Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 24.08.2007, Az.: L 13 AS 46/07 ER

1/12; Abgrenzung; Abtretung; Abtretung; Abzug; angemessener Zeitraum; Anrechnung; Ansparung; Anspruch; Arbeitsuchender; Aufteilung; Auszahlung; Begriff; Behörde; Berechnung; Berücksichtigung; Beschränkung; Disposition; eigenes Mittel; Einkommen; Einkommensbegriff; Einkommensberücksichtigung; Einkommenssteuererstattung; Einkommensteuer; einmalige Einnahme; Erstattung; Erstattungsbetrag; Fehlen; Finanzamt; Folgemonat; Forderungsabtretung; freiwillige Ansparung; Freiwilligkeit; Grundsicherung; Interesse; Leistungserbringung; Lohnsteuer; Minderung; Monat; Rückerstattung; Rückerstattungssumme; Schulden; Schuldentilgung; Steuererstattung; Tilgung; Unfreiwilligkeit; Unrecht; Unterscheidung; Verfügung; Vermögen; Vermögensbegriff; Vermögensberücksichtigung; Vermögenswert; Verteilung; Vorjahr; Wegfall; Zeitraum; Zufluss; Zuflussmonat; Zuflusstheorie; Zuordnung; Zwölftel; öffentliches Interesse; überwiegendes Interesse

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
24.08.2007
Aktenzeichen
L 13 AS 46/07 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 71707
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 17.01.2007 - AZ: S 25 AS 526/06 ER

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Bei der Auszahlung einer Steuererstattung durch das Finanzamt handelt es sich um Einkommen im Sinne des § 11 Abs 1 S 1 SGB II.
2. Die monatliche Anrechnung mit jeweils 1/12 des Erstattungsbetrags ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aurich vom 17.Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Hierbei wendet er sich insbesondere gegen die Berücksichtigung zweier Steuerrückerstattungen als Einkommen.

2

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts (SG) Aurich vom 17. Januar 2007 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Gewährung höherer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitpunkt ab Eingang des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beim SG Aurich im Dezember 2006.

3

Das SG hat die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zutreffend dargelegt; hierzu wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

4

Ausgehend hiervon steht dem Antragsteller zur Überzeugung des Gerichts kein Anordnungsanspruch zu. Zu Recht hat der Antragsgegner mit Änderungsbescheid vom 23. August 2006 sowie Änderungsbescheid vom 28. August 2006 (für den Zeitraum 1.9.2006 - 28.2.2007), durch Bewilligungsbescheid vom 16. Februar 2007 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 19. Februar 2007 und vom 23. März 2007 (für den Bewilligungszeitraum 1.3.2007 - 31.8.2007) und durch den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 9. Februar 2007 (für den Zeitraum 1.7.2006 - 31.8.2006) die Steuererstattung für das Jahr 2006 in Höhe von 1.169,96 € (Steuerbescheid des Finanzamts G. vom 13.6.2006) mit einem Betrag von jeweils 1/12 der Rückerstattungssumme als Einkommen angerechnet. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass es sich bei Steuerrückerstattungen grundsätzlich um zu berücksichtigendes Einkommen gemäß § 11 SGB II, nicht aber um Vermögen gemäß § 12 SGB II handelt. Auf die diesbezüglichen zutreffenden Ausführungen des SG Aurich wird Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Lediglich ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:

