Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 22.01.2010, Az.: 6 B 284/09

EU-Fahrerlaubnis; Fahrerlaubnisentziehung; Feststellung; Führerscheinrichtlinie; Mischkonsum; Sperrvermerk

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
22.01.2010
Aktenzeichen
6 B 284/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 40914
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2010:0122.6B284.09.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 18.08.2010 - AZ: 12 ME 57/10

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Bei summarischer Prüfung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO spricht einiges dafür, dass dem in der bisherigen Rechtsprechung des EuGH herausgestellten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse im Anwendungsbereich des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV nach der Dritten Führerscheinrichtlinie nicht mehr dieselbe Bedeutung zukommt wie bei der Geltung der Zweiten Führerscheinrichtlinie.

  2. 2.

    Einzelfall einer Interessenabwägung zulasten des Antragstellers wegen eines Fahrerlaubnisentzugs nach einer Fahrt unter dem Einfluss von Cannabis, Amphetaminen und Ecstasy.

Tatbestand:

1

I.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 14. August 2007 wurde dem Antragsteller wegen des Führens eines Kraftfahrzeuges unter dem Einfluss von Cannabis, Amphetaminen und MDA (Ecstasy) die Fahrerlaubnis entzogen. Am 4. März 2009 erwarb der Antragsteller eine polnische Fahrerlaubnis der Klasse B.

2

Nach Kenntnis des Erwerbs der polnischen Fahrerlaubnis stellte der Antragsgegner mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 8. Oktober 2009 fest, dass eine Fahrberechtigung des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland mit seiner polnischen Fahrerlaubnis nicht gegeben ist und forderte ihn auf, den polnischen Führerschein bis spätestens zum 16. Oktober 2009 zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen. Für den Fall der Nichtbefolgung wurde die zwangsweise vorübergehende Einziehung des Führerscheins bzw. ein Zwangsgeld angedroht. Zur Begründung verwies der Antragsgegner darauf, dass Inhaber einer gültigen EU-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen dürfen. Diese Berechtigung gelte - seit dem Stichtag des 19. Januar 2009 - nicht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden sei ( § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV ). Dem Antragsteller sei am 4. März 2009 und damit nach dem Stichtag des 19. Januar 2009 eine polnische Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt worden. Die deutsche Fahrerlaubnis sei ihm seit dem 18. September 2007 rechtskräftig entzogen worden und die Entziehung bis heute im Verkehrszentralregister des Kraftfahrtbundesamtes eingetragen. Demgegenüber sei nicht erheblich, ob den polnischen Behörden bei der Fahrerlaubniserteilung ein Auszug aus dem Verkehrszentralregister vorgelegen und wo der Antragsteller zum Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung seinen Wohnsitz gehabt habe. Dementsprechend berechtige die polnische Fahrerlaubnis diesen nicht, entsprechende Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland zu führen. Eine solche Berechtigung habe auch nie bestanden. Für die getroffene Feststellung seien die geltenden nationalen Vorschriften anzuwenden. Die Dritte Führerscheinrichtlinie gelte nicht unmittelbar, sondern sei von der Bundesrepublik Deutschland in nationales Recht umzusetzen. Diese Umsetzung sei mit der Dritten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnisverordnung vom 7. Januar 2009, welche am 19. Januar 2009 in Kraft getreten sei, erfolgt.

3

Nachdem der Antragsteller am 16. Oktober 2009 den Sperrvermerk hatte eintragen lassen, hat er am 29. Oktober 2009 Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 8. Oktober 2009 erhoben (6 A 283/09) und einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes gestellt. Zur Begründung trägt er vor, die Änderung von § 28 FeV sei aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes europarechtswidrig. Alle in der EU ausgestellten Führerscheine seien in Deutschland rechtsgültig. Bezüglich der Bedenken des Antragsgegners hinsichtlich seiner Fahreignung sei darauf hinzuweisen, dass er von polnischen Ärzten untersucht worden und den dortigen Behörden der Entzug seiner Fahrerlaubnis in Deutschland bekannt gewesen sei. Zur Ausstellung des Führerscheins sei er in Deutschland abgemeldet und in Polen mehr als sechs Monate ordnungsgemäß angemeldet gewesen. Auch in Polen sei ihm die Fahrerlaubnis nach Untersuchung und Prüfung entsprechend der Dritten EU-Führerscheinrichtlinie erteilt worden.

