Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 16.05.2007, Az.: 11 A 3898/05
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 16.05.2007
- Aktenzeichen
- 11 A 3898/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 62296
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2007:0516.11A3898.05.0A
Amtlicher Leitsatz
Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG ist auch bei der Ausweisung türkischer Staatsangehöriger zu beachten, die von Art. 6 oder 7 des ARB 1/80 erfasst werden.
Nach zehnjährigem rechtmäßigen Aufenthalt berechtigen gem. Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie daher nur zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt worden sind, zur Ausweisung. Eine solche Festlegung der bundesdeutschen Gesetzgebers ist bisher nicht erfolgt.
Tatbestand
Der am 7. Juni 1962 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger.
Er reiste am 18. September 1972 mit seinen Eltern in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt am 18. Januar 1978 erstmals eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die am 13. Oktober 1980 unbefristet verlängert wurde. Seit dem 1. Januar 2005 gilt diese als Niederlassungserlaubnis weiter.
Am 18. Juni 1982 heiratete er die türkische Staatsangehörige Y., mit der er zwei gemeinsame 1984 und 1986 geborene Söhne hat. Am 1. November 1991 ist die Ehe geschieden worden. Mit seiner jetzigen Lebensgefährtin, Frau S.-R., hat er einen gemeinsamen am 14. März 2004 geborenen Sohn, dessen Vaterschaft der Kläger am 21. März 2007 anerkannt hat.
Der Kläger ist strafrechtlich erheblich in Erscheinung getreten: Am 7. Mai 1986 verurteilte ihn das Amtsgericht O. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen. Am 10. August 1989 erhielt er vom Amtsgericht D. wegen gewerbsmäßiger Hehlerei eine neunmonatige Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Am 26. Mai 1994 verurteilte ihn das Amtsgericht D. wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln (Kokain) in drei Fällen und Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, die ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Am 15. Januar 1997 erkannte das Landgericht Bremen wegen Nötigung in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Selbstladewaffe ohne Erlaubnis in Tateinheit mit Körperverletzung auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Am 1. Oktober 2001 verurteilte ihn das Amtsgericht D. wegen Hehlerei in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Schließlich verhängte das Landgericht O. mit Urteil vom 14. Dezember 2005 wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen und unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben in zwei vollendeten und zwei versuchten Fällen eine Freiheitsstrafe von vier Jahren.
Der Kläger hat sich vom 15. Februar bis 16. Mai 1994, vom 16. Juli 1996 bis 15. Januar 1997, vom 26. Juli bis 1. Oktober 2001 sowie vom 1. Oktober 2002 bis zum 8. August 2003 in Haft befunden. Am 8. September 2003 wurde er erneut in Untersuchungshaft genommen, die seit dem 16. Januar 2004 als Strafhaft fortgeführt wurde. Das reguläre Strafende ist für den 30. April 2010 vorgesehen. 2/3 der Strafe werden am 28. Juni 2008 verstrichen sein. Seit dem 26. Juli 2005 ist der Kläger in der Justizvollzugsanstalt M. inhaftiert.
Mit Bescheid vom 19. August 2005 wies die Beklagte den Kläger nach Anhörung aus der Bundesrepublik Deutschland aus und führte zur Begründung im Wesentlichen an: Der Kläger erfülle den Tatbestand einer Regelausweisung. Wegen der Niederlassungserlaubnis bestehe zwar besonderer Ausweisungsschutz. Die Ausweisung werde aber nach Ermessen verfügt. Wegen mehrfacher Verurteilungen sei die Beeinträchtigung schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu erwarten. Der Kläger sei trotz zahlreicher Straftaten immer wieder straffällig geworden, selbst nach der Geburt seiner Kinder. Er habe den Aufenthalt in Deutschland allein dazu genutzt, sich illegale Einnahmequellen zu schaffen. Wegen der Straftaten und der Inhaftierungen sei er wirtschaftlich auch nicht so integriert, dass eine andere Ermessensentscheidung gerechtfertigt wäre.
Am 20. September 2005 hat der Kläger Klage erhoben.
Er trägt im Wesentlichen vor: Die Beklagte sei für die Ausweisung örtlich gar nicht zuständig gewesen, da er in der Justizvollzugsanstalt M. inhaftiert gewesen sei. Ferner verstoße die Ausweisung gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG, weil eine Nachprüfung durch eine weitere Stelle auf Zweckmäßigkeit nicht erfolgt sei. Die Ausweisungsverfügung sei daher unheilbar rechtswidrig.
