Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 07.01.2015, Az.: 1 Ss 64/14

Garantenstellung aus § 60 Abs. 1 SGB I durch Mitwirkungspflichten des zur Erstattung Verpflichteten

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
07.01.2015
Aktenzeichen
1 Ss 64/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 10643
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2015:0107.1SS64.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Wolfsburg - 08.07.2014

Fundstellen

  • ErbBstg 2015, 92-93
  • NStZ 2015, 520-522
  • NStZ-RR 2015, 6
  • PStR 2015, 120-121
  • ZAP EN-Nr. 249/2015

Amtlicher Leitsatz

Die Mitwirkungspflicht des Erstattungspflichtigen nach § 60 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 SGB I ist geeignet, eine Garantenstellung zum Schutz der Vermögensinteressen des Sozialleistungsträgers zu begründen. Die Garantenpflicht knüpft an den materiell-rechtlichen Erstattungsanspruch an (Anschluss: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.03.2012, III 3 RVs 31/12, juris = NZWiSt 2012, 351, 352) und fordert darüber hinaus nicht die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens zur Rückgewähr der Leistungen.

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Wolfsburg vom 8. Juli 2014 aufgehoben.

Die Feststellungen zum Schuldspruch werden indes aufrechterhalten.

Im Übrigen wird das Rechtsmittel als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Wolfsburg zurückverwiesen.

Gründe

I.

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht Wolfsburg den Angeklagten wegen Betruges durch Unterlassen (§§ 263 Abs. 1, 13 StGB) mit einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten belegt. Das Gericht hat die Strafe dem Strafrahmen des § 263 Abs. 3 StGB entnommen und ihre Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

Nach den Urteilsfeststellungen bezog die "wohl im November 2011" verstorbene Mutter des Angeklagten, L. H., Pflegegeld und Rente. Der Angeklagte beschloss angesichts seiner eigenen "desaströsen" Vermögensverhältnisse, den Tod seiner Mutter zu verschweigen, um diese Zahlungen weiterhin zu erhalten. Er offenbarte deshalb den Tod gegenüber den Sozialleistungsträgern nicht und vergrub den Leichnam in einem Waldstück. Die Deutsche BKK zahlte - so die weiteren Feststellungen - von November 2011 bis Mai 2013 insgesamt 7.910,- € Pflegegeld aus. Außerdem leistete die Deutschen Rentenversicherung - nach den Urteilsgründen für den Zeitraum von November 2011 bis 30. November 2013 - Witwenrente in Höhe von 8.996,60 € sowie eine Versichertenrente in Höhe von 2.410,- €.

Die Zahlungen von insgesamt 19.316,60 € erfolgten jeweils auf das ehemalige Konto der Verstorbenen. Der Angeklagte hob den Betrag nach den Feststellungen "peu à peu" vom Konto ab und verbrauchte das Geld für seinen Lebensunterhalt. Ob er zum Zeitpunkt der Abhebungen verfügungsberechtigt war, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Ebenso ist nicht festgestellt, wann die Abhebungen erfolgten und welche Beträge der Angeklagte im Einzelnen abgehoben hat. Ferner ergibt sich aus dem Urteil nicht, ob der Angeklagte Erbe ist. Dem Angeklagten war nach den Urteilsgründen allerdings bewusst, dass die Leistungen für seine verstorbene Mutter bestimmt waren und nicht erbracht worden wären, wenn er die Sozialleistungsträger zuvor über deren Tod in Kenntnis gesetzt hätte. Er ging auch davon aus, dass er die Sozialversicherungsträger hätte informieren müssen. Ihm war lediglich unbekannt, an welche Stelle er sich konkret hätte wenden müssen.

Das Amtsgericht meint, die für die Verurteilung wegen Betruges durch Unterlassen erforderliche Garantenpflicht folge aus § 60 Abs. 1 S. 2 i. V. m. S. 1 SGB I. Der Angeklagte sei gemäß § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI zur Erstattung der von ihm zu Unrecht vereinnahmten Sozialleistungen verpflichtet gewesen.

Der Angeklagte hat gegen das Urteil vom 8. Juli 2014 am 15. Juli 2014 Revision eingelegt. Nach Zustellung der Urteilsgründe (am 21. Juli 2014) hat er das Rechtsmittel mit einem am 15. August 2014 eingegangenen Schriftsatz begründet. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts: Für eine Verurteilung wegen Betruges durch Unterlassen fehle die erforderliche Garantenpflicht. Sie folge insbesondere nicht aus § 60 Abs. 1 S. 2 i. V. m. S. 1 SGB I. Denn das materiell-rechtliche Bestehen eines Erstattungsanspruchs genüge nicht, um eine Mitwirkungspflicht zu begründen. Das Amtsgericht habe im Übrigen die Milderungsmöglichkeit der §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB nicht erörtert. Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und ihn freizusprechen.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt wie erkannt.