4

Er beantragt (wörtlich),

  1. ihm in Bezug auf den Bescheid des Antragsgegners vom 8. Oktober 2009 einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren.

5

Der Antragsgegner beantragt,

  1. den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.

6

Zur Begründung trägt er ergänzend vor, nach der Überarbeitung von § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV sei die Berechtigung zum Fahren mit einer EU-Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland weiter eingeschränkt worden. Unerheblich sei, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Erlangung des Führerscheins nicht in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in Polen gemeldet gewesen sei. Ebenso unerheblich sei die Tatsache, dass die polnische Führerscheinstelle vom Führerscheinentzug des Klägers gewusst habe. Die Entscheidung der Führerscheinbehörde in Polen werde nicht in Frage gestellt. Die fehlende Fahrberechtigung ergebe sich jedoch allein aus den nationalen Vorschriften.

7

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Beratung.

Gründe

8

II.

1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist gemäß § 88 VwGO als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auszulegen (a.), hat jedoch keinen Erfolg (b.).

9

a. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um von dem Antragsteller wesentliche Nachteile abzuwenden. Dazu ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen, dass die gerichtliche Entscheidung eilbedürftig ist (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch besteht (Anordnungsanspruch). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt - wie alle anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahren - voraus, dass der Antragsteller mit dem von ihm angestrengten einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (noch) bestehendes rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., Rn. 91 ff.). Ein Rechtsschutzinteresse fehlt, wenn das Verfahren für den Antragsteller offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann. Die Nutzlosigkeit muss eindeutig sein; im Zweifel ist das Rechtsschutzinteresse zu bejahen (vgl. BVerwG, U. v. 11.12.2008 - 3 C 26/27 -, juris, Rn. 14).

10

Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung besteht ein rechtsschutzwürdiges Interesse des Antragstellers am Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Klärung, ob er mit seiner am 4. März 2009 in Polen erworbenen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland derzeit ein Kraftfahrzeug führen darf, im Wege der Feststellung einer vorläufigen Fahrberechtigung. Ein Rechtsschutzinteresse kann nicht mit der Begründung verneint werden, die nach dem vorangegangenen Entzug der deutschen Fahrerlaubnis erteilte polnische Fahrerlaubnis berechtige den Antragsteller gemäß § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV selbst im Falle der Aufhebung des angefochtenen feststellenden Verwaltungsaktes mangels einer von ihm beantragten und vom Antragsgegner getroffenen Entscheidung nach § 28 Abs. 5 Satz 1 FeV nicht zum Fahren im Inland. Denn nach dem Inkrafttreten der Dritten Führerscheinrichtlinie zum 19. Januar 2009 kann nicht ohne weiteres mit der für die Verneinung eines Rechtsschutzinteresses erforderlichen Eindeutigkeit davon ausgegangen werden, dass die Regelung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV über den grundsätzlichen Ausschluss der Geltung einer nach vorangegangenem Entzug einer deutschen Fahrerlaubnis erteilten ausländischen Fahrerlaubnis nicht gegen Europarecht verstößt (vgl. VG Sigmaringen, B. v. 05.10.2009 - 6 K 2270/09 -, juris, Rn. 15). Die momentane Rechtsunsicherheit wird im vorliegenden Verfahren deutlich. Der Antragsgegner vertritt die Ansicht, dass dem Antragsteller allein aufgrund der seit dem 19. Januar 2009 geltenden Vorschriften der Fahrerlaubnis-Verordnung ( § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 FeV) keine Berechtigung zum Fahren im Inland zusteht und dass der von ihm auf der Grundlage von § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV unter dem 8. Oktober 2009 erlassene feststellende Verwaltungsakt daher lediglich deklaratorische Wirkung hat. Demgegenüber beruft sich der Antragsteller auf die Unanwendbarkeit von § 28 FeV wegen eines Verstoßes gegen Europarecht.

