Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.08.2004, Az.: 8 K 811/03
Kindergeldliche Berücksichtigung eines in der Ausbildung befindlichen Kindes; Voraussetzungen für das Befinden in einer Berufsausbildung; Anspruch auf Kindergeld bei Ausübung einer Vollzeiterwerbstätigkeit; Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit unmittelbar nach der allgemeinbildenden Schule
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 26.08.2004
- Aktenzeichen
- 8 K 811/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 27677
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2004:0826.8K811.03.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - AZ: VIII R 92/04
Rechtsgrundlage
- § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a EStG
Fundstelle
- EFG 2005, 625-626 (Volltext mit amtl. LS)
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger Kindergeld für seine Tochter für den Zeitraum Januar bis Juli 2002 zusteht.
Die 1982 geborene Tochter besuchte bis Juni 2002 das Gymnasium. Ab Mitte Juli hatte sie eine befristete Tätigkeit (8 Stunden täglich) angenommen. Das Arbeitsverhältnis endete zum 31.03.2003. In der Zeit vom 16.07.2002 bis 31.12.2002 erzielte sie hieraus Einkünfte in Höhe von 9.003,10 EUR. Während dieser Aushilfstätigkeit bewarb sie sich erfolglos um einen Studienplatz. Ab Oktober 2003 studiert die Tochter.
Mit Bescheid vom 04.06.2003 hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung für die Zeit vom 01.01.2002 bis 31.10.2002 auf. Zur Begründung führte er aus, dass die Einkünfte und Bezüge der Tochter mehr als 7.188,00 EUR im Jahr 2002 betragen hätten.
Hiergegen legte der Kläger erfolglos Einspruch ein.
In der vorliegenden Klage trägt der Kläger vor, für die Zeit der schulischen Ausbildung stehe ihm Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 a EStG zu, da seiner Tochter in diesem Zeitraum keine Einkünfte oder Bezüge zugeflossen seien. Die von ihr aufgenommene Vollzeiterwerbstätigkeit mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 8 Stunden habe ihre gesamte Arbeitskraft gefordert. Sie habe diese Tätigkeit nicht zeitgleich mit einer Ausbildung begonnen oder sie zur Finanzierung eines Studiums aufgenommen. In der Zeit ab Mitte Juli habe sie daher keinen der Tatbestände des § 32 EStG erfüllt, ein Anspruch auf Kindergeld habe für diesen Zeitraum nicht bestanden. Seine Tochter habe in diesem Zeitraum eigene Einkünfte erzielt und habe somit für ihren Unterhalt selbst aufkommen können. Nach der Rechtsprechung des BFH liege mit Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit keine Berufsausbildung mehr vor. Die Dauer der Vollzeiterwerbstätigkeit sei dabei unerheblich.
Der Kläger beantragt,
Kindergeld für den Zeitraum Januar bis Juli 2002 festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er führt aus, der Kläger habe erklärt, dass sich die Tochter auch während der Aushilfstätigkeit weiter um einen Studienplatz bemüht und die Tätigkeit zur Überbrückung der Wartezeit ausgeübt habe. Es habe für das gesamte Jahr 2002 einen Anspruch auf Kindergeld bestanden, da sich die Tochter von Januar bis Juli 2002 in Schulausbildung befunden und sie sich anschließend um einen Studienplatz bemüht habe. Zwar habe der BFH entschieden, dass ein Kind für Monate, in welchen es im Anschluss an eine berufsqualifizierende Ausbildung einer Vollerwerbstätigkeit nachgehe, nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c EStG zu berücksichtigen sei, ein solcher Fall läge hier aber nicht vor. Der Besuch einer allgemeinbildenden Schule sei keine berufsqualifizierende Ausbildung, da im Anschluss an den Schulbesuch noch kein Beruf ausgeübt werden könne. Mangels einer"Vollzeiterwerbstätigkeit" bestünde daher für die Tochter dem Grunde nach im gesamten Jahr 2002 Anspruch auf Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a und c EStG. Da die Einkünfte und Bezüge der Tochter aber nach Abzug der Werbungskostenpauschale 7.959,10 EUR betragen hätten und somit über der Einkommensgrenze von 7.188,00 EUR gelegen hätten, stehe dem Kläger für das Jahr 2002 kein Kindergeld zu.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens und des Vortrags der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Klage- und Kindergeldakte.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist hinsichtlich des Kindergeldes für die Monate Januar bis Juni begründet, im Übrigen unbegründet.
