Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 03.03.2005, Az.: 6 A 955/04
Heranziehung zur Abfallentsorgung; Räumungsanordnung und Entsorgungsanordnung; Bestimmtheit einer Anordnung; Subjektiver Abfallbegriff
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 03.03.2005
- Aktenzeichen
- 6 A 955/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 11348
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2005:0303.6A955.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 27 Abs. 1 KrW-/AbfG
- § 21 Abs. 1 KrW-/AbfG
- § 64 NGefAG
- § 70 NGefAG
- § 3 Abs. 4 KrW-/AbfG
Fundstelle
- IR 2005, 140-141
Verfahrensgegenstand
Abfallentsorgung (Grundstück .............)
Prozessführer
Herr A
Prozessgegner
Landkreis Rotenburg (Wümme),
vertreten durch den Landrat, Kreishaus, 27356 Rotenburg
Redaktioneller Leitsatz
Als Abfall gelten gem. § 3 Abs.1 KrW-/AbfG alle beweglichen Sachen, die unter die in Anhang I aufgeführten Gruppen fallen und deren sich ihr Besitzer entledigen will oder muss. Nach § 3 Abs. 3 Ziff. 2 KrW-/AbfG ist der Wille zur Entledigung im Sinne des Absatzes 1 hinsichtlich solcher beweglicher Sachen anzunehmen, deren ursprüngliche Zweckbestimmung entfällt oder aufgegeben wird, ohne dass ein neuer Verwendungszweck unmittelbar an deren Stelle tritt. Für die Beurteilung der Zweckbestimmung ist gem. Absatz 3 Satz 2 dieser Vorschrift die Auffassung des Erzeugers oder Besitzers unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zu Grunde zu legen. Gem. Absatz 4 dieser Vorschrift muss sich der Besitzer beweglicher Sachen im Sinne des Absatzes 1 entledigen, wenn diese entsprechend ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung nicht mehr verwendet werden. Die Erzeuger oder Besitzer von Abfällen, die nicht verwertet werden, sind nach § 11 Abs. 1 KrW-/AbfG verpflichtet, diese nach den Grundsätzen der gemeinverträglichen Abfallbeseitigung zu beseitigen.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 6. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 3. März 2005
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Gärtner,
den Richter am Verwaltungsgericht Wermes,
die Richterin Reccius sowie
die ehrenamtlichen Richter C. und D.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zur Abfallentsorgung von seinem Grundstück.
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks A. in E.. Dort stellte der Beklagte bei einer Ortsbesichtigung am 27. August 2003 fest, dass auf diesem Grundstück des Klägers zwei alte, abgemeldete und fahruntüchtige VW Käfer in den Farben silber und rot lagerten. Außerdem befanden sich dort Reste eines Miststreuers und eines Wohnanhängers, große Mengen Holz und Eisenreste, landwirtschaftliche Folien und eine Vielzahl leerer Gebinde und Kanister. Die auf dem gesamten Grundstück verstreuten Gegenstände waren teilweise bereits überwachsen. Bei dieser Ortsbesichtigung wurde mit dem Kläger die Räumung und ordnungsgemäße Entsorgung eines Großteils der als Abfall bezeichneten Gegenstände vereinbart.
Der Beklagte gab dem Kläger mit Schreiben vom 28. August 2003 Gelegenheit zur Stellungnahme.
Bei der Nachkontrolle am 15. Oktober 2003 wurde festgestellt, dass der Kläger der Vereinbarung vom 27. August 2003 nicht nachgekommen war.