II.

Die Revision ist als Sprungrevision statthaft (§ 335 StPO) und auch sonst zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil die Feststellungen des Amtsgerichts die Verurteilung nicht tragen. Ein Freispruch, wie ihn der Angeklagte beantragt, kommt demgegenüber nicht in Betracht. Denn eine Verurteilung wegen Betruges durch Unterlassen (§§ 263, 13 StGB) scheitert nicht aus Rechtsgründen, sondern allein an den lückenhaften tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts, zu deren Ergänzung das Amtsgericht nunmehr Gelegenheit hat. Im Einzelnen:

1. Die erforderliche Garantenstellung und die darauf beruhende Mitteilungspflicht des Angeklagten kann - vorbehaltlich ergänzender Feststellungen - aus § 60 Abs. 1 SGB I hergeleitet werden. Diese Vorschrift umschreibt die allgemeinen sozialrechtlichen Mitwirkungspflichten und ist generell geeignet, eine Garantenstellung zugunsten der Vermögensinteressen von Sozialleistungsträgern zu begründen (Fischer, StGB, 62. Aufl., § 13 Rn. 28, § 263 Rn. 40 b; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 263 Rn. 21; Hefendehl in Münchner Kommentar, StGB, § 263 Rn. 179; Tiedemann in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 263 Rn. 57; a.A.: Bringewat, Sozialrechtliche Mitwirkungs"pflichten" und Sozial(leistungs)betrug, NStZ 2011, 131 ff.). § 60 Abs. 1 SGB I ist als Norm des Allgemeinen Teils (dazu: OLG München, Urteil vom 31.10.2007, 4 StR 159/07, juris, Rn. 10; Hefendehl in Münchner Kommentar, StGB, 2. Aufl., § 263 Rn. 179) für die vorliegenden Erstattungsfälle (Rente und Pflegegeld) auch einschlägig.

2. Die Voraussetzungen von § 60 Abs. 1 S. 1 SGB I, wonach derjenige Änderungen in den leistungserheblichen Umständen unverzüglich mitzuteilen hat, der Leistungen beantragt oder erhält, sind allerdings nicht gegeben, weil die Leistungen ursprünglich von der verstorbenen Mutter des Angeklagten beantragt wurden, die sie bis zu ihrem Tod erhielt. Die Mitwirkungspflicht des § 60 Abs. 1 S. 1 SGB I bezieht sich allein auf den Beteiligten des Sozialrechtsverhältnisses, hier die verstorbene Mutter, nicht auf denjenigen, der die Leistungen nach dem Tod faktisch bekommt (Floeth, NZS 2013, 189 m.w.N.; a.A. Zehetgruber in seiner Anmerkung zum nachfolgend zitierten Beschlusses des Kammergerichts, NZWiSt 2014, 67, 68).

