Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 10.01.2013, Az.: 1 B 2772/12

Anspruch eines Grundstückseigentümers auf weitere Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung nach Verlust des Eigentums durch Zwangsversteigerung i.R.d. Daseinsvorsorge

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
10.01.2013
Aktenzeichen
1 B 2772/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 31915
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2013:0110.1B2772.12.0A

Fundstellen

  • BauR 2013, 997
  • ZfIR 2013, 116

Tatbestand

Die Antragsteller begehren die weitere Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung durch den Antragsgegner über den 01. Januar 2013 hinaus.

Die Antragsteller waren bis zum 10. Oktober 2012 Eigentümer des immer noch von Ihnen bewohnten bzw. genutzten Grundstücks F.. Durch Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts G. vom 10. Oktober 2012 verloren sie das Eigentum im Rahmen der Zwangsvollstreckung.

Der Antragsgegner belieferte die Antragsteller seit November 2003 mit Trinkwasser. Es liegt ein nur von den Antragstellern unterschriebener "Wasserversorgungsvertrag" vom 02. November 2003 vor.

Unter dem 08. November 2012 erhielten die Antragsteller eine "Schlussabrechnung Trinkwasser" und einen "Gebührenbescheid für Abwasser der Gemeinde H." durch den Antragsgegner für den Abrechnungszeitraum 01. Oktober 2011 bis 10. Oktober 2012. Es ergab sich eine Nachzahlung iHv 40,38 €, welche die Antragsteller laut Quittung vom 12.11.2012 gegenüber dem Antragsgegner beglichen.

Ebenfalls mit Schreiben vom 08.11.2012 teilte der Antragsgegner den Antragstellern mit, dass der neue Grundstückseigentümer den Wasserversorgungsvertrag zum 31. Dezember 2012 gekündigt habe und demgemäß die Wasserversorgung am 02. Januar 2013 eingestellt werde.

Auf Nachfrage der Antragsteller hin verwies der Antragsgegner mit Schreiben vom 06. Dezember 2012 darauf, dass ein Versorgungsvertrag nur mit den Grundstückeigentümern abzuschließen sei und auch die Versorgungspflicht nur gegenüber dem Grundstückseigentümer bestehe. Eine Fortsetzung der Wasserversorgung komme nur bei Rücknahme der Kündigung durch den Grundstückseigentümer in Betracht.

Nach entsprechender Ankündigung gegenüber dem Antragsgegner haben die Antragsteller am 27. Dezember 2012 vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie begründen diesen Antrag folgendermaßen:

Der Wasserversorgungsvertrag zwischen den Beteiligten bestehe fort. Der Antragsgegner müsse daher die Antragsteller vertragsgemäß beliefern. Der Vertrag habe nicht durch einen Dritten, den neuen Grundstückeigentümer, gekündigt werden können. Zudem besorge der Antragsgegner die Trinkwasserversorgung als Teil der Daseinsvorsorge. Schon aus Gründen der Gefahrenabwehr und -vermeidung müsse sie die Trinkwasserversorgung fortsetzen, da anderenfalls Gesundheitsschäden der Antragsteller und Gebäudeschäden am Haus drohten. Ein Zahlungsrückstand der Antragsteller liege nicht vor, so dass kein schützenswertes Interesse des Antragsgegners an der Versorgungseinstellung bestehe.

Die Antragsteller beantragen,

den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragstellern zu der Verbrauchsstelle I. Trinkwasser ab einschließlich dem 02. Januar 2012 zu liefern und das Abwasser zu entsorgen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung trägt er vor: Die Abwasserentsorgung falle nicht in seinen Zuständigkeitsbereich, sondern in den der Gemeinde H.. Er habe in ihrem Auftrag lediglich die Abrechnung der Abwasserentsorgung übernommen. Ein schriftlicher Wasserversorgungsvertrag sei nicht abgeschlossen worden. Selbst wenn ein Vertrag vorliegen sollte, sei dessen Geschäftsgrundlage mit dem Wechsel des Eigentümers entfallen. Jedenfalls sei die Mitteilung über die Versorgungseinstellung als Kündigung des Antragsgegners gegenüber den Antragstellern anzusehen. Die Antragsteller könnten eine Versorgung mit Trinkwasser nicht gegen den erklärten Willen des neuen Eigentümers verlangen. Eine Versorgungspflicht im Rahmen der Daseinsvorsorge bestehe nur gegenüber den Grundstückseigentümern. Auch nach den ergänzenden Bestimmungen des Antragsgegners sei ein Vertragsabschluss nur mit Grundstückseigentümern vorgesehen. Die Schlussabrechnung sei auf Veranlassung der Antragstellerin zu 1. nach Erteilung des Zuschlages erstellt worden.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen, in denen sich auch die Abwasserbeseitungssatzung sowie die Wasserversorgungssatzung der Gemeinde Dörverden befinden.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

Er ist allerdings zulässig. Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art. Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird. Dabei kommt es regelmäßig darauf an, ob die Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit kann aber auch auf einem Gleichordnungsverhältnis beruhen. Gleichordnungsverhältnisse sind öffentlich-rechtlich, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet. Sind an einem streitigen Rechtsverhältnis ausschließlich Privatrechtssubjekte beteiligt, so scheidet eine Zuordnung des Rechtsstreits zum öffentlichen Recht grundsätzlich aus, es sei denn, ein Beteiligter wäre durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes mit öffentlich-rechtlichen Handlungs- oder Entscheidungsbefugnissen ausgestattet und gegenüber dem anderen Beteiligten als beliehenes Unternehmen tätig geworden (zum Vorgehenden nur BVerwG, Beschluss vom 17. November 2008 - 6 B 41/08 - [...] m.w.N.).

