Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 05.12.2002, Az.: S 6 KR 117/01
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 05.12.2002
- Aktenzeichen
- S 6 KR 117/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 35566
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGBRAUN:2002:1205.S6KR117.01.0A
Tenor:
- 1.
Der Bescheid der Beklagten vom 1. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2001 wird aufgehoben.
- 2.
Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den versicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 1.
In der gesetzlichen Krankenversicherung war der Beigeladene zu 1. zuletzt in der Zeit vom 1. Juli 1975 bis 15. November 1975 bei der Beklagten freiwillig versichert. Danach war er durchgehend privat krankenversichert. Ab 1. Oktober 1987 war er für die Klägerin als Verkäufer von Fertighäusern tätig. Hierüber sind zwischen dem Beigeladenen zu 1. und der Klägerin drei sich jeweils ersetzende Verträge geschlossen worden. Im Vertrag vom 30. September 1987 (mit Wirkung vom 1. Oktober 1987) ist der Beigeladene zu 1. als Verkaufsmitarbeiter bezeichnet, in den beiden weiteren Verträgen vom 14. April 1994 (mit Wirkung ab 1. Januar 1994) und vom 10. März 1999 (mit Wirkung vom 1. Januar 1999) als Verkaufsleiter. In den jeweiligen §§ 1 der Verträge heißt es, der Kläger sei freiberuflicher Handelsvertreter im Sinne des § 84 Abs. 1 Handelsgesetzbuch (HGB). Nach den §§ 2 hatte er die Aufgabe, Bauaufträge unter der Markenbezeichnung ... Massivhaus zu vermitteln. Als Verkaufsgebiet war ihm der Raum S. zugewiesen. Entgolten wurde die Tätigkeit gemäß §§ 3 der Verträge ausschließlich über Provisionen für vermittelte Aufträge, die zur Baudurchführung gelangen. Die Provisions- und Unterprovisionsstaffeln wurden im Laufe der Zeit mehrfach modifiziert. Unterprovisionen sind die Provisionen, die der Beigeladene für die von weiteren Verkäufern in seinem Bezirk vermittelten Bauaufträge von der Klägerin erhielt. Ein Fixum wurde weder vertraglich vereinbart noch tatsächlich gezahlt. Der Beigeladene zu 1. bezog während der Zeit seiner Tätigkeit bei der Klägerin nahezu ausschließlich Entgelt aus deren Provisionen. Ausnahmen waren gelegentliche, im Vergleich zum Gesamtumsatz geringfügige, weitere Provisionen aus der Vermittlung anderer, im Zusammenhang mit dem Bauauftrag stehender Geschäfte (z. B. Kreditvermittlung, Vermessungsbüro etc.). Durchschnittlich erzielte der Beigeladene zu 1. Provisionseinnahmen von der Klägerin in Höhe von ca. 260. 000 DM pro Jahr. Ab 1. Oktober 1987 hatte der Beigeladene unter der Firma ... Handelsvertretung ein Gewerbe angemeldet. Von seinen Einnahmen führte er Umsatzsteuer/Mehrwertsteuer ab. Gewerbesteuern zahlte er an das Finanzamt Waiblingen. Am 17. Juni 1999 kündigte er das Vertragsverhältnis mit der Klägerin fristlos.