Dem Kläger steht Kindergeld für seine Tochter für die Monate Januar bis Juni 2002 zu (§§ 63 Abs. 1 Satz 2, 32 Abs. 4 Nr. 2 a und Sätze 2, 6, 7 EStG). Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG wird ein Kind berücksichtigt, wenn es noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird. Ein Kind befindet sich in Berufsausbildung, solange es sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber noch ernstlich darauf vorbereitet (vgl. BFH-Urteil vom 24. Mai 2000 , , ). Dies ist vorliegend hinsichtlich der Tochter in der Zeit von Januar bis Juni 2002 der Fall, da sie während dieser Zeit das Gymnasium besucht hat.
Für die Monate ab Juli 2002 bis März 2003 ist entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten aber nicht mehr davon auszugehen, dass sich die Tochter in Berufsausbildung befunden hat. Der Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c EStG ist nämlich dann nicht mehr erfüllt, wenn das Kind einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht (vgl. BFH-Urteil vom 19.10.2001 VI R 39/00, BFHE 197, 92, BStBl II 2002, 481). Dies gilt entgegen der Auffassung des Beklagten nicht nur in den Fällen, in denen das Kind im Anschluss an eine berufsqualifizierende Ausbildung einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht, sondern nachÜberzeugung des Senates auch, wenn das Kind vor Aufnahme der Vollzeiterwerbstätigkeit eine allgemeinbildende Schule erfolgreich abschließt. Zwar ist für eine Vielzahl von Berufen eine abgeschlossene Berufsausbildung notwendig oder zumindest hilfreich, dies gilt aber bei weitem nicht für alle Berufe. Auch ohne weitere qualifizierende Ausbildung ist die Aufnahme einer (dauerhaften) Berufstätigkeit möglich. Die vom BFH getroffenen Entscheidungen (vom 19.10.2001 VI R 39/00, BFHE 197, 92, BStBl II 2002, 481 und vom 23.11.2001 VI R 77/99, BFHE 197, 383, BStBl II 2002, 484) betreffen zwar Sachverhalte, in denen die Kinder vor der Vollzeiterwerbstätigkeit eine Berufsausbildung abgeschlossen hatten. Der Senat vermag den Entscheidungen aber nicht zu entnehmen, dass der BFH seine Rechtsprechung insoweit auf diese Sachverhaltsgestaltung beschränken wollte. Vielmehr ergibt sich aus den Entscheidungen, dass eine derartige Einschränkung nicht zu machen ist, denn auch bei Vollzeiterwerbstätigkeit unmittelbar nach der allgemeinbildenden Schule fehlt es an einer Unterhaltssituation, die typischerweise derjenigen entspricht, in der sich ein Kind während der Ausbildung befindet.
In der Zeit von Januar bis Juni 2002 überstiegen die Einkünfte und Bezüge der Tochter auch nicht den anteiligen Grenzbetrag von 7.188,00 EUR (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG), denn in dieser Zeit hatte sie keine eigenen Einkünfte oder Bezüge. Die in der Folgezeit erzielten Einkünfte bleiben außer Ansatz, da die Tochter - wie oben ausgeführt - in dieser Zeit die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 2 a EStG nicht erfüllt hat.
Für den Monat Juli 2002 ist entgegen der Auffassung des Kläger allerdings kein Kindergeld mehr zu gewähren. In diesem Monat hat die Tochter die Schule nicht mehr besucht. Sie wurde damit nicht mehr im Sinne des § 32 Abs. 4 Nr. 2 a EStG für einen Beruf ausgebildet. Sie befand sich auch nicht im Sinne des § 32 Abs. 4 Nr. 2 b EStG im Übergang zwischen zwei Ausbildungsabschnitten, da sie im Anschluss eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufgenommen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.