11

b. Gegenwärtig ist offen, ob dem Antragsteller ein Anspruch auf Feststellung der Berechtigung zum Führen eines Kraftfahrzeuges in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der am 4. März 2009 erteilten polnischen Fahrerlaubnis zusteht (aa.). Die unter diesen Umständen im Eilverfahren vorzunehmende Interessenabwägung gebietet jedoch, den einstweiligen Rechtsschutzantrag abzulehnen (bb.).

12

aa. Bei im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur möglicher und zulässiger summarischer Prüfung lässt sich aufgrund der gegenwärtig noch nicht geklärten Rechtslage nicht sicher beurteilen, ob die polnische Fahrerlaubnis den Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt.

13

Die maßgeblichen Regelungen des § 28 FeV sind hier in der Fassung anzuwenden, die sie durch die am 19. Januar 2009 in Kraft getretene Dritte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnisverordnung vom 7. Januar 2009 (BGBl. I S. 29) erhalten haben. Der gemeinschaftsrechtliche Maßstab ergibt sich aus der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl L 403 S. 18, sog. Dritte Führerscheinrichtlinie), nach deren Artikel 18 Satz 2 der Artikel 11 Abs. 1 und 3 bis 6 mit den Regelungen über den Entzug, die Ersetzung und die Anerkennung von Führerscheinen ebenfalls ab dem 19. Januar 2009 gilt.

14

Die hier erfolgte Feststellung der fehlenden Berechtigung des Antragstellers, von seiner am 4. März 2009 ausgestellten polnischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, findet ihre Rechtgrundlage nach dem Wortlaut in § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, Sätze 2 und 3 FeV. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Die Berechtigung gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben ( § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV ). Nach § 28 Abs. 4 Satz 3 FeV ist Satz 1 Nr. 3 und 4 nur anzuwenden, wenn die dort genannten Maßnahmen im Verkehrszentralregister eingetragen und nicht nach § 29 StVG getilgt sind. In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 kann die Behörde nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen.

15

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Bestimmungen sind erfüllt. Die gegenüber dem Antragsteller am 14. August 2007 verfügte bestandskräftige Entziehung der Fahrerlaubnis ist eine der in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV aufgeführten Maßnahmen, die die Fahrberechtigung im Inland nach § 28 Abs. 1 FeV ausschließen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist im Verkehrszentralregister eingetragen und nicht nach § 29 StVG getilgt.

16

Demgegenüber kann bei summarischer Prüfung nicht abschließend beurteilt werden, ob die Regelung in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV mit dem aktuellen Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

17

Der EuGH hat in seiner vor dem 19. Januar 2009 ergangenen Rechtsprechung zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft verpflichtet ist, eine von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellte Fahrerlaubnis anzuerkennen, stets die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der in anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse hervorgehoben (vgl. U. v. 29.04 2004 C - 476/01 -, "Kapper"; B. v. 06.04.2006 - C - 227/05 -, "Halbritter"; U. v. 26.06.2008 - C - 329/06 -, "Wiedemann"; B. v. 03.07.2008 - C - 225/07 -, "Möginger"). Danach sind die Wohnsitzvoraussetzungen und auch die weiteren in der seinerzeit geltenden Zweiten Führerscheinrichtlinie niedergelegten Voraussetzungen für die Ausstellung eines EU-Führerscheins von den anderen Mitgliedstaaten grundsätzlich ohne Überprüfungsmöglichkeit anzuerkennen (vgl. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG vom 29. Juli 1991 über den Führerschein, ABl. L 237). Dies hat zur Folge, dass die Anerkennung der Fahrerlaubnis nicht abgelehnt werden kann, wenn im Anschluss an eine vorangegangene Entziehung der Fahrerlaubnis im Inland durch einen anderen Mitgliedstaat eine EU-Fahrerlaubnis ausgestellt wird und eine ggfls. zusammen mit der Entziehung angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis bereits abgelaufen war (vgl. U. v. 29.04.2004, a.a.O.; B. v. 06.04.2006, a.a.O.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 28 FeV Rn. 7).

18

Die Mitgliedstaaten können sich nach dieser Rechtsprechung nicht auf ihre Befugnisse nach Art. 8 Abs. 2 und 4 der Zweiten Führerscheinrichtlinie berufen, um einer (nach Ablauf der Sperrfrist) in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Fahrerlaubnis die Anerkennung mit der Begründung zu versagen, der Betreffende erfülle nicht die Bedingungen des nationalen Rechts für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach ihrer Entziehung. Dies gilt trotz des Wortlauts von Art. 8 Abs. 4 der Zweiten Führerscheinrichtlinie, der den Mitgliedstaaten die Möglichkeit der Ablehnung einer Anerkennung zuerkennt ("Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen..."). Die Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des EuGH als Ausnahme von dem in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie enthaltenen allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den EU-Mitgliedstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse eng auszulegen. Der Aufnahmestaat könne seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis in derartigen Fällen nur im Hinblick auf ein Verhalten des Betroffenen nach Erwerb der neuen Fahrerlaubnis anwenden (vgl. B. v. 06.04.2006, a.a.O.; U. v. 29.04.2004, a.a.O.; U. v. 26.06.2008, a.a.O.).

19

Im vorliegenden Verfahren hat der Antragsteller die polnische Fahrerlaubnis mehr als eineinhalb Jahre nach dem bestandskräftigen Entzug der Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland erworben, und es liegen derzeit keine Anhaltspunkte für ein Verhalten des Antragstellers nach Erwerb dieser Fahrerlaubnis vor, das für seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen sprechen könnte. Bei Anwendung der oben dargestellten EuGH-Rechtsprechung stünde dem Antragsteller daher die Berechtigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs im Inland zu. Fraglich ist jedoch, ob diese Rechtsprechung auch noch nach Inkrafttreten von Art. 11 Abs. 1 und 3 bis 6 der Dritten Führerscheinrichtlinie als Nachfolgeregelung zu Art. 8 Abs. 2 und 4 der Zweiten Führerscheinrichtlinie Berücksichtigung finden kann.

20

Es spricht einiges dafür, dass dem in der Rechtsprechung des EuGH herausgestellten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse im Anwendungsbereich des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV nach der Dritten Führerscheinrichtlinie die zuvor skizzierte Bedeutung nicht mehr zukommt. Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Dritten Führerscheinrichtlinie hat folgenden Wortlaut:

"Ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedsstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist."

21

Ob die Rechtsetzungsorgane der Europäischen Gemeinschaft mit dieser Neufassung klar zum Ausdruck gebracht haben, dass eine Harmonisierung der nach einem Entzug der Fahrerlaubnis für die Neuerteilung geltenden Eignungsregeln auf niedrigem Niveau nicht gewollt und für eine engere Auslegung des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Dritten Führerscheinrichtlinie im Sinne der Entscheidungen des EUGH zu Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Zweiten Führerscheinrichtlinie daher kein Raum mehr ist (so die Begründung der Dritten Verordnung zur Änderung der FeV, BR-Drs 851/08, S. 8), ist zwar durchaus zweifelhaft. Dem Erwägungsgrund (15) der Dritten Führerscheinrichtlinie, wonach die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aus Gründen der Verkehrssicherheit die Möglichkeit haben sollen, ihre innerstaatlichen Bestimmungen über den Entzug, die Aussetzung, die Erneuerung und die Aufhebung einer Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anzuwenden, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet begründet hat, wird sich dazu voraussichtlich nichts entnehmen lassen. Darüber hinaus ist der zitierte Erwägungsgrund bereits wortgleich in der Zweiten Führerscheinrichtlinie aufgeführt und kann daher nicht als Auslegungshilfe im oben genannten Sinne herangezogen werden (vgl. VG Gelsenkirchen, B. v. 23.11.2009 - 9 L 971/09 -, Rn. 40 ff., juris -; a. A. BayVGH, B. v. 10.11.2009 - 11 CS 09.2082 -, Rn. 29; BR-Drs, a.a.O.).

