Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.08.1987, Az.: 6 OVG A 166/85

Vereinbarkeit der Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Studentenwohnheimes samt Einstellplätzen am Rande eines Wohngebietes mit Nachbarrecht; Anforderungen an die Zulässigkeit von Studentenwohnheimen in Wohngebieten; Einordnung eines Studentenheims als Wohngebäude i.S.d. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.08.1987
Aktenzeichen
6 OVG A 166/85
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1987, 20344
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1987:0820.6OVG.A166.85.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 10.07.1985

Verfahrensgegenstand

Anfechtung einer Baugenehmigung für Studentenwohnheim.

Der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein hat
auf die mündliche Verhandlung vom 20. August 1987
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Taegen,
die Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Lemmel und Dr. Jenke sowie
die ehrenamtlichen Richter xxx und xxx
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufungen der Kläger zu 1) und 3) gegen die Urteile des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer Oldenburg - vom 10. Juli 1985 werden zurückgewiesen.

Die Kläger zu 1) und 3) tragen die Kosten der Berufungsverfahren.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Die Kläger zu 1) und 3) wohnen innerhalb der Park- und Wohnanlage Fort xxx in xxx, einem durch den ehemaligen Fort-Graben abgegrenzten bevorzugten Wohnbereich mit etwa 100 Wohneinheiten. Sie wenden sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Studentenwohnheimes mit 38 Einstellplätzen am südwestlichen Rand der Parkwohnanlage.

2

Der Kläger zu 1) ist Eigentümer des am südwestlichen Ende eines aus insgesamt zwölf Reihenhäusern bestehenden Baublocks liegenden zweigeschossigen Reihenendhauses "xxx". Zwischen seinem Grundstück und dem Standort des angegriffenen Studentenwohnheimes liegt ein weiterer, ebenfalls aus zwölf Reihenhäusern bestehender Reihenhausblock. Der Abstand beträgt etwa 100 m. Dem Kläger zu 3) gehört das nördlich liegende, mit einem eingeschossigen Einfamilienwohnhaus bebaute Grundstück "xxx". Der Abstand zur Grenze des Baugrundstückes beträgt etwa 105 m. Der Kläger zu 3) hat zum Grundstück der Beigeladenen wegen der dazwischenliegenden, teilweise zweigeschossigen Bebauung keinen Blickkontakt.

3

Das Wohngebiet "xxx" liegt innerhalb des Geltungsbereiches des Bebauungsplanes Nr. 92 A in der Fassung seiner am 10. Oktober 1980 bekanntgemachten und seitdem rechtsverbindlichen ersten Änderung. Er setzt für das gesamte überplante Gebiet einheitlich allgemeines Wohngebiet, überwiegend zweigeschossige und geschlossene Bauweise bzw. teilweise eingeschossige und offene Bauwelse fest.

4

Den Bauantrag der Beigeladenen vom 14. März 1983 zur Errichtung eines zweigeschossigen Studentenwohnheimes mit etwa 50 m Länge und 15 m Breite (überbaute Fläche 712,80 m2) genehmigte die Beklagte - nach Einreichung einiger Planänderungen der Beigeladenen - mit Bescheid vom 5. Juli 1983. Grundlage der erteilten Baugenehmigung ist ein Studentenwohnheim mit jeweils 25 Appartements im ersten und zweiten Obergeschoß (ein Zimmer, Bad und Flur mit insgesamt entweder 18,01 m2 oder aber 17,17 m2). Dem Bauvorhaben sind insgesamt 38 Einstellplätze zugeordnet, und zwar 18 auf dem Baugrundstück selbst, weitere 8 auf dem im Zufahrtsbereich liegenden Flurstück xxx sowie weitere 12 auf dem Flurstück xxx. Die Zuordnung dieser Flurstücke zum Baugrundstück ist durch Eintragung einer Bau last gesichert. Die Stellplätze auf den Flurstücken xxx und xxx liegen innerhalb eines im Bebauungsplan als Fläche für Gemeinschaftsgaragen und Gemeinschaftsstellplätze (GGA/GST) festgesetzten Bereiches. Der Baugenehmigung ist die Auflage beigefügt, daß nach Fertigstellung der baulichen Anlage das Gebäudegrundstück im Anschluß der südwestlichen Gebäudeseite bis zur öffentlichen Straße "xxx" mit einer dichten und wirkungsvollen Anpflanzung einzugrünen ist. Die im nordöstlichen Grundstücksteil genehmigte Einstellplatzfläche soll gegen die öffentliche Straße und zum nordöstlich angrenzenden Kinderspielplatz mit einer wirkungsvollen Lärmschutzwand abgegrenzt werden, deren Art der Ausbildung und deren Höhe vor Ausführungsbeginn dem Bauordnungsamt der Beklagten schriftlich mitzuteilen ist.

5

Die Baugenehmigung ist weder dem Kläger zu 1) noch dem Kläger zu 3) zugestellt worden. Der Kläger zu 1) erhob am 6. Februar 1984 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung im wesentlichen mit der Begründung Widerspruch, daß das genehmigte Studentenwohnheim zum einen nicht mit den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 92 A vereinbar sein, da es sich bei der Bebauung im Bereich des Fort xxx tatsächlich um ein reines Wohngebiet handele und zum anderen dessen Unzulässigkeit aus § 15 BauNVO folge. Unter dem 23. Februar 1984 erhob ferner der etwa aus 50 Mitgliedern bestehende Bürgerverein xxx e.V. Widerspruch, denn auch die Kläger zu 2) und 3) zugehören. In seinem Schreiben vom 28. Mai 1984 stellte der von den Klägern zu 2) und 3) beauftragte Prozeßbevollmächtigte klar, daß er ihre Interessen als Einzelpersonen vertreten werde. Mit Bescheid vom 11. Juli 1984 wies die Bezirksregierung Weser-Ems die drei Widersprüche mit der Begründung als unzulässig zurück, daß die Kläger aufgrund ihrer räumlichen Entfernung zum Baugrundstück durch die angegriffene Baugenehmigung nicht in subjektiv-öffentlichen Nachbar rechten verletzt würden.

6

Der Kläger zu 1) hat zur Begründung seiner Klage vorgetragen: Die Bebauung im Bereich der Wohnanlage "xxx" könne nur als ein reines Wohngebiet gewertet werden. Es könne dahinstehen, ob ein Studentenwohnheim als ein "Wohngebäude" i.S.d. Vorschriften der BauNVO anzusehen sei, jedenfalls sei es innerhalb dieses besonders schutzwürdigen Baugebietes unzulässig. 50 Appartements und der damit verbundene Zu- und Abgangs verkehr paßten nicht in ein reines Wohngebiet hinein. Die angegriffene Baugenehmigung verstoße auch gegen das in § 15 BauNVO geregelte Rücksichtnahmegebot. In der Kommentierung von Fickert/Fieseler zur BauNVO werde sogar schon ein Wohnheim mit 20 Einzelwohnräumen (Appartements) als unzulässig angesehen.

7

Der Kläger zu 3) hat sich den Ausführungen des Klägers zu 1) angeschlossen. Er hat ergänzend auf den besonderen Wohncharakter des durch den ehemaligen xxx-Graben begrenzten Siedlungsbereiches hingewiesen, der zum einen durch die parkartige Ausgestaltung und zum anderen durch den wild gehaltenen Grüngürtel am xxx-Graben geprägt werde. Ein zweigeschossiges Studentenwohnheim passe nicht in diese nur durch Einfamilienwohnhäuser bestimmte Umgebung.

8

Die Kläger haben beantragt,

die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 5. Juli 1983 und die Widerspruchsbescheide der Bezirksregierung Weser-Ems vom 11. Juli 1984 aufzuheben,

9

Die Beklagte hat beantragt,

die Klagen abzuweisen.

10

Sie hat erwidert: Die Klagen seien bereits unzulässig, denn die Kläger würden durch die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nicht in ihren Rechten verletzt. Es fehle den Klägern an einer konkreten räumlichen Beziehung zum genehmigten Vorhaben. Dies folge zum einen daraus, daß die Grundstücke der Kläger noch durch andere Grundstücke zum streitigen Vorhaben abgeschirmt seien und zum anderen daraus, daß etwaige Emissionen durch begrenzende Auflagen deutlich eingeschränkt würden. Die Klagen könnten auch deswegen keinen Erfolg haben, weil die Kläger ihre - unterstellten - Nachbarrechte verwirkt hätten, über die angegriffene Baugenehmigung vom 5. Juli 1983 sei in der Wilhelmshavener Zeitung vom 18. August 1983 umfänglich berichtet worden. Gleichwohl seien die Widersprüche erst im Februar 1984 erhoben worden. Letztlich könnten die Klagen auch materiell-rechtlich keinen Erfolg haben. Auszugehen sei von den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. xxx A, der ein allgemeines, und nicht ein reines Wohngebiet festsetze. In einem solchen Baugebiet seien Studentenwohnheime grundsätzlich zulässig. Auch sie verweise insoweit auf die einschlägigen Ausführungen im Kommentar von Fickert/Fieseler. Angesichts der Lage des Studentenwohnheimes und der der Baugenehmigung beigefügten Auflagen liege auch nicht ein Verstoß gegen § 15 BauNVO vor.

