Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 26.11.2002, Az.: S 6 KR 68/99

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
26.11.2002
Aktenzeichen
S 6 KR 68/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 35570
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGBRAUN:2002:1126.S6KR68.99.0A

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für eine stationäre Behandlung.

2

Der am 26. Januar 1987 geborene Kläger beantragte am 26. Mai 1998 durch seine Mutter bei der Beklagten die Genehmigung bzw. Kostenübernahme einer 3-wöchigen intensiven stationären Wahrnehmungstherapie in der Tinnitusklinik A. zur Behandlung einer auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung. Das dortige Programm werde durch die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) betreut. Dem Antrag lagen Arztbriefe und Bescheinigungen der MHH, Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Prof. Dr. P. vom 27. Oktober 1997, 10. Dezember 1997 und 13. Mai 1998 bei. Danach bestehe bei dem Kläger der Verdacht auf auditive Wahrnehmungsstörungen mit Leserechtschreibschwache. Durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) ließ die Beklagte daraufhin ein Gutachten erstellen. Frau Dr. R. meinte am 14. Juli 1998, es lägen keine wissenschaftlichen Studien über das Programm der Tinnitusklinik vor. Offenbar sei hier erst eine Studie geplant. Zudem fehle bisher der Nachweis der schweren auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung beim Kläger. Nach Auswertung des vorgelegten Therapiekonzepts der Tinnitusklinik meinte Frau Dr. R. am 23. Juli 1998, die Therapie entspreche der Therapie von Teilleistungsstörungen. Diese (wie z. B. Legasthenie) seien aber keine Erkrankung im Sinne des SGB V, sondern ein pädagogisches Problem. Im Abschlussbericht der Tinnitusklinik vom 22. September 1998 heißt es, zumindest kurzfristig seien nachweisbare signifikante Verbesserung der auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung eingetreten. Die Mutter des Klägers reichte eine Rechnung der Tinnitusklinik Bad A. vom 4. September 1998 über 6.255,75 DM für die stationäre Behandlung vom 16. August bis 4. September 1998 ein.

3

Mit Bescheid vom 19. Oktober 1998 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und meinte, die bei ihm vorliegende auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung sei ein eigenständiges Krankheitsbild. Nur vordergründig wirke sie wie eine Teilleistungsschwäche, welche definitiv nicht behandelt wurde. Es sei gezielt die Hörverarbeitung behandelt worden. Eine stationäre Therapie sei wesentlich effektiver als langwierige ambulante Therapien. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. März 1999 wie die Beklagte den Widerspruch zurück. Es habe sich nicht um Krankenbehandlung sondern um eine Fördermaßnahme des schulischