Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 07.12.2015, Az.: 13 A 3503/15

Abschiebung; Drittstaatsfall; Familie; Flüchtlingsanerkennung; Flüchtlingsstatus; Italien; Kind

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
07.12.2015
Aktenzeichen
13 A 3503/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 44863
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldner dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Kläger, eine Familie mit Kindern, wendet sich gegen die angedrohte Rückführung nach Italien und sie begehren die Anerkennung ihrer Flüchtlingseigenschaft.

Bei den Klägern handelt es sich um libanesische Staatsangehörige. Die Kläger haben als Flüchtlinge in Italien dort nach eigenen Angaben einen Aufenthaltstitel erhalten. Der Kläger zu 1.) gab am 08.07.2013 an, in Italien als Flüchtling anerkannt worden zu sein (Beiakte A Bl. 6), die Klägerin zu 2.) gab dies ebenfalls an (Beiakte A Bl. 12). Unter Bl. 251 der Beiakte findet sich ein italienisches Dokument, in denen den Kläger der Flüchtlingsstatus („status di rifugiato“) zuerkannt wurde (Beiakte A Bl. 251).  Ein Bruder des Klägers zu 1.) arbeitet in Mailand als Informatikingenieur.

Der Kläger zu 1.) gab an, er habe gehofft, nachdem sie italienische Aufenthaltstitel erhalten hatten, habe er gedacht, dass sich die Verhältnisse bessern und sie beispielsweise ein Haus bekommen würden. Dem sei aber nicht so gewesen, deshalb seien sie in die Schweiz gereist, wo bereits drei Brüder der Klägers zu 1.) lebten. Man sei aber nicht in der Schweiz geblieben, weil sie im Internet erfahren haben, dass in Deutschland leichter Asyl als in anderen Ländern zu bekommen sei (Beiakte A Bl. 73). Im Frühjahr 2013 sind die dann nach Deutschland gereist.

Im Laufe des Verfahrens vor dem Bundesamt legten die Kläger eine ärztliche Bescheinigung des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. H. vom 15.02.2014 vor, auf die wegen der näheren Einzelheiten verwiesen wird (Beiakte A Bl. 148).

Zunächst lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 10.02.2014 die Asylanträge der der Kläger als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Da aber die Kläger in Italien bereits als Flüchtlinge anerkannt sind und damit eine Überstellung im Rahmen der Dublin-Verordnung nicht in Betracht kam, hob die Beklagte diesen Bescheid wieder auf.

Mit Bescheid vom 22.06.2015, zugestellt am 25.06.2015, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dann erneut die Anträge der Kläger als unzulässig ab, forderte die Kläger zur Ausreise auf und drohte die Abschiebung nach Italien an.

Die Kläger haben am 02.07.2015 Klage erhoben.

Den Klägern drohen bei einer Rückkehr nach Italien erhebliche Gefahren. Insbesondere die Kläger zu 3.) bis 5.) seien aufgrund ihres Alters schutzbedürftig. Die Kläger zitieren eine Reihe von Gerichtsentscheidungen, nach denen eine Abschiebungsanordnung im Rahmen von Dublin-Verfahren nach Italien nicht rechtmäßig sein soll.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 22.06.2015 aufzuheben,

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie tritt der Klage entgegen.

Alle Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Zu Recht wurde ihr Asylantrag als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angedroht. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Feststellung des Flüchtlingsstatus bzw. des subsidiären Schutzstatus oder von Abschiebehindernissen.

Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt, § 77 Abs. 2 AsylVfG. Die Kläger können sich auch nicht auf den Beschluss des BVerwG vom 23.10.2015 - 1 B 41.15 - berufen. Zwar haben die ihren Asylantrag beim Bundesamt vor dem 20.07.2015 gestellt, sie sind aber in Italien als Flüchtlinge anerkannt.

Im Hinblick auf den klägerischen Vortrag wird lediglich ergänzend darauf hingewiesen, dass es sich vorliegend nicht um ein Verfahren nach der Dublin-Verordnung handelt. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sein könnte, ihr Selbsteintrittsrecht wahrzunehmen, spielt in diesem Verfahren keine Rolle. Insofern ist auch die von den Klägern zitierte Rechtsprechung schon nicht einschlägig.

