Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 23.03.2020, Az.: 2 A 1046/17

Europarechtskonformität; Rundfunkbeitrag; Verfassungsgemäßheit

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
23.03.2020
Aktenzeichen
2 A 1046/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71481
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Der Kläger wird von dem Beklagten seit 01. Mai 2014 als Rundfunkteilnehmer geführt. Er wohnte ab dem 01. August 2015 unter der Adresse D. 2 in A-Stadt, ab dem 01. November 2016 unter der Adresse E. Str. 9 in F.. Zwischenzeitlich hielt sich der Kläger in einer Unterkunft für Handwerker in der G. str. 1 in F. auf. Seit Februar 2016 versucht der Beklagte gegen den Kläger rückständige Rundfunkbeiträge zu vollstrecken; bisher vergeblich.

Mit Bescheid vom 04. November 2016, adressiert an die Adresse D. 2, setzte der Beklagte Rundfunkbeiträge für die Zeit vom 01. Februar bis 31. Oktober 2016 in Höhe von 165,50 Euro, incl. 8,00 Euro Säumniszuschläge fest. Dabei legte er für die Zeit von Februar bis April 2016 die Adresse G. straße 1, für den restlichen Zeitraum die Adresse D. zugrunde. Mit Schreiben vom 06. Dezember 2016 erhob der Kläger inhaltliche Einwände gegen diesen Bescheid. Er bemängelte insbesondere, dass er unter der Adresse G. straße 1 eine Wohnung nicht innegehabt habe und dass der Beklagte nicht berechtigt sei, Bescheide zu erlassen.

In der Folgezeit richtete der Beklagte an die Adresse E. Str. 9 in F. mehrere Schreiben an den Kläger; sie datieren auf den 27. Dezember 2016, 01. Februar und 01. April 2017. Der Kläger reagierte auf diese Schreiben mit Antwortschreiben vom 06. Dezember 2016 sowie 25. Januar und 07. Mai 2017, wobei er als Absendeadresse E. Str. 9 in F. angab.

Mit Bescheid vom 03. Juli 2017, adressiert an die E. Str. 9 in F., setzte der Beklagte gegen den Kläger Rundfunkbeiträge für den Zeitraum 01. Januar bis 30. April 2017 für die Wohnung E. Str. 9 in Höhe von 60,50 Euro, incl. 8,00 Euro Säumniszuschläge fest. Mit Schreiben vom 18. Juli 2017 meldete sich erstmals der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers zu Akte und bat um Akteneinsicht. Er bemerkte hierin, der Kläger habe ihm den bisherigen Schriftverkehr vorgelegt. Mit Schriftsatz vom 04. September 2017 legte der Prozessbevollmächtigte für den Kläger Widerspruch gegen den letzten zugegangenen Bescheid ein und beantragte hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er begründete dies damit, dass dem Kläger keinerlei Schreiben zugegangen seien und er erst durch die vom Beklagten initiierte Zwangsvollstreckung von der Existenz der Bescheide Kenntnis erlangt habe. In der Sache macht er geltend, bei der Wohnung G. straße 1 in H. habe es sich nicht um eine Wohnung im Sinne des Beitragsrechts gehandelt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. November 2017 wies der Beklagte sowohl den vom Kläger persönlich erhobenen Widerspruch vom 06. Dezember 2016 wie auch den vom Prozessbevollmächtigten unter dem 04. Dezember 2017 erhobenen Widerspruch zurück. Gleichzeitig deutete er den Bescheid vom 04. November 2016 dahingehend um, dass für die Monate Februar bis April 2016 ein Rundfunkbeitrag nicht für die Wohnung G. straße 1 in H., sondern für die Wohnung D. 2 in F. erhoben werde.

Zur Begründung gab der Beklagte im Wesentlichen an, der Widerspruch gegen den Bescheid vom 03. Juli 2017 sei verfristet und deshalb unzulässig, Wiedereinsetzungsgründe seien nicht ersichtlich. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 04. November 2016 sei unbegründet. Die Umdeutung für die Monate Februar bis April 2016 sei zulässig, weil davon auszugehen sei, dass der Kläger in dieser Zeit die Wohnung D. 2 weiter genutzt habe und es sich bei der Wohnung G. straße 1 in H. um eine zusätzliche Wohnung gehandelt habe. Im Übrigen verstoße der Rundfunkstaatsvertrag nicht gegen höherrangiges Recht.

Hiergegen hat der Kläger am 22. Dezember 2017 Klage erhoben.

Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er habe keinen Bescheid erhalten, die Adresse G. straße 1 in H. sei eine Handwerkerunterkunft, eine Umdeutung sei unzulässig und der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag verstoße gegen Verfassung- und EU-Recht.

