Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 25.02.2022, Az.: 1 A 290/20

Abwehrverhalten, artgerechtes; Beißvorfall; Gefährlichkeit eines Hundes; Wesenstest

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
25.02.2022
Aktenzeichen
1 A 290/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59446
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung der Gefährlichkeit ihres Hundes.

Die Klägerin ist Halterin einer Presa Canario Hündin namens „H.“. Am Nachmittag des 01.01.2020 kam es vor dem Wohnhaus der Klägerin zu einem Beißvorfall mit den beiden Hunden des Herrn C.. Dieser ging mit seinen angeleinten Hunden, einer Australian Shepard Hündin („I.“) und einem Schäferhund-Mix-Rüden („J.“), am Grundstück der Klägerin vorbei, in dessen Einfahrt die Klägerin die ebenfalls angeleinte Hündin „H.“ in ihr Auto springen ließ. Als die Hündin die beiden anderen Hunde entdeckte, sprang sie aus dem Auto, wobei der Klägerin die Leine entglitt. Die Hunde gerieten in einen Kampf. Die Hündin des Herrn C. erlitt sechs Bisswunden, nämlich drei Bisse am Vorderbein, einen Biss in den Rücken, einen Biss in den Bauch und einen Biss in den Oberschenkel, die tierärztlich behandelt werden mussten. Der genaue Ablauf des Beißvorfalls ist zwischen den Beteiligten streitig.

Der Geschädigte C. meldete den Vorfall am folgenden Tag dem Beklagten, der eine amtstierärztliche Begutachtung der Hündin „H.“ anordnete. Die Amtstierärztin stellte bei der Begutachtung der Hündin am ...2020 fest, dass die Hündin im Wesentlichen ruhig und unaggressiv sei. Jedoch sei die Klägerin selbst uneinsichtig gewesen und habe kein Bewusstsein für die Gefährlichkeit solcher Beißattacken gezeigt. Die Hund-Halter-Compliance sei anscheinend nicht optimal (BA 001, Bl. 39 f.). Da ein Hundekontakt bei diesem Termin nicht zustande gekommen war, erstellte die Tierärztin Dr. K. im Auftrag des Beklagten am ...2020 ein weiteres Gutachten. In diesem kam sie zum Ergebnis, dass die Hündin zwar ruhig und unaufgeregt sei, im Kontakt zu anderen Hunden jedoch zu einem gesteigerten Maß an Aggressivität neige, vor allem, wenn sie provoziert werde. Aufgrund ihres Gewichts und ihrer Körperkraft sei sie dann nicht mehr sicher zu kontrollieren (BA 001, Bl. 41).

Mit Bescheid vom 22.07.2020 (BA 001, Bl. 49 ff.) ordnete der Beklagte unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit einen Leinen- und Maulkorbzwang für die Hündin „H.“ an.

Nach erfolgter Anhörung der Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 08.09.2020, zugestellt am 11.09.2020, die Gefährlichkeit der Hündin „H.“ fest (Ziff. I), wies auf die Rechtsfolgen (Leinen- und Maulkorbzwang) hin (Ziff. II) und drohte ihr für den Fall des Nichtbeachtens der gesetzlichen Pflichten bei der Haltung und Führung eines gefährlichen Hundes die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500 EUR an (Ziff. III). Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Hündin weise eine gesteigerte Aggressivität gegenüber anderen Hunden auf. Aufgrund der Beißattacke, bei der die Hündin eine über das natürliche Maß hinausgehende Angriffslust und Schärfe gezeigt habe, lägen Tatsachen vor, die den Verdacht rechtfertigten, dass von der Hündin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe.

