament auf die Rückzahlung des Darlehens an sich selbst konkludent verzichtet hat. Die Erblasserin hat zugleich angeordnet, dass sich der Kläger den Betrag anrechnen lassen muss. Demgemäß wollte sie ihm auch im Testament mit dem Betrag von 30.000,- DM keine freigiebige Leistung zukommen lassen.

Gleichwohl ist aber der Darlehensbetrag zuzüglich der vereinbarten Zinsen bei der Pflichtteilsberechnung zu berücksichtigen. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung von §§ 91, 301 Abs. 1 InsO und auch aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben.

Gemäß § 94 InsO wird das kraft Gesetzes oder auf Grund einer Vereinbarung begründete Recht zur Aufrechnung durch das Insolvenzverfahren nicht berührt. Dieses Recht geht auch durch die Restschuldbefreiung nicht unter. Die Restschuldbefreiung führt nicht zum Erlöschen der Forderungen der Insolvenzgläubiger. Diese werden in ihrem Schuldgrund nicht geändert. Sie sind zwar mit der Restschuldbefreiung nicht mehr erzwingbar und werden damit zu sog. unvollkommenen Verbindlichkeiten (MüKo/Stephan, InsO, 2. Aufl. § 301 Rn. 18; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, 2. Aufl. Teil V Rn. 62). Die Aufrechnungslage wird aber hierdurch nicht beseitigt (MüKo/Stephan aaO; Jaeger/Windel, InsO § 94 Rdn. 23). Dies ergibt sich aus einem Erst-Recht-Schluss aus § 301 Abs. 2 InsO. Da die im Vergleich zu einer Aufrechnungslage schwächeren Absonderungsrechte durch die Restschuldbefreiung nicht berührt werden, gilt dies für eine zur Aufrechnung oder Verrechnung zur Verfügung stehende Gegenforderung erst recht. Zwar geht es vorliegend nicht um eine Aufrechnung, sondern um die vertraglich vereinbarte Anrechnung einer Gegenposition bei der erbrechtlichen Auseinandersetzung bzw. der Berechnung des Pflichtteils (allgemein zur Abgrenzung vgl. Palandt/Grüneberg § 387 Rdn. 2). Außerdem würde einer Aufrechnung auch entgegenstehen, dass sich die in Rede stehenden Forderungen vor bzw. während des Insolvenzverfahrens noch nicht in aufrechenbarer Weise gegenüberstanden. Denn die Pflichtteilsforderung, die der Kläger nunmehr geltend macht, ist erst mit dem Tod der Erblasserin entstanden und konnte der fällig gestellten Forderung aus dem Darlehen noch nicht entgegengehalten werden. Aus Sinn und Zweck der §§ 94, 301 Abs. 2 InsO ergibt sich aber, dass die von der Erblasserin in dem Darlehensvertrag zu Gunsten des Beklagten geschaffene Möglichkeit zur Verrechnung nicht durch das Insolvenzverfahren und die damit verbundene Restschuldbefreiung untergegangen ist. Die Verrechnung verschiedener Vermögenspositionen ist insolvenzrechtlich gleich zu behandeln mit der Aufrechnung von zwei gegenseitigen Forderungen (hierzu BGHZ 177, 1 ff). Mit den Vorschriften in §§ 94 ff schützt die Insolvenzordnung eine Aufrechnungs- bzw. Verrechnungslage, die bereits im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bestanden hat. Wer zu diesem Zeitpunkt berechtigter Weise darauf vertrauen durfte, dass er gegen eine Forderung des Schuldners aufrechnen kann oder dass diese durch Verrechnung mit einer Gegenposition entfällt, soll in diesem Vertrauen nicht enttäuscht werden (BGHZ 177, 1 ff Rd. 20). Dabei hat gemäß § 94 InsO nicht nur eine gesetzliche, sondern auch eine vertraglich vereinbarte Aufrechnungs- bzw. Verrechnungslage insolvenzrechtlich Bestand. Die Rechte der Gläubiger auf Erhalt der Masse werden hierdurch nicht berührt. Denn bei einer bereits längere Zeit vor Insolvenzeröffnung begründeten Verrechnungsmöglichkeit hatten sie kein berechtigtes Vertrauen darauf, dass die dem Insolvenzschuldner zustehende Forderung zur Masse fließt und ganz oder teilweise zur Verteilung zur Verfügung steht. Geht es - wie hier - um eine Forderung, die dem Schuldner erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens zuwächst, stehen Gläubigerinteressen ohnehin nicht mehr zur Debatte. Dann kann es nur noch um das Interesse des Schuldners gehen, durch die Restschuldbefreiung von seinen früheren Verbindlichkeiten entlastet zu werden. Dieses Interesse ist in dem hier bestehenden Spannungsverhältnis nicht schützenwert. Zum einen muss sich der Schuldner bzw. hier der Kläger entgegenhalten lassen, dass er sich in dem Darlehensvertrag mit einer späteren Verrechnung nach dem Tod der Erblasserin einverstanden erklärt hat. Er konnte daher nicht erwarten, dass diese Pflicht bei einer späteren Verschlechterung seiner Vermögenslage oder gar im Fall seiner Insolvenz entfällt und ihm damit ein Vorteil gegenüber seinen Brüdern bei der Verteilung des Nachlasses zufällt. Zum anderen kann der Restschuldbefreiung nicht der Vorrang vor einer testamentarischen Anordnung des Erblassers bzw. einer mit ihm für die Zeit nach seinem Tod geschlossenen vertraglichen Vereinbarung zukommen. Die Restschuldbefreiung dient dazu, dem Insolvenzschuldner einen wirtschaftlichen Neubeginn ohne die Belastung durch seine früheren Verbindlichkeiten zu ermöglichen. Sie hat dagegen nicht den Zweck, dem Schuldner daneben auch erbrechtlich eine Sonderstellung zu verschaffen und über diesen Umweg später eine Nachlassverteilung zu erreichen, die dem Willen des Erblassers oder einer zuvor zwischen Erblasser und Insolvenzschuldner im Hinblick auf den Tod getroffenen vertraglichen Vereinbarung widerspricht. Ein derartiges Ergebnis wäre mit der Testierfreiheit nicht in Einklang zu bringen. Demgemäß geht durch die Restschuldbefreiung eine vor dem Insolvenzverfahren vom Erblasser bereits angelegte, aber erst später nach dem Tod des Erblassers durchsetzbare Verrechnungsmöglichkeit nicht verloren.