3. Vorliegend kommt aber, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, § 60 Abs. 1 S. 2 SGB I in Betracht, um die Garantenpflicht des Angeklagten zu begründen. Nach dieser Vorschrift ist mitwirkungspflichtig, wer Leistungen zu erstatten hat. Die Mitteilungspflicht des § 60 Abs. 1 S. 2 SGB I knüpft dabei an den materiell-rechtlichen Erstattungsanspruch an (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.03.2012, III 3 RVs 31/12, juris, Rn. 13 = NZWiSt 2012, 351, 352; OLG Köln, Beschluss vom 25.04.2003, Ss 57/03, juris, Rn. 2; Floeth, NZS 2013, 188, 189; Zehetgruber, NZWiSt 2014, 67, 68 ff.). Sie setzt darüber hinaus nicht die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens zur Rückgewähr der Leistungen voraus, wie das teilweise (KG, Beschluss vom 27.07.2012, 3 Ws 381/12 = NZS 2013, 186, 187 f. Rn. 4; OLG Hamburg, Beschluss vom 11.11.2003, 1 Ss 150/03, juris, Rn. 16; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 263 Rn. 21; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 263 Rn. 40 c; Hefendehl in Münchner Kommentar, StGB, 2. Aufl. § 263 Rn. 181) gefordert wird. Der Wortlaut des § 60 Abs. 1 S. 2 SGB I, der die entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 1 S. 1 SGB I anordnet, deutet im Gegensatz zur Ansicht des Kammergerichts (KG, Beschluss vom 27.07.2012, 3 Ws 381/12 = NZS 2013, 186, 187 f. Rn. 5) und des Oberlandesgerichts Hamburg (OLG Hamburg, Beschluss vom 11.11.2003, 1 Ss 150/03, juris, Rn. 19) nicht auf das Erfordernis eines bereits laufenden Erstattungsverfahrens. Vielmehr wird durch § 60 Abs. 1 S. 2 SGB I derjenige, der Leistungen zu erstatten hat, in Bezug auf die Mitwirkungspflicht demjenigen gleichgestellt, der Leistungen im Sinne des Satzes 1 beantragt oder erhält (vgl. Zehetgruber, NZWiSt 2014, 67, 69: "drei Modalitäten des § 60 Abs. 1 SGB I"). Nur diese Auslegung entspricht auch dem Zweck der Mitwirkungspflicht. Eine Mitwirkungspflicht, die erst dann eingreift, wenn die Behörde schon ein Verfahren eingeleitet und deshalb bereits Kenntnis hat, verfehlt ihren Zweck (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.03.2012, III 3 RVs 31/12, juris, Rn. 13 = NZWiSt 2012, 351, 352; Zehetgruber, NZWiSt 2014, 67, 68; Floeth, NZS 2013, 188, 189 [KG Berlin 27.07.2012 - 3 Ws 381/12; 141 AR 303/12]). Hätte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 S. 2 SGB I auf Fälle begrenzen wollen, in denen bereits ein Verfahren auf Feststellung der materiellen Erstattungspflicht eingeleitet ist, hätte es nahe gelegen, dies im Gesetz zum Ausdruck zu bringen (so zutreffend: Floeth, NZS 2013, 188, 189 f. [KG Berlin 27.07.2012 - 3 Ws 381/12; 141 AR 303/12]).

Der weitere Hinweis der Gegenauffassung (KG, Beschluss vom 27.07.2012, 3 Ws 381/12 = NZS 2013, 186, 187 f. [KG Berlin 27.07.2012 - 3 Ws 381/12; 141 AR 303/12] Rn. 9), es bestünde kein sachliches Bedürfnis für die Mitwirkung des Erstattungspflichtigen, weil sich der Sozialversicherungsträger im Rahmen des geltenden Untersuchungsgrundsatzes (§ 20 SGB X) ohnehin - bei der Überzahlung von Rente beispielsweise durch die Auswertung von Sterbefallmitteilungen (§ 101 a SGB X) - die erforderlichen Informationen verschaffen könnte, wird gerade durch den vorliegenden Fall widerlegt, der die Notwendigkeit der Mitwirkungpflicht aufzeigt. Es gibt zudem keinen Rechtssatz, der dazu führen würde, dass eine Mitwirkungspflicht wegen einer anderweitigen Aufklärungsmöglichkeit entfällt (Floeth, NZS 2013, 188, 190 [KG Berlin 27.07.2012 - 3 Ws 381/12; 141 AR 303/12]). Vielmehr besteht die sozialrechtliche Mitwirkungspflicht neben der Amtsaufklärungspflicht der Behörde, ist deshalb von dieser zu unterscheiden und dient gerade dazu, dem Sozialversicherungsträger die Aufklärung zu erleichtern oder gar zu ermöglichen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.03.2012, III 3 RVs 31/12, juris, Rn. 13 = NZWiSt 2012, 351, 352).

Wenn schließlich eingewandt wird, dass der Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers lediglich zivilrechtliche Relevanz habe und deshalb keine Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB I bestünde (Hefendehl in Münchner Kommentar, StGB, 2. Aufl. § 263 Rn. 187), trifft auch das nicht zu. Der Anspruch auf Erstattung der Rente aus § 118 Abs. 4 SGB VI ist öffentlich-rechtlicher Natur (dazu: Pflüger in jurisPK SGB VI, 2. Aufl., § 118 Rn. 133) und dies gilt ebenso für den Erstattungsanspruch hinsichtlich des Pflegegeldes, der (dazu Ziffer 5) auf § 50 Abs. 2 S. 1 SGB X beruht.