Die Klägerin hat gegen den Bescheid am 12.10.2020 Klage erhoben. Sie verweist darauf, dass sich der Beißvorfall auf ihrem Grundstück ereignet habe und sich die Hunde des Zeugen C. aggressiv verhalten hätten. Diese seien bellend auf ihre Hündin zugerannt; diese habe lediglich ein artgerechtes Abwehrverhalten gezeigt. Die beiden anderen Hunde seien im ganzen Wohngebiet als aggressiv bekannt und seien bereits 2011 in einen schweren Beißvorfall verwickelt gewesen. Der Vorfall am 01.01.2020 sei der erste Vorfall ihrer Hündin. Außerdem belege das von ihr eingeholte Verhaltensgutachten des hessischen Gutachters L., das sie für die Gestattung der Haltung eines gefährlichen Hundes – die mit Bescheid vom 01.04.2021 erfolgt ist – dem Beklagten vorgelegt habe, dass die Hündin kein gesteigertes Maß an Gefährlichkeit in sich berge. Die Gutachterinnen des Beklagten hätten dies bei einer ordnungsgemäßen Überprüfung der Hündin ebenfalls erkennen können und auch müssen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 08.09.2020, zugestellt am 11.09.2020, mit dem Aktenzeichen M. aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung vertieft er den Vortrag aus dem streitgegenständlichen Bescheid und führt ergänzend aus, das Gutachten des Herrn L. sei nicht geeignet, die Feststellung der Gefährlichkeit der Hündin „H.“ zu widerlegen. Das Abwehrverhalten der Hündin sei jedenfalls auch nicht artgerecht gewesen, was das Ausmaß der Verletzungen der betroffenen Hündin zeige. Auf das Verhalten der anderen Hunde könne es nicht ankommen. Im Übrigen sei bereits ein früherer Beißvorfall der Hündin der Klägerin aus dem Jahr 2017 bekannt.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 28.09.2021 der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

Die Einzelrichterin hat Beweis erhoben über den Hergang des Beißvorfalls vom 01.01.2020 durch Befragung der Zeugen N. und A.. Die Klägerin ist ergänzend informatorisch befragt worden. Wegen des Inhalts der Aussagen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.02.2022 verwiesen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 08.09.2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NHundG hat die Fachbehörde, wenn sie einen Hinweis darauf erhält, dass ein Hund, der von einer Hundehalterin oder einem Hundehalter nach § 1 Abs. 2 NHundG gehalten wird, eine gesteigerte Aggressivität aufweist, insbesondere Menschen oder Tiere gebissen oder sonst eine über das natürliche Maß hin-ausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust oder Schärfe gezeigt hat, den Hinweis zu prüfen. Ergibt die Prüfung nach Satz 1 Tatsachen, die den Verdacht rechtfertigen, dass von dem Hund eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, so stellt die Fachbehörde fest, dass der Hund gefährlich ist (§ 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG). Nach dem Wortlaut der Regelung ist es ausreichend, wenn aufgrund von Tatsachen der Verdacht der Gefährlichkeit eines Hundes besteht. Durch die Regelungen zur Feststellung der Gefährlichkeit hat der Gesetzgeber auf die (u.a. durch Medienberichte über Beißvorfälle beeinflusste) geänderte Wahrnehmung der durch Hunde gegebenen Gefahren in der Bevölkerung reagiert und eine Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe geschaffen, mit der nicht erst einer auf Tatsachen begründeten Gefahr, sondern bereits einer möglichen Gefahr (Gefahrenverdacht oder Besorgnispotential) begegnet werden soll (Nds. OVG, Beschl. v. 18.01.2012 - 11 ME 423/11 -, juris Rn. 7). Ziel des § 7 NHundG ist also (auch) eine Vorsorge gegen möglicherweise erst drohende Schäden.

Nach der § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und Alt. 2 NHundG zu entnehmenden, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Wertung des Gesetzgebers wird grundsätzlich bereits die Bissigkeit eines Hundes als Regelbeispiel eines nicht mehr artgerechten Verhaltens eines als gewöhnliches Haustier gehaltenen Hundes und damit als Gefahr für die öffentliche Sicherheit eingestuft. Wie für die Einleitung der Gefährlichkeitsprüfung reicht es auch für die Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes aus, dass der betroffene Hund ein anderes (Haus-) Tier, insbesondere einen anderen Hund, nicht nur ganz geringfügig verletzt hat. Hierfür genügt grundsätzlich jede Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des anderen Tieres, unabhängig von deren Schwere; außer Betracht bleiben nur ganz geringfügige Verletzungen wie etwa einzelne ausgerissene Haare oder sehr kleine oberflächliche Kratzer (Nds. OVG, Beschl. v. 03.09.2008 - 11 LA 3/08 -, n.v.; vom 13.12.2006 - 11 ME 350/06 -, juris Rn. 5, m. w. N.).