Danach wandte er sich an die Beklagte mit der Bitte zu prüfen, ob es sich bei seiner Tätigkeit für die Klägerin um eine sozialversicherungspflichtige, abhängige Beschäftigung gehandelt hat. Er trug vor: Seine Arbeitszeit sei von der Klägerin festgelegt worden. Ebenso der Ort seiner Arbeitstätigkeit. Täglich habe er während der Öffnungszeiten eines Musterhauses der Klägerin in dem Musterhauszentrum ... bei S. dort in der Zeit von 10.00 bis 18.00 Uhr, auch samstags und in der ersten Zeit auch sonntags anwesend sein müssen. Dies sei durch Kontrollanrufe des Geschäftsführers U. der Klägerin regelmäßig überprüft worden. Ihm sei verboten worden für andere Auftraggeber zu arbeiten. Er habe die gleiche Tätigkeit ausgeübt wie vergleichbare festangestellte Mitarbeiter bei der Klägerin. Zudem sei er in dem Verwaltungsbetrieb der Klägerin eingebunden gewesen dadurch, dass er neben der Verkäufertätigkeit noch eine Reihe von Verwaltungsaufgaben für die Klägerin habe wahrnehmen müssen. So habe er z.B. eine Zweigstelle in Heilbronn mit aufgebaut. Er sei Leiter des Musterhauses in F. gewesen. Dort habe er Personal eingestellt und entlassen (z. B. Putzfrau, Gärtner, weitere Verkäufer). Er sei Vorgesetzter der beiden weiteren Mitarbeiterinnen der Klägerin im Musterhaus Fellbach (der Architektin König und der Bauzeichnerin Töppke) gewesen, z.B. sei er zuständig für deren Urlaubsgenehmigungen gewesen. Des weiteren habe er Postvollmacht für die Klägerin gehabt und gelegentlich zivil- und arbeitsrechtliche Prozesse für diese geführt. Auch habe er Inkassovollmacht gehabt. Er habe keine eigenen Arbeitsmittel gehabt und eingesetzt. Alles sei ihm von der Klägerin gestellt worden. Im Büro im Musterhaus F. sei vom Bleistift bis zum Computer alles vorhanden gewesen. Seine gesamte Verkaufstätigkeit habe er im Musterhaus abgewickelt. Kundenbesuche hätten in der gesamten Zeit allenfalls zwei- bis dreimal bei den potenziellen Bauherren selbst stattgefunden. Eigene Büroräume habe er nicht gehabt und unterhalten. Auch bei sich zu Hause habe er für die Klägerin keine Tätigkeiten ausgeübt. So habe er z. B. darauf bestanden, dass auf den Visitenkarten seine Privatanschrift nicht aufgedruckt war. Eigene Mitarbeiter habe er nicht beschäftigt. Wiederholt sei er von der Klägerin damit beauftragt worden, werbewirksame Fachaufsätze zu verfassen und Anzeigen in den entsprechenden Fachzeitschriften zu schalten. Im Vertrag von 1999 sei zwar ein Passus ausgewiesen, wonach er für die Nutzung des Büros im Musterhaus F. eine monatliche Miete von 50 DM zu zahlen habe. Der Geschäftsführer der Klägerin habe ihm jedoch zugesichert, ihm diesen Betrag jeweils zum Jahresende zurückzuerstatten.
Auf der Grundlage dieser Aussagen stellte die Beklagte daraufhin durch Bescheid vom 1. Dezember 1999 gegenüber der Klägerin fest, dass der Beigeladene zu 1. seit 1. Oktober 1987 abhängig beschäftigt war. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie behauptete, der Beigeladene stelle die tatsächliche Situation falsch dar. Das Vertragsverhältnis habe sich ausschließlich nach den zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1. geschlossenen Verträgen gerichtet. Danach sei dieser unzweifelhaft selbstständiger Handelsvertreter und damit nicht sozialversicherungspflichtiger Angestellter. Die Klägerin stellte daraufhin weitere Ermittlungen an und befragte den Beigeladenen zu 1. erneut. Ergänzend trug dieser vor, er sei Herrn U., einem der beiden Geschäftsführer der Klägerin, direkt unterstellt gewesen. Weisungen habe er nur von Herrn U. sonst von niemandem erhalten. Er habe wöchentlich Rechenschaft über die erzielten Umsätze abgeben müssen. Deshalb habe er sehr häufig Herrn U. in der Hauptgeschäftsstelle Wolfenbüttel angerufen und sei auch von diesem sehr oft angerufen worden. Herr U. habe die Angewohnheit gehabt, regelmäßig kurz vor 18 Uhr im Musterhaus F. anzurufen, um zu kontrollieren, ob er, der Beigeladene, auch tatsächlich noch an seinem Arbeitsplatz sei. Es sei jedoch nicht selten vorgekommen, dass er ihn dort nicht erreicht habe. Die Kollegin K. habe den Beigeladenen dann immer privat angerufen und ihn vorgewarnt, dass Herr U. ihn gesucht habe. Auf Weisung des Herrn U. habe er des Öfteren einen bereits gebuchten Urlaub stornieren müssen und sei angewiesen worden, seinen Jahresurlaub vornehmlich in den Sommerferien, der umsatzarmen Jahreszeit, zu nehmen. Außer während des Urlaubs habe er sich täglich im Musterhaus aufgehalten. Das sei auch bei Krankheiten, z.B. seiner sehr schweren Erkrankung 1999 und selbst am Tage des Todes seiner Mutter der Fall gewesen.
Auf die Ermittlungen der Beklagten kamen vom Arbeitsgericht Stuttgart zwei Prozessvollmachten der Klägerin für den Beigeladenen zu 1. vom 4. Oktober 1990 und 7. Januar 1993 sowie eine am 29. März 1990 von der Klägerin auf den Beigeladenen zu 1. ausgestellte Postvollmacht zu den Verwaltungsakten. Am 3. April 2001 teilte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), Clearingstelle für Statusfragen, der Beklagten mit, auch sie halte den Beigeladenen zu 1. für abhängig beschäftigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2001 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 17. Juli 2001 Klage erhoben. Sie hat zunächst darauf hingewjesen, dass nunmehr die BfA durch Statusfeststellungsbescheid vom 11. Juni 2001 bezüglich bei ihr unter Vertrag stehender Bauleiter festgestellt hat, dass diese selbstständig tätig sind. Im Übrigen hat sie eingewendet:
Der Beigeladene zu 1. sei, wie sich bereits aus den schriftlichen Verträgen ergebe, selbstständiger Handelsvertreter. Weder Arbeitszeit noch Arbeitsort seien von der Klägerin vorgegeben gewesen. Es sei allein Sache des Beigeladenen zu 1. gewesen, wie er zu Vertragsabschlüssen bezüglich der Fertighäuser gekommen sei. Die Klägerin habe ihm lediglich, als Ausfluss ihrer Pflichten aus dem Handelsvertretervertrag, die Möglichkeit eingeräumt, das Musterhaus für seine Zwecke zu nutzen. Der Beigeladene zu 1. habe davon regen Gebrauch gemacht und seine Geschäfte nahezu ausschließlich im Musterhaus Fellbach abgewickelt. Das sei aber seine eigene Entscheidung gewesen. Eine Vorgabe der Klägerin hierzu habe es nicht gegeben. Keinesfalls sei der Beigeladene zu 1. verpflichtet gewesen, während der Öffnungszeiten des Musterhauses immer anwesend zu sein. Die Öffnungszeiten seien der Klägerin von der Ausstellungsleitung der Musterhaussiedlung vorgegeben gewesen. Die Klägerin habe die Öffnung und Besetzung des Musterhauses aber durch die Anwesenheit der bei ihr festangestellten Mitarbeiterinnen K. und T. gewährleistet. Die freie Zeiteinteilung des Beigeladenen zu 1. lasse sich z. B. auch daran erkennen, dass dieser nach eigenen Angaben regelmäßig freitags nur für ca. zwei Stunden von 10.00 bis 12.00 Uhr anwesend gewesen sei. Zudem habe er selbst vorgetragen, des öfteren bereits vor 18.00 Uhr nicht mehr im Musterhaus anwesend gewesen zu sein. Da nach den Angaben des Beigeladenen der Geschäftsführer der Klägerin, Herr U., hiervon Kenntnis (durch die angeblichen Kontrollanrufe) gehabt habe, hätte dieses Verhalten, bei Bestehen der Anwesenheitsverpflichtung zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen müssen. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen. Im Übrigen habe die Klägerin Verkaufsleiterverträge mit ca. 40 Personen im gesamten Bundesgebiet. Es sei gar nicht möglich, diesen eine feste Arbeitszeit vorzugeben und dann auch zu kontrollieren. Zwar hätten zwischen der Geschäftsführung der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1. häufig Gespräche (telefonisch und auch persönlich) stattgefunden. Dies sei aber Ausschluss der gesetzlichen Pflichten aus dem Handelsvertretervertrag. Festangestellte Mitarbeiter mit dem gleichen Tätigkeitsgebiet wie der Beigeladene zu 1. habe die Klägerin nicht. Zwar seien bis 1990 zwei Verkäufer bei ihr festangestellt gewesen (Herr S. und Herr H.). Diese seien jedoch in erheblichem Umfang mit Schulungsaufgaben betraut gewesen. Seit 1990 gebe es keine festangestellten Verkäufer mehr bei der Klägerin. Verwaltungsaufgaben für die Klägerin habe der Beigeladene nicht wahrnehmen müssen. Eine Verpflichtung hierzu habe nie