Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 13.09.2004, Az.: 15 U 36/04

Haftung eines Kindes und seiner Eltern bei Inbrandsetzung eines Gebäudes von mehreren Kindern unter nicht aufklärbaren Umständen; Voraussetzungen für die Annahme einer psychischen Beihilfe; Voraussetzungen für das Vorliegen des Tatbestandes des § 830 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); Schadensersatzhaftung wegen Verletzung einer Aufsichtspflicht

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
13.09.2004
Aktenzeichen
15 U 36/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 18010
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2004:0913.15U36.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 25.03.2004 - AZ: 5 O 509/03

Fundstellen

  • NJW 2004, XII Heft 47 (Kurzinformation)
  • NJW-RR 2004, 1671-1672 (Volltext mit amtl. LS)
  • NZV 2004, 640-641 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Wird ein Gebäude unter nicht aufklärbaren Umständen von mehreren Kindern in Brand gesetzt, so kommt eine Haftung - auch unter dem Gesichtspunkt einer psychischen Beihilfe sowie nach § 830 BGB - jedenfalls desjenigen Kindes und seiner Eltern nicht in Betracht, von dem nicht mehr als seine bloße Anwesenheit bei der Brandlegung festgestellt werden kann.

In dem Rechtsstreit
hat der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 6. September 2004
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... ,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richterin am Oberlandesgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 25.März 2004 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5.Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vor der Vollstreckung leistet.

Gründe

1

Die Klägerin nimmt als Feuerversicherer die Beklagte aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

2

Am 06.11.2001 geriet gegen 17:45 Uhr das auf dem Grundstück E... in O... befindliche Gebäude der geschädigten Zeugen G... und C... H... in Brand. Bei dem Gebäude handelt es sich um eine Einzelgarage mit Spitzdach und kleinem Pferdestall. Der Dachstuhl, der als Speicher diente, war nur durch eine 1,5 m x 1 m große Tür über eine von außen anzulegende Leiter erreichbar. Nach den Feststellungen der Feuerwehr hat der Brand vom Dachstuhl aus seinen Anfang genommen. Seinerzeit stand die Tür zum Dachstuhl offen und es war eine Aluminiumleiter angelehnt.

3

Die Klägerin, die den Schaden der Zeugen H... reguliert hat, nimmt die Beklagte als Mutter des Zeugen M... B..., geb. am 08.03.1995, wegen Verletzung der Aufsichtspflicht auf Schadensersatz in Anspruch. Sie hat behauptet, der Schaden sei durch den Sohn der Beklagten verursacht worden. Dieser habe zusammen mit dem Zeugen K... K... , geb. am 30.03.1993, den Brand des Dachstuhls verursacht. M... B... habe mit Hilfe zweier der Beklagten entwendeter Feuerzeuge auf dem Dachstuhl ein Papiertaschentuch in Brand gesetzt und dadurch den eingetretenen Schaden herbeigeführt.

4

Mit der Behauptung, sie habe auf der Grundlage eines Schadensgutachtens an die geschädigten Versicherungsnehmer einen Betrag von 21.411,77 EUR gezahlt, hat die Klägerin die Eltern der beiden beteiligten Kinder wegen Verletzung der Aufsichtspflicht in Anspruch genommen. Die Mutter des Zeugen K... K... ist durch rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Hannover vom 21.01.2003 zur Zahlung von 21.411,77 EUR nebst Zinsen verurteilt worden.

5

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte als Gesamtschuldnerin neben der durch Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Hannover vom 21.01.2003 -406 B 040227/02 verurteilten E... K... zu verurteilen, an sie 21.411,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 10.12.2003 zu zahlen.

6

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie hat eine Verursachung des Brandes durch ihren Sohn bestritten und behauptet, dieser habe das Geschehen nur von außen beobachtet. Feuerzeuge seien für ihren Sohn im Haushalt nicht frei zugänglich. Sie habe ihn auch nachdrücklich über den Umgang mit Feuer und über die Gefahren, die von Feuer ausgehen können, belehrt.

8

Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen die Beklagte wegen Verletzung der ihr obliegenden Aufsichtspflicht, § 832 I BGB, antragsgemäß verurteilt.