11

Das Verwaltungsgericht hat die Klagen nach Ortsbesichtigung durch die Kammer mit Urteilen vom 10. Juli 1985 abgewiesen. Wegen der Begründung im einzelnen wird auf die verwaltungsgerichtlichen Ausführungen Bezug genommen.

12

Die Kläger zu 1) und 3) haben gegen die Urteile rechtzeitig Berufung eingelegt. Sie tragen ergänzend vor: Zwar dürfte in der Tat entsprechend den Festsetzungen im Bebauungsplan Nr. 92 A von einer Einstufung des Plangebietes als allgemeines Wohngebiet auszugehen sein. Dies ändere aber nichts an der Unzulässigkeit des Studentenwohnheimes. Entgegen der von Fickert/Fieseler vertretenen Auffassung sei nämlich sehr wohl fraglich, ob ein derartiges Wohnheim unter ein "Wohngebäude" i.S.d. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO falle. Unabhängig davon hielten sie daran fest, daß § 15 BauNVO der Errichtung des Wohnheimes innerhalb ihrer abgegrenzten Park-Wohnanlage entgegenstehe. Auch handele es sich bei dem Studentenwohnheim nicht um eine Hausgruppe, wie es der Bebauungsplan Nr. xxx A festsetze.

13

Die Kläger zu 1) und 3) beantragen,

unter Änderung der angefochtenen Urteile nach ihren Klaganträgen zu erkennen.

14

Die Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

15

Sie hält an ihrem erstinstanzlichen Vortrag fest, den sie vertieft.

16

Die Beigeladene hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

17

Der Senat hat die Grundstücke der Kläger zu 1) und 3) und die nähere Umgebung besichtigt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20. August 1987 verwiesen.

18

Wegen des Sachverhaltes und des Vortrages der Beteiligten im einzelnen wird auf deren Schriftsätze in beiden Rechtszügen und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

19

II.

Die zulässigen Berufungen der Kläger zu 1) und 3) sind unbegründet. Durch die angegriffene Baugenehmigung zur Errichtung des Studentenwohnheimes mit 38 Einstellplätzen am Rande des Wohngebietes "xxx" werden subjektive Rechte der Kläger nicht verletzt (§§ 113 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 2 VwGO).

20

Der Senat teilt allerdings die bereits vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, daß die Kläger ihre nachbarlichen Abwehrrechte gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 5. Juli 1983 nicht verwirkt haben. Ausgangspunkt der rechtlichen Betrachtung ist zunächst die Feststellung, daß die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 5. Juli 1983 den Klägern zu 1) und 3) nicht zugestellt worden ist. Es ist geklärt, daß die Bekanntgabe einer Baugenehmigung allein an den Bauherrn als ihren Adressaten nicht auch zugleich die Rechtsbehelfs fristen für den Nachbarn in Lauf setzt. Unterbleibt eine Zustellung der Baugenehmigung auch an den Nachbarn, beginnt für ihn weder in unmittelbarer noch in analoger Anwendung der §§ 70, 58 Abs. 2 VwGO eine Widerspruchsfrist zu laufen.

21

Die unterbliebene Zustellung an einen Grundstücksnachbarn führt allerdings nicht dazu, daß ihm mögliche nachbarliche Abwehrrechte gewissermaßen auf Dauer erhalten bleiben. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß nachbarliche Abwehrrechte sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht verwirkt werden können. Beides ist hier nicht der Fall.