Mit Bescheid vom 17. Oktober 2003 gab der Beklagte dem Kläger unter Zwangsgeldandrohung mit Fristsetzung die Räumung und ordnungsgemäße Entsorgung der zwei Autowracks der Marke VW-Käfer in den Farben silber und rot, des Miststreuerwracks und des Wohnanhängerwracks auf. Ferner ordnete der Beklagte an, die Abfälle in Form von großen Mengen Eisenschrott, Altholz, alter teilweise zerrissener landwirtschaftlicher Folie, einer Vielzahl alter leerer Gebinde sowie sonstigen Unrats zu räumen und zu entsorgen. Zum Nachweis der ordnungsgemäßen Entsorgung bzw. Verwertung wurde dem Kläger die Vorlage entsprechender Belege auferlegt.
Ausdrücklich wies der Beklagte in seiner Begründung darauf hin, dass eine abschließende Aufzählung nicht möglich sei, da auf dem Grundstück einige Gegenstände nicht sichtbar gewesen seien. Der Kläger habe mit der Lagerung von Abfällen außerhalb einer zugelassenen Abfallentsorgungsanlage gegen § 27 Abs. 1 KrW-/AbfG verstoßen. Die auf dem Grundstück gelagerten Gegenstände erfüllten den subjektiven Abfallbegriff des § 3 KrW-/AbfG. Der Kläger habe durch sein Verhalten zu erkennen gegeben, dass eine weitere Verwendung der Gegenstände nicht beabsichtigt sei. Dies könne anhand objektiver Kriterien ausgeschlossen werden. Durch die bereits langfristige schutzlose Lagerung seien die Gegenstände verrottet und völlig unbrauchbar. Der Zustand der Fahrzeuge lasse darauf schließen, dass der Kläger diese nicht mehr benutzen wolle oder könne, zumal eine Reparatur vollkommen unwirtschaftlich sei. Die ursprüngliche Zweckbestimmung der Gegenstände sei offensichtlich entfallen.
Der Kläger sei sowohl Verursacher der Ablagerung als auch Eigentümer des Grundstücks und somit als Besitzer der Abfälle verpflichtet, diese zu entsorgen.
Dagegen legte der Kläger am 19. November 2003 Widerspruch ein, den er im Wesentlichen damit begründete, dass sich auf seinem Grundstück keine Abfälle i.S.d. § 3 KrW-/AbfG befänden. Insbesondere seien keine schadstoffhaltige Abfälle vorhanden. Der beanstandete silberfarbene VW- Käfer sei bereits einem Verwerter bereitgestellt worden. Die weiteren Materialien würden wieder verwendet. Metalle würden als Ersatzteile genutzt und die Folien setze er mehrfach ein. Die Kanister würden ebenfalls wieder verwendet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2004, zugestellt am 5. Mai 2004, wies die Bezirksregierung Lüneburg den Widerspruch zurück.
Dagegen hat der Kläger mit einem am 4. Juni 2004 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben, mit der er geltend macht, dass die Ordnungsverfügung einen unzulässigen Eingriff in sein Eigentum darstelle. Dieser Eingriff könne nur für den Fall einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt sein. Diese gehe aber vom Grundstück des Klägers nicht aus. Die auf seinem Grundstück gelagerten Gegenstände seien geeignet, in seinem landwirtschaftlichen Betrieb wieder verwendet zu werden. Dies gelte insbesondere für den Miststreuer, die landwirtschaftliche Folie, die Plastikkanister, das Altholz und das Alteisen. Im Übrigen wende er sich dagegen, dass es sich bei den zwei VW-Käfern und dem Wohnanhänger um Abfall handele. Vielmehr seien die gelagerten VW-Käfer "Oldtimer". Aus den beiden Fahrzeugen solle ein funktionsfähiges Fahrzeug hergestellt werden. Auch der alte Wohnanhänger sei ein Sammlerstück und solle aufgearbeitet werden. Der Kläger wolle sich dieser Gegenstände nicht entledigen. Nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz könne dies nur angenommen werden, wenn die Lagerung der Gegenstände eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit darstelle.
