Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 25.08.2022, Az.: 2 Ss 101/22

Recht des Senats zur Änderung des Schuldspruchs; Kein Grund zur Schuldänderung wegen falsch bezeichneter Paragraphen; Verurteilung wegen Besitz kinderpornographischer Schriften

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
25.08.2022
Aktenzeichen
2 Ss 101/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 62712
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Stolzenau - 06.10.2021 - AZ: 4 Ds 42/20

Fundstelle

  • StV 2023, 269-270

Redaktioneller Leitsatz

Der Senat ist berechtigt, bei der Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils den Schuldspruch ändern, ohne dass dem § 265 StPO entgegensteht. Die Falschbezeichnung von Gesetzesvorschriften ist allerdings kein Grund für die Änderung des Schuldspruchs.

In der Strafsache
gegen A. P.,
geb. am XXX in XXX,
wohnhaft: XXX
- Verteidigerin: Rechtsanwältin V., B. -
wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften u.a.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch die Richter am Oberlandesgericht B. und S. sowie den Richter am Landgericht Dr. P. am 25. August 2022 einstimmig beschlossen:

Tenor:

  1. 1.)

    Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Stolzenau vom 6. Oktober 2021 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO), dass sich der Angeklagte des Besitzes an kinderpornographischen Schriften in Tateinheit mit Besitz an jugendpornographischen Schriften schuldig gemacht und es in den angewendeten Vorschriften statt "§ 184b Abs. 3 in der vom 27.01.2015 bis 30.06.2017 geltenden Fassung und § 53 StGB" lauten muss: § 184b Abs. 3 in der vom 1.07.2017 bis 12.03.2020 geltenden Fassung sowie § 52 StGB.

  2. 2.)

    Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Gründe

Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:

1.) Die erhobene Verfahrensrüge ist bereits unzulässig, weil sie den Anforderungen von § 344 Abs. 2 S. 2 StPO nicht entspricht.

Gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO muss jeder Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen grundsätzlich so vollständig und genau darlegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 8. August 2018 - 2 StR 131/18, Rn. 8). Diese Anforderungen gelten auch dann, wenn, wie hier, ein Beschwerdeführer rügt, das Gericht habe zu Unrecht das Vorliegen eines Verwertungsverbotes für ein Beweismittel verneint, das auf Grund einer Durchsuchung erlangt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2018 - 4 StR 135/18, Rn. 16; vom 8. August 2018 - 2 StR 131/18, Rn. 9). Zwar kann das Revisionsgericht die für das Vorliegen eines Verwertungsverbotes in tatsächlicher Hinsicht entscheidungserheblichen Fragen gegebenenfalls im Wege des Freibeweises überprüfen; dies kann jedoch wie auch sonst bei behaupteten Verletzungen von Verfahrensvorschriften nur auf der Grundlage eines entsprechenden zulässigen Revisionsvortrags erfolgen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2018 - 2 StR 247/18 -, juris).

Hieran gemessen erweist sich die erhobene Verfahrensrüge aus den in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 25. Juli 2022 genannten Gründen als unzulässig.

Mit Blick auf das Vorbringen in der Gegenerklärung vom 12. August 2022 bemerkt der Senat ergänzend, dass die Mitteilung der konkreten Formulierung der gewährten Lockerung durch das Maßregelvollzugszentrum, die Dauer des Probewohnens und insbesondere der mit der Gewährung des Probewohnens verbundenen Weisungen i.S.v. § 15 Abs. 6 Nds. MRVollzG keineswegs entbehrlich war. Dabei kann der Senat die Frage offenlassen, ob im Rahmen der Gewährung von Lockerungen des geschlossenen Maßregelvollzuges, namentlich eines Probewohnens, angemietete und vom Untergebrachten bewohnte Räumlichkeiten dem Schutzbereich des Art. 13 GG unterfallen. Insoweit weist die Revision im Rahmen der Gegenerklärung zwar zutreffend darauf hin, dass die Situation bei einem externen Probewohnen nicht mit der Situation einer Haftzelle in einer Justizvollzugsanstalt vergleichbar ist, bei der das Hausrecht der Anstalt unberührt bleibt, so dass die grundsätzliche Befugnis der Anstaltsmitarbeiter besteht, auch Hafträume jederzeit unabhängig vom Einverständnis der dort untergebrachten Gefangenen zu betreten (BVerfG, Beschluss vom 30.05.1996 - 2 BvR 727/94, 2 BvR 884/942 BvR 727/942 BvR 884/94; BeckRS 1996, 12523). Vor diesem Hintergrund dürfte mithin der Schutzbereich des Art. 13 GG auch nach Auffassung des Senates jedenfalls in Fällen, bei denen die Vermittlung des Untergebrachten in eine geeignete Wohnform außerhalb der Einrichtung ohne jede Weisung erfolgte, eröffnet sein.

Vorliegend ergibt sich aus den schriftlichen Urteilsgründen allerdings explizit, dass dem Angeklagten bei der Gewährung der Vollzugslockerung gem. § 15 Abs. 2 Nr. 3 Nds. MVollzG Weisungen erteilt wurden (vgl. UA S. 3).

