Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 12.03.2009, Az.: 10 B 1039/09

Rechtmäßigkeit eines großräumigen Aufenthaltsverbotes ; Aufgabe der Gefahrenabwehr durch die Polizei und die Verwaltungsbehörden

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
12.03.2009
Aktenzeichen
10 B 1039/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 36060
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2009:0312.10B1039.09.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 12.05.2009 - AZ: 11 ME 190/09

Verfahrensgegenstand

Aufenthaltsverbot
- Antrag nach §80 Abs. 5 VwGO -

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 10. Kammer -
am 12. März 2009
beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 03.03.2009 gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 25.02.2009 - Aufenthaltsverbot - wird wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EURO festgesetzt.

Gründe

1

Der zulässige Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 25.02.2009 wiederherzustellen,

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hat Erfolg.

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Nach derzeitigem Erkenntnisstand der Kammer überwiegt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung, weil gegen die Rechtmäßigkeit der Verfügung erhebliche Bedenken bestehen und der Erfolg der Klage nach summarischer Prüfung wahrscheinlicher ist als das Unterliegen des Antragstellers.

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Die Verfügung der Antragsgegnerin erweist sich voraussichtlich als formell rechtswidrig, denn die Antragsgegnerin ist für den Erlass dieser und vergleichbarer Verfügungen nicht zuständig.

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Rechtsgrundlage der Verfügung ist §17 Abs. 4 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) vom 19. Januar 2005 (Nds. GVBl. 2005, 9). Danach kann einer Person für eine bestimmte Zeit verboten werden, einen bestimmten örtlichen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person in diesem Bereich eine Straftat begehen wird.

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Zunächst ergibt sich weder aus §17 Abs. 4 Nds. SOG, noch aus §1 Abs. 1 Satz 3 oder §1 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG eine originäre Zuständigkeit der Antragsgegnerin.

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Anders als etwa §17 Abs. 2 Nds. SOG (Platzverweisung aus einer Wohnung) weist das Gesetz in Abs. 4 der Vorschrift die Zuständigkeit für großräumige Aufenthaltsverbote nicht ausschließlich der Polizei, sondern - mangels eigener Regelung durch Rückgriff auf Abs. 1 - den Verwaltungsbehörden und der Polizei gemeinsam zu.

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Diese Aufgabenzuweisung entspricht damit der für das übrige Gefahrenabwehrrecht geltenden allgemeinen Regel des §1 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG, wonach die Verwaltungsbehörden und die Polizei gemeinsam die Aufgabe der Gefahrenabwehr haben. Hieraus folgt jedoch nicht unmittelbar eine originäre Zuständigkeit der Polizei. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat - zur insofern gleichlautenden früheren Fassung der Vorschrift - in seinem Beschluss vom 19. Januar 2004 (11 LA 319/03) hierzu ausgeführt:

"§1 Abs. 2 Nds. SOG grenzt die Zuständigkeiten zwischen Verwaltungsbehörde und Polizei ab, die grundsätzlich nach §1 Abs. 1 Nds. SOG gleichermaßen für die Gefahrenabwehr zuständig sind. Gibt es danach für die bestehende Gefahrenlage eine zuständige Verwaltungsbehörde, so ist grundsätzlich diese zuständig. Lediglich wenn die Verwaltungsbehörde diese Gefahr "nicht rechtzeitig" abwehren kann, greift sekundär die polizeiliche Notzuständigkeit ein. Gibt es dagegen für den fraglichen Aspekt der Gefahrenabwehr (überhaupt) keine zuständige Verwaltungsbehörde (ist also eine Gefahrenabwehr durch die Verwaltungsbehörden "nicht" möglich), so greift die originäre eigene Zuständigkeit der Polizei ein (vgl. Waechter, Polizei- und Ordnungsrecht, Landesrecht Niedersachsen, 2000, S. 213, Rdnr. 291 ff.; Ipsen, Nds. Gefahrenabwehrrecht, 2. Aufl., 2001, S. 184, Rdnr. 607 ff.)".