Außerdem sei § 21 Abs. 1 KrW-/AbfG als "Anspruchsgrundlage" für die Räumungs- und Entsorgungsanordnung ungeeignet. In jedem Fall wäre nach Auffassung des Klägers nicht er sondern der Beklagte entsorgungspflichtig, da der Kläger "als privater Haushalt und nicht als Gewerbebetrieb" einzuordnen sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 17. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 30. April 2004 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid vom 17. Oktober 2003 sowie auf den Widerspruchsbescheid vom 30. April 2004.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten zu diesem Verfahren und zu dem Verfahren 6 A 957/04 sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid des Beklagten vom 17. Oktober 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 30. April 2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Ermächtigung der zuständigen Behörde zu erforderlichen Anordnungen zur Durchführung des KrW-/AbfG und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergibt sich aus § 21 Abs. 1 KrW-/AbfG.
Nach § 21 Abs. 1 KrW-/AbfG ist die zuständige Behörde, hier gemäß § 6 Abs. 1 NAbfG der Beklagte, befugt, die im Einzelfall zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
Als Abfall gelten gem. § 3 Abs.1 KrW-/AbfG alle beweglichen Sachen, die unter die in Anhang I aufgeführten Gruppen fallen und deren sich ihr Besitzer entledigen will oder entledigen muss. Nach § 3 Abs. 3 Ziff. 2 KrW-/AbfG ist der Wille zur Entledigung im Sinne des Absatzes 1 hinsichtlich solcher beweglicher Sachen anzunehmen, deren ursprüngliche Zweckbestimmung entfällt oder aufgegeben wird, ohne dass ein neuer Verwendungszweck unmittelbar an deren Stelle tritt. Für die Beurteilung der Zweckbestimmung ist gem. Absatz 3 Satz 2 dieser Vorschrift die Auffassung des Erzeugers oder Besitzers unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zu Grunde zu legen. Gem. Absatz 4 dieser Vorschrift muss sich der Besitzer beweglicher Sachen im Sinne des Absatzes 1 entledigen, wenn diese entsprechend ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung nicht mehr verwendet werden. Gem. § 11 Abs. 1 KrW-/AbfG sind Erzeuger oder Besitzer von Abfällen, die nicht verwertet werden, verpflichtet, diese nach den Grundsätzen der gemeinverträglichen Abfallbeseitigung zu beseitigen.
Die Ansicht des Klägers, die Materialien auf seinem Grundstück seien nicht Abfall, sondern würden jeweils weiter verwendet, geht unter den vorliegend gegebenen Umständen fehl. Wie nicht zuletzt die vom Beklagten der mündlichen Verhandlung überreichten Fotos belegen, befinden sich auf dem Grundstück des Klägers große Mengen von Abfall i.S.d. § 3 Abs. 1 KrW-/AbfG.
Der ursprüngliche Zweck der VW-Käfer als Fortbewegungsmittel und des Wohnanhängers als zeitweilige Unterkunftsmöglichkeit ist seit langem entfallen. Die Fahrzeuge sind in ihrem Zustand nicht mehr im Sinne ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung verwendbar. Auch der Miststreuer ist ausweislich der Fotos nicht mehr funktionstüchtig. Ökonomisch betrachtet können diese Gegenstände nicht wieder ihrem ursprünglichem Verwendungszweck zugeführt werden.
Die gesamten Materialien sind offenbar seit längerer Zeit den Einflüssen der Witterung ausgesetzt. Zahlreiche andere in der Verfügung aufgeführte Gegenstände sind defekt bzw. befinden sich in unterschiedlichen Zuständen des Zerfalls. Ein neuer Verwendungszweck der Materialien ist nicht unmittelbar an die Stelle der ursprünglichen Zweckbestimmung getreten. Der Einwand des Klägers, die VW-Käfer seien Oldtimer, reicht dafür nicht aus. Zwar mögen insbesondere VW Käfer nach ihrer Restaurierung einen Sammlerwert als "Oldtimer" besitzen. Dies ändert aber nichts daran, dass es sich bis dahin um Autowracks handelt (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 9. September 2002- 7 LA 36/02 -). An der Unmittelbarkeit eines neuen Verwendungszwecks fehlt es zumindest dann, wenn zur neuen Zweckverwendung eine Behandlung der Sache notwendig ist, die nicht alsbald oder wenigstens in einem überschaubaren Zeitraum eingeleitet wird (vgl. Kunig / Paetow / Versteyl, KrW- /AbfG, § 3 Rn. 43; Beckmann/Kersting, in: Landmann/Rohmer Umweltrecht, Bd. III, § 3 KrW-/AbfG Rn. 55 f.). Das Gleiche gilt für den vom Kläger als Sammlerstück bezeichneten alten Wohnanhänger.