22

Die Einlegung eines Widerspruchs ist in materieller Hinsicht als verspätet zu bewerten, wenn sich die Rechtsbehelfseinlegung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben als unzulässige Rechtsausübung darstellt. Bei der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage stehen die Grundstückseigentümer in einer besonderen Rechtsstellung zueinander. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werden die wechselseitigen Rechtsbeziehungen durch ein "besonderes nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis gekennzeichnet, das nach Treu und Glauben von den grenznachbarlich Verbundenen besondere Rücksichten gegeneinander fordert" (BVerwG, Urt. v. 25.1.1974 - BVerwG IV C 2.72 -, BVerwGE 44, 294 = NJW 1974, 1260; BVerwG, Urt. v. 20.10.1972 - BVerwG IV C 27.70 -, BauR 1973, 295 = BRS 25 Nr. 176). Dieses nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis verpflichtet den Nachbarn, durch ein zumutbares aktives Handeln mitzuwirken, einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden bzw. einen Vermögensverlust möglichst niedrig zu halten. Der Nachbar muß also grundsätzlich seine Einwendungen ungesäumt geltend machen und kann mit seinem Vorbringen nicht etwa noch Jahre nach Fertigstellung eines Bauvorhabens durchdringen. Hat ein Nachbar etwa von der dem Bauwilligen erteilten Baugenehmigung auf andere Weise zuverlässig Kenntnis erlangt, so muß er sich bezüglich der Widerspruchseinlegung so behandeln lassen, als sei ihm die Baugenehmigung im Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntniserlangung amtlich bekanntgegeben worden.

23

Hier beruft sich die Beklagte darauf, daß die Kläger durch umfängliche Berichterstattungen in der Wilhelmshavener Zeitung, u.a. am 18. August 1983, über die am 5. Juli 1983 erteilte Baugenehmigung unterrichtet gewesen seien. Gleichwohl habe der Kläger zu 1) erst am 7. Februar 1984 Widerspruch erhoben. Vergleichbares gelte für den Kläger zu 3), dessen Widerspruch erst am 23. Februar 1984 durch den Bürgerverein xxx bzw. am 28. Mai 1984 durch die Klarstellung des Prozeßbevollmächtigten eingelegt worden sei. Dieser zeitliche Ablauf läßt aber die Annahme einer Verwirkung der Anfechtungsrechte der Kläger zu 1) und 3) gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung in materieller Hinsicht nicht zu. Auch wenn man in der Berichterstattung in der Zeitung eine "sichere" Kenntnis von der Erteilung einer Baugenehmigung sehen würde, erscheint die Widerspruchserhebung erst im Februar 1984 unter den hier gegebenen Umständen nicht treuwidrig. Wird nämlich einem Nachbarn mit der anderweitigen Kenntniserlangung nicht zugleich eine amtliche Rechtsmittelbelehrung erteilt, kann er seinen Widerspruch grundsätzlich noch innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO einlegen. Erst ein nach Ablauf dieser Jahresfrist eingelegter Widerspruch wird unter dem Gesichtspunkt der materiellen Verwirkung unzulässig. Beide Kläger haben aber hier die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO beachtet.

24

Die Kläger haben auch nicht ihr verfahrensrechtliches Widerspruchsrecht verwirkt. Im Unterschied zur materiellrechtlichen Verwirkung ist eine Verwirkung des verfahrensrechtlichen Anfechtungsrechtes nicht an die Fristen der §§ 70 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden (BVerwG, Urt. v. 25.1.1974, a.a.O.). Sie kann deshalb je nach den Umständen des Einzelfalles nicht nur schon erheblich vor Ablauf der Jahresfrist eintreten, sondern - insbesondere bei kleineren Bauvorhaben - auch schon innerhalb der Einmonatsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO. Verfahrensrechtliche Anfechtungsrechte verwirken, etwa dann, wenn ein Nachbar ein Bauwerk gewissermaßen "vor seinen Augen" entstehen läßt, um seinen Widerspruch dann treuewidrig erst dann einzulegen, wenn der Schaden des Bauherrn nach Fertigstellung des Bauwerks am größten ist. Auch eine derartige Fallkonstellation ist hier aber nicht gegeben. Die Ortsbesichtigung durch den Senat hat gezeigt, daß auf dem Baugrundstück noch keinerlei nach außen erkennbare Bautätigkeiten stattgefunden haben. Von einer gegen Treu und Glauben verstoßenden Widerspruchseinlegung der Kläger erst im Februar 1984 kann daher auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht ausgegangen werden.