Vorliegend stützen die Antragsteller ihren Anspruch auf Weiterbelieferung mit Trinkwasser im Schwerpunkt auf Erwägungen der Daseinsvorsorge und der Gefahrenabwehr. Es geht ihnen darum, überhaupt mit Trinkwasser weiter beliefert zu werden, also um das "Ob" der Trinkwasserversorgung. Dieser Aspekt der Trinkwasserbelieferung ist im Falle des Antragsgegners öffentlich-rechtlicher Natur. Gemäß der Wasserversorgungssatzung der Gemeinde H. über den Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung und deren Benutzung vom 11. Dezember 2003 (Wasserversorgungssatzung - WVS, Blatt 137 der Gerichtsakte) ist die Wasserversorgung in dem Gebiet, in dem sich das Grundstück der Antragsteller befindet, öffentlich-rechtlich organisiert. Nach § 1 der WVS hat die Gemeinde H. die Versorgung der Grundstücke ihres Gebiets mit Trink- und Betriebswasser im Rahmen ihrer Mitgliedschaft dem Antragsgegner übertragen. Nach § 3 Abs. 1 der WVS kann jeder Grundstückseigentümer im Gebiet der Gemeinde den Anschluss seines Grundstückes am die Wasserversorgungsanlage und die Belieferung mit Trink- und Betriebswasser nach Maßgabe der Satzung verlangen. Der Anspruch auf Trinkwasserbelieferung als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge besteht also auf satzungsmäßiger Grundlage. Eine Satzung als Rechtsform ist zwingend dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Der Antragsgegner wird als Verband des öffentlichen Rechts einseitig zur Trinkwasserversorgung verpflichtet.

Soweit die Antragsteller sich daneben auf Pflichten des Antragsgegners aufgrund eines Trinkwasserbelieferungsvertrages berufen, ist der geltend gemachte Anspruch dagegen zivilrechtlich zu beurteilen. Das Lieferverhältnis, also das "Wie" der Trinkwasserbelieferung durch den Antragsteller ist zivilvertraglich ausgestaltet. Denn gemäß § 8 der WVS bestimmen sich der Anschluss an das Versorgungsnetz und die Versorgung mit Wasser im Übrigen nach den Allgemeinen Vertragsbedingungen des Antragsgegners. Diese bestehen aus der "Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser" (AVBWasserV)" sowie den ergänzenden Bestimmungen und den Preisen für Lieferung und Leistung des Antragsgegners in der jeweils gültigen Fassung. (vgl. dazu VG Frankfurt, Beschluss vom 10. September 2007 - 5 L 96/07 - zit. nach [...])

Der zivilrechtliche Aspekt des vorliegenden Rechtsstreits führt nicht dazu, dass dieser ganz oder teilweise an die ordentlichen Gerichte zu verweisen ist. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Ein einheitlicher Rechtsstreit ist vorliegend gegeben. Denn der geltend gemachte Anspruch der Antragsteller auf Versorgung mit Trinkwasser beruht auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt und ist somit prozessual ein einheitlicher Streitgegenstand. In Fällen, in denen sich ein Anspruch sowohl zivil- als auch öffentlich-rechtlich begründen lässt, ist ein Wahlrecht des Klägers in Bezug auf den Rechtsweg anerkannt (VG Berlin, Beschluss vom 05. April 2012 - 4 K 384.11 - zit. nach [...]).

Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte; einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder wenn sie aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller muss einen materiellen Anspruch auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der Sache (Anordnungsgrund) glaubhaft machen (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO).

Hier fehlt es am erforderlichen Anordnungsanspruch. Ein Anspruch der Antragsteller auf weitere Trinkwasserversorgung besteht nicht.

Ein Anspruch ergibt sich nicht aus der Wasserversorgungssatzung. Gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 der WVS können nur Grundstückseigentümer die Belieferung mit Trinkwasser vom Antragsgegner verlangen. Die Antragsteller haben ihr Eigentum am von ihnen bewohnten Grundstück jedoch verloren. Nach § 90 Abs. 1 Zwangsversteigerungsgesetz (ZVG) wird der Ersteher durch den Zuschlag Eigentümer des Grundstücks, sofern nicht im Beschwerdewege der Beschluss rechtskräftig aufgehoben wird. Im Rahmen der Zwangsversteigerung des Grundstücks ist ein Zuschlagsbeschluss am 10. Oktober 2012 ergangen. Die Beschwerde der Antragsteller hat das Landgericht G. mit Beschluss vom 05. November 2012 zurückgewiesen.

