Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 27.03.2014, Az.: 1 Ws 41/14
Anrechenbarkeit der Dauer einer Maßregelunterbringung auf eine Freiheitsstrafe
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 27.03.2014
- Aktenzeichen
- 1 Ws 41/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 13813
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2014:0327.1WS41.14.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 23.12.2013
Rechtsgrundlagen
- § 51 Abs. 1 S. 1 StGB
- § 67 Abs. 4 StGB
- § 44a Abs. 1 S. 2 StrVollstrO
- § 1 MVollzG, NI
- § 8 MVollzG,NI
Fundstellen
- NStZ-RR 2014, 6
- NStZ-RR 2014, 5
- NStZ-RR 2014, 262-263
Amtlicher Leitsatz
1. Die Dauer einer Maßregelunterbringung ist auf die ersten zwei Drittel einer parallel verhängten Freiheitsstrafe anzurechnen.
2. Die Unterbringung beginnt mit dem formalen Akt der Aufnahme des Verurteilten durch die Vollzugsbehörde zum Vollzug der angeordneten Maßregel. Dies gilt auch dann, wenn die Maßregel zunächst auf einer Station vollzogen wird, die eigentlich für den Vollzug einer anderen Maßregel vorgesehen ist.
3. Eine Anrechnung als Organisationshaft auf das letzte Drittel kommt allenfalls dann in Betracht, wenn die Vollzugsbehörde ihren mit der Maßregelanordnung verbundenen Behandlungsauftrag (§§ 1, 8 Nds. MVollzG) trotz der erfolgten Aufnahme des Verurteilten offensichtlich erkennbar überhaupt nicht wahrnimmt und lediglich eine Verwahrung vornimmt.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde vom 2. Januar 2014 gegen die Entscheidung der 50. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen vom 23. Dezember 2013 wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Mit Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 23. Februar 2010 wurde die Verurteilte wegen schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Des Weiteren wurde die Unterbringung der Verurteilten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Rechtskraft des Urteils trat am 22. Juli 2010 ein (Bl. 1 ff. Bd. I d. VH). Bereits zuvor war die Verurteilte nach § 126a StPO seit dem 23. September 2009 einstweilig untergebracht (Bl. 5 Bd. I d. VH).
Die einstweilige Unterbringung sowie die Maßregel nach § 64 StGB wurden im Maßregelvollzugszentrum Niedersachsen (MRVZN) Moringen vollzogen. Das MRVZN Moringen ist sowohl für den Vollzug von Maßregeln nach § 63 StGB als auch für den Vollzug von Maßregeln nach § 64 StGB zuständig. Dort befand sich die Verurteilte zunächst auf der Station 30 und vom 9. Juni bis 14. Oktober 2010 auf der Station 31. Diese Stationen sind eigentlich für den Vollzug von Patienten, die nach § 63 StGB untergebracht sind, vorgesehen. Erst am 15. Oktober 2010 wechselte die Verurteilte innerhalb des Maßregelvollzugszentrums Moringen auf eine ausgewiesene Suchtstation (Bl. 191 f. Bd. II d. VH).
Mit Beschluss vom 23. April 2013 beschloss das Landgericht Göttingen die Fortdauer der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bis zum Erreichen der verlängerten Höchstfrist der Maßregel am 25. Mai 2013. Zugleich stellte das Gericht fest, dass die Unterbringung mit Ablauf der Höchstfrist erledigt ist. Des Weiteren ordnete es die Anrechnung des Vollzugs der Unterbringung auf die Freiheitsstrafe an bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind und setzte den Rest der Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten zur Bewährung aus (Bl. 99 ff. Bd. II d. VH). Die Rechtskraft dieses Beschlusses trat am 22. Mai 2013 ein (Bl. 99 Bd. II d. VH).
Auf Antrag der Verurteilten berechnete die Staatsanwaltschaft Braunschweig die Dauer des zur Bewährung ausgesetzten Strafrests mit Bescheid vom 4. Juli 2013 auf 305 Tage. Dabei rechnete sie die Zeit der vorläufigen Unterbringung vom 23. September 2009 bis zum 21. Juli 2010 (302 Tage) auf die ersten zwei Drittel der Freiheitsstrafe an. Vom Restdrittel nahm die Staatsanwaltschaft Braunschweig keinen Abzug vor (Bl. 141 Bd. II d. VH).
Gegen diese Strafzeitberechnung wendete sich die Verurteilte mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 10. Juli 2013 (Bl. 143 Bd. II d. VH). Zur Begründung führte sie aus, dass sie Zweifel bezüglich der Richtigkeit der Berechnung des noch ausstehenden Strafrestes habe. Es seien Grundregeln der Anrechnung von Untersuchungshaft unberücksichtigt geblieben.
Mit Beschluss vom 23. Dezember 2013 wies die 50. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen den Antrag der Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung zurück (Bl. 152 ff. Bd. II d. VH). Der Beschluss wurde der Verurteilten am 30. Dezember 2013 zugestellt (Bl. 175 Bd. II d. VH).
