Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 12.12.2001, Az.: 2 B 2321/01
eheähnliche Lebensgemeinschaft
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 12.12.2001
- Aktenzeichen
- 2 B 2321/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 39854
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 122 S 1 BSHG
- Art 6 Abs 1 GG
- § 123 Abs 1 VwGO
- § 2 Abs 1 BSHG
- § 11 Abs 1 S 2 BSHG
Gründe
Die Anträge,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Bescheid der Stadt E. vom 01.10.2001 aufzuheben und der Antragstellerin die bisher geleisteten Regelsatzleistungen ab 01.10.2001 wieder zu gewähren,
sowie ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin R. zu bewilligen,
bleiben ohne Erfolg.
Soweit die Antragstellerin beantragt, im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung den Bescheid der Stadt E. vom 01.10.2001 aufzuheben, ist der Antrag nicht statthaft. Denn die Verwaltungsgerichtsordnung sieht die Aufhebung eines Bescheides nur im Urteilsverfahren vor (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO).
Im Übrigen hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch im Sinne von § 123 Abs. 1 VwGO auf Weiterbewilligung der eingestellten Sozialhilfeleistungen, also das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nicht glaubhaft gemacht. Gemäß § 2 Abs. 1 BSHG erhält Sozialhilfe u.a. derjenige nicht, der die erforderliche Hilfe von anderen erhält. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG sind bei nicht getrennt lebenden Ehegatten bei der Berechnung eines Hilfeanspruchs das Einkommen und Vermögen beider Ehegatten zu berücksichtigen. Um dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Gebot des besonderen Schutzes der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) Rechnung zu tragen, sieht § 122 S. 1 BSHG vor, das Personen, die in eheähnlicher Gemeinschaft leben, hinsichtlich der Voraussetzungen und des Umfangs der Sozialhilfe nicht besser gestellt werden dürfen als Ehegatten. Deshalb ist die § 11 Abs. 1 BSHG getroffene Regelung auch für nicht verheiratete Lebenspartner, die in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben, anzuwenden. Hilfe zum Lebensunterhalt ist demnach zu versagen, wenn das Einkommen des einen Partners der eheähnlichen Gemeinschaft geeignet ist, die Hilfebedürftigkeit des anderen zu beseitigen. Der Sozialhilfeträger hat in solchen Fällen im ersten Schritt zunächst festzustellen, ob der Hilfesuchende mit einer Person anderen Geschlechts in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt. Kann diese Feststellung getroffen werden, hat er in einem zweiten Schritt aufzuklären, ob das Einkommen und Vermögen beider Lebenspartner ausreicht, deren sozialhilferechtlich notwendigen Lebensunterhalt sicherzustellen. Nur wenn dies der Fall sein sollte, führt die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft dann - im dritten Schritt - zur Versagung der Sozialhilfe.
Der Antragstellerin ist es nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass sie nicht mit Herrn B. in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt.
Eine eheähnliche Gemeinschaft ist anzunehmen, wenn eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft, die über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht, vorliegt und sie sich - im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft - durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 -, BVerfGE 87, 234 ff; BVerwG, Urt. v. 17.05.1995, a.a.O.; Nds. OVG, Urt. v. 11.12.1995 - 12 L 3404/94 -; Urt. v. 24.04.1997 - 12 L 5976/96 -; Beschl. v. 23.01.1996 - 12 M 238/96 -; Beschl. v. 26.01.1998 - 12 M 345/98 -). An das Bestehen und den Nachweis einer eheähnlichen Gemeinschaft sind - gegenüber der "früheren" Rechtsprechung, nach der das Vorliegen einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft ausreichend war - erhöhte Anforderungen zu stellen. Es muss daher aus den erkennbaren äußeren und inneren Umständen auf die Intensität einer persönlichen Beziehung und eine hieraus folgende "Unterstützungsbereitschaft" geschlossen werden können. Ob sich das Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft bereits zu einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft verdichtet hat und die Bindungen der Partner einer Wohngemeinschaft in der streitgegenständlichen Zeit bereits so eng sind, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann, und die Bindung auf Dauer angelegt ist, bedarf einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalles (Nds. OVG, Beschl. v. 26.01.1998 - 12 M 345/98 -; BVerwG, Urteil vom 17.05.1995 - 5 C 16.93 -, NJW 1995, 2802). Die Beweislast für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft liegt zwar beim Sozialhilfeträger. Im Verfahren nach § 123 VwGO muss ein Antragsteller allerdings das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen seines Hilfeanspruchs glaubhaft machen. Er muss deshalb die vom Sozialhilfeträger angeführten Tatsachen und Indizien, die für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft sprechen, durch nachvollziehbares und glaubhaftes Vorbringen entkräften. Dies ist der Antragstellerin nicht gelungen.
