Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 20.03.2020, Az.: 4 B 56/20
Allgemeinverfügung; Beherbergungsverbot; Corona; Infektionsschutz; Veranstaltungsverbot
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 20.03.2020
- Aktenzeichen
- 4 B 56/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 71486
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 28 IfSG
Gründe
Die Entscheidung ergeht wegen Dringlichkeit gemäß § 80 Abs. 8 VwGO durch die Vorsitzende.
Der Antragsteller bleibt mit seinem Antrag,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage (4 A 55/20) anzuordnen,
mit der er beantragt,
die infektionsschutzrechtliche Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 18.03.2020 aufzuheben, soweit darin
1. in Ziffer 2 alle privaten Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern verboten werden
2. in Ziffer 4 die Beherbergung von Personen zu touristischen Zwecken verboten wird und
3. in Ziffer 7 der Betrieb von Taxi- und anderen Personenbeförderungsbetrieben nur mit Abfrage der Reiserückkehrer-Eigenschaft aus einem vom Robert-Koch-Institut festgelegten Risikogebiet, der Abfrage von respirativen Symptomen und der Abfrage der Kontaktdaten der jeweiligen Fahrgäste gestattet wird,
ohne Erfolg.
Der Antrag ist bereits überwiegend unzulässig.
Zwar ist er gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft. Denn die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die auf § 28 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 IfSG gestützten Anordnungen entfällt kraft bundesgesetzlicher Regelung nach § 28 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 8 IfSG (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO).
Die Antragsbefugnis des Antragstellers besteht jedoch allenfalls hinsichtlich der in Ziffer 7 der Allgemeinverfügung geregelten Modalitäten des Betriebs von Taxi- und anderen Personenbeförderungsbetrieben. Denn hinsichtlich des Verbots bestimmter Veranstaltungen und der Beherbergung zu touristischen Zwecken hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass seine Pläne hinsichtlich einer privaten Veranstaltung bzw. eines touristischen Aufenthalts sich derart konkretisiert haben, dass von einer möglichen Beeinträchtigung seiner rechtlichen Interessen ausgegangen werden kann.
Unabhängig von dem Vorstehenden ist der Antrag unbegründet.
Bei der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs (Suspensiveffekt) gegen das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts (Vollziehungsinteresse) abzuwägen. Diese Abwägung geschieht vorrangig anhand der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs dagegen offen, erfolgt eine Folgenabwägung. Im Rahmen dieser Folgenabwägung sind die voraussichtlichen Folgen des Suspensiveffekts einerseits und der sofortigen Vollziehung andererseits zu gewichten. Maßgebend sind insoweit nicht nur die Dringlichkeit des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung sowie Natur und Schwere der mit dem Eingriff für den Antragsteller verbundenen Belastungen, sondern auch die Möglichkeit, die jeweiligen Folgen der Maßnahme rückgängig zu machen.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Antrag unbegründet. Das Gericht geht nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung davon aus, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg hat. Ungeachtet dessen führt die Abwägung der gegenläufigen Interessen zu einem Vorrang der öffentlichen Interessen.
Die Klage bleibt voraussichtlich erfolglos.
Formelle Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin bestehen bei summarischer Prüfung nicht.
Die Antragsgegnerin war für den Erlass der Allgemeinverfügung zuständig.
Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen. Gemäß § 54 Satz 1 IfSG bestimmt die Landesregierung die zuständige Behörde durch Rechtsverordnung, soweit eine landesrechtliche Regelung nicht existiert. In Niedersachsen bestimmt § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Nds. Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst (NGöGD) die Landkreise und kreisfreien Städte als zuständige Behörde. Gleichzeitig obliegen diesen die Aufgaben des Gesundheitsamtes. Nach § 1 der zwischen dem Landkreis und der Stadt A-Stadt getroffenen Zweckvereinbarung nimmt die Stadt A-Stadt die Aufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes für die Stadt und den Landkreis wahr. Die Vereinbarung greift damit den in dem NGöGD verwendeten Begriff des „öffentlichen Gesundheitsdienstes“ auf. Das NGöGD enthält bereits in seinem Titel diesen Begriff und stellt auf diese Weise klar, dass dieser für sämtliche Behörden gilt, die sich mit der Förderung und dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung befassen. Dementsprechend bringt § 1 NGöGD durch die Verwendung des Plurals („Die Behörden des öffentlichen Gesundheitsdienstes …“) zum Ausdruck, dass dem öffentlichen Gesundheitsdienst nicht nur eine Behörde, insbesondere nicht nur das Gesundheitsamt, unterfällt. Zu den Behörden zählt § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 NGöGD u. a. die Landkreise und kreisfreien Städte, denen wiederum gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NGöGD die Aufgaben des Gesundheitsamtes und der zuständigen Behörde nach dem IfSG obliegen. In der Zweckvereinbarung wurden deshalb sowohl die Aufgabe des Gesundheitsamtes als auch der zuständigen Behörde auf die Stadt A-Stadt übertragen.