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Verurteilte mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 2. Januar 2014, bei Gericht eingegangen am 3. Januar 2014 (Bl. 174 Bd. II d. VH). Zur Begründung gibt sie an, dass sich der Zeitraum vom 23. September 2009 bis zum 21. Juli 2010 nicht auf die Höchstdauer der Unterbringung ausgewirkt habe. Er sei nicht abgezogen worden. In ihrer weiteren Stellungnahme vom 12. Februar 2014 führt sie aus, dass die Zeit der einstweiligen Unterbringung und der Zeitraum vom 30. (gemeint offenbar: 20.) Juli 2010 bis zum 14. Oktober 2010 - letzterer als Organisationshaft - vom letzten Strafdrittel abgezogen werden müssten (Bl. 181 Bd. II d. VH).
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt (Bl. 177 f. Bd. II d. VH).
II.
Die von der Verurteilten eingelegte zulässige sofortige Beschwerde erweist sich als unbegründet.
1. Der Senat hält mit der herrschenden Auffassung an seiner ständigen Rechtsprechung fest, wonach in Fällen, bei denen neben einer Freiheitsstrafe die (nach § 67 Abs. 1 StGB vor der Freiheitsstrafe zu vollstreckende) Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet wurde, zunächst gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 StGB die vor Rechtskraft vollzogene Untersuchungshaft (bzw. einstweilige Unterbringung) anzurechnen, sodann nach § 67 Abs. 4 StGB die Zeit des Vollzugs der Maßregel bis zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt zu berücksichtigen und schließlich das Restdrittel der Strafe um etwaige Organisationshaft zu kürzen ist (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 29. Mai 2013, - 1 Ws 108/13 -, juris, Rn. 16, veröffentl. in Nds. Rpfl. 2014, 30 ff. m. w. N.). Diese Auslegung ist verfassungskonform (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. Juni 1997, 2 BvR 2422/96, juris, Rn. 7) und entspricht dem gesetzgeberischen Zweck des § 67 Abs. 4 StGB, die Therapiemotivation durch den Druck der Gefahr einer etwaigen Vollstreckung des Restdrittels zu fördern.
2. Die zutreffende Berechnung der Staatsanwaltschaft Braunschweig steht mit diesen Vorgaben im Einklang. Insbesondere hat die Staatsanwaltschaft die Zeit vom 22. Juli 2010 bis zum 14. Oktober 2010 zu Recht nicht als vom letzten Drittel der Strafzeit abzuziehende Organisationshaft bewertet.
Unter Organisationshaft wird die Haft in einer Justizvollzugsanstalt nach Rechtskraft der die Unterbringung anordnenden Entscheidung bis zur Aufnahme im Maßregelvollzug verstanden (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19. November 2008, 1 Ws 368/08, zitiert nach juris, Rn. 3). Des Weiteren hat das Thüringer Oberlandesgericht diese Maßstäbe über die Anrechnung von Organisationshaft auch in einem Fall angewendet, in dem ein ehemals Untergebrachter verspätet in den Strafvollzug zurückverlegt worden ist (Beschluss vom 17.10.2006, 1 Ws 332/06, zitiert nach juris, Rn. 22). Diese Fallkonstellationen zeichnen sich dadurch aus, dass der Verurteilte Freiheitsentzug erleidet, bevor eine Aufnahme durch die für die Vollstreckung zuständige Vollzugsbehörde erfolgt ist, z. B. weil einem Aufnahmeersuchen aus Kapazitätsgründen nicht entsprochen worden ist.
Im Gegensatz dazu hat hier das MRVZN Moringen als die für den Vollzug der Maßregel nach § 64 StGB zuständige Einrichtung die Verurteilte am 22. Juli 2013 zum Vollzug dieser Maßregel aufgenommen (Bl. 48 Bd. I d. VH).
Dass das Maßregelvollzugszentrum Moringen diese Maßregel und die vorangegangene vorläufige Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 126a StPO zunächst nicht auf einer Suchtstation, sondern auf Stationen vollzogen hat, auf denen sonst Maßregeln nach § 63 StGB vollzogen werden, ist für die Beurteilung der Frage, ob auf das letzte Drittel anzurechnende Organisationshaft vorgelegen hat, nicht relevant. Die Vollstreckung einer Maßregel ist nicht an einen bestimmten Ort gebunden. So finden z. B. auch Beurlaubungen, Krankenhausaufenthalte und Probewohnen außerhalb der Vollzugseinrichtung statt, während der Vollzug der Maßregel fortdauert. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist jedenfalls im Grundsatz allein auf den formalen Akt der Aufnahme durch die zuständige Vollzugsbehörde zum Vollzug der jeweils angeordneten freiheitsentziehenden Maßnahme abzustellen, da andernfalls eine korrekte Strafzeitberechnung nur nach Ermittlung der konkreten Begebenheiten im Vollzug möglich wäre, wobei dann ggf. nicht nur der äußere Rahmen der Unterbringung, sondern auch geklärt werden müsste, inwieweit inhaltlich eine dem Zweck der Maßregel entsprechenden Therapie stattfand. Dies würde zu nicht hinnehmbaren Unklarheiten bzgl. der verbüßten und noch offenen Haft- und Unterbringungszeiten führen.
Mit der Aufnahme eines Verurteilten zum Vollzug einer Freiheitsstrafe oder Maßregel (gleiches gilt für den Vollzug von Untersuchungshaft oder einer vorläufigen Unterbringung) trägt die Vollzugsbehörde die Verantwortung für einen den rechtlichen Anforderungen entsprechenden Vollzug der jeweiligen Maßnahme. Die weiteren Entscheidungen der Vollzugsbehörde betreffen nicht das "Ob", sondern das "Wie" des Vollzugs. Soweit der Vollzug nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen sollte, steht den Betroffenen der Rechtsweg nach § 109 StVollzG (ggf. i. V. m. §§ 138 Abs. 3 StVollzG, 102 NJVollzG oder 106 Nds. SVVollzG) offen. Auf diese Weise hätte sich auch die Verurteilte gegen eine möglicherweise rechtswidrige, für den Zweck der Maßregel ungeeignete oder unzureichende Behandlung wenden können und insbesondere auch überprüfen lassen können, ob die Verfahrensweise des MRVZN Moringen, die Unterbringung aus Kapazitätsgründen auf Stationen zu vollziehen, die eigentlich für den Vollzug von Maßregeln nach § 63 StGB vorgesehen sind, rechtmäßig war.
Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die inhaltliche Ausgestaltung des Vollzugs für die Frage der Annahme von Organisationshaft ohne Bedeutung ist, kommt aus Sicht des Senats daher allenfalls in solchen Fällen in Betracht, in denen die Vollzugsbehörde ihren mit der Maßregelanordnung verbundenen Behandlungsauftrag (§§ 1, 8 Nds. MVollzG) trotz der erfolgten Aufnahme des Patienten offensichtlich erkennbar überhaupt nicht wahrnimmt und vergleichbar mit dem anerkannten Fall einer Organisationshaft in einer Justizvollzugsanstalt lediglich eine Verwahrung vornimmt.
Eine solche Konstellation liegt hier jedoch nicht vor. Ausweislich der Stellungnahme des MRVZN Moringen vom 04. März 2014 wurden der Verurteilten auch auf den Stationen 30 und 31 Gespräche angeboten, welche die Schwierigkeiten der Patientin, den Wahrheitsgehalt der von ihr begangenen Delikte anzunehmen, zum Gegenstand hatten. Derartige Gespräche waren vor einer intensiven Arbeit an der Suchterkrankung therapeutisch erforderlich (Bl. 191 f. Bd. II d. VH). Hieraus ergibt sich, dass das MRVZN Moringen den mit der Unterbringung nach § 126a StPO und der Maßregelanordnung nach § 64 StGB verbundenen Behandlungsauftrag schon während der Zeit der Unterbringung der Verurteilten auf den Stationen 30 und 31 wahrgenommen hatte. Auch die Verurteilte selbst hat in ihrem Schreiben vom 15. März 2014 bestätigt, dass aus ihrer Sicht die Deliktsbearbeitung wesentlicher Bestandteil der Therapie nach § 64 StGB gewesen ist (Bl. 194 f. Bd. II d. VH). Eine Überprüfung der Intensität der Behandlungsbemühungen ist für die Beurteilung der Frage von Organisationshaft aus den vorgenannten Gründen nicht veranlasst.
3. Auch das Übermaßverbot ist durch die von der Staatsanwaltschaft Braunschweig vorgenommene Strafzeitberechnung nicht verletzt worden.
Entgegen den Ausführungen der Verurteilten in ihrem Schreiben vom 02. Januar 2014 hat die Zeit der einstweiligen Unterbringung bei der Berechnung der verlängerten Höchstfrist Berücksichtigung gefunden. Die Aufnahme zum Vollzug der Maßregel nach § 64 StGB begann mit der Rechtskraft des die Unterbringung anordnenden Urteils am 22. Juli 2010. Die nicht verlängerte Höchstfrist einer Unterbringung nach § 64 StGB beträgt nach § 67d Abs. 1 S. 1 StGB zwei Jahre. Sie verlängert sich gemäß § 67d Abs. 1 S. 2 StGB um die Dauer einer daneben angeordneten Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzug der Maßregel auf die Freiheitsstrafe angerechnet wird. Gemäß § 67 Abs. 4 StGB erfolgt die Anrechnung bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind. Ohne Berücksichtigung der Zeit der einstweiligen Unterbringung hätte somit die Zeitdauer der Unterbringung um 610 Tage verlängert werden können, sodass sie erst am 23. März 2014 hätte enden müssen. Durch die von der Staatsanwaltschaft zutreffend vorgenommene Anrechnung von 302 Tagen für die einstweilige Unterbringung ist die Höchstfrist für die Unterbringung jedoch nur um 308 Tage, mithin auf zwei Jahre und 308 Tage bis zum 25. Mai 2013 verlängert worden.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.