9

Das Landgericht ist aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon ausgegangen, dass der Zeuge M... B... an der Brandstiftung beteiligt gewesen sei. Aufgrund der Aussagen der Zeugen K... K..., M... B... und H... lasse sich nur sicher feststellen, dass beide Jungen am Tattag zusammen und im Besitz zumindest eines Feuerzeugs gewesen seien. Beide seien über die vor dem Stall stehende Leiter durch die offene Tür auf den Dachboden des Stalles geklettert. Dort habe einer von ihnen mit dem mitgebrachten Feuerzeug einen brennbaren Gegenstand angezündet. Wer das gewesen sei, sei ungeklärt geblieben. Jedenfalls habe der andere den Zündelnden zumindest in der Weise unterstützt, dass dieser ohne seine Anwesenheit nicht gezündelt hätte. Der Sohn der Beklagten habe, selbst wenn er nicht das Feuerzeug zum Inbrandsetzen benutzt habe, zumindest den Zeugen K... in Kenntnis des Umstandes begleitet, dass dieser die Idee gehabt habe, mit einem zuvor gefundenen Feuerzeug etwas anzuzünden. Zwar könne dem Sohn der Beklagten keine eigenhändige Begehung der Brandstiftung nachgewiesen werden, ausreichend sei jedoch auch die bloße psychische Unterstützung des unerlaubten Tuns eines anderen. Diese habe hier vorgelegen, denn keines der Kinder wäre nach der Überzeugung des Landgerichts allein auf den Dachboden gestiegen, um dort ein Feuer zu entfachen. Das Zündeln sei für den Sohn der Beklagten nicht überraschend erfolgt. Es sei vielmehr der Grund dafür gewesen, sich auf den Dachboden des Stalles zu begeben.

10

Nach Ansicht des Landgerichts ist zumindest der Tatbestand des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB gegeben, da sich nicht ermitteln lasse, wer der beteiligten Jungen den Schaden durch seine Handlung verursacht habe. Eine Verletzung der Aufsichtspflicht durch die Beklagte liege vor. Diese habe das Gericht nicht davon überzeugen können, dass sie ihrem Sohn ausreichende Belehrungen über die Gefahren, die von Zündmitteln ausgehen, erteilt habe. Ein Mitverschulden der geschädigten Hauseigentümer hat das Landgericht verneint.

11

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten.

12

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

13

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens und des Prozessverlaufs in erster Instanz wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf den Akteninhalt verwiesen. Wegen der Feststellungen des Landgerichts wird gem. § 540 I Satz 1 Nr. 1 ZPO auf dessen Urteil Bezug genommen.

15

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte gem. §§ 830,832 BGB, 67 VVG besteht nicht.

16

Soweit das Landgericht nach der Beweisaufnahme davon ausgegangen ist, dass offen geblieben sei, wer der beiden Jungen das Feuerzeug gehabt habe, wie dieses in seinen Besitz gekommen sei und wer es letztlich auf dem Dachboden benutzt habe, um das Feuer zu entfachen, hat es die seiner Entscheidung zugrundeliegenden Feststellungen fehlerfrei getroffen. Es sind weder konkrete Anhaltspunkte ersichtlich, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten, noch liegen im Berufungsrechtszug zu berücksichtigende neue Tatsachen vor.

17

Da Umfang und Form der Beteiligung der einzelnen Kinder sowie der genaue Geschehensablauf vor dem unmittelbaren Beginn des Feuers nicht geklärt werden konnten ist die Behauptung der Klägerin, der Sohn der Beklagten habe mit einem der Beklagten zuvor entwendeten Feuerzeug auf dem Dachboden ein Papiertaschentuch in Brand gesetzt, nicht bestätigt worden. Dass beide Jungen, gemeinschaftlich handelnd, das Feuer auf dem Dachboden entfacht hätten, hat weder die Klägerin substantiiert vorgetragen, noch die Beweisaufnahme ergeben.

18

Soweit das Landgericht die Auffassung vertritt, der Zeuge M... B... habe entweder psychische Beihilfe zur unerlaubten Inbrandsetzung durch K... K... geleistet oder sei "zumindest gem. § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB für den entstandenen Schaden verantwortlich", kann ihm nicht gefolgt werden.

19

Die Feststellungen des Landgerichts rechtfertigen nicht die Annahme einer psychischen Beihilfe durch den Zeugen M ... B... . Zwar ist der Zeuge zum Vorfallszeitpunkt auf dem Dachboden gewesen. Die bloße Anwesenheit bei der Verwirklichung rechtswidriger unerlaubter Handlungen Dritter reicht jedoch nicht aus, um von einer psychisch vermittelten Tatbeteiligung ausgehen zu können. Erforderlich ist vielmehr, dass über das wertneutrale Verhalten der Anwesenheit hinaus ein zusätzliches Element hinzukommt, dass auf eine psychische Tatbeteiligung schließen lässt, nämlich eine Solidarisierung mit dem Täter durch Äußerung von Anerkennung, Beifall, Billigung, Aufmunterung, Beseitigung von Hemmungen, Erhöhung des Sicherheitsgefühls oder auch nur die Versicherung der Verbundenheit mit dem Täter, soweit solche psychischen Unterstützungen ihn noch in seinem Tatentschluss beeinflussen können (BGH NJW 1990, 2553, 2554) [BGH 29.05.1990 - VI ZR 205/89]. Solche zusätzlichen Elemente können hier nicht allein darin gesehen werden, dass der damals 6jährige Zeuge M... B...mit auf den Dachboden gestiegen ist in Kenntnis des Umstands, dass der 8jährige Zeuge K... K... am Nachmittag des Tattages die Idee geäußert hatte, mit einem gefundenen Feuerzeug etwas anzuzünden ( BGH a. a. O.).