Auf Grund ihres konkreten Zustandes sind die Wracks entgegen der Ansicht des Klägers geeignet, die Umwelt zu gefährden. Von Letzterem ist nämlich regelmäßig zumindest dann auszugehen, wenn abgestellte Altfahrzeuge noch die üblichen Betriebsflüssigkeiten (Motoröl einschließlich Ölfilter, Bremsflüssigkeit, Frostschutzmittel etc.) enthalten und bei ihnen typischerweise die Gefahr des Auslaufens und damit einer möglichen Verunreinigung des Bodens oder des Grundwassers besteht (vgl. VG Bremen, Beschluss vom 22. November 1996, NVwZ 1997, 1031 [VGH Baden-Württemberg 25.11.1996 - 10 S 2185/96] [VG Bremen 22.11.1996 - 2 V 171/96]; VG Osnabrück, Beschluss vom 11. Juli 2002 - 2 B 32/02 -).
Das insoweit bestehende Gefährdungspotenzial kann nur durch eine ordnungsgemäße und schadlose Verwertung oder eine gemeinwohlverträgliche Beseitigung im Sinne des § 3 Abs. 4 KrW-/AbfG ausgeschlossen werden.
Bedenken gegen die hinreichende Bestimmtheit der Anordnung, den auf dem Grundstück des Klägers abgelagerten "sonstigen Unrat" zu entsorgen, bestehen nicht. Angesichts des erheblichen Umfangs der von der Verfügung umfassten Gegenstände erscheint es ausreichend, die Anordnung im Hinblick auf die Entsorgung von Abfällen unter Benennung einer größeren Anzahl von Beispielen zu treffen (vgl. VG Göttingen- 4 B 3/04 - Beschluss vom 28. Januar 2004 - 4 B 3/04 -, zitiert nach juris).
Die Anordnung des Beklagten richtet sich gegen den richtigen Verantwortlichen, da der Kläger als Eigentümer des Grundstücks und Besitzer der Abfälle entsorgungspflichtig ist (§ 2 Abs. 7 der Abfallentsorgungssatzung), denn die Abfälle sind gemäß § 2 Abs. 3 der Abfallentsorgungssatzung des Beklagten vom 18. Dezember 2000 (Abl. LK ROW vom 31. Dezember 2000, S. 191) von der Abfallentsorgung durch den Beklagten ausgeschlossen. Sie unterfallen den in der Anlage 1 zur Abfallentsorgungssatzung aufgeführten Abfällen, die von der Abfallentsorgung durch den Beklagten ausgeschlossen sind.
Das Zwangsgeld ist in einer bestimmten Höhe schriftlich angedroht worden. Dabei hat der Beklagte die Androhung mit dem durchzusetzenden Verwaltungsakt zulässigerweise verbunden. Die Höhe des Zwangsgeldes von 500,- EUR ist nicht zu beanstanden, da Ermessensfehler nicht zu erkennen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird gem. § 72 GKG n.F. i.V.m. § 13 Abs. 1 S. 1 GKG a.F. auf 4.000,00 Euro festgesetzt.
Wermes, Richter
Gärtner Richterin Reccius hat Urlaub und ist daher an der Unterschrift gehindert.