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Originär zuständig ist die Polizei im Rahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr demnach nur, wenn es für eine bestimmte Gefahrenlage keine zuständige Verwaltungsbehörde gibt. Das ist bei großräumigen Aufenthaltsverboten nicht der Fall. Zum einen weist schon die Befugnisnorm des §17 Abs. 4 Nds. SOG die Zuständigkeit ausdrücklich den Verwaltungsbehörden und der Polizei zu und setzt damit voraus, dass für diese Situation zuständige Verwaltungsbehörden - die Gemeinden - existieren. Zum anderen ist der Kammer aus anderen Verfahren bekannt, dass großräumige Aufenthaltsverbote in der Vergangenheit auch seitens der Verwaltungsbehörden erteilt wurden (vgl. etwa Urt. v. 08.01.2009 - 10 A 1781/08 -). Gleiches gilt für das Verfahren bei der Erteilung von Meldeauflagen gegenüber potentiellen Gewalttätern im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen. Auch diese Meldeauflagen werden zum Zwecke der Verhütung von Straftaten erlassen und beruhen auf polizeilichen Erkenntnissen, die seitens der Polizei an die Verwaltungsbehörde übermittelt werden, worauf die Verwaltungsbehörde die entsprechenden Maßnahmen ergreift.

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Auch aus §1 Abs. 1 Satz 3 Nds. SOG ergibt sich keine originäre Zuständigkeit der Antragsgegnerin. Nach dieser Vorschrift ist die Polizei originär zuständig, soweit eine Maßnahme der Verhütung von Straftaten dient. Das ist bei einem Aufenthaltsverbot, das nach §17 Abs. 4 Nds. SOG ausdrücklich die Befürchtung zukünftiger Straftaten voraussetzt, der Fall. Die originäre Zuständigkeit der Polizei für die Verhütung von Straftaten beruht jedoch über diese Zweckrichtung hinaus auf der Erwägung, dass die Polizei zur Verhütung von Straftaten vorrangig tätig wird, weil ihr hierzu bestimmte Befugnisse zur Erkenntnisgewinnung vorbehalten sind und nur sie aus ihrer strafverfolgenden Tätigkeit über spezifisches Erfahrungswissen verfügt, um kriminellen Gefahren wirksam entgegentreten zu können (vgl. Nr. 1.2 der Ausführungsbestimmungen zu §1 Nds. SOG - RdErl. des MI v. 16.07.1998 (Nds. MBl. S. 1078)). Fehlt es an diesen besonderen Voraussetzungen, bleibt es bei der originären Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden. So ist es hier, weil die Verfügung nicht auf dem bloßen Ansammeln polizeilicher Erkenntnisse beruht, sondern deren Auswertung voraussetzt, die auch seitens der Ordnungsbehörden erfolgen kann (und - wie der vergleichende Blick auf den dem Urteil vom 08.01.2009 zugrunde liegenden Fall zeigt - auch erfolgt).