Die Antragsteller können die weitere Lieferung auch nicht auf vertraglicher Grundlage verlangen. Die Beteiligten haben zwar einen Trinkwasserbelieferungsvertrag gemäß § 2 AVBWasserV abgeschlossen. Dabei kann dahinstehen, ob dieser Vertrag durch den nur von den Antragstellern unterzeichneten "Wasserversorgungsvertrag" vom 02. November 2003 schriftlich geschlossen wurde oder durch die tatsächliche Belieferung der Antragsteller durch den Antragsgegner faktisch zustande gekommen ist. Der Vertrag ist allerdings vom Antragsgegner durch Kündigung zum 31. Dezember 2012 beendet worden.

Nach § 32 Abs. 1 AVBWasserV läuft das Vertragsverhältnis so lange ununterbrochen weiter, bis es von einer der beiden Seiten mit einer Frist von einem Monat auf das Ende eines Kalendermonats gekündigt wird. Nach § 32 Abs. 6 AVBWasserV bedarf die Kündigung der Schriftform. In der Mitteilung des Antragsgegners vom 08. November 2012 über die Kündigung des Wasserversorgungsvertrages durch den neuen Grundstückseigentümer und die Einstellung der Wasserversorgung am 02. Januar 2013 ist auch eine Kündigung des noch zwischen Antragsgegner und Antragsteller fortbestehenden Wasserversorgungsvertrags durch den Antragsgegner zu sehen.

Zwar irrt der Antragsgegner, wenn er der Ansicht ist, das Vertragsverhältnis sei mit Eigentumsübergang "automatisch" auf den neuen Eigentümer übergegangen und könne nun nur durch diesen gekündigt werden. Vielmehr ist in der Rechtsprechung des BGH anerkannt, dass ein bestehendes Vertragsverhältnis zwischen einem Versorgungsunternehmen und einem Nichteigentümer Vorrang vor einem regelmäßig mit dem Grundstückseigentümer zu schließenden Versorgungsvertrag hat, um sicherzustellen, dass die Erbringung von Versorgungsleistungen ohne vertragliche Grundlage vermieden wird (Urteil vom 10. Dezember 2008 - VIII ZR 293/07 - zit. nach [...]).

Allerdings hat der Antragsgegner mit seinem Schreiben vom 08. November 2012 den Antragstellern gegenüber unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er diese nicht mehr mit Wasser beliefern werde. Dies genügt für die Annahme einer Kündigung. Die in § 32 AVBWasserV festgelegten Form- und Fristerfordernisse hat der Antragsgegner eingehalten.

Eine Korrektur dieses Ergebnisses auf Grundlage der Grundsätze von Treu und Glauben nach § 242 BGB (vgl. VG Frankfurt, Beschluss vom 04. Dezember 2009 - 5 L 264/09 - zit. nach [...]) oder des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. VG Leipzig, Beschluss vom 10. November 2011 - 6 L 676/11 - zit. nach [...]) ist nicht angezeigt. Durch die Einhaltung der Kündigungsfrist nach § 32 Abs. 1 AVBWasserV durch den Antragsgegner hatten die Antragsteller ausreichend Zeit, sich auf die Einstellung der Versorgung vorzubereiten oder ggf. eine Vereinbarung mit dem neuen Grundstückseigentümer zu treffen, der den öffentlich-rechtlichen Wasserversorgungsanspruch gemäß § 3 Abs. 1 der WVS gegenüber dem Antragsgegner geltend machen könnte. Die Kündigung ist auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Antragsgegner kein schutzwürdiges Interesse an der Beendigung des Wasserversorgungsvertrages geltend machen kann oder weil die Beendigung eine besondere Härte für die Antragsteller bedeutet. Der Antragsgegner hat mit der Kündigung des zivilrechtlichen Wasserversorgungsvertrages gegenüber den Antragstellern lediglich die Konsequenzen aus der dem Vertrag zugrunde liegenden öffentlich-rechtlichen Regelung in der WVS gezogen, wonach nur der Grundstückseigentümer den Anspruch auf Trinkwasserbelieferung im Rahmen der Daseinsvorsorge geltend machen kann.

Soweit die Antragsteller einen Anordnungsanspruch auf Entsorgung des Abwassers durch den Antragsgegner begehren, ist keine Anspruchsgrundlage ersichtlich. Die Abwasserbeseitigungssatzung der Gemeinde H. vom 27. März 1986 (Blatt 120 ff. der Gerichtsakte) sieht - anders als § 1 der WVS - keine Übertragung der Versorgungsleistung an den Antragsgegner vor. Dieser setzt lediglich die Abwassergebühren für die Gemeinde H. fest.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 2, 52 Abs.1, 2 GKG. Die Kammer sieht keine genügenden Anhaltspunkte, die für eine Abweichung vom Regelstreitwert sprechen. Da die begehrte Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Vorwegnahme der Hauptsache bedeutet hätte, besteht kein Anlass, den Regelstreitwert herabzusetzen (vgl. Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs in der Fassung der am 7./8. Juli 2004 beschlossenen Änderungen, Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, Anh § 164 Rn. 14).