Ausnahmen von der gesetzlichen Regelannahme der Gefährlichkeit eines Hundes kommen zum Beispiel bei einem erlaubten Beißen im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs eines Dienst-, Wach- oder Jagdhundes, bei der Verletzung eines anderen (Haus-)Tieres durch ein eindeutig artgerechtes Abwehrverhalten oder ggf. auch beim Beißen bzw. Töten von Mäusen oder Insekten in Betracht (vgl. dazu bereits die Begründung des Gesetzentwurfes zum NHundG a.F., LT-Drs. 14/3715, S. 10; zum artgerechten Abwehrverhalten Nds. OVG, Beschl. v. 15.11.2013 - 11 LA 100/13 -, juris Rn. 6).

Im Übrigen soll jedoch gerade durch die Formulierung der Regelbeispiele in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und Alt. 2 NHundG weiterhin die Amtsermittlungspflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG begrenzt werden (so ausdrücklich der schriftliche Bericht zum NHundG a.F., LT-Drs. 14/4006, S. 4. a.E.).

Hier steht nicht schon der positive Wesenstest eines in Hessen anerkannten Gutachters, den die Klägerin für die Erlangung der Erlaubnis, ihre Hündin „H.“ weiterhin zu halten, dem Beklagten vorgelegt hat, der auf einem Gefahrenverdacht beruhenden, streitgegenständlichen Feststellung der Gefährlichkeit der Hündin entgegen. Denn der Wesenstest nach § 13 NHundG ist gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 NHundG der Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes zeitlich nachgelagert und stellt eine Voraussetzung für die Erlaubnis zum Halten des bereits als gefährlich eingestuften Hundes dar. Er ist mithin nicht bereits Gegenstand der näheren Überprüfung des Sachverhalts nach § 7 Abs. 1 Satz 1 NHundG, die zu der Feststellung der Gefährlichkeit führen kann (Nds. OVG, Beschl. v. 30.06.2015 - 11 LA 250/14 -, juris Rn. 5, und v. 03.03.2015 - 11 LA 172/14 -, juris, Rn. 11).

Allerdings steht aufgrund der Befragung der Zeugen B. und A. und der informatorischen ergänzenden Befragung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 25.02.2022 zur Überzeugung der Einzelrichterin fest, dass die Hündin „H.“ mit den Bissen der Hündin „I.“ der Geschädigten C. ein eindeutig artgerechtes Abwehrverhalten gezeigt hat. Damit entfällt der Anknüpfungssachverhalt für die hier anzustellende Gefahrenprognose.