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Soweit die Antragsgegnerin in Anspruch nimmt, das Verfahren sachnäher und praxisnäher betreiben zu können, ist solches aus dem Ablauf des hier betroffenen Verwaltungsverfahrens nicht ersichtlich. Vielmehr legt der Verfahrensgang nahe, dass das Aufenthaltsverbot genauso gut durch einfaches ordnungsbehördliches Handeln hätte erlassen werden können: Der Sachbearbeiter der Polizeiinspektion Ost, der die Anlassvorfälle bearbeitet hat, hat nach Abschluss der Ermittlungen den Vorgang mit Abverfügung vom 29.01.2009 an das Dezernat 22.2 der Antragsgegnerin übermittelt. Mit der Abverfügung wurde der Erlass eines Aufenthaltsverbots unter Mitteilung der wesentlichen Ermittlungsergebnisse und einer auf den Anlasstaten und polizeilichen Vorerkenntnissen beruhenden Gefahrenprognose mitgeteilt. Dabei wurden die Vorerkenntnisse lediglich auf einem Anlagebogen unter Nennung von Tatzeit und -ort, Kurzbeschreibung und Vorgangsnummer mitgeteilt. Weiterhin befand sich bei der Anregung ein Auszug aus dem Niedersächsischen Vorgangsbearbeitungs-, Analyse-, Dokumentations- und Informations-System NIVADIS. Am 12.02.2009 übersandte die Antragsgegnerin - Dezernat 22.2 - dem Antragsteller ein Anhörungsschreiben. Darüber hinaus gehende Ermittlungen seitens der Sachbearbeiterin sind aus dem Verwaltungsvorgang nicht ersichtlich; insbesondere ist eine Auswertung der Ermittlungsvorgänge zu den Vorerkenntnissen nicht (bzw. erst nach Zustellung von Klage und Eilantrag) erfolgt. Unter dem 25.02.2009 erließ die Antragsgegnerin schließlich die angegriffene Anordnung. Dass die von Dezernat 22 der Antragsgegnerin getroffenen Maßnahmen - Anhörung und Erlass der Anordnung - nicht auch von einer Verwaltungsbehörde hätten getroffen werden können, erschließt sich der Kammer nicht. Der Umfang der im hiesigen Verfahren der Anordnung vorausgegangenen Ermittlungen gibt Anlass zu der Bemerkung, dass es aus Sicht der Kammer ebenso denkbar wie wünschenswert wäre, dass eine Verwaltungsbehörde die ihr polizeilicherseits zur Verfügung gestellten Erkenntnisse im Rahmen einer Entscheidung, die sie im eigenen Namen nach außen zu vertreten hätte, kritischer würdigt und hinsichtlich vorhandener, aber unzureichend belegter Vorerkenntnisse Rücksprache mit den ermittelnden Beamten hält, bevor die Verfügung erlassen wird oder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren verteidigt werden muss.

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Schließlich kann auch das zwischen der Antragsgegnerin und der Landeshauptstadt Hannover am 07.05.2008 erzielte Einvernehmen keine originäre Zuständigkeit der Polizei begründen, weil das Gesetz entgegenstehende Zuständigkeitsregelungen trifft. Hiervon abweichende Zuständigkeitsvereinbarungen sieht das Gesetz nicht vor.

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Auch die Eilzuständigkeit der Polizei (i. S. des §1 Abs. 2 Satz 1 Nds. SOG) war vorliegend nicht gegeben. Die Eilzuständigkeit setzt voraus, dass die Verwaltungsbehörde nicht oder nicht rechtzeitig tätig werden kann. Das ist im Falle langfristig wirkender Maßnahmen wie den Aufenthaltsverboten nach §17 Abs. 4 Nds. SOG nicht der Fall. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ergibt sich die Eilbedürftigkeit nicht schon daraus, dass sich die den Aufenthaltsverboten zugrunde liegenden Anlasstaten hauptsächlich in den Wochenendnächten und in den Nächten vor Feiertagen ereignen. Maßgeblich ist insofern nicht der Zeitpunkt der Anlasstat, sondern der Erlasszeitpunkt der jeweiligen Verfügung. Diese dürfte regelmäßig erst einige Zeit nach dem Anlassvorfall ergehen: Die Antragsgegnerin hat als Adressaten von längerfristigen Aufenthaltsverboten Personen in den Blick genommen, die bei aktuellen Taten eine hohe Gewaltbereitschaft zeigen oder aufgrund kriminalpolizeilicher Erkenntnisse aus den letzten zwölf Monaten Anlass zu der Annahme geben, dass sie auch zukünftig Aggressions- und Gewaltdelikte innerhalb der von der Antragsgegnerin benannten Verbotszonen begehen. Ist bei dem zweiten Kriterium bereits aufgrund der erforderlichen Auswertung der polizeilichen Vorerkenntnisse eine Eilbedürftigkeit ausgeschlossen, dürfte auch bei besonders hoher Gewaltbereitschaft die Möglichkeit, einen kurzfristigen Platzverweis zu erteilen oder den Täter in Gewahrsam zu nehmen, zur Abwehr dringender Gefahren genügen, während längerfristige Maßnahmen erst nach Abschluss der Ermittlungen zu treffen sind. Bis dahin ist in der Regel auch dann genügend Zeit, die Verwaltungsbehörden mit dem Fall zu befassen, wenn der Anlassvorfall in den Nächten des Wochenendes stattgefunden hat. Gegen die Annahme einer besonderen Eilbedürftigkeit spricht außerdem - abermals - der Gang des hier betroffenen Verwaltungsverfahrens. Zwischen dem Anlassvorfall am 17.01.2009 und dem Erlass des Aufenthaltsverbots am 25.02.2009 - abgesandt am 27.02.2009 - verging mehr als ein Monat. Allein zwischen der Abverfügung seitens der Polizeiinspektion Ost und dem Eingang im Dezernat 22.2 vergingen zwei ganze Werk- und vier Kalendertage. Das Anhörungsschreiben wurde weitere sieben Werktage nach Eingang gefertigt. Dass in dieser Zeit eine Verwaltungsbehörde nicht oder nicht rechtzeitig hätte tätig werden können, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen. Der Vortrag der Antragsgegnerin, schon nach Ende der ersten strafprozessualen Maßnahmen solle nach Möglichkeit dem Betroffenen ein Anhörungsschreiben ausgehändigt werden, findet zumindest im hiesigen Verfahren keine Entsprechung.