22

Allerdings spricht der Wortlaut von Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Dritten Führerscheinrichtlinie gegen eine Heranziehung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH. Während es in der Vorgängervorschrift des Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Zweiten EU- Führerscheinrichtlinie heißt: " Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, ...", statuiert Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Dritten Führerscheinrichtlinie nach seinem Wortlaut die Pflicht, die Anerkennung zu verweigern ("Ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab..."). Auch in der englischsprachigen Fassung der Richtlinien ist der Wortlaut nunmehr enger gefasst (vgl. VG Gelsenkirchen, a.a.O., Rn. 47; VG Sigmaringen, a.a.O., Rn. 19). Mit der durch Art. 11 Abs. 4 Satz 2 nach dem Wortlaut nunmehr gebotenen strikten Ablehnung der Gültigkeit eines Führerscheins unter den dort angeführten Voraussetzungen - ohne die Möglichkeit einer Ermessensausübung - dürfte die Annahme von richterrechtlich begründeten Ausnahmen nicht vereinbar sein, weil sie die Grenzen einer den Wortlaut der Vorschrift respektierenden Gesetzesauslegung überschreitet. Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls fraglich, ob die Nichtanerkennung von Führerscheinen, die trotz vorangegangener Entziehung der Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt werden, immer noch als eng auszulegende Ausnahme vom allgemeinen Anerkennungsgrundsatz angesehen werden kann (vgl. BayVGH, a.a.O., Rn. 25; VG Sigmaringen, a.a.O., Rn. 33 ff.; VG Ansbach, B. v. 21.10.2009 - AN 10 S 09.01799 -, juris; VG Meiningen, B. v. 25.08.2009 - 2 E 338/09  Me -, juris).

23

Die Anwendbarkeit von Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Dritten Führerscheinrichtlinie dürfte auch nicht durch deren Art. 13 Abs. 2 ausgeschlossen sein, wonach eine vor dem 19. Januar 2013 erteilte Fahrerlaubnis aufgrund der Bestimmungen dieser Richtlinie weder entzogen noch in irgendeiner Weise eingeschränkt werden darf. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass Art. 13 Abs. 2 erkennbar im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 2 Buchstabe a und b der Richtlinie steht. Nach Art. 7 Abs. 2 Buchstabe a haben ab dem 19. Januar 2013 die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine der Klassen AM, A1, A2, A, B, B1 und BE eine Gültigkeitsdauer von zehn Jahren. Die Mitgliedstaaten können diese Führerscheine auch mit einer Gültigkeitsdauer bis zu 15 Jahren ausstellen. Gemäß Art. 7 Abs. 2 Buchstabe b haben ab dem 19. Januar 2013 die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine der Klassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1und D1E eine Gültigkeitsdauer von 5 Jahren. Art. 13 Absatz 2 will gewährleisten, dass die vor dem 19. Januar 2013 mit einer längeren Gültigkeitsdauer als 15 bzw. 5 Jahren ausgestellten Führerscheine nicht auf diese Gültigkeitsdauer zeitlich beschränkt oder wegen ihrer Überschreitung entzogen werden. Die Anwendbarkeit von Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie wird deshalb durch Art. 13 Abs. 2 für die Zeit vor dem 19. Januar 2013 voraussichtlich nicht ausgeschlossen (vgl. BayVGH, a.a.O., Rn. 17; VG Gelsenkirchen, a.a.O., Rn. 38, 39). Insgesamt sind die aufgeworfenen Rechtsfragen unter besonderer Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung abschließend in dem vom Antragsteller bereits angestrengten Hauptsacheverfahren 6 A 283/09 zu entscheiden. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hat der Antragsteller seine Berechtigung zum Führen eines Kraftfahrzeuges in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund seiner polnischen Fahrerlaubnis jedenfalls nicht mit der notwendigen Gewissheit glaubhaft gemacht.

24

bb. Die bei offenen Erfolgsaussichten der Klage auch im Rahmen einer Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendige Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen geht zulasten des Antragstellers aus.

