Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 30.12.2015, Az.: 6 B 6186/15

Antragstellung; Asylantrag; Bundesamt; Entgegennahme; Geschäftsbelastung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
30.12.2015
Aktenzeichen
6 B 6186/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 45195
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

In Anbetracht der Geschäftsbelastung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge besteht gegenwärtig kein Anspruch des bereits registrierten Asylbewerbers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Behörde, seinen formellen Asylantrag innerhalb von 10 Tagen entgegenzunehmen.

Tenor:

Der Antrag wird einschließlich des Prozesskostenhilfeantrages abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist iranischer Staatsangehöriger. Er reiste in die Bundesrepublik Deutschland ein und meldete sich am 29.10.2015 bei der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen in Braunschweig. Dort wurde er als Asylsuchender registriert. Weiterhin wurde ihm eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender ausgestellt. Eine erkennungsdienstliche Behandlung erfolgte nicht. Mit Bescheid der Landesaufnahmebehörde vom 03.11.2015 wurde der Antragsteller gem. §§ 50 Abs. 4-6, 60 AsylG aufgefordert, sich am 09.11.2015 nach A-Stadt, Landkreis C., zu begeben.

Mit Schreiben vom 29.10.2015 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers bei der Antragsgegnerin, einen formellen Asylantrag des Antragstellers innerhalb von drei Wochen nach Zugang des Schreibens entgegenzunehmen und vorher mitzuteilen, an welchem Tag, welchem Ort und welcher Uhrzeit der Asylantrag entgegengenommen wird. Zugleich nahm er Bezug auf den gestellten Asylantrag.

Eine Reaktion durch die Antragsgegnerin erfolgte nicht.

Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 14.11.2015 hat der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er trägt vor, dass bis zum heutigen Tage die Antragsgegnerin dem Antragsteller keinen Termin zur Annahme eines formellen Asylantrages eingeräumt habe.

Der Antragsteller beantragt,

1. der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben,

a) einen formellen Asylantrag des Antragstellers innerhalb von 10 Tagen ab Zustellung anzunehmen, hilfsweise innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist,

b) und innerhalb von fünf Tagen ab Zustellung dem Antragsteller nachweislich zu erklären an welchem Ort und zu welcher Uhrzeit sie den Antrag entgegennimmt und

c) dem Antragsteller innerhalb von 5 Tagen eine Aufenthaltsgestattung auszustellen,

2. dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin beantragt unter Mitteilung des Aktenzeichens ,

den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen, welche zum Gegenstand der Entscheidung gemacht worden sind.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm entsprechende Anordnungsansprüche zur Seite stehen:

Hinsichtlich der Anträge zu 1 a) und 1 b) ist vorab darauf hinzuweisen, dass gem. § 13 AsylG ein (nicht formeller) Asylantrag vorliegt, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm die in § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz bezeichneten Gefahren drohen. Gem. § 14 Abs. 1 AsylG ist der Antrag bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist. Dies vorausgeschickt hat der Antragsteller auch nach eigenem Vorbringen im Schreiben vom 29.10.2015 bereits einen Asylantrag gestellt und wurde sowohl von der Aufnahmebehörde als auch vom Bundesamt - spätestens durch Mitteilung des Aktenzeichens anlässlich der Antragserwiderung - als Asylsuchender auch im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zum gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrensrichtlinie) registriert. Eine erkennungsdienstliche Behandlung und die persönliche Vorsprache sind weder nach nationalem Recht noch nach der o.g. Richtlinie Wirksamkeitsvoraussetzung für das Stellen eines Asylantrages.

Soweit der Antragsteller die Entgegennahme eines formellen Asylantrages begehrt, regelt zwar Art. 6 Abs. 2 der o.g. Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, tatsächlich die Möglichkeit hat, sobald wie möglich diesen förmlich zu stellen. Eine konkrete Frist dafür ist aber nicht genannt. Angesichts der gerichtsbekannten Entwicklung der Asylantragstellerzahlen ist es bei objektiver Betrachtungsweise für die beteiligten Stellen derzeit nicht möglich, innerhalb kürzester Zeit förmliche Anträge aller Antragsteller persönlich entgegenzunehmen. Das Gericht sieht daher derzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die beteiligten Stellen ihrer Obliegenheit, förmliche Anträge „sobald wie möglich“ entgegenzunehmen, nicht nachkommen bzw. nicht nachkommen wollen.

Die Frage, ob sich ein Antragsteller überhaupt auf Art. 6 Abs. 2 der o.g. Richtlinie berufen kann, kann das Gericht daher offenlassen. Unabhängig davon merkt das Gericht insoweit folgendes an: Wenn man davon ausgeht, dass die o.g. Richtlinie unmittelbar anzuwenden ist und dass sich Antragsteller auch auf bestimmte Vorschriften der Richtlinie berufen können, nämlich dann, wenn es sich um inhaltlich unbedingte und hinreichend genaue individualschützende Normen handelt (vgl. VG Hannover, Urteil vom 03.09.2015 - 10 A 3550/15-, juris Rn. 24), spricht viel dafür, dass Art. 6 Abs. 2 der o.g. Richtlinie keine Individualansprüche begründet. Bei Art. 6 Abs. 2 handelt es sich nach dem Wortlaut nicht um eine inhaltlich unbedingte und hinreichend genaue Norm. Weiterhin ergibt sich aus dem Wortlaut auch nicht, dass diese Norm individualschützend ausgestaltet ist. Es fehlt im Gegensatz zu den Regelungen der Art. 7 Abs. 1, 46 Abs.1 28 Abs. 2, 12 i.V.m. 46 Abs. 1 der o.g. Richtlinie an einer entsprechenden Wortwahl, die den individualschützenden Charakter der Norm zum Ausdruck bringt. („das Recht hat“ - Art. 7 Abs. 1, Art. 46 Abs. 1, „berechtigt ist“ - Art. 28 Abs. 2 -, „Garantien für die Antragsteller“ - Art. 12 i.V.m. Art 46 Abs.1).

Hinsichtlich des Antrages zu 1 c) hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin passiv legitimiert ist. Zuständig für die Ausstellung einer Aufenthaltsgestattung ist nach der Zuweisung des Antragstellers nach A-Stadt nicht die Antragsgegnerin sondern seit dem 09.11.2015 der Landkreis C. als örtlich zuständige Ausländerbehörde (§ 63 Abs. 3 Satz 2 AsylG).

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil der Antragsteller trotz Aufforderung des Gerichts die Erklärung über seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen nicht bei Gericht eingereicht hat.