Der Kläger beantragt,

die Bescheide des Beklagten vom 04. November 2016 und 03. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 20. November 2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf seinen Widerspruchsbescheid vom 20. November 2017,

die Klage abzuweisen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage, über die das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig aber unbegründet. Die Bescheide des Beklagten vom 04. November 2016 und 03. Juli 2017 sowie der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid vom 20. November 2017 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger ist gemäß § 2 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 des 15. Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Fünfzehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag) i.d.F. des Gesetzes zum Zweiundzwanzigsten Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 27. Februar 2019 (Nds.GVBl., S. 28, im Folgenden: RBStV) als Inhaber einer Wohnung im privaten Bereich rundfunkbeitragspflichtig. Er war in den fraglichen Zeiträumen Februar bis Ende Oktober 2016 und Februar bis Ende April 2017 Inhaber einer Wohnung im Sinne von § 3 RBStV im Zuständigkeitsbereich des Beklagten und nicht von der Beitragspflicht befreit.

Der Rundfunkbeitrag begegnet keinen verfassungs- oder europarechtlichen Bedenken (vgl. Urteil der Kammer vom 25.01.2019 - 2 A 266/188 -, Vnb; Nds. OVG, Beschluss vom 23.07.2015 - 4 LA 231/15 - zur verfassungsrechtlichen und EuGH, Urteil vom 13.12.2018 - C-492/17 - zur europarechtlichen Beurteilung sowie BVerwG, Urteil vom 18.03.2016 - 6 C 6/15 -; Beschluss vom 25.01.2018 - 6 B 38/18 -; OVG Koblenz, Beschluss vom 01.03.2018 - 7 A 11938/17 -; BVerfG, Urteil vom 18.07.2018 - 1 BvR 1675/16 u.a. - zu beiden Aspekten; Fundstellen jeweils juris). Das Bundesverfassungsgericht ist jüngst dazu übergegangen, weiterhin erhobene Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung anzunehmen und mit einer Missbrauchsgebühr zu belegen (vgl. Beschluss vom 10.02.2020 -1 BvR 168/20). Es ist in der Rechtsprechung zudem geklärt, dass die Rundfunkanstalten den Rundfunkbeitrag selbst festsetzen und vollstrecken dürfen (BGH, Beschlüsse vom 11.06.2015 –I ZB 64/14- und vom 21.10.2015 –I ZB 6/15-, die anderslautenden Ausgangsentscheidungen des LG Tübingen, Beschlüsse vom 19.05.2014 -5 T 81/14- und vom 08.01.2015 -5 T 296/14- aufhebend).

Die vom Kläger angefochtenen Bescheide des Beklagten stehen auch mit einfachem Recht in Einklang.

Der Beklagte durfte den Bescheid vom 04. November 2016 wie geschehen umdeuten. Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 VwVfG dafür liegen vor. Danach kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Soweit in dem Bescheid vom 04. November 2016 ein Rundfunkbeitrag in der Zeit von Februar bis April 2016 für die Wohnung G. straße 1 in H. erhoben worden ist, ist dieser Bescheid falsch; der Kläger hatte hier, worauf er zu Recht hinweist, eine Wohnung nicht. Er hatte aber zu dieser Zeit, wie der in den Akten befindliche Auszug aus dem Einwohnermelderegister belegt, eine Wohnung in der Straße D. 2 in F.. Für diese durfte der Beklagte, wie geschehen, einen Rundfunkbeitrag festsetzen. Zur Begründung wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Er durfte den angefochtenen Bescheid daher entsprechend umdeuten.

Schließlich hat der Beklagte den Widerspruch des Klägers vom 04. September 2017 gegen den Beitragsbescheid vom 03. Juli 2017 zutreffend auch als verfristet angesehen. Da der Bescheid somit bestandskräftig geworden ist, kann er auch nicht mit Erfolg vor Gericht angefochten werden. Der Kläger dringt mit seinem Einwand, er habe den Bescheid nicht erhalten und erst durch die Zwangsvollstreckung von dessen Existenz erfahren nicht durch.

Der namens und im Auftrage des Beklagten handelnde Beitragsservice ARD ZDF und Deutschlandradio hat den Bescheid ausweislich der Verwaltungsvorgänge des Beklagten am 06. Juli 2017 an seinen Auslieferungsservice weitergegeben. Damit wird die Aufgabe zur Post in ausreichender Weise belegt, so dass die Bekanntgabevermutung des § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG greift. Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid gilt daher gemäß §§ 41 Abs. 2 Satz 1, 31 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 VwVfG als am 11. Juli 2017 (Montag) bekannt gegeben.

Eine Ausnahme von dieser Vermutung i.S.d. § 122 Abs. 2 Hs. 2 AO liegt nicht vor. Der wirksamen Bekanntgabe des Rundfunkbeitragsbescheides steht insbesondere nicht entgegen, dass der Kläger die ordnungsgemäße Bekanntgabe bestreitet. Er hat sein Vorbringen insoweit nicht derart substanziiert, dass es geeignet wäre, einen atypischen Geschehensablauf und damit berechtigte Zweifel am Zugang des Bescheids zu begründen.

Hierzu hat der 4. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 16.11.2015 - 4 ME 284/15 - ausgeführt:

„Die Behörde trägt das Risiko der Nichterweislichkeit des Zugangs aber nur dann, wenn berechtigte Zweifel daran bestehen, dass im konkreten Fall die auf der Erfahrung des täglichen Lebens beruhende Vermutung, dass eine gewöhnliche Postsendung den Empfänger binnen weniger Tage erreicht, zutrifft. Das schlichte Bestreiten des Betroffenen, der Verwaltungsakt sei ihm nicht zugegangen, reicht regelmäßig nicht aus, um die Bekanntgabevermutung des § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG zu entkräften. Vielmehr muss der Adressat sein Vorbringen nach Lage des Einzelfalls derart substantiieren, dass berechtigte Zweifel am Zugang begründet werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.4.1987 - 5 B 132.86 -; Senatsbeschl. v. 5.8.2015 - 4 LA 53/15 -, v. 26.9.2014 - 4 PA 199/14 - u. v. 23.9.2008 - 4 ME 279/08 -; Nds. OVG, Beschl. v. 15.3.2007 - 5 LA 136/06 -, NVwZ-RR 2007, 365 m.w.N.).”

Demgegenüber fordert der für das Abgabenrecht zuständige 9. Senat des Nds. Oberverwaltungsgerichts eine besondere Substanziierung des Nichterhalts eines Schriftstücks jedenfalls dann, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen tatsächlichen Erhalt vorliegen (Beschluss vom 03.12.2018 - 9 LA 124/18 -, juris Rn. 9).

Ein entsprechend substanziierter Vortrag war hier aufgrund konkreter Anhaltspunkte für eine ordnungsgemäße Bekanntgabe des Rundfunkbeitragsbescheides notwendig. Er ist auch unter Berücksichtigung des Umstands nicht gegeben, dass die Anforderungen hieran bei „negativen Tatsachen“ nicht überspannt werden dürfen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 15.03.2007 - 5 LA 136/06 -, juris Rn. 8). Der Bescheid des Beklagten vom 03. Juli 2017 wurde an den Kläger unter dessen Adresse „E. Straße 9, F.“ versandt. Einen Postrücklauf hat es nicht gegeben. Zwar kommt es - wenngleich die Wahrscheinlichkeit des Verlustes einer Briefsendung gering ist - immer wieder vor, dass Briefe den Empfänger nicht erreichen. Vorliegend hat der Kläger jedoch nichts dazu vorgetragen, dass andere Briefsendungen ihn im fraglichen Zeitraum nicht erreicht hätten. Das Schreiben seines Prozessbevollmächtigten an den Beklagten vom 18. Juli 2017 lässt sich dann auch eher als Reaktion auf den Bescheid vom 03. Juli verstehen als als eine allgemeine Nachfrage. Andere Schriftstücke des Beitragsservice aus der fraglichen Zeit erreichten den Kläger, wie sich aus seinen jeweiligen Reaktionen darauf ergibt, problemlos. So das Schreiben vom 27. Dezember 2016, die Mahnung vom 01. Februar 2017 sowie die Mitteilung vom 01. April 2017. Dies gilt auch für die anschließende Widerspruchskorrespondenz. Angesichts dieser Umstände hätte es einer nachvollziehbaren Begründung der klägerischen Behauptung bedurft, der Bescheid vom 03. Juli 2017 sei ihm nicht zugegangen. Weil eine solche substanziierte Begründung nicht vorliegt, hat das Gericht keine Zweifel i.S.d. § 122 Abs. 2 Hs. 2 AO an einem Zugang des Bescheids. Weil dieser nicht fristgerecht im Wege des Widerspruchs angefochten worden ist, ist er nach Ablauf der Widerspruchsfrist bestandskräftig geworden und kann mit Rechtsbehelfen nicht mehr mit Erfolg angegriffen werden.

Gründe für eine Wiedereinsetzung nach § 32 VwVfG hat der Kläger weder vorgetragen noch sind sie sonst für das Gericht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 1, 711 ZPO.