5

Nach § 11 Abs.1 SGB II sind als Einkommen grundsätzlich alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen, während dem Hilfebedürftigen für Vermögen gemäß § 12 SGB II höhere Freibeträge eingeräumt werden und in deren Umfang keine Anrechnung stattfindet. Zur Unterscheidung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II kann auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Bestimmung des sozialhilferechtlichen Einkommens und des Bundessozialgerichts (BSG) zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Arbeitslosenhilfe zurückgegriffen werden. Hiernach ist Einkommen all das, was der Hilfebedürftige während eines Zahlungszeitraums wertmäßig dazu erhält, Vermögen ist demgegenüber das, was er bei Beginn eines Zeitraums bereits hat (sogenannte Zuflusstheorie, vgl. BVerwG, Urteil vom 18.2.1999 - BVerwG 5 C 35.97 -, NJW 1999, S. 3649 ff.; BSG, Urteil vom 9.8.2001 - B 11 AL 15/01 R -, SozR 3-4300 § 193 Nr. 3, zitiert nach Juris). Diese Zuflusstheorie ist auch weiterhin heranzuziehen, da die Regelungen der §§ 11 ff. SGB II im Wesentlichen den Bestimmungen des Sozialhilferechts entsprechen und der Einkommensbegriff im Recht der Sozialhilfe auf das SGB II übertragen worden ist (vgl. BT-Drucks. 15/1516, S. 5). Die Auszahlung einer Steuererstattung durch das Finanzamt ist ein Zufluss in diesem Sinne und damit - in Fortsetzung der Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 18.2.1999, a.a.O.) - als Einkommen zu werten, nämlich als einmalige Einnahme (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31.7.2006 - L 19 B 303/06 AS ER -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.11.2006 - L 8 AS 325/06 ER -, FEVS 58, 319 ff.; Bayer. LSG, Urteil vom 19.12.2006 - L 7 AS 225/06, zitiert nach Juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.06.2007 - L 12 AS 44/06, veröffentlicht unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Der Zuordnung als Einkommen im Jahr der Auszahlung steht dabei nicht entgegen, dass Grund für die Steuererstattung die zuviel entrichtete Steuer im Vorjahr ist. Auch wenn bereits dem Anspruch auf Steuererstattung ein Vermögenswert zukommt, hindert das die Zuordnung ihrer Auszahlung als Einkommen nicht, weil der Erstattungsgläubiger die zu hoch entrichtete Steuer nicht freiwillig "angespart" hat, sondern die Steuererstattung nicht früher erhalten konnte (so bereits BVerwG, Urteil vom 18.2.1999, a.a.O.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.6.2007, a.a.O.). Der gegenteiligen Ansicht (SG Leipzig, Beschluss vom 16.8.2005 - S 9 AS 405/05 ER -, zitiert nach Juris; SG Stuttgart, Beschluss vom 26.6.2007 - Az. S 20 AS 4654/07 ER -, V. n. b.; Münder in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 11 Rn. 9), die Steuererstattungen als Vermögen bewertet, folgt der Senat dagegen nicht. Insbesondere kann der Argumentation des SG Leipzig (a.a.O.) nicht gefolgt werden, wonach für die Abgrenzung nicht auf die Freiwilligkeit abzustellen sei, da auch zumindest ein Teil der Steuererstattung „freiwillig“ angespart sein könne, wenn nämlich z.B. auf die Eintragung eines Freibetrags oder eine Steuerklassenänderung bewusst verzichtet worden sei. Denn auf diese Weise könnte durch die Wahl einer ungünstigen Steuerklasse oder den Verzicht auf Eintragung eines Freibetrags letztlich auf Kosten des Steuerzahlers Einkommen in Vermögen umgewandelt werden (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.6.2007, a.a.O.).

6

Der Anrechnung der Steuererstattung für das Veranlagungsjahr 2005 als Einkommen (ebenso wie der Anrechnung der Steuererstattung für 2006) bei dem Antragsteller steht auch nicht entgegen, dass das Finanzamt G. den Erstattungsbetrag wegen der Abtretung des Antragstellers unmittelbar an den Steuerberater H. ausgezahlt hat und der Erstattungsbetrag dem Antragsteller nicht (dauerhaft) zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung gestanden hat. Abgesehen davon, dass der Steuerberater dem Antragsteller ausweislich der vorliegenden Kontoauszüge am 26. Mai 2006 immerhin einen Betrag in Höhe von 1.050,- € unter Bezugnahme auf eine Rechnung vom 24. Mai 2006 überwiesen hat, den der Antragsteller am 2. Juni 2006 lediglich mit der Bemerkung „Erledigung von April 2006“ an diesen zurück überwiesen hat, hat der Antragsteller mit der Abtretung bzw. auch mit der Rücküberweisung lediglich seine privaten Verbindlichkeiten gegenüber dem Steuerberater in Höhe von 1.300,- € aus dem nach seinen Angaben mit seinem Steuerberater geschlossenen Darlehensvertrag beglichen. Die Abtretung von Ansprüchen zur Tilgung von Schulden ist aber als freiwillige Disposition über die eigenen Mittel bei der Beurteilung der Hilfebedürftigkeit nicht zu berücksichtigen (ebenso Sächs. LSG, Beschl. v. 14.4.2005 - Az. L 3 B 30/05 AS ER, NZS 2006, 107 ff., unter Hinweis auf die Rspr. des BVerwG zu § 2 Abs. 1 BSHG: Urteil vom 13.1.1983 - BVerwG 5 C 114.81 -, NJW 1983, 2276 f, zitiert nach Juris; differenzierend Brühl in: LPK-SGB II, a. a. O., § 11 Rn. 12). Andernfalls würden, wie das SG Aurich zutreffend ausführt, die dem Steuererstattungsbetrag entsprechenden SGB II-Leistungen mittelbar zur Schuldentilgung gewährt. Zu Recht hat das SG auch Zweifel an den tatsächlichen Umständen des abgeschlossenen Darlehensvertrages und der Abtretungserklärung geäußert; hierauf wird Bezug genommen.

7

Die Steuererstattung ist auch entsprechend den gesetzlichen Vorgaben angerechnet worden. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) ist eine Berücksichtigung einmaliger Einnahmen ab dem auf den Zuflussmonat folgenden Monat zulässig, wenn Leistungen für den Monat des Zuflusses bereits erbracht worden sind. Der Zufluss der Steuerrückerstattung für 2005 ist im Juni 2006 erfolgt. Die Berücksichtigung ist auch nach dem (verspäteten) Bekanntwerden im August 2006 für den Zeitraum ab dem 1. September 2006 bis einschließlich 30. Juni 2007 mit jeweils 1/12 pro Monat berücksichtigt worden (vgl. zur Aufteilung auf einen angemessenen Zeitraum: § 2 Abs. 3 Satz 3 Alg II-V). Für die bereits für Juli und August 2006 zuviel erbrachten Leistungen (insgesamt 134,- €) wurde mit dem Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 9. Februar 2007 letztlich eine Neuberechnung vorgenommen; die aufgrund der nachträglichen Berücksichtigung des Einkommenszuflusses sich ergebende Erstattungsforderung wurde durch Aufrechnung im März und April 2007 beglichen (hierzu noch im Folgenden).

8

Auch für die Monate März und April 2007 ergibt sich voraussichtlich kein höherer Anspruch des Antragstellers auf Grundsicherungsleistungen. So ist die Anrechnung der Steuerrückerstattung für das Jahr 2006 (Bescheid des Finanzamts G. vom 12.3.2007: 132,90 €) mit Änderungsbescheid vom 23. März 2007 zutreffend als Einkommen für den Monat April 2007 berücksichtigt worden. Schließlich ist die in Höhe eines Betrages von jeweils 67,- € für März und April 2007 erfolgte Aufrechnung mit einem entsprechenden Erstattungsanspruch des Antragsgegners voraussichtlich rechtlich nicht zu beanstanden. Allerdings ist - nachdem ein früherer Bescheid vom Antragsgegner wieder zurückgenommen worden war - erst mit Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 9. Februar 2007 die für Juli und August 2006 erfolgte Überzahlung in Höhe von 134,00 € zurückgefordert und der dem entgegenstehende Bewilligungsbescheid vom 2. März 2006 insoweit teilweise aufgehoben worden. Gegen den Bescheid vom 9. Februar 2007 hat der Antragsteller auch Widerspruch erhoben, der jedoch keine aufschiebende Wirkung hat, da der Bescheid vom Antragsgegner mit nach dem Kenntnisstand dieses Eilverfahrens nicht zu beanstandender Begründung für sofort vollziehbar erklärt worden ist (§ 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG). Ferner hat der Antragsgegner bei der Aufrechnung auch hinreichend berücksichtigt, dass eine Aufrechnung mit einer Erstattungsforderung gegen einen Anspruch auf laufende Grundsicherungsleistungen gemäß § 43 SGB II nur bis zu einem Betrag in Höhe von 30% der maßgebenden Regelleistung (hier: 345,- €) erfolgen darf. Durch die Aufrechnung in Höhe von 67,00 € pro Monat für März und April 2007 wird diese Grenze aber nicht überschritten, denn zu diesem Zeitpunkt war die bis dahin (einvernehmlich) erfolgte Aufrechnung in Höhe von monatlich 50,00 € wegen der für Dezember 2005 eingetretenen Überzahlung in Höhe von 605,00 € (soeben) beendet.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

10

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).