Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 15.01.2015, Az.: 1 Ws 3/15

Maßregel; Unterbringung; Entlassungsvorbereitung; Aufhebung; Maßregelvollzug; Freiheitsstrafe; Aussetzung; Bewährung; Zustellung; Fernkopie; Fax

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
15.01.2015
Aktenzeichen
1 Ws 3/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 45347
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 11.12.2014 - AZ: 51 StVK 51/14

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 454 a StPO betrifft die frühzeitige Entscheidung über die "Aussetzung" der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe, so dass sich die sinngemäße Anwendung dieser Vorschrift auf Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 463 Abs.1 StPO) nur auf die Aussetzung einer solchen zur Bewährung, nicht aber auf deren Erledigung bezieht.

Eine zur Entlassungsvorbereitung zeitlich begrenzte Fortdauer der Unterbringung sieht das Gesetz bei der Erledigung einer Maßregel nicht vor (Anschluss: OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.10.2013, 1 Ws 606/13, juris).

Eine Zustellung ist gemäß § 174 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 37 Abs. 1 StPO unwirksam, wenn weder eine Ausfertigung noch eine beglaubigte Abschrift, sondern lediglich eine Fernkopie (Fax) eines Beschlusses übergeben wird, sofern sie nicht unter Verwendung eines Empfangsbekenntnisses an den in § 174 Abs. 1 ZPO genannten Empfängerkreis erfolgt (Anschluss: OLG Hamm, Beschluss vom 17.01.2013, III-3 Ws 349/12, juris; KG, Beschluss vom 09.05.2003, 5 Ws 256/03, juris).

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten vom 22. Dezember 2014 wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Braunschweig vom 11. Dezember 2014 aufgehoben (1 Ws 12/15).

Außerdem wird auf die Beschwerde des Untergebrachten vom 19. November 2014 die Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses vom 12. Juni 2014 angeordnet (1 Ws 3/15).

Der Untergebrachte ist - vorbehaltlich anderer Haftnotierungen - aus dem psychiatrischen Krankenhaus zu entlassen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens 1 Ws 12/15 und die in diesem Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Untergebrachten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Das Landgericht ordnete im Sicherungsverfahren (§§ 413 ff. StPO) durch Urteil vom 28. Oktober 2008 die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Die erkennende Kammer stellte rechtswidrige Straftaten der Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB), der versuchten Körperverletzung (§§ 223 Abs.1, Abs.2, 22, 23 StGB), des Diebstahls (§ 242 StGB), der Beleidigung (§ 185 StGB), der Bedrohung (§ 241 StGB) und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs.1 StGB) fest. Der Beschwerdeführer konnte wegen dieser Anlasstaten nicht bestraft werden, weil seine Steuerungsfähigkeit nach den Feststellungen der Strafkammer bei Tatbegehung wegen einer paranoiden Schizophrenie aufgehoben war. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Urteilsgründe (VH I Bl. 1 ff.) verwiesen.

Durch Beschluss vom 26. März 2014 (VH II Bl. 110 ff.) - rechtskräftig seit 12. April 2014 - erklärte die Strafvollstreckungskammer die Unterbringung für erledigt, weil in Bezug auf die diagnostizierte paranoide Schizophrenie „keine sicheren Hinweise auf eine symptomatische Krankheitspersistenz“ fortbestünden. Die gebotene Entlassung nahm die Kammer aber dennoch nicht sogleich vor, sondern ordnete sie erst für den 15. Juni 2014 an. Außerdem stellte die Kammer fest, dass mit der Entlassung Führungsaufsicht eintrete.

Durch Beschluss vom 12. Juni 2014 (VH II Bl. 134 ff.) hob die Strafvollstreckungskammer sodann den genannten Erledigungsbeschluss vom 26. März 2014 wieder auf und beschloss die Fortdauer der Maßregel. Die Aufhebung des Erledigungsbeschlusses sei gemäß §§ 463 Abs. 1, 454 a Abs. 2 StPO geboten, weil die psychotische Störung (Schizophrenie) erneut ausgebrochen sei. Gegen diesen Beschluss hat der Untergebrachte bereits am 19. November 2014 sofortige Beschwerde eingelegt, über die bisher noch nicht entschieden ist (1 Ws 3/15).