Im Übrigen verstößt der Kläger auch gegen Treu und Glauben, wenn er einerseits seinen Pflichtteilsanspruch geltend macht und sich andererseits auf die Restschuldbefreiung beruft. Er war sich mit der Erblasserin gemäß § 4 des Darlehensvertrages darüber einig, dass das Darlehen als Verbindlichkeit gegenüber den Erben gilt, wenn es zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht zurückgezahlt ist. Daran muss ich der Kläger gegenüber dem Beklagten festhalten lassen. Die Nichtberücksichtigung des Darlehens würde dem Willen der Erblasserin widersprechen, ihre Söhne G ...-O ..., K ...-H ... und J ....in gleicher Weise zu bedenken. Denn es würde dazu führen, dass dem Kläger der Pflichtteilsanspruch zustünde, während sich seine beiden Brüder gegebenenfalls die gleich hohen Vermächtnisse anrechnen lassen müssten (vgl. § 2307 BGB). Der Kläger handelt treuwidrig, indem er den durch die Restschuldbefreiung erlangten Vorteil dazu instrumentalisieren will, sich einen Vorteil gegenüber seinen Brüdern bei der Verteilung des Nachlasses zu verschaffen.

Ohne Erfolg beruft sich der Kläger schließlich noch auf die Einrede der Verjährung. Der Pflichtteilsanspruch des Klägers ist aufgrund vertraglicher Vereinbarung bzw. testamentarischer Anordnung mit dem Rückzahlungsanspruch zu verrechnen. Es geht daher nicht um eine Aufrechnung im Sinne von § 215 BGB.

Wenn dem im Übrigen unstreitigen Nachlasswert in Höhe von 91.642,53 € der Darlehensbetrag von 15.338,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5% ab dem 1. Januar 2000, also bislang 10.375,00 €, hinzugerechnet wird, ergibt sich zwar ein höherer Nachlasswert (117.356,29 €) und damit Pflichtteilsanspruch (14.669,53 €) als vom Landgericht angenommen. Dem steht jedoch eine Nachlassforderung gegen den Kläger gegenüber, die diese auch ohne Berücksichtigung des Verbraucherpreisindexes ersichtlich übersteigt, so dass kein Pflichtteilsanspruch des Klägers verbleibt.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.