25

Das öffentliche Interesse, den Rechtsschein des Besitzes einer gültigen Fahrerlaubnis mit der erfolgten negativen Feststellung zu beseitigen und damit zu gewährleisten, dass der Antragsteller nicht weiter am motorisierten Straßenverkehr im Bundesgebiet teilnimmt, ist höher zu bewerten als das private Interesse des Antragstellers, den Anschein zu erwecken, von einer ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch machen zu dürfen und auch Gebrauch zu machen. Denn eine mögliche Teilnahme des Antragstellers am motorisierten Straßenverkehr bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens ist mit nicht hinnehmbaren Risiken für wichtige Rechtsgüter, insbesondere für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer verbunden. Der Antragsteller hat am 1. August 2006 unter Drogeneinfluss ein Fahrzeug geführt. Dabei lag ein Mischkonsum jeweils erheblicher Mengen von Cannabis, Amphetaminen und Ecstasy vor (THC 12,7 ng/ml; THC-COOH 94,4 ng/ml; Amphetamin 149 ng/ml; MDMA 235 ng/ml), der zu besonders großen Risiken beim Führen eines Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr führt und Ursache des Fahrerlaubnisentzugs im Jahr 2007 war. Es ist nicht auszuschließen, dass dem Antragsteller im Hinblick auf seinen in der näheren Vergangenheit erwiesenen Drogenkonsum die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Antragsgegners fehlte. Es liegen keinerlei Angaben und Hinweise dazu vor, ob der Drogenkonsum fortgeführt wurde oder gegenläufige Maßnahmen ergriffen wurden. Es ist auch weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die im Zuge der Erteilung der Fahrerlaubnis in Polen vorgenommene ärztliche Untersuchung auch den Drogenkonsum des Antragstellers in der Vergangenheit berücksichtigt hat.

26

Amphetamine und Ecstasy zählen zu den sogenannten "harten" Drogen, die ein hohes Suchtpotential aufweisen und sich als besonders gefährlich erwiesen haben. Ihr Konsum beeinträchtigt die Fahreignung in besonderem Maße und lässt auf eine im Straßenverkehr nicht hinnehmbare Risikobereitschaft oder Unbesorgtheit des Konsumenten schließen. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer und des Niedersächsischen OVG schließt daher bereits der einmalige Konsum derartiger "harter" Drogen im Regelfall die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen - unabhängig vom tatsächlichen Führen eines Kraftfahrzeugs unter Drogeneinfluss - aus. Die entfallene Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen kann regelmäßig erst dann wieder angenommen werden, wenn nach einer längeren Phase der Abstinenz aufgrund einer medizinisch-psychologischen Untersuchung hinreichend gewiss ist, dass der Betroffene künftig auf die Einnahme "harter" Drogen verzichtet (vgl. Nds. OVG, B. v. 11.08.2009 - 12 ME 156/09 -; VG Braunschweig, B. v. 23.02.2005 - 6 B 66/05 -, NZV 2005, 435, 436 f. jeweils m.w.N.).

27

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat ebenfalls keinen Erfolg, soweit er sich gegen die Aufforderung zur Eintragung bzw. die erfolgte Eintragung eines Sperrvermerks wendet. Da derzeit aufgrund obiger Interessenabwägung eine Änderung der Feststellung des Antragsgegners nicht in Betracht kommt und der Rechtsschein des Besitzes einer in der Bundesrepublik Deutschland gültigen Fahrerlaubnis gegenüber Dritten erst mit der Eintragung eines Sperrvermerks beseitigt wird, ist die Eintragung nach summarischer Prüfung über eine analoge Anwendung von § 3 Abs. 2 Satz 2 StVG i.V.m. § 47 Abs. 2 FeV gerechtfertigt (vgl. VG Gelsenkirchen, a.a.O., Rn. 17).

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

29

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG und entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in Fahrerlaubnisentziehungsverfahren (Klageverfahren: höchster Einzelwert der betroffenen Fahrerlaubnisklassen nach dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327 ff., II Nr. 46 - hier 5 000,00 EUR bzgl. Klasse B -). Für das Eilverfahren wird in der Regel der Streitwert auf die Hälfte des für das Klageverfahren anzusetzenden Betrages festgesetzt (vgl. zu allem Nds. OVG, B. v. 07.06.2005 - 12 OA 81/05 -; VG Braunschweig, B. v. 19.08.2005 - 6 B 420/05 ). Im vorliegenden Fall geht das Gericht davon aus, dass die angefochtene Feststellung und Eintragung des Sperrvermerks in den polnischen Führerschein für den Antragsteller die gleiche Bedeutung hat, als würde ihm eine (deutsche) Fahrerlaubnis der Klasse B entzogen (vgl. VG Ansbach, a.a.O.)

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2. Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den oben genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet ( § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO ), ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe jedenfalls für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.

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Die Kostenentscheidung beruht insoweit auf § 1 Abs. 1 GKG i.V.m. § 166 VwGO und § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.