Der Zeuge B., der nach eigenem Bekunden den Vorfall vom Spielplatz gegenüber der Grundstückseinfahrt der Klägerin beobachtet hatte, gab widerspruchsfrei und glaubhaft an, wegen lauten Hundegebells aufmerksam geworden zu sein und deshalb von seinem Standort direkt am Rand des Spielplatzes am Straßenrand den gesamten Vorfall durchgehend beobachtet zu haben. Nach seinem Bekunden liefen die Hunde des Geschädigten C. an zwei langen Flexileinen und bellten bereits laut, als sie in die Grundstückseinfahrt einbogen. Dort hatte die Klägerin gerade ihre Hündin „H.“ in den Kofferraum ihres PKW springen lassen. Die Hündin „I.“ sprang mit den Vorderpfoten auf den Rand des Kofferraums und bellte dabei weiter laut. Daraufhin sprang die Hündin der Klägerin die andere Hündin an und brachte sie vor dem PKW in der Grundstückseinfahrt zu Boden. Die Klägerin konnte ihre Hündin abrufen. Der zweite Hund war nach der Aussage des Zeugen nicht an dem Beißvorfall beteiligt, sondern bellte nur weiter. Der Zeuge konnte erklären, dass er sich wegen der Besonderheiten des Vorfalls auch nach zwei Jahren noch gut an den Hergang erinnern konnte. Er konnte weiter erklären, aus welchem Grund er zu dem Vorfall bis zur mündlichen Verhandlung noch keine Angaben gemacht hatte. Er hatte sich bei der Klägerin auf einen Zeugenaufruf in einer Bäckerei gemeldet, den diese dort platziert hatte, nachdem die Einzelrichterin zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung um Benennung von Zeugen gebeten hatte. Da er nicht selbst emotional von dem Vorfall betroffen war, geht die Einzelrichterin davon aus, dass er weder Be- noch Entlastungstendenzen hatte, auch wenn er selbst angab, sich bei der Klägerin gemeldet zu haben und mit ihr sodann über den Vorfall gesprochen zu haben. Dass ihm bei diesem Gespräch ein Verlauf suggeriert worden wäre, den er als eigene Erinnerung wiedergab, ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil er den Vorfall geordneter, vollständiger und klarer wiedergeben konnte als die Klägerin selbst.

Die glaubhafte Aussage des Zeugen B. wird in Teilen bestätigt durch die Aussage des Zeugen A., des Ehemanns der Klägerin. Dieser gab an, er habe sich zum maßgeblichen Zeitpunkt im Wohnhaus aufgehalten und sei wegen Hundegebells an das Gaubenfenster im ersten Stock des Hauses getreten, das einen Blick auf die Grundstückseinfahrt zulässt. Der Zeuge bestätigte, dass die Hunde des Geschädigten C. auf das Grundstück der Klägerin gelaufen waren und sich der Beißvorfall dort zutrug. Von dem Sprung der Hündin „I.“ auf den Kofferraumrand berichtete er nicht, was dadurch zu erklären ist, dass er vom Fenster aus keinen Blick auf den vom Haus abgewandten Teil des PKWs seiner Frau haben konnte.

Die Aussage des Zeugen B. wird weiter bestätigt durch die Schilderung des Hergangs durch die Klägerin selbst. Auch sie gab an, die Hündin „I.“ sei auf den Kofferraumrand „reingegangen“, woraufhin sich ihre eigene Hündin auf sie geworfen habe. Diese Angabe stimmt auch überein mit der Angabe, die die Klägerin gegenüber der Veterinärärztin Q. im Rahmen der unangekündigten Überprüfung am 07.02.2020 getätigt hatte (BA 001, Bl. 39). Bei dieser Überprüfung gab die Klägerin bereits an, ihre Hündin habe sich lediglich verteidigt. Ihr davon abweichendes eigenes Verhalten im Nachgang dazu bei der Übernahme der Kosten der Tierarztbehandlung sowie Meldung des Vorfalls an die eigene Tierhaftpflichtversicherung erklärte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar damit, dass sie sich damit der Aufforderung des Beklagten gebeugt habe und den Eindruck gehabt habe, sie habe keine andere Wahl, als die Kosten zu übernehmen. Dass die Hunde vom Geschädigten C. an der langen Leine geführt worden waren, hatte die Klägerin schon in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom Januar 2020 gegenüber dem Beklagten erklärt (BA 001, Bl. 25).