4. Ein materiell-rechtlicher Erstattungsanspruch für die nach dem Tod der L. H. ohne Rechtsgrund (dazu: § 102 Abs. 5 SGB VI) geleisteten Rentenzahlungen folgt indes nicht aus § 118 Abs. 4 S. 1 Var. 1 SGB VI, weil dessen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Der Angeklagte wäre selbst dann nicht "unmittelbarer Empfänger" der Leistung im Sinne dieser Vorschrift, wenn er, was nicht festgestellt ist, Erbe wäre; dafür müsste er das Geld entweder bar empfangen haben oder es müsste ihm auf sein eigenes Konto überwiesen worden sein (vgl. BSG, Urteil vom 10.07.2012, B 13 R 105/11, juris, Rn. 25, 28; Pflüger in jurisPK SGB VI, 2. Aufl., § 118 Rn. 144).

Die Feststellungen genügen aktuell auch nicht, um einen Erstattungsanspruch gegen den Angeklagten als Verfügenden nach § 118 Abs. 4 S. 1 Var. 2 SGB VI (dazu: BSG, Urteil vom 10.07.2012, B 13 R 105/11, juris, Rn. 29; Pflüger in jurisPK SGB VI, 2. Aufl., § 118 Rn. 146) anzunehmen, wovon das Amtsgericht offenbar ausgeht. Der Anspruch gemäß § 118 Abs. 4 S. 1 Var. 2 SGB VI entsteht zwar kraft Gesetzes (BSG, Urteil vom 07.09.2006, B 4 RA 43/05 R, juris, Rn. 68 für § 118 SGB VI). Die Vorschrift verlangt aber, dass ein Verfügungsberechtigter gehandelt hat, was sich den Feststellungen nicht entnehmen lässt. Zudem ist nicht festgestellt, dass die Mutter des Angeklagten im (gesamten) Tatzeitraum bereits verstorben war. Aus dem Urteil ergibt sich nur, dass L. H. "wohl" im November 2011 verstorben sei.

Ferner fehlen für den Erstattungsanspruch nach § 118 Abs. 4 S. 1 Var. 2 SGB VI Ausführungen dazu, wann die einzelnen, "peu a peu" vorgenommenen Abhebungen konkret erfolgten und welche Beträge der Angeklagte im Einzelnen abgehoben hat. Zumindest die Feststellung der ersten Kontoverfügung des Angeklagten wäre notwendig gewesen, weil die materielle Erstattungspflicht bei § 118 Abs.4 S. 1 Var. 2 SGB SGB VI hieran anknüpft, die Mitwirkungspflicht des § 60 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 SGB I deshalb erst mit der Kontoverfügung entsteht, und somit nur solche Auszahlungen des Sozialversicherungsträgers unter den Betrugstatbestand fallen können, zu denen es bei rechtzeitiger Erfüllung der Mitwirkungspflicht nicht mehr gekommen wäre. Dadurch wird sich der für den Straftatbestand des Betruges relevante Schaden zwangsläufig reduzieren. Theoretisch ist es sogar denkbar, dass sämtliche verfahrensgegenständlichen Zahlungen zwar "peu a peu", aber doch nach der letzten Auszahlung des Sozialversicherungsträgers erfolgten. Dann wären die Verletzung der Mitteilungspflicht und der darauf beruhende Irrtum nicht mehr kausal für eine Vermögensverfügung (Auszahlung) des Sozialleistungsträgers geworden.

Alternativ könnte die für § 263 Abs. 1 StGB erforderliche Verfügungsverfügung zwar auch in einem weiteren Unterlassen, nämlich der auf dem Unterlassen der Mitwirkung beruhenden Nichtgeltendmachung des sozialrechtlichen Erstattungsanspruchs durch den zuständigen Sachbearbeiter, erblickt werden. Dann wären indes zum Nachweis eines Vermögensschadens Feststellungen erforderlich gewesen, ob und ggf. in welchem Umfang ein solcher Erstattungsanspruch trotz der nach den Urteilsfeststellungen desaströsen Vermögensverhältnisse des Angeklagten werthaltig gewesen wäre, woran es wiederum fehlt.