bestanden. Der Beigeladene zu 1. habe jedoch in seinem eigenen Interesse, teilweise sogar gegen den Willen der Klägerin solche Aufgaben wahrgenommen. Inkassovollmacht habe der Beigeladene zu 1. nie gehabt. Er habe zwar regelmäßig Schecks der Hauskäufer entgegengenommen. Dies habe er aber nur getan, um möglichst schnell an die davon abhängige Provision zu gelangen. Die Annahme der Schecks durch den Beigeladenen zu 1. sei von der Klägerin lediglich geduldet worden, da der Beigeladene sich von diesem Verhalten nicht habe abbringen lassen. Beim Aufbau der Zweigstelle in Heilbronn habe er, allerdings in wesentlich geringerem Umfang als von ihm behauptet, mitgeholfen. Dies sei aber auch in seinem eigenen Interesse gewesen, da er an den Provisionen der dort tätigen Verkäufer durch die Überprovisionen teilhaben konnte.
Leiter des Musterhauses in F. sei er nicht gewesen, auch wenn er selbst dies gern gewesen wäre. Insbesondere sei er nicht Vorgesetzter der Architektin K. und der Bauzeichnerin T. gewesen. Er habe zwar mit diesen die Urlaubszeiten abgesprochen und auch Vorschläge bezüglich der Einstellung von weiterem Personal gemacht. Die diesbezüglichen Entscheidungen und Verträge seien jedoch immer in der Hauptverwaltung der Klägerin in W. getroffen und .geschlossen worden. Postvollmacht sei dem Beigeladenen zu 1. erteilt worden, da ohnehin der überwiegende Teil der im Musterhaus F. ankommenden Post ihn betraf. Prozesse habe der Beigeladene zu 1. für die Klägerin nie geführt. Die Prozessführung sei vielmehr immer durch die Hauptverwaltung der Klägerin selbst erfolgt. Der Beigeladene zu 1. habe lediglich einige Male Verhandlungstermine vor Gericht im Stuttgarter Raum für die Klägerin wahrgenommen. Es habe sich dabei um Prozesse mit direkten finanziellen Auswirkungen auch für den Beigeladenen zu 1. gehandelt. Dessen eigenes Interesse sei also auch hier gegeben. Soweit der Beigeladene behauptet habe, ausschließlich mit Arbeitsmitteln der Klägerin gearbeitet zu haben, sei dies falsch. Zum einen habe der Beigeladene nach Wissen der Klägerin in seiner Privatwohnung ein Büro unterhalten. Zum anderem habe er sehr häufig geschäftliche Telefonate von zu Hause aus geführt. Von Visitenkarten des Beigeladenen zu 1. ohne dessen Privatanschrift sei der Klägerin nichts bekannt.
Zwar habe der Beigeladene einige Male Fachaufsätze in einschlägigen Zeitschriften verfasst sowie Werbeanzeigen gestaltet. Dies sei jedoch lediglich auf Anregung, teilweise auf Bitten der Klägerin erfolgt. Eine Verpflichtung für den Beigeladenen hierzu habe jedoch nie bestanden. Eine Zusicherung der Klägerin, die monatlich vereinbarten Mietzahlung für das Büro im Musterhaus zurückzuerstatten, gebe es nicht. In seiner Urlaubsplanung sei der Beigeladene zu 1. frei gewesen. Nur in seinem eigenen Provisionsinteresse habe er Urlaub (wenn überhaupt) nur in der umsatzschwachen Sommerferienzeit genommen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 1. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und verweist auf dessen Begründung.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 5. Dezember 2002 hat das Gericht den Beteiligten ausführlich Gelegenheit gegeben, ihre wechselseitigen Argumente vorzutragen. Der Beigeladene zu 1. hat im Termin die von seinem Steuerberater erstellten Bilanzen mit Gewinn und Verlustrechnungen für die Jahre 1989 bis 1997 vorgelegt.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und des näheren Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten nebst Beiakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung waren, verwiesen.