20

Konkrete Feststellungen dazu, dass hinsichtlich der beiden Jungen ein gemeinsamer Tatentschluss vorlag, der Zeuge K... aufgrund ausdrücklicher oder stillschweigender Aufforderung seitens des Zeugen B... gehandelt hat oder der Zeuge B... in sonstiger Weise den Tatentschluss des Zeugen K... beeinflusst hat, sind nicht getroffen worden und können ersichtlich auch nicht mehr getroffen werden. Der Feststellung, dass der Zeuge K... dem Sohn der Beklagten kurzfristig ein Feuerzeug überlassen hat und dieses später zurückforderte, kommt im Hinblick auf die Frage einer psychischen Beihilfe keine Bedeutung zu. Da die Überzeugung des Landgerichts, dass "der Eine ohne den Anderen die Tat so nicht begangen hätte" und "keiner von ihnen allein auf den Dachboden gestiegen wäre, um dort ein Feuer zu entfachen", der tatsächlichen Grundlage im Vortrag der Parteien entbehrt und auch nicht durch das Ergebnis der Beweisaufnahme gestützt wird, kann von einer psychischen Beihilfe durch M... B... nicht ausgegangen werden.

21

Auch soweit das Landgericht für den Fall, dass eine psychische Beihilfe nicht vorliegt, annimmt, dass zumindest der Tatbestand des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB gegeben sei,kann ihm nicht gefolgt werden. Ist eine psychische Beihilfe zu verneinen, kommt der Zeuge B... weder als Alleintäter noch Mittäter oder Teilnehmer i. S. d. § 830 Abs.1 Satz 1 und Abs. 2 BGB in Betracht. Auch der Tatbestand des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB liegt dann nicht vor, denn das Landgericht hat nicht festgestellt, dass der Zeuge B... eine neben das Verhalten des Zeugen K... tretende gefährliche Handlung vorgenommen hat, die für den Brand ursächlich war. § 830 Abs. 1 S. 2 BGB setzt voraus, dass abgesehen nur vom Tatbestandsmerkmal der Kausalität, bei jedem Beteiligten die Voraussetzungen einer unerlaubten Handlung vorliegen (vgl. BGH NJW 1989, 2943, 2944) [BGH 20.06.1988 - VI ZR 320/88]. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

22

Damit steht bereits fest, dass die Klage unbegründet ist.

23

Ergänzend sei bemerkt:

24

Auch soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, dass die Beklagte ihrer Aufsichtspflicht nicht gerecht geworden ist, kann ihm nicht gefolgt werden. Eine Haftung aus § 832 BGB käme nur in Betracht, wenn die Aufsichtspflichtige im konkreten Fall in Bezug auf die zur widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umstände der Aufsichtspflicht nicht genügt hätte. Selbst bei Annahme einer psychischen Beihilfe durch M... B... könnte der Beklagten nicht vorgeworfen werden, sie habe ihre Aufsichtspflicht verletzt, weil sie ihren Sohn nicht davon abgehalten habe, psychische Beihilfe beim Anzünden von Feuer durch ein anderes Kind zu leisten. Es übersteigt die Anforderungen an die Aufsichtspflicht, von der Beklagten zu verlangen, ihrem 6jährigen Kind auch das Verbot des psychischen Beistandleistens bei gefährlichem Spiel mit einem Feuerzeug zu vermitteln. Für den Inhalt der Aufsichtspflicht ist entscheidend, was verständige Eltern im konkreten Fall unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Dabei gibt es Grenzen in dem, was Kindern von Eltern in der Erziehung zu vermitteln ist. Diese sind vom Alter her durch die Einsichtsfähigkeit des Kindes wie auch durch die Einflussmöglichkeit auf das Kind gezogen. Sowohl das Vermitteln des hinter dem von der Rechtslehre entwickelten Begriff der psychischen Beihilfe stehenden tatsächlichen Verhaltens als auch der Erkenntnis der Gefahr, die darin besteht, einen anderen in seinem Tun allein psychisch zu unterstützen, geht wegen der Abstraktheit dieses Begriffs und des Erkenntnisvorgangs über die Belehrung konkreter Gefährdungen hinaus. Geeignete Erklärungsmöglichkeiten, die den Begriffsinhalt auch dieser Gefährdungen durch psychisches Beistandleisten für ein 6jähriges Kind vermitteln können, sind nicht erkennbar. Den Versuch zu unternehmen, einem Kind klar zu machen, was und ggf. unter welchen Voraussetzungen schon das Mitgehen zum Spiel anderer deren gefährliches Tun "durch psychischen Beistand" zu fördern geeignet ist, ist wegen der sehr naheliegenden Erfolglosigkeit solche Anstrengungen den Eltern nicht zuzumuten (BGH NJW 1990, 2553, 2555) [BGH 29.05.1990 - VI ZR 205/89].

25

Die nach alledem unbegründete Klage war auf die Berufung der Beklagten unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

26

Die Kosten des Rechtsstreits waren nach § 91 I ZPO der Klägerin aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit entspricht § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

27

Ein Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.