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Schutzbereich von Art. 13 GG in derartigen Fällen eröffnet ist, wenn den Mitarbeitern der Maßregelvollzugsklinik durch eine Weisung i.S.v. § 15 Abs. 6 Nds. MVollzG ein ungehindertes Zugangsrecht zu der für die Durchführung des externen Probewohnens angemieteten Wohnung eingeräumt wurde. Hiergegen könnte sprechen, dass die Vermittlung in eine geeignete Wohnform außerhalb der Einrichtung eine bloße Vollzugslockerung i.S.v. § 15 Nds. MVollzG darstellt und die Maßregelvollzugsklinik nicht nur berechtigt, sondern gar verpflichtet ist, fortlaufend zu prüfen, ob die Gewährung dieser Vollzugslockerung weiter zu verantworten ist. Ein derartiges zur Wahrnehmung der in § 15 Abs. 2 S. 2 Nds. MVollzG explizit geregelten Aufsicht der Vollzugsbediensteten über die gewährte Vollzugslockerung im Rahmen einer Weisung eingeräumtes jederzeitiges Betretungsrecht der für die Durchführung des externen Probewohnens angemieteten Wohnung würde - ein Verstoß infolge erforderlicher, aber fehlender richterlicher Anordnung der durchgeführten Durchsuchung einmal unterstellt - jedenfalls für die Frage, ob hieraus ein Beweisverwertungsverbot resultiert, erhebliche Relevanz zukommen. Denn im Rahmen der nach den Umständen des Einzelfalles zu treffenden Entscheidung, ob aus einem Verfahrensverstoß ein Beweisverwertungsverbot resultiert, wird das Ergebnis der vorzunehmenden Abwägung maßgeblich mit beeinflusst vom Gewicht des infrage stehenden Verfahrensverstoßes, wobei dieses seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird (BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06 -, BGHSt 51, 285-298). Auf Seiten des Beschuldigten fallen ins Gewicht die Bedeutung der verletzten Beweiserhebungsvorschrift für seinen Rechtskreis sowie die Tiefe des Verfahrensverstoßes (OLG Zweibrücken, Urteil vom 18. Juni 2018 - 1 OLG 2 Ss 3/18 -, juris). Im Falle einer dem Angeklagten erteilten Weisung, den Bediensteten der Maßregelvollzugsklinik jederzeit Zugang zu der für die Durchführung des externen Probewohnens angemieteten Wohnung zu gewährleisten, liegt durch eine nicht richterliche angeordnete Durchsuchung der Wohnung selbst im Falle der Eröffnung des Schutzbereiches von Art. 13 GG eine geringe Schutzbedürftigkeit des Angeklagten und ein keineswegs tiefgreifender Grundrechtseingriff vor. Vor diesem Hintergrund war die Mitteilung des Inhaltes der dem Angeklagten erteilten Weisungen für eine den Anforderungen von § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügende Verfahrensrüge unerlässlich.

2.) Die Nachprüfung des Urteils auf die allg. Sachrüge hat - abgesehen von der aus dem Tenor ersichtlichen Korrektur des Schuldspruchs - keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

In entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO ist das Urteil des Amtsgerichts allerdings hinsichtlich des Schuldspruchs und der angewendeten Vorschriften zu korrigieren.

Diesbezüglich hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 25. Juli 2022 folgendes ausgeführt:

"Die Annahme von tateinheitlichem Sichverschaffen und (subsidiärem) Besitz von kinder- und jugendpornografischen Schriften hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand (vgl. BGH, Beschl. v. 10.07.2008 - 3 StR 215/08 -, beck-online). Die vollständigen und tragfähigen Urteilsfeststellungen tragen allein eine Verurteilung wegen Besitzes der Schriften zum Zeitpunkt der Durchsuchung am 06.06.2019. Zu welchem Zeitpunkt und auf welche Weise es der Angeklagte unternommen hatte, sich selbst den Besitz an den Schriften zu verschaffen, findet hingegen in den Urteilsgründen keine ausreichende Grundlage. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die in dem angefochtenen Urteil angeführten Zeitstempel, die bei einigen Bildern hinterlegt seien. Diese lassen keinen Rückschluss darauf zu, wann die Bilddatei tatsächlich abgerufen und gespeichert wurde, sondern können ebenfalls den Zeitpunkt einer Datenübertragung oder der Änderung der Datei angeben.

Eine Ergänzung der Feststellungen in einer neuen Verhandlung erscheint ausgeschlossen.

Der Senat kann den Schuldspruch - wie aus dem Antrag ersichtlich - ändern. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

Auch die Falschbezeichnung einer durch das Amtsgericht angewandten Gesetzesvorschrift steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil hiermit keine inhaltliche Änderung verbunden ist. § 184b StGB in der irrtümlich angewandten Fassung vom 27.01.2015 bis zum 30.06.2017 und in der Fassung vom 01.07.2017 bis zum 12.03.2020 unterscheidet sich allein in dessen jeweiligem Absatz 6, welcher sich auf Einziehungsentscheidungen bezieht.

Die aufgezeigten Rechtsfehler haben auf den Bestand des Strafausspruchs keine Auswirkung.

Angesichts des Tatbildes ist es ausgeschlossen, dass die Tatrichterin bei abweichender rechtlicher Einordnung eine niedrigere Strafe verhängt hätte, zumal sich das Tatgericht bei der Bemessung der Strafe ersichtlich nicht von der Erwägung hat leiten lassen, dass der Angeklagte zwei Tatmodalitäten der jeweiligen Strafnormen verwirklicht hatte.

Soweit das Tatgericht in den angewendeten Vorschriften § 53 StGB angegeben hat, so handelt es sich um ein reines Schreibversehen, wie auch die Annahme von Tateinheit im Rahmen der Strafzumessung zeigt (UA S. 6). "

Diesen überzeugenden Ausführungen tritt der Senat bei, so dass der Schuldspruch sowie die angewendeten Vorschriften wie aus dem Tenor ersichtlich zu korrigieren war.

3.)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO; ein Teilerfolg des Rechtsmittels im Sinne von § 473 Abs. 4 StPO ist durch die Änderung des Tenors nicht gegeben (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage 2021, § 473 Rn. 25a).