Mit Beschlüssen vom 8. November 2001 und 30. Oktober 2002 hat das Gericht die Beigeladenen zu 1. bis 3. notwendig und mit Beschluss vom 30. Oktober 2002 die Beigeladene zu 4. einfach beigeladen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig. Die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. für die Klägerin in der Zeit vom 1. Oktober 1987 bis zum 17. Juni 1999 war keine versicherungspflichtige abhängige Beschäftigung. Der Kläger war selbstständiger Handelsvertreter gemäß § 84 HGB.
Grundsätzlich richtet sich im Sozialrecht die Abgrenzung zwischen versicherungspflichtiger abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit nach den Vorgaben des § 7 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Dort heißt es in Absatz 1: "Beschäftigung ist die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers." Auf der Grundlage dieser Anhaltspunkte ist jedoch nur dann zu prüfen, wenn es keine abweichenden Vorgaben gibt. Solche spezialgesetzlichen, vorgehenden Regelungen gibt es jedoch für Handelsvertreter. Zum Einen gehen die diesbezüglichen Vorschriften der §§ 84 ff. HGB als lex spezialis dem § 7 SGB IV vor. Zum Anderen ergibt sich aus der Systematik des § 7 SGB IV direkt, dass die dortigen Vorgaben für Handelsvertreter nicht gelten. So findet sich z.B. in § 7 Abs. 4 S. 2 der explizite Ausschluss des Handelsvertreters von den dortigen Vermutensregelungen.
Bei Handelsvertretern ist deshalb ausschließlich nach den 84 ff. HGB festzustellen, ob sie selbstständig sind oder nicht.
Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 HGB ist Handelsvertreter, wer als selbstständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Dies gilt gemäß § 84 Abs. 4 HGB auch, wenn das Unternehmen des Handelsvertreters nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert. Hiernach war der Beigeladene zu 1., was auch von keinem der Beteiligten bestritten wird, Handelsvertreter. Er war ständig damit betraut im Namen der Klägerin Geschäfte, nämlich den Verkauf von Fertighäusern abzuschließen.
Die Abgrenzung zwischen dem selbstständigen Handelsvertreter und dem Angestellten (angestellter Handlungsgehilfe) ergibt sich aus § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB bzw. § 84 Abs. 2 HGB: "Selbständig ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Wer, ohne selbstständig in diesem Sinne zu sein, ständig damit betraut ist, für einen Unternehmer ständig Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen, gilt als Angestellter." Für die Abgrenzung zwischen Selbstständigem und Angestelltem hat sich das Gesetz im Bereich der Vermittlung von Geschäften und Versicherungen für dritte auf diese beiden Kriterien beschränkt. Zwar sind dabei alle Umstände des Falles in Betracht zu ziehen und schließlich in ihrer Gesamtheit zu würden. Die heranzuziehenden Anknüpfungspunkte müssen sich jedoch diesen gesetzlichen Unterscheidungsmerkmalen zuordnen lassen.
Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Beigeladene zu 1. im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen konnte. Die vertraglich festgelegte Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. bestand darin, für die Klägerin mit bauwilligen Kunden Verträge über den Kauf von Fertighäusern abzuschließen. Darüber, wie der Beigeladene an Kunden (Adressen) kommt und wie er mit diesen umzugehen hat bis zum Vertragsabschluss gibt es keine festen Vorgaben durch die Klägerin. Auch der Beigeladene zu 1. hat solche Vorgaben nie behauptet. Die einzige vertragliche Absicherung diesbezüglich ist der sogenannte Adressenschutz der jeweiligen Verkaufsleiter für die in ihrer Geschäftsstelle eingehenden Kundenanfragen. Der Beigeladene hätte also nicht die von einem anderen Verkaufsleiter oder Verkäufer die in dessen Zuständigkeitsbezirk in den dortigen Geschäftsstellen und Musterhäusern eingesammelten Adressen verwenden dürfen. Er hinaus hätte aber die Möglichkeit gehabt, Kunden auch außerhalb des Bereichs Stuttgarts selbst anzuwerben. Den Umgang mit den Kunden selbst konnte der Beigeladene zu 1., wie offensichtlich alle anderen Verkaufsleiter auch, nach eigenen Vorgaben gestalten. Das Gericht hat dabei den Eindruck gewonnen, dass der Beigeladene zu 1. diesbezüglich sehr geschickt agiert hat. Er hat es offenbar verstanden, potenzielle Bauherren sehr rasch von den Vorteilen der Fertighäuser der Klägerin zu überzeugen und diese zum Vertragsabschluss zu bewegen. Schon allein deshalb bestand kein sichtbares Interesse der Klägerin, dem Beigeladenen diesbezüglich weitere Vorschriften zu machen. Dementsprechend finden sich in den umfangreichen Schriftsätzen der Beteiligten keine Hinweise auf solche Vorschriften. Dem Beigeladenen zu 1. war insbesondere nicht vorgegeben, den Kontakt mit potenziellen Bauherren ausschließlich im Musterhaus F. zu führen. Er hätte die Kunden durchaus auch außerhalb des Musterhauses, z. B. bei diesen zu Hause oder bei sich zu Hause empfangen können. Dies hat er auch, wenn auch äußerst selten, so gehandhabt. Wenn er die Kunden nahezu ausschließlich im Musterhaus F. empfangen hat, so ist dies seine eigene unternehmerische Entscheidung gewesen. Die Möglichkeit hierzu war ihm von der Klägerin eingeräumt, aber nicht zwingend vorgegeben worden. Das Gericht geht auch nicht davon aus, dass der Beigeladene zu 1. verpflichtet war, immer während der Öffnungszeiten im Musterhaus F. zu sein. Zwar kann als wahr unterstellt werden, dass er bis auf Zeiten des Urlaubs fast täglich im Musterhaus F. anwesend war. Es muss aber davon ausgegangen werden, dass dieses häufige Anwesendsein auf eigenem geschäftlichen Interesse und nicht auf den zwingenden arbeitsvertraglichen Vorgaben der Klägerin beruhte. Bei Anwesenheit im Musterhaus konnte der Beigeladene die dort eintreffenden Kunden sofort selbst bedienen. Dadurch lief er nicht Gefahr, dass ihm Kunden und damit Provisionen durch die seiner Meinung nach Unfähigkeit seiner "Kolleginnen" entgingen. Die dem Beigeladenen eingeräumte Möglichkeit zur freien Arbeitszeiteinteilung lässt sich z. B. daran erkennen, dass er selbst vorgetragen hat, freitags regelmäßig nur ca. zwei Stunden gearbeitet zu haben. Auch hat der Beigeladene unter Beweiseintritt überzeugend vorgetragen, er sei des Öfteren zu Zeiten vor 18.00 Uhr im Musterhaus nicht anwesend gewesen (Herr U. habe ihn telefonisch gesucht). Bei der Klägerin war bekannt, dass der Beigeladene nicht regelmäßig täglich von 10.00 bis 18.00 Uhr im Musterhaus anwesend war. Irgendwelche Konsequenzen hatte dies jedoch nicht. Die Klägerin hat nie versucht, irgendwelche Anwesenheitsverpflichtungen des Beigeladenen zu 1. durchzusetzen. Soweit der Beigeladene vorträgt, er habe die Verpflichtung zur entsprechenden Anwesenheit gehabt, ist dies sein eigenes subjektives Empfinden. Dieses kann damit erklärt werden, dass dem Beigeladenen möglicherweise von Seiten der Klägerin der Rat erteilt wurde, möglichst lange sich im Musterhaus aufzuhalten. Die Befolgung eines solchen Rats war ganz offensichtlich nicht nur für den Beigeladenen finanziell erfolgreich sondern zwangsläufig auch für die Klägerin. Nicht immer, so auch hier nicht, sind gute Ratschläge, auch soweit sie dem Ratschlaggeber selbst Vorteile bringen, mit arbeitsvertraglichen Verpflichtungen gleichzustellen.