Das Gericht ist davon überzeugt, dass den Klägern in Italien keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 Grundrechtscharta der EU droht. Italien ist Mitglied der Europäischen Union. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. September 2014 - 2 BvR 939/14 -, NVwZ 2014, S. 1511, 2 BvR 732/14 und 2 BvR 1795/14, jeweils juris sowie 2 BvR 991/14) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR <GK>, Tarakhel v. Schweiz, Urteil vom 4. November 2014, Nr. 29217/12, NVwZ 2015, S. 127) muss zwar bei der Abschiebung von Familien mit Kleinstkindern nach Italien zwar vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine konkrete und einzelfallbezogene Zusicherung der italienischen Behörden eingeholt werden, dass die Familie in Italien eine gesicherte Unterkunft für alle Familienmitglieder erhalten werde (BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 27. Mai 2015 – 2 BvR 3024/14, 2 BvR 177/15, 2 BvR 601/15 –, Rn. 4, juris). Der jüngste der Kläger des vorliegenden Verfahrens ist jedoch schon im September 2008 geboren worden. Von „Kleinstkindern“ im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung kann hier keine Rede mehr sein. Da ein Bruder des Klägers zu 1.) in Italien lebt und arbeitet, ist auch zu erwarten, dass die Kläger ggf. falls erforderlich Hilfe aus ihrem familiären Umfeld erhalten.

Anerkannte Asylbewerber bzw. Flüchtlinge wie die Kläger können im Übrigen auch von Hilfsorganisationen (z.B. Caritas, Cir - Consoglio Italiano per i Rifugiati) Unterstützung bekommen.

Schutzsuchende erhalten in Italien mit der Anerkennung ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht und genießen dieselben Rechte und Pflichte wie italienische Staatsangehörige. Sie erhalten kostenfreien Zugang zu medizinischen Leistungen wie Italiener auch. Das bedeutet zwar auch, dass sie sich in eigener Verantwortung eine Wohnung sowie einen Arbeitsplatz suchen müssen. Darin ist jedoch keine unmenschliche Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK zu sehen. Schließlich muss sich auch jeder italienischer Staatsbürger ebenfalls selbst um Wohnung und Arbeitsstelle bemühen.

Wenn die Kläger der Ansicht sind, unrechtmäßig von staatlichen Organen in Italien behandelt zu werden, so können sie sich in Italien an die zuständigen Gerichte wenden und um Rechtsschutz nachsuchen.

Auf die Frage, ob die Kläger mittlerweile in die Verhältnisse in Deutschland integriert sind oder nicht, kommt es in diesem asylrechtlichen Verfahren nicht entscheidend an.

Da die Kläger aus einem sicheren Drittstaat (Italien) eingereist sind, wäre an sich von der Beklagten zwar eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG zu erlassen. Rechtswidrigerweise hat die Beklagte stattdessen aber nur eine Abschiebungsandrohung ausgesprochen. Dies verletzt die Kläger jedoch nicht in ihren Rechten, weil es sich hierbei um ein milderes, als das eigentlich angebrachte Mittel handelt und sich der Fehler nur zugunsten der Kläger auswirkt (a.A. VG Stade, Urteil vom 21. September 2015 – 1 A 791/14 –, Rn. 33, juris).

Soweit die Kläger mit ihrem Hilfsantrag die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung als Asylberechtigte und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (i.d.F. der Bekanntmachung vom 25.2.2008, BGBl. I S. 162, zuletzt geändert durch Art. 128 der Verordnung vom 31.8.2015, BGBl. I S. 1474 - AufenthG) begehren, ist ihre Klage unzulässig. Für den begehrten Verpflichtungsausspruch, ein Verfahren zur Anerkennung der Asylberechtigung und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durchzuführen, fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis (vgl. VG Stade, Urteil vom 21. September 2015 – 1 A 791/14 –, Rn. 24, juris). Denn die Kläger haben in Italien bereits einen entsprechenden Schutzstatus erhalten.

Im Übrigen ist insbesondere im Hinblick auf das vorgelegte ärztliche Attest auch keine erhebliche Gefahr im Sinn des § 60 Abs. 7 AufenthG zu erkennen. Der in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geregelte Abschiebungsschutz gewährleistet nicht, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland geeignet sein müssen, eine bestehende Erkrankung optimal zu versorgen oder gar auszuheilen. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll dem Ausländer nicht eine Heilung von Krankheit unter Einsatz des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland sichern, sondern vor gravierender Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter Leib und Leben bewahren (vgl. statt vieler: Verwaltungsgericht Augsburg, Urteil vom 30. Juli 2008 - AU 7 K07.30299 -, zit. n. jur., Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 18. Juli 2006 - 2 K 2694/06.A - zit. n. jur., m.w.N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.