5. Soweit es das Pflegegeld betrifft, genügen die Urteilsfeststellungen ebenfalls nicht, um eine Verurteilung hierauf zu stützen. Zunächst ist § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI im Gegensatz zur Auffassung des Amtsgerichts für das Pflegegeld nicht einschlägig, weil die Vorschrift allein die Rückforderung von Rentenleistungen betrifft. Der Erstattungsanspruch hinsichtlich des überzahlten Pflegegeldes gründet sich vielmehr auf § 50 Abs. 2 S. 1 SGB X. Diese Vorschrift erfasst Leistungen ohne Verwaltungsakt und greift hier ein, obwohl das Pflegegeld ursprünglich auf der Grundlage eines Verwaltungsaktes gezahlt wurde. Denn der Verwaltungsakt hat sich durch den Tod der Mutter i.S.d. § 39 Abs. 2 SGB X erledigt, so dass es keiner Aufhebung desselben mehr bedurfte (BSG, Urteil vom 18.03.1999, B 14 KG 6/97, juris, Rn. 16 ff.; BVerwG, Urteil vom 22.11.2001, 5 C 10/00, juris, Rn. 8 ff., Rn. 10; Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Bd.3, § 50 Rn. 20). Eine Überzahlung liegt vor, weil die Mitgliedschaft in der Pflegekasse kraft Gesetzes mit dem Tod des Berechtigten endet (§ 49 SGB XI) und dies das Erlöschen des Leistungsanspruchs zur Konsequenz hat (§ 35 SGB XI).

Der Angeklagte kommt auch grundsätzlich als Schuldner des Erstattungsanspruchs in Betracht. Das setzt jedoch voraus, dass das Pflegegeld an ihn i.S.d. § 50 Abs. 2 S. 1 SGB X erbracht wurde. Dazu reichen die bisherigen Feststellungen nicht aus, weil der Erbe im Todesfall der Schuldner (= beteiligter Dritter) der Verbindlichkeit aus § 50 Abs. 2 S. 1 SGB X ist (Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Bd.3, § 50 Rn. 20), sich die Erbenstellung des Angeklagten aus dem Urteil aber nicht ergibt.

6. Die Rechtsfolgenentscheidung weist schließlich weitere durchgreifende Rechtsfehler auf: So hat das Amtsgericht ausweislich der Feststellungen jeweils den vermuteten ("wohl") Todesmonat November 2011 einbezogen, obgleich dieser Monat bei der Schadensberechnung wegen der Regelungen in § 102 Abs. V SGB VI (Rentenversicherung) und § 37 Abs. 2 S. 2 SGB XI (Pflegegeld) außer Betracht bleibt.

Ferner ist das Gericht vom Regelstrafrahmen des § 263 Abs. 3 StGB ausgegangen, ohne die gebotene Gesamtabwägung vorzunehmen, ob ein besonders schwerer Fall vorliegt (dazu: BGH, Beschluss vom 11.12.2008, 5 StR 536/08, juris, Rn. 13; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 263 Rn. 227). Des Weiteren enthält das Urteil keine Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Strafrahmen des § 263 Abs. 3 StGB wegen des Unterlassens nach §§ 49 Abs.1, 13 Abs. 2 StGB zu mildern ist (vgl. zur Milderung von Regelstrafrahmen für besonders schwere Fälle: Stree/Kinzig, in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 50 Rn. 7).

III.

Wegen der dargelegten Rechtsfehler ist das Urteil im tenoriertem Umfang gemäß § 353 StPO aufzuheben. Die Sache ist im Umfang der Aufhebung gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.

Die Abweichung der Senatsentscheidung von jener des Oberlandesgerichts Hamburg (Beschluss vom 11.11.2003, 1 Ss 150/03) zwingt im Rahmen der Sprungrevision nicht zur Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 121 GVG (zur Divergenzvorlage in solchen Fällen: BGH St 35, 14, 16). Denn die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg betrifft, wovon offenbar auch das Oberlandesgericht Düsseldorf (Beschluss vom 01.03.2012, III 3 RVs 31/12), das ebenfalls nicht vorgelegt hat, ausgegangen ist, den Betrug im Zusammenhang mit Leistungen nach dem SGB III (Arbeitslosengeld). Hier geht es aber um Leistungen nach dem SGB VI (Rente) und dem SGB XI (Pflegegeld). Der abweichende Beschluss des Kammergerichts (Beschluss vom 27.07.2012, 3 Ws 381/12) löst die Vorlagepflicht ohnehin nicht aus, weil jene Entscheidung eine sofortige Beschwerde nach § 210 Abs. 2 StPO betraf und deshalb keine Veranlassung zur Vorlage gibt (vgl. Hannich in Karlsruher Kommentar,7. Aufl., § 121 GVG Rn. 19).

Weil der äußere und innere Sachverhalt, soweit es den Schuldspruch betrifft, rechtsfehlerfrei festgestellt wurde und ein Widerspruch mit den gebotenen, ergänzenden Feststellungen nicht zu befürchten ist, werden diese Feststellungen aufrechterhalten.

IV.