Er genieße besonderen Ausweisungsschutz nach Art. 6 ARB 1/80. Außerdem verstoße die Ausweisung gegen Art. 8 EMRK. Es sei unberücksichtigt geblieben, dass er mit der deutschen Staatsangehörigen S.-R. ein gemeinsames Kind habe, dessen Vaterschaft er anerkannt habe. Er lebe seit 1972 und damit seit seinem zehnten Lebensjahr in Deutschland. Er sei hier voll integriert, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Er führe in der Haft Schulungsmaßnahmen durch, er habe etwa eine Fortbildung im Bereich Gastronomie erfolgreich abgeschlossen. Er könne nunmehr ein Arbeitsverhältnis eingehen. Der Kläger reichte insoweit Teilnahmebescheinigungen vom 16. August 2006 und 5. April 2007 sowie eine Bescheinigung des Steuerberaters Andreas Schuster vom 15. Mai 2007 ein. Aus der Gefangenenpersonalakte sei erkennbar, dass er intakte familiäre Beziehungen zu seiner Lebensgefährtin sowie zu seiner früheren Ehefrau und den gemeinsamen Kindern habe. Inzwischen seien trotz der Bedenken der Beklagten Vollzugslockerungen durch die Gewährung von sechs Ausgängen beanstandungsfrei durchgeführt worden. Er nehme zudem in der Justizvollzugsanstalt verantwortliche Aufgaben beim Verkauf in der dortigen Werkstatt hergestellter Gegenstände wahr. Er habe auch versucht, seiner Spielsucht mit einer Therapie zu begegnen. Diese und die Drogenabhängigkeit hätten letztlich zu seiner Verurteilung geführt. Er lebe inzwischen drogenfrei. Es bestehe auch keine Wiederholungsgefahr. Schließlich sei die Ausweisung mit dem auch für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige geltenden Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG unvereinbar.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 19. August 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie erwidert im Wesentlichen: Ihre örtliche Zuständigkeit ergebe sich aus § 100 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG. Danach sei auch die Ausländerbehörde des früheren Wohnsitzes zuständig, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Ausländer nach der Strafhaft zu seinem früheren Aufenthaltsort zurückkehre. Dann bestünden mehrere Zuständigkeiten nebeneinander. Hier sei zu berücksichtigen, dass seine Lebensgefährtin und das Kind des Klägers in D. lebten.
Es sei allerdings davon auszugehen, dass der Kläger zumindest nach Art. 7 ARB 1/80 assoziationsberechtigt sei. Er dürfe deshalb nur aufgrund einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Ein Ermessen sei im Bescheid vom 19. August 2005 dementsprechend auch ausgeübt worden. Auch unter Berücksichtigung der Assoziationsberechtigung des Klägers könne die Entscheidung nicht anders ausfallen. Es sei zu erwarten, dass er auch in Zukunft schwerwiegende Verfehlungen begehen werde. Man könne zwar nicht außer Acht lassen, dass er seit über 30 Jahren in Deutschland lebe, zwei volljährige Kinder und mit seiner deutschen Lebensgefährtin ein gemeinsames Kind habe. Zu beachten sei jedoch die beachtliche Ansammlung von Straftaten und die sich mit den Jahren steigernde kriminelle Energie. Die Einfuhr von Drogen aus Brasilien, welche zur Verurteilung durch das Landgericht O. vom 14. Dezember 2005 geführt habe, stelle eine erneute Steigerung der kriminellen Energie dar. Der Kläger habe Drogen in Kilogramm-Mengen eingeführt. Er habe die internationale Abwicklung von Drogengeschäften organisiert. Hieraus sei eine hochgradige Missachtung der Rechtsordnung erkennbar. Die Taten des Klägers seien dem Bereich der organisierten Kriminalität zuzuordnen. Eine günstige Prognose könne nicht gestellt werden, da der Kläger mehrfacher Bewährungsversager sei. Einen Teil der Drogengeschäfte habe er sogar während eines Freigangs aus der Justizvollzugsanstalt begangen. Eine Abkehr von seinen Straftaten sei daher nicht erkennbar. Er sei auch nicht wirtschaftlich integriert und habe keine Berufsausbildung. Allein wegen der in Haft erfolgten beruflichen Qualifikation sei noch nicht von einer wirtschaftlichen Integration auszugehen. Auch die Kinder hätten ihn nicht von der Begehung der Straftaten abgehalten. Frau S.-R. habe sogar an der Einfuhr der Drogen aus Brasilien teilgenommen. Das nicht zu beanstandende vollzugliche Verhalten des Klägers sei noch keine Garantie für ein straffreies Verhalten nach einer Entlassung. Die Richtlinie 64/221/EWG sei nicht mehr heranzuziehen, weil diese am 30. April 2006 außer Kraft getreten sei. Nicht anwendbar sei allerdings Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG. Diese gelte nicht für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige. Sie finde lediglich für Unionsbürger Anwendung, wie sich im Einzelnen aus einer Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern an den Deutschen Städtetag vom 4. April 2007 ergebe.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Gefangenenpersonalakte der Justizvollzugsanstalt M. Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die Ausweisung des Klägers ist rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Da der Kläger - wie zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist - zumindest nach Art. 7 ARB 1/80 assoziationsberechtigt ist, muss maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abgestellt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315319; Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 2.04 - NVwZ 2005, 10741075; OVG Lüneburg, Urteil vom 16. Mai 2006 - 11 LC 324/05 - InfAuslR 2006, 350353).