Selbst wenn sich die Zweckvereinbarung lediglich auf die Aufgaben des Gesundheitsamtes beziehen würde, hätte der Landkreis A-Stadt jedenfalls mit der Veröffentlichung der Verfügung in seinem Amtsblatt diese genehmigt bzw. konkludent auf die Änderung oder Aufhebung der Verfügung gemäß § 16 Abs. 7, § 28 Abs. 3 IfSG verzichtet.
Rechtliche Bedenken gegen die Anordnung der Maßnahmen in Form einer Allgemeinverfügung bestehen nicht. Es handelt sich um eine konkret-generelle Regelung i. S. d. § 35 Satz 2 VwVfG. Die Verfügung der Antragsgegnerin betrifft keine abstrakten Anweisungen, sondern regelt einen Einzelfall des öffentlichen Rechts. Gegenstand des Veranstaltungs- und Beherbergungsverbots sowie der Auflagen für Personenbeförderungsbetriebe ist ein einzelnes reales Vorkommnis, die konkrete Seuchengefahr, in deren Regelung sich die Verfügung erschöpft. Es handelt sich nicht um einen „gedachten Fall", wie er für eine Rechtsnorm charakteristisch und erforderlich ist. Vielmehr liegt aktuell eine von dem SARS-CoV-2-Virus ausgelöste Pandemie vor und besteht die konkrete Gefahr der Ansteckung weiterer Personen. Die angegriffene Regelung unterscheidet sich insoweit nicht von der auch von dem Antragsteller zitierten „Endiviensalat“-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.02.1961, - I C 54.57 - juris). Dieser konkrete Anlassbezug rechtfertigt gegenwärtig trotz der über den Landkreis hinausgehenden Problematik den Erlass einer Allgemeinverfügung.
Die Verfügung richtet sich auch an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis. Sie richtet sich an alle Veranstalter von Zusammenkünften mit mehr als 50 Personen im Kreisgebiet, an die Inhaber im Kreisgebiet befindlicher Beherbergungsbetriebe sowie Taxi- und vergleichbarer Personenbeförderungsbetriebe. Die Größe des Landkreises ist hierfür unbeachtlich, da die Grenzen des Kreisgebietes feststehen. Ebenso wenig beeinträchtigt es die Rechtmäßigkeit einer Allgemeinverfügung, dass gleichartige Verfügungen in Nachbarkreisen – außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Antragsgegnerin – erlassen wurden.
Materiell-rechtlich ist die Allgemeinverfügung ebenfalls nicht zu beanstanden.
Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde u. a. Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten (§ 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG).
Da im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin (Stadt und Landkreis) am sogenannten Coronavirus erkrankte Personen festgestellt wurden und zu befürchten ist, dass sich unerkannt weitere Personen infiziert haben, die sich noch nicht in Quarantäne befinden, liegen die Voraussetzungen der Eingriffsermächtigung vor.
Demzufolge war die Antragsgegnerin zum Handeln verpflichtet („trifft … die notwendigen Schutzmaßnahmen“). Hinsichtlich der Art und des Umfangs der Maßnahmen ist der Behörde allerdings Ermessen eingeräumt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um "notwendige Schutzmaßnahmen" handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (BVerwG, Urteil vom 22.03.2012, - 3 C 16.11 -, juris).
Die angeordneten Maßnahmen sind notwendig zur Einschränkung der weiteren Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und verhältnismäßig.
Weil bei Menschenansammlungen Krankheitserreger besonders leicht übertragen werden können, stellt § 28 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 IfSG ausdrücklich klar, dass Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränkt oder verboten werden können. Hierzu gehören ohne weiteres (private) Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern. Materiell-rechtliche Einwände hiergegen hat der Antragsteller insoweit nicht geäußert. Diese sind auch für das Gericht nicht ersichtlich.