Eine Kostenentscheidung ist derzeit nicht veranlasst, da der endgültige Ausgang des Verfahrens noch offen ist.

V.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Sollte der Angeklagte Erbe und damit wegen des überzahlten Pflegegeldes Schuldner des Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs. 2 S. 1 SGB X sein, wäre dieser schon mit der Überzahlung materiell-rechtlich entstanden und würde deshalb schon in diesem Zeitpunkt eine Garantenpflicht des Angeklagten begründen. Für die materiell-rechtliche Entstehung des Anspruchs ist trotz des Verweises in § 50 Abs. 2 S. 2 SGB X auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X (Sollvorschrift) keine konstitutive Entscheidung der Verwaltungsbehörde erforderlich. Denn die materiell-rechtliche Entstehung des Anspruchs ist von der verfahrensrechtlichen Entscheidung zur Geltendmachung zu unterscheiden (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.03.2014, L 9 AS 969/12, juris, Rn. 38).

Bei Annahme einer Erbenstellung des Angeklagten könnte der für die Garantenpflicht erforderliche materiell-rechtliche Erstattungsanspruch hinsichtlich der überzahlten Rente gleichfalls auf § 50 Abs. 2 S. 1 SGB X (anwendbar gemäß § 118 Abs. 4 S. 4 SGB VI) gestützt werden. Unabhängig von dem Verhältnis dieser Vorschrift zu § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI (dazu: BSG, Urteil vom 10.07.2012, B 13 R 105/11, juris, Rn. 38; Pflüger in jurisPK SGB VI, 2. Aufl., § 118 Rn. 164), bestünde jedenfalls auch im Rahmen des Anspruchs aus §§ 50 Abs. 2 S. 1 SGB X, 118 Abs. 4 S. 4 SGB VI eine Mitwirkungspflicht des Erben nach § 60 Abs. 1 S. 2 i. V. m. S. 1 SGB I.

Sofern die ergänzenden Feststellungen jeweils zu materiell-rechtlichen Erstattungsansprüchen führen, könnte der Angeklagte ggf. zwei tatmehrheitliche Unterlassungsdelikte i.S.d. § 53 StGB begangen haben, weil er als Garant Mitteilungspflichten gegenüber unterschiedlichen Sozialleistungsträgern, nämlich der Deutschen BKK (Krankenkasse) als Pflegekasse (§§ 1 Abs. 3, 46 Abs. 1 SGB XI) und der Deutschen Rentenversicherung als Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung (§§ 126, 127 SGB VI), verletzt hätte. Das Verschlechterungsverbot des § 331 StPO würde die Annahme von Tatmehrheit und die Bildung einer Gesamtstrafe in solchen Fällen zulassen, obgleich das Amtsgericht bisher von Tateinheit ausgegangen ist. Sowohl die neuen Einzelstrafen als auch die neue Gesamtstrafe dürfen aber die bisher verhängte Freiheitsstrafe nicht überschreiten (Paul in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 331 Rn. 2 a).

Neben den gebotenen ergänzenden Feststellungen zum materiellen Erstattungsanspruch wird das nunmehr zur Entscheidung berufene Gericht (abhängig vom festgestellten Erstattungsanspruch) den Betrugsschaden neu bestimmen müssen. Weil dem Angeklagten nach den Urteilsgründen unbekannt war, an wen er sich zur Erfüllung seiner Mitteilungspflicht wenden musste, wird sich das Gericht auch damit auseinandersetzen müssen, ob dem Angeklagten, was nahe liegt, bekannt war, dass er die zuständige Stelle durch Einholung von Erkundigungen ermitteln und auf diese Weise die Auszahlung der Sozialleistungen verhindern kann (vgl. hierzu: Fischer, StGB, 62. Aufl., § 13 Rn. 77, 87).

Es begegnet keinen Bedenken, einen Betrug durch Unterlassen der gebotenen Mitteilung an die Rentenversicherung anzunehmen, obwohl die Träger der Rentenversicherung die laufenden Geldleistungen tatsächlich durch die Deutsche Post AG auszahlen lassen (§ 119 Abs. 1 SGB I), weil es sich insoweit um ein gesetzliches Auftragsverhältnis mit lediglich zusätzlicher Prüfungskompetenz (§ 119 Abs. 3 SGB VI) handelt, das die Verantwortlichkeit des Rentenversicherungsträgers gemäß § 119 Abs. 4 S. 1 SGB VI unberührt lässt (Pflüger in jurisPK SGB VI, 2. Aufl., § 119 Rn. 45).