Durch den angefochtenen Beschluss vom 11. Dezember 2014, dessen Empfang die Pflichtverteidigerin K am 22. Dezember 2014 bekannt hat (VH III Bl. 49), hat die Strafvollstreckungskammer erneut die Fortdauer der Maßregel beschlossen. Mit einem ebenfalls am 22. Dezember 2014 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz hat Rechtsanwalt B „für Rechtsanwältin K“ sofortige Beschwerde eingelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Braunschweig vom 11. Dezember 2014 aufzuheben.

II.

1. Das Rechtsmittel vom 22. Dezember 2014 ist als sofortige Beschwerde gemäß §§ 463 Abs. 3, Abs. 6, 454 Abs. 3 S. 1, 462 Abs. 3 S. 1 StPO statthaft, form- und fristgerecht (§§ 306 Abs.1, 311 StPO) angebracht sowie auch sonst zulässig. Dass Rechtsanwalt B die Beschwerde „für Rechtsanwältin K“ eingelegt hat, schadet ausnahmsweise nicht. Ein Pflichtverteidiger kann seine Befugnisse zwar grundsätzlich nicht wirksam auf einen Unterbevollmächtigten übertragen (BGH, Beschluss vom 15.01.2014, 4 StR 346/13, juris, Rn. 2; BGH, Beschluss vom 11.06.1981, 1 StR 303/81, juris, Rn. 3; OLG Braunschweig, Beschluss vom 23.12.2014, 1 Ws 344/14; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 142 Rn. 15). Die Situation ist indes anders zu bewerten, wenn der Handelnde - wie hier - gemäß § 53 Abs.2 S.1 BRAO zum allgemeinen Vertreter bestellt ist. Denn einem allgemeinen Vertreter stehen gemäß § 53 Abs.7 BRAO die anwaltlichen Befugnisse des Vertretenen zu, so dass er wirksam für einen Pflichtverteidiger handeln kann (BGH, Beschluss vom 05.02.1992, 5 StR 673/91, juris, Rn. 2). Rechtsanwältin K hat mit Schriftsatz vom 14. Januar 2015 versichert, dass sie ihren Kollegen Herrn Rechtsanwalt und Notar B am 19. Dezember 2014 wegen ihrer urlaubsbedingten Abwesenheit in der Folgewoche zum allgemeinen Vertreter bestellt habe. Der Wirksamkeit der Bestellung steht es auch nicht entgegen, dass Rechtsanwältin K am 22. Dezember dennoch selbst den Empfang des angefochtenen Beschlusses bekannt hat und zu diesem Zeitpunkt offenkundig nicht im Urlaub war. Die Pflichtverteidigerin hat dies auf Nachfrage gegenüber dem Berichterstatter nachvollziehbar damit begründet, dass sie sich wegen des erheblichen Arbeitsanfalls in der Vorweihnachtszeit kurzfristig entschieden habe, am Vormittag des 22. Dezember 2014 trotz ihres Urlaubs die Kanzlei aufzusuchen. Sie habe deshalb das Empfangsbekenntnis selbst unterzeichnet. Bei Einlegung des Rechtsmittels am Nachmittag durch den Kollegen B sei sie aber nicht mehr anwesend gewesen.

2. Die sofortige Beschwerde vom 22. Dezember 2014 hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Fortdauerbeschlusses. Die Fortdauer der Maßregel kommt nicht in Betracht, weil die Strafvollstreckungskammer durch Beschluss vom 26. März 2014 bereits die Erledigung der Maßregel beschlossen hat und der Beschluss vom 12. Juni 2014 - jedenfalls wegen der nunmehr getroffenen Entscheidung nach § 307 Abs. 2 StPO - keine Wirkung mehr entfaltet.