Die vom Antragsgegner zusammengetragenen Indizien sprechen dafür, dass die Antragstellerin und Herr B. in der selben Wohnung im weg in E. leben. Zwar ist Herr B. beim Einwohnermeldeamt der Stadt E. unter der Anschrift seiner Eltern in der Sstraße in E. gemeldet. Seine gesamte Post lässt er sich aber in den weg zustellen. Die hierfür abgegebene Erklärung, die in S. wohnenden Familienangehörigen seien tagsüber berufsbedingt abwesend und deshalb nicht in der Lage, Pakete oder auch Briefe anzunehmen, hat sich als unzutreffend herausgestellt. Bei einem Hausbesuch durch Mitarbeiter des Antragsgegners wurde zumindest Frau R., die Mutter der Stiefmutter von Herrn B., die ebenfalls in der Sstraße lebt, tagsüber dort angetroffen. Von Frau R. haben die Mitarbeiter des Antragsgegners zudem die Auskunft erhalten, dass Herr B., der als Speditionsfahrer in der Woche unterwegs sei, an den Wochenenden sich bei der Antragstellerin in der straße aufhalte. Es gibt aber auch noch weitere Indizien, die dafür sprechen, dass Herr B. tatsächlich bei der Antragstellerin in der straße und nicht in E. wohnt. So ist dessen Name nicht nur an dem Briefkasten in der straße , sondern auch an dem Klingelschild angebracht. Ferner hat Herr B. in dem Haus straße einen Tiefgaragenplatz für seinen Pkw gemietet. Darüber hinaus ist das Telefon der Antragstellerin auf den Namen von Herrn B. angemeldet und die Telefongebühren werden von dessen Konto abgebucht. Mitarbeiter des Antragsgegners haben beobachtet, dass Herr B. seinen LKW regelmäßig in der Nähe der Wohnung der Antragstellerin parkt. Nach alledem ist davon auszugehen, dass zwischen der Antragstellerin und Herrn B. auf jeden Fall eine Wohngemeinschaft besteht.
Allerdings ist deren Gemeinschaft nicht hierauf beschränkt. Vielmehr bestehen zwischen ihnen so enge Bindungen, dass von einer eheähnlichen Gemeinschaft im Rechtssinne auszugehen ist. Hierfür spricht, dass die Antragstellerin und Herr B. seit ca. fünf Jahren eng befreundet sind. Sie verbringen ihre Freizeit gemeinsam und unternehmen dann auch etwas mit den Kindern der Antragstellerin. Am Wochenende erledigen sie mit dem Auto von Herrn B. gemeinsam den Wochenendeinkauf. Herr B. übernachtet auch in der Wohnung der Antragstellerin. Zwar behauptet die Antragstellerin, dass sie dennoch keine intime Beziehung zu Herrn B. habe. Dies ist unter Berücksichtigung der gesamten Lebensumstände der Antragstellerin und nach allgemeiner Lebenserfahrung aber unglaubhaft. Im Übrigen ist eine geschlechtliche Beziehung der Betroffenen auch keine Voraussetzung für das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Liegt sie vor, ist sie aber als gewichtiges Indiz für das Bestehen einer solchen zu werten. Hinzu kommt, dass Herr B. der Antragstellerin die Verfügungsmacht über sein Konto eingeräumt hat. Dies ist ebenfalls ein starkes Indiz für das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Herr B. hat selbst eingeräumt, dass von seinem Konto auch schon Überweisungen für die Antragstellerin erfolgt seien, die ihm angeblich erstattet worden seien. Darüber hinaus hat es bereits im Jahr 2000 Hinweise darauf gegeben, dass die Antragstellerin und Herr B. in eheähnlicher Gemeinschaft leben. So erhielt das Sozialamt der Stadt E. aus dem Familienkreis der Antragstellerin die Information, dass die Antragstellerin und Herr B. gemeinsam an Familienfeiern teilgenommen hätten und dort als Paar aufgetreten seien. Ende 2000 soll zudem davon die Rede gewesen sein, dass die Antragstellerin und Herr B. sich verloben wollten.
Hat nach alledem die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner zu Unrecht von einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen ihr und Herrn B. ausgegangen ist, kann ihr Rechtsschutzantrag nur dann Erfolg haben, wenn sie glaubhaft macht, dass das Einkommen und Vermögen des Herrn B. nicht ausreicht, daraus die notwendigen Leistungen zum Lebensunterhalt auch für sie zu bestreiten. Auch diese Glaubhaftmachung ist der Antragstellerin nicht gelungen. Sie hat sich darauf beschränkt, vorzutragen, sie würde von Herrn B. nicht unterstützt werden. Damit kann sie aus Rechtsgründen in Anwendung der §§ 11, 122 BSHG aber nicht gehört werden.
Der Kammer (und auch dem Antragsgegner) ist das Einkommen von Herrn B. nicht bekannt, so dass eine gemeinsame Bedarfsberechnung derzeit nicht vorgenommen werden kann. Die Antragstellerin ist aber im Verwaltungsverfahren darauf hingewiesen worden, dass sie gemeinsam mit Herrn B. einen Antrag auf Sozialhilfe stellen kann, wenn sie ihren Anspruch auf Sozialhilfe weiter verfolgen will. Dies ist bisher nicht geschehen. Damit bleibt aber die tatsächliche Bedürftigkeit der in eheähnlicher Lebensgemeinschaft lebenden Antragstellerin derzeit unaufgeklärt, was im einstweiligen Anordnungsverfahren zu ihren Lasten geht.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO.
Prozesskostenhilfe wird der Antragstellerin nicht bewilligt, weil ihre Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine Erfolgsaussicht hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).