Soweit der Zeuge A. in Übereinstimmung mit der Klägerin bekundete, die Hündin „H.“ habe die Hündin „I.“ auf die linke Seite geworfen, geht die Einzelrichterin davon aus, dass aufgrund des sehr schnellen Ablaufs des Geschehens eine solche genaue Beobachtung nicht möglich war und insbesondere nicht ausgeschlossen ist, dass die Hündin „H.“ der anderen Hündin die Bisse beigebracht hatte, die dann tierärztlich behandelt werden mussten. In der mündlichen Verhandlung wiederholte die Klägerin auch nicht ihre in der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2021 vorgebrachte Vermutung, der Schäferhund-Mix des Geschädigten C. habe der Hündin „I.“ ihre erheblichen Verletzungen beigebracht. Vielmehr gab sie an, nicht zu wissen, wie der Schäferhund beteiligt war. Ihr Ehemann, der Zeuge A., bekundete in Übereinstimmung mit dem Zeugen B. hierzu, dass der Schäferhund an dem Beißvorfall selbst nicht beteiligt war.

Einer zeugenschaftlichen Befragung des Geschädigten C., der zur mündlichen Verhandlung als Zeuge geladen worden war und wegen Erkrankung nicht teilnehmen konnte, bedurfte es zur Feststellung des Hergangs des Beißvorfalls aufgrund der glaubhaften Schilderung insbesondere durch den Zeugen B. nicht. Der Geschädigte C. schilderte in der schriftlichen Stellungnahme vom 20.01.2020 gegenüber dem Beklagten (BA 001, Bl. 7 f.) den Vorfall abweichend dahingehend, dass er die Hunde nicht an der langen Leine, sondern kurz geführt habe und sich der Vorfall auf der Straße und nicht auf dem Grundstück der Klägerin zugetragen habe. Insbesondere die Angabe, er habe die Hunde an der kurz eingestellten Flexileine geführt, ist erkennbar eine Schutzbehauptung. Die schriftliche Aussage ist nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit insbesondere der Angaben des Zeugen B., aber auch des Zeugen A. und der Klägerin zu erschüttern. Der Zeuge B. bekundete vielmehr, dass der Geschädigte C. den Vorfall gar nicht gesehen haben konnte, weil er noch an dem Palisadenzaun, der das Grundstück der Klägerin umgibt, entlangging und keinen Einblick in die Grundstückseinfahrt hatte.

Ausgehend von dem aufgrund der Beweisaufnahme und der ergänzenden Befragung der Klägerin feststehenden Ablauf, nach dem die Hündin „I.“ zusammen mit dem anderen Hund „J.“ auf das Grundstück der Klägerin bellend einbog und sodann ansetzte, in den Kofferraum des PKWs der Klägerin zu springen, in dem bereits deren zu dem Zeitpunkt noch angeleinte Hündin „H.“ saß, war diese in eine Verteidigungssituation auf ihrem eigenen „Territorium“ geraten. Die Situation war gekennzeichnet davon, dass die Hündin zum einen an kurzer Leine und zum anderen im engen Kofferraum war und schließlich die aggressiv bellende Hündin „I.“ bereits drohte, in den Kofferraum zu steigen. Damit befand sich die Hündin „H.“ in einer außerordentlichen Notwehrsituation, aus der sie sich nur mit einem Gegenangriff befreien konnte. In dieser war ausnahmsweise das Beißen der Hündin „I.“ ein offensichtlich artgerechtes Abwehrverhalten. Auch wenn Bellen allein kein Angriff ist, auf den der angebellte Hund mit Beißen reagieren darf (OVG SH, 14.01.2016 – 4 O 56/15, Rn. 2; OVG Berlin-Bdbrg., 03.07.2015 – OVG 5 S 44.14., Rn. 5, Edling, Hunderecht Niedersachsen, 2016, S. 176), rechtfertigen die besonderen Umstände der unausweichlichen Situation hier eine andere Bewertung.

Der Verdacht der Gefährlichkeit der Hündin „H.“ ist damit ausgeräumt, ohne dass es auf die späteren tierärztlichen Untersuchungen, die der Beklagte veranlasst hat, ankäme. Ob diese Grundlage für Maßnahmen der Ordnungsbehörde nach § 17 Abs. 4 Satz 1 NHundG sein können, wird die Ordnungsbehörde in eigener Zuständigkeit prüfen können.

Damit entfällt auch der Rechtsgrund für die Androhung eines Zwangsgeldes.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 1, 711 ZPO.