Die Ausweisung des Klägers ist mit Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 29. April 2004 nicht vereinbar. Die erwähnte Richtlinie ist trotz Ablaufs der hierfür vorgesehenen Frist bisher durch den bundesdeutschen Gesetzgeber nicht vollständig umgesetzt worden, so dass sie seit dem 1. Mai 2006 unmittelbare Anwendung findet (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 16. Mai 2006 a.a.O.).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ergibt sich aus Art. 12 des Assoziierungsabkommens der EWG mit der Türkei, dass schrittweise die Freizügigkeit der türkischen Arbeitnehmer hergestellt werden soll. Wenn sie die in den Art. 6 oder 7 ARB 1/80 vorgesehen Voraussetzungen erfüllen, sollen daher die für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf diese türkischen Staatsangehörigen übertragen werden (vgl. EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 - Rs C-136/03 - InfAuslR 2005, 289291 - Dörr und Ünal).
Hieraus hat die höchstrichterliche Rechtsprechung abgeleitet, dass die Ausweisung der von Art. 6 oder 7 ARB 1/80 erfassten türkischen Staatsangehörigen materiell an dieselben Grundsätze gebunden ist wie entsprechende Ordnungsmaßnahmen gegenüber Unionsbürgern (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 a.a.O., S. 320 f.; EuGH Urteil vom 20. Februar 2000 - Rs C- 340/97 - InfAuslR 2000, 161164 - Nazli). Auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht (Anwendung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG) ist eine Gleichstellung dieser Personenkreise für geboten erachtet worden (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. September 2005 - 1 C 7.04 - InfAuslR 2006, 110111; EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 a.a.O., S. 292).
Das erkennende Gericht sieht daher keinen rechtfertigenden Grund, von der Übertragung des unmittelbar für die Ausweisung von Unionsbürgern geltenden Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG - diese Richtlinie ersetzt u.a. die Richtlinie 64/221/EWG (vgl. Art. 38 Abs. 2) - auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige abzusehen (so auch VGH Kassel, Beschluss vom 12. Juli 2006 - 12 TG 494/06 - InfAuslR 2006, 393394; OVG Koblenz, Urteil vom 5. Dezember 2006 - 7 A 10924/06 - jurisRn. 25; tendenziell auch: OVG Lüneburg, Beschluss vom 16. Mai 2006 a.a.O., S. 354).
Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG sieht vor, dass bei der Ausweisung insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen sind. Nach Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG ist eine Ausweisung gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen (nach fünfjährigem rechtmäßigem Aufenthalt, Art. 16 der Richtlinie), nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zu verfügen. Art. 28 Abs. 3 lit. a der genannten Richtlinie schreibt vor, dass eine Ausweisung nicht verfügt werden darf, wenn der Betroffene seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben, es sei denn die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt werden. Hierzu zählt der Kläger, da er, wie aus dem Tatbestand ersichtlich, länger als zehn Jahre rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland lebt.
Die Erwägungen des Bundesministeriums des Innern im Schreiben vom 4. April 2004 an den Deutschen Städtetag, auf die die Beklagte im Wesentlichen verweist, überzeugen das Gericht nicht. Eine Anknüpfung an das besondere Daueraufenthaltsrecht der Unionsbürger in Art. 16 ff. der Richtlinie 2004/38/EG erfolgt lediglich im Art. 28 Abs. 2. Dieses Daueraufenthaltsrecht ist zudem von so eindeutigen Voraussetzungen abhängig (fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt), dass auch insoweit eine sinngemäße Übertragung dieser Regelung auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nicht auf unüberwindbare Schwierigkeiten stößt. Kapitel VI der Richtlinie 2004/38/EG, in welchem sich Art. 28 befindet, gilt darüber hinaus grundsätzlich für alle Unionsbürger.
Die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG sind nicht erfüllt. Die Bundesrepublik Deutschland hat bisher, obwohl dies erforderlich ist (vgl. auch Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, S. 146), eine gesetzliche Festlegung, welche Erwägungen als zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne der erwähnten Vorschrift anzusehen sind, bisher nicht getroffen.
Darüber hinaus würden aber auch keine zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit vorliegen, wenn entsprechend dem erwähnten Gesetzentwurf der Bundesregierung (S. 69) in § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU vorgeschrieben würde, dass zwingende Gründe nur in Betracht kämen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder von dem Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht.
Der Kläger wurde vom Landgericht O. zuletzt zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Die vorher gegen ihn verhängten Sanktionen sahen geringere Freiheitsstrafen vor. Eine Zusammenrechnung der Verurteilungen, die insgesamt zu Freiheitsstrafen von 9 Jahren und 6 Monaten geführt haben, ist - wie der Gegenschluss zu § 53 Nr. 1 2. Alt. AufenthG zeigt - nicht möglich. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung setzt ausdrücklich die Verhängung "einer" Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren voraus.
Die übrigen zwischen den Beteiligten erörterten Fragen, bedürfen daher keiner gerichtlichen Beurteilung.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124 a Abs. 1 Satz 1, 154 Abs. 1, 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Rechtsache hat grundsätzliche Bedeutung, weil die Anwendbarkeit des Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige ober- und höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt ist.