Ein zwischen Klägerin und Beigeladenen zu 1. bestehendes Konkurrenzverbot ändert nichts an dessen Möglichkeiten, seine Tätigkeit im Wesentlichen frei zu gestalten. Sie ist vielmehr lediglich Ausdruck der allgemeinen Handelsvertreterbestimmungen. Auch die vom Beigeladenen zu 1. behaupteten häufigen langen Telefongespräche zwischen ihm und Herrn U. von der Klägerin berühren seine Selbstständigkeit nicht. Die Verpflichtung zum gegenseitigen Informationsaustausch ergibt sich vielmehr direkt aus § 86 Abs. 2 und § 86 a Abs. 2 HGB. Die im Wesentlichen freie Tätigkeitsgestaltung und freie Bestimmung der Arbeitszeit des Beigeladenen zu 1. ergibt sich auch daraus, dass dieser in seinem Privathaus ein Büro eingerichtet hatte und für seine Tätigkeit auch Mitarbeiter eingestellt hatte. Zwar hat der Beigeladene zu 1. dies abgestritten. Aus den von ihm vorgelegten Bilanzen mit Gewinn- und Verlustrechnung der Jahre 1989 bis 1997 ergibt sich jedoch, dass er beides gegenüber dem Finanzamt geltend gemacht hat. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass die dortigen Angaben der Richtigkeit entsprechen. Die Bilanzen beziehen sich ausschließlich auf das Unternehmen des Beigeladenen zur Vermittlung von Fertighäusern. Für alle Jahre wird dort ein eigenes Arbeitszimmer mit Einrichtungsgegenständen wie Teppich, Vorhang, Espressomaschine, Telefon, Notebook, Drehstuhl, Festplatte, Telefaxgerät, Computerset, Monitor, Kühlschrank, Tintenstrahldrucker, Aktenschrank, Büroleuchte etc. geltend gemacht. An Personalkosten waren z. B. für das Jahr 1989 ca. 28.000,00 DM und für das Jahr 1990 20.000,00 DM angegeben, für die Jahre 1993 und 1994 je ca. 3.500,00 DM. Auch ist der eigene Pkw als Geschäftswagen deklariert.
Soweit der Beigeladene vorträgt, er habe auch in persönlichen Krisenzeiten (wie schwere Krankheit und Tod seiner Mutter) immer gearbeitet, so ist dies nach Ansicht der erkennenden Kammer eher ein Beleg für selbstständige Arbeitszeiteinteilung. Der angestellt Tätige wird in solchen Zeiten nicht arbeiten, da dann die arbeitsvertraglichen Verpflichtungen entfallen.
Insgesamt ergibt sich somit das Bild, dass der Beigeladene zu 1. im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen konnte. Inwieweit er in die Arbeitsorganisation der Klägerin eingebunden war und dort Verwaltungsaufgaben erledigt hat, ist, wie eingangs erwähnt, unerheblich. Darauf, ob der Beigeladene die Vertragsverhandlungen bezüglich des Musterhauses in F. selbst geführt hat, wieweit er beim Aufbau der Geschäftsstelle in H. beteiligt war, ob er Gärtner und Putzfrauen angestellt und entlassen hat, ob und in welchem Umfang er für die Klägerin Prozesse geführt hat, ob er für Außenstehende den Eindruck vermittelt hat, Leiter des Musterhauses in F. gewesen zu sein oder ob er Urlaubsanträge seiner "Kolleginnen" gegengezeichnet hat, ist für die Entscheidung unerheblich. Auch ist unerheblich, aus welchem Grund der Beigeladene Fachaufsätze verfasst und Anzeigen geschaltet hat. Genauso wenig relevant für die Entscheidung ist auch, wer wen im Laufe dieses Prozesses bestechen oder wer irgendwelche Meineide angekündigt hat. Auch zur Sprache gekommene Versicherungsbetrügereien und schlechte Leistungen oder Leistungsbeschreibungen sind für die Klärung der hier anstehenden Rechtsfrage uninteressant. Auch die Entscheidungen und Vorgaben der Clearingstelle der BfA binden das Gericht nicht.
Da der Beigeladene mithin selbstständiger Handelsvertreter gemäß § 84 HGB für die Klägerin gewesen ist, war er nicht sozialversicherungspflichtig. Der angefochtene Bescheid der Beklagten konnte deshalb keinen Bestand haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.