Die Voraussetzungen für eine Erledigung der Maßregel gemäß § 67d Abs. 6 S. 1 1. Alt. StGB lagen zwar im März 2014 nicht vor. Denn dazu hätte mit Sicherheit - Zweifel gehen zu Lasten des Untergebrachten - feststehen müssen, dass der bei den Anlasstaten bestehende Defektzustand weggefallen ist (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 24.09.2014, Ws 206/12 und Ws 198/13, juris, Rn. 43; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage, 2014, § 67d Rn 24, jeweils m.w.N.). Die Kammer hatte demgegenüber lediglich „keine sicheren Hinweise auf eine symptomatische Krankheitspersistenz“. Auf die materielle Richtigkeit des genannten Beschlusses kommt es aber nicht an, weil ein Rechtsmittel gegen den Beschluss vom März 2014 nicht eingelegt wurde und er daher am 12. April 2014 in Rechtskraft erwachsen ist.

Das Landgericht war nicht befugt, den Beschluss vom 26. März 2014 am 12. Juni 2014 wieder aufzuheben, obwohl die von der Kammer für den 15. Juni 2014 bestimmte Entlassungsfrist noch nicht abgelaufen war. Im Gegensatz zur Auffassung der Kammer kann die Aufhebung nicht auf §§ 463 Abs. 1, 454 a Abs. 2 StPO gestützt werden. Das folgt bereits aus dem Wortlaut von § 454 a StPO. Die Vorschrift betrifft ausdrücklich die frühzeitige Entscheidung über die „Aussetzung“ der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe, so dass sich die sinngemäße Anwendung dieser Vorschrift auf Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 463 Abs.1 StPO) nur auf die Aussetzung einer solchen zur Bewährung, nicht aber auf deren Erledigung bezieht. Zu einer Aufhebungssituation, wie sie § 454 a Abs. 2 StPO umschreibt, kann es bei einer Erledigungsentscheidung nicht kommen, weil diese nicht in die Zukunft verlagert werden darf. Eine zur Entlassungsvorbereitung zeitlich begrenzte Fortdauer der Unterbringung sieht das Gesetz bei der Erledigung einer Maßregel nicht vor (OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.10.2013, 1 Ws 606/13; juris, Rn. 24).

Der Beschluss der Kammer vom 12. Juni 2014 entfaltet aktuell auch keine, die Fortdauer der Maßregel rechtfertigende Wirkung mehr. Er ist zwar als Entscheidung i.S.d. § 454 a StPO anzusehen, so dass die bloße Einlegung der gegen den Beschluss gerichteten sofortige Beschwerde des Untergebrachten (§§ 454a Abs. 2 S. 1, Halbs. 2, 454 Abs. 3 S. 1 StPO) den Vollzug nicht hemmt (§ 307 Abs. 1 StPO) und deshalb die Entlassung nicht herbeiführt (Graalmann-Scheerer in Löwe Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 454 a Rn. 18).

Weil der Beschluss vom 12. Juni 2014 indes, wie dargelegt, rechtswidrig war, hat der Senat zugleich hinsichtlich der sofortigen Beschwerde vom 19. November 2014 eine Anordnung nach § 307 Abs. 2 StPO getroffen. Wie der Senat bereits im Beschluss vom 10. November 2014 (1 Ws 314/14) ausgeführt hat, ist das Rechtsmittel vom 19. November 2014 rechtzeitig eingelegt worden. Denn die Zustellung des Beschlusses vom 12. Juni 2014, die der Kammervorsitzende ausschließlich an den Untergebrachten angeordnet hat und die am selben Tag durch Gefangenen-ZU bewirkt worden ist, ist unabhängig von der ohnehin zweifelhaften Verhandlungsfähigkeit des Untergebrachten schon deshalb unwirksam gewesen, weil dem Beschwerdeführer weder eine Ausfertigung noch eine beglaubigte Abschrift, sondern lediglich eine Fernkopie (Fax) des Beschlusses übergeben worden ist (vgl. hierzu: OLG Hamm, Beschluss vom 17.01.2013, III-3 Ws 349/12, juris, Rn. 28). Eine solche Verfahrensweise verstößt gegen § 174 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 37 Abs. 1 StPO, wonach eine Zustellung per Fernkopie lediglich für den Fall der Verwendung eines Empfangsbekenntnisses an den in § 174 Abs. 1 ZPO genannten Empfängerkreis zugelassen ist (KG, Beschluss vom 09.05.2003, 5 Ws 256/03, juris, Rn. 13).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.