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Schließlich ergibt sich auch aus der notwendigen Kontrolle und Durchsetzung der Verfügung keine Zuständigkeit der Polizei für den Erlass des Aufenthaltsverbots.

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Soweit die Durchsetzung durch eine Ingewahrsamnahme aufgrund von §18 Abs. 1 Nr. 3 Nds. SOG erfolgt, dürften hierbei nicht Mitarbeiter des Dezernats 22.2 im Außendienst tätig werden, sondern Beamte des Einsatz- und Streifendienstes, die mit dem Erlass des Aufenthaltsverbots selbst nicht befasst waren. Hierzu müsste den Beamten des Einsatz- und Streifendienstes der Erlass des Aufenthaltsverbots - und ggf. dessen Vollziehbarkeit - mitgeteilt werden; dies gilt aber unabhängig davon, ob die Verfügung seitens des Dezernats 22.2 der Antragsgegnerin oder seitens einer Verwaltungsbehörde erlassen worden ist. Dass die Verwaltungsbehörde, anders als möglicherweise Dezernat 22.2 der Antragsgegnerin, keinen (Schreib-) Zugriff auf NIVADIS haben dürfte, sondern die Verfügung an die ersuchende Polizeidienststelle melden müsste, stellt keine derartige Erschwernis dar, dass dadurch eine Eilzuständigkeit der Polizei begründet werden könnte. Die Rückmeldung der entscheidenden an die ersuchende Stelle dürfte im Übrigen ohnehin erfolgen.

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Auch soweit das Aufenthaltsverbot - wie in der angegriffenen Anordnung angedroht - durch die Festsetzung von Zwangsgeldern durchgesetzt werden soll, dürfte es keinen Unterschied machen, ob Mitarbeiter des Dezernats 22.2 der Antragsgegnerin oder Mitarbeiter der Landeshauptstadt Hannover das Zwangsgeld festsetzen. In beiden Fällen müssten die Beamten des Einsatz- und Streifendienst einen festgestellten Verstoß gegen das Aufenthaltsverbot erst der das Zwangsgeld festsetzenden Stelle zur Kenntnis geben.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §63 Abs. 2 Satz 1, §53 Abs. 3 Nr. 2, §52 Abs. 2 GKG; eine Reduzierung des Streitwerts im Eilverfahren ist nicht angezeigt, weil durch die Entscheidung im Eilverfahren die Entscheidung in der Hauptsache im Wesentlichen vorweggenommen wird.

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Soweit über den Sachantrag entschieden worden ist, steht den Beteiligten die Beschwerde gegen diesen Beschluss an das ... zu

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