25

Die Berufungen der Kläger zu 1) und 3) sind jedoch in der Sache zurückzuweisen, denn die angegriffene Baugenehmigung vom 5. Juli 1983 zur Errichtung des Studentenwohnheimes mit 50 Appartements-Wohnungen verstößt nicht gegen nachbarliche Rechte. Der Senat teilt schon nicht die Auffassung der Kläger, daß das genehmigte Bauvorhaben innerhalb des durch den Bebauungsplan Nr. xxx A festgesetzten allgemeinen Wohngebietes rechtswidrig genehmigt worden ist. Die in der Literatur und Rechtsprechung kontrovers diskutierte Frage der Zulässigkeit von Studentenwohnheimen in Wohngebieten stellt sich in dieser Allgemeinheit hier nicht (siehe befürwortend insbes. die näher begründeten Ausführungen v. Fickert/Fieseler, BauNVO, Kommentar, 5. Aufl., § 3 BauNVO, Tn. 14; Bielenberg, BauNVO, Loseblattkommentar Stand August 1986, RdNr. 10 zu § 3; ferner Schlez, BauNVO, Kommentar, RdNr. 3 zu § 3; Gelzer, Bauplanungsrecht, 4. Aufl., RdNr. 556; Brügelmann/Förster, BauNVO, Loseblattkommentar, § 3 Bern. 2; a.A. dagegen: Knaup/Stange, BauNVO, Kommentar, 2. Aufl., Anm. 2 zu § 3; Krause, DÖV 1968, 637; Boeddinghaus/Franßen/Rohde, BauNVO, Kommentar, RdNr. 6 zu § 3; ferner OVG Saarland, Urt. v. 12.12.1969 - II R 62/69 -, BRS 22 Nr. 43, zur Unzulässigkeit eines Studentenwohnheimes mit 43 Wohnräumen inmitten eines reinen Wohngebietes). Der Begriff eines "Studentenwohnheims" ist nämlich zu allgemein gehalten, als daß sich daraus allgemeingültige Rückschlüsse auf seine Zulässigkeit in einem Wohngebiet ergeben. Maßgeblich ist vielmehr, und zwar ausgehend von dem u.a. sowohl in § 3 Abs. 2 als auch § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO angeführten Begriff des "Wohngebäudes", ob das konkret genehmigte Studentenwohnheim als ein "Wohngebäude" zu fassen ist, "das zum dauernden Wohnen geeignet und bestimmt ist". Dabei beschränkt sich der Begriff des Wohngebäudes - im herkömmlichen Sinne - nicht nur auf Gebäude mit Wohnungen etwa vom Eigen heim im Bungalowstil bis zum vielgeschossigen Mietshaus, sondern er umfaßt "alle" Formen des dauernden Wohnens (Fickert/Fieseler, a.a.O., Tn. 10 zu § 3), Dem Wohnen dienen grundsätzlich alle Gebäude, in denen Wohnungen vorhanden sind. Daher können zu den Wohngebäuden vom Grundsatz her auch Wohnheime zählen, allerdings nur dann, wenn sie nach Zweckbestimmung und Ausstattung Wohnbedürfnisse erfüllen können und sollen (Bielenberg, BauNVO, RdNr. 10 zu § 3).

26

Gemessen an diesen Kriterien ist das Studentenheim in der genehmigten Ausstattung ein Wohngebäude i.S.d. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO. Das Bauvorhaben weist - neben untergeordneten Funktionsräumen für die Allgemeinheit - insgesamt 50 Appartements in der Größenordnung von entweder 16,01 m2 oder 17,17 m2 auf. Die Appartements bestehen jeweils aus einem Zimmer (Aufenthalt und Schlafen), einer Küche necke mit Flurbereich sowie einem WC mit Dusche. Sie bieten dem jeweiligen Bewohner alle mit der Führung eines häuslichen Lebens und eines Haushaltes verbundenen Grundbedürfnisse. Das genehmigte Studentenwohnheim unterscheidet sich in keiner Hinsicht von sonstigen "Appartementhäusern", die unzweifelhaft als dem Wohnen dienend in einem WA-Gebiet zulässig sind. Daß das von den Klägern angegriffene Vorhaben ausschließlich von Studenten bewohnt werden soll, ändert nichts an dem allein maßgeblichen Kriterium der BauNVO "Wohngebäude".