Das auf die Beherbergung zu touristischen Zwecken beschränkte Verbot stellt ebenfalls eine notwendige Maßnahme dar, um die Weiterverbreitung der Krankheit zu begrenzen. In Hotels und Pensionen kommen Menschen typischerweise mit mehr Personen in Kontakt als im häuslichen Bereich. Dies betrifft vor allem von einer Vielzahl von Gästen genutzte Räumlichkeiten wie Eingangshalle, Speisesaal, Aufzüge und ggf. sanitäre Einrichtungen. Die Ansteckungsgefahr ist bei einem Übernachtungsaufenthalt deshalb regelmäßig höher als bei einem touristischen Tagesaufenthalt. Darüber hinaus trägt eine Reduzierung des Übernachtungsangebots dazu bei, unnötigen Reiseverkehr, der zu einer kaum noch zurückverfolgbaren Ansteckungskette führt, zu vermeiden. Angesichts der erheblichen Ansteckungsgefahr und der dadurch drohenden Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems ist die Einschränkung nicht erforderlicher Freizeitaktivitäten gerechtfertigt. Durch die Beschränkung auf touristisch bedingte Übernachtungen hat die Antragsgegnerin sichergestellt, dass z. B. aus beruflichen Gründen notwendige Übernachtungen weiterhin möglich sind.
Hinsichtlich der angeordneten Modalitäten der Beförderung in Taxen und vergleichbaren Unternehmen hat die Antragsgegnerin zutreffend ausgeführt, dass diese dem Schutz der Fahrer und Fahrerinnen vor unwissentlicher Ansteckung und der Zurückverfolgbarkeit einer evtl. Ansteckungskette dienen. Unbeachtlich ist, dass diese Maßnahme in § 28 Abs. 1 Sätze 1 u. 2 IfSG nicht ausdrücklich genannt ist. Denn § 28 enthält keine abschließende Aufzählung der möglichen Maßnahmen. Die Maßnahme ist notwendig, weil Personal und Fahrgäste eines Taxis durch die räumliche Enge einem höheren Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind als in Bussen oder Zügen, in denen die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes leichter möglich ist. Das Risiko einer Ansteckung kann durch die Auflage minimiert werden. Denn dem Personal wird durch entsprechende Informationen ermöglicht, Schutzmaßnahmen zu treffen oder ggf. auch unter Berücksichtigung des § 22 PBefG die Beförderung berechtigterweise zu verweigern. Durch die Dokumentation der Kontaktdaten und Fahrtzeiten kann zudem eine Ansteckung leichter zurückverfolgt werden. Hierdurch können Fahrgäste auch im Nachhinein benachrichtigt und ggf. isoliert werden. Bewegungsprofile können und sollen mit der Dokumentation nicht erstellt werden, zumal die Daten bei den Unternehmen bleiben und erst durch eine gesonderte Anordnung herauszugeben sein dürften. Die Auflagen minimieren die Ausbreitungsgefahr unter Aufrechterhaltung der Personenbeförderung durch Taxen und vergleichbare Unternehmen und stellen eine Beförderung damit auch in Fällen sicher, in denen öffentliche oder private Verkehrsmittel nicht genutzt werden können.
Letztlich käme selbst bei offenen Ausgang des Klageverfahrens eine Interessenabwägung zu einem deutlichen Überwiegen des öffentlichen Vollzugsinteresses gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Denn eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung ist nicht erkennbar. Dagegen würde eine Aussetzung der angegriffenen Anordnungen zu einer schwerwiegenden und nicht wieder rückgängig zu machenden, möglicherweise lebensgefährdenden Schädigung der menschlichen Gesundheit führen. Dem steht lediglich der Wunsch des Antragstellers nach vermeidbaren Freizeitaktivitäten gegenüber. Selbst wenn er für die geplanten, lediglich vage geschilderten Aktivitäten bereits finanzielle Aufwendungen gehabt hätte, was er nicht glaubhaft gemacht hat, wäre der Verlust dieser Aufwendungen nachrangig gegenüber dem Schutz der Gesundheit. Auch die Dokumentation seiner Kontaktdaten und die Abfrage von Hinweisen auf eine mögliche Erkrankung belastet den Antragsteller in geringerem Maße als das Schutzgut seiner und der Gesundheit anderer beeinträchtigt wäre.
Da der Antragsteller unterliegt, hat er gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.