27

Allerdings können grundsätzlich zulässige bauliche Anlagen im Einzelfall nach § 15 Abs. 1 BauNVO unzulässig sein, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen (Satz 1). Ein Vorhaben ist auch unzulässig, wenn von ihm Belästigungen oder Störungen- ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebietes im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind (Satz 2). Dieser spezialgesetzlichen Ausprägung des baurechtlichen Gebotes der Rücksichtnahme kann in Ausnahmefällen auch nachbarschützende Bedeutung zukommen, nämlich dann, wenn in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Dies gilt allerdings nur für diejenigen Ausnahmefälle, in denen - erstens die tatsächlichen Umstände handgreiflich ergeben, auf wen Rücksicht zu nehmen ist, und - zweitens - eine besondere rechtliche Schutzwürdigkeit des Betroffenen anzuerkennen ist (BVerwG, Urt. v. 5.8.1983 - BVerwG 4 C 96.79 -, BVerwGE 67, 334 = NJW 1984, 138). Hier ist bereits fraglich, ob eine derartige Schutzwürdigkeit der Kläger zu 1) und 3) "handgreiflich" naheliegt, denn der Abstand ihrer Grundstücke zum Baugrundstück beträgt immerhin 100 m und mehr. Unabhängig davon ist aber jedenfalls eine "besondere rechtliche Schutzwürdigkeit" nicht anzuerkennen. Dies gilt vorrangig im Hinblick auf die Lage und auf die Größe des Studentenwohnheimes. Der Standort begegnet keinen Bedenken. Das Bauvorhaben liegt vielmehr im Einfahrtsbereich zum Wohngebiet "xxx" sogar besonders günstig. Auch die Größe mit 50 Appartements hält sich im Rahmen der planungsrechtlichen Vorgabe des Bebauungsplanes Nr. xxx A. Ob, wie in einem Bebauungsentwurf vorgesehen, weitere neun Wohneinheiten mit etwa 25 bis 35 Bewohnern oder aber ein Appartementhaus mit 50 Bewohnern zur vorhandenen Bebauung hinzukommt, ist aus planungsrechtlicher Sicht nahezu gleich) zustellen, Etwas anderes gilt auch nicht für den mit dem Wohnheim verbundenen Zu- und Abgangsverkehr. Die 18 Einstellplätze auf dem Baugrundstück selbst sind unbedenklich. Auch sie liegen im Nahbereich zur Zugangsstraße. Die von den Klägern befürchtete "Rundfahrt" durch das rückwärtige Plangebiet entspricht nicht dem normalen und zu erwartenden Fahrverhalten und ist daher grundsätzlich unerheblich. Unbedenklich sind auch die weiteren acht Stellplätze auf dem Flurstück xxx. Auch sie liegen in unmittelbarer Nähe zur Planstraße A. Gewisse Belästigungen sind lediglich von den auf dem Flurstuck xxx vorgesehenen weiteren zwölf Stellplätzen zu erwarten. Diese Beeinträchtigungen sind aber nicht unzumutbar, denn sie liegen in einem Bereich des Plangebietes, für den ohnehin "Flächen für Gemeinschaftsstellplätze" festgesetzt ist. Es ist nicht ersichtlich, daß dieser Festsetzung am Rand des Plangebiet es aus dem Gebot der Abwägung des § 1 Abs. 7 BBauG Bedenken begegnen. Vielmehr führt der mit dem Studentenwohnheim verbundene Kraftfahrzeugverkehr nur zu einer allgemeinen Erhöhung der Verkehrsbelastung in dem Wohngebiet, die von den Bewohnern hinzunehmen ist (BVerwG, Beschl. v. 5.10.1984 - BVerwG 4 B 190-192.84 -, ZfBR 1984, 300 [BVerwG 05.10.1984 - BVerwG 4 B 190.84] = BRS 42 Nr. 99).

28

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.

29

Der Senat läßt die Revision nicht zu, weil er weder über klärungsbedürftige Fragen von grundsätzlicher Bedeutung entscheidet, die revisibel sind, noch von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht (§§ 132, 137 VwGO).

30

Rechtsmittelbelehrung

31

Die Nichtzulassung der Revision kann innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule (§ 67 Abs. 1 VwGO) beim

32

Oberverwaltungsgericht für die Länder

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Niedersachsen und Schleswig-Holstein

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2120 Lüneburg, Uelzener Straße 40,

35

durch eine noch innerhalb derselben Frist zu begründende Beschwerde angefochten werden (§ 132 VwGO).

36

...

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 8.000,-- DU (i.W.: achttausend Deutsche Mark) festgesetzt.

Taegen
Dr. Lemmel
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Jenke ist ortsabwesend und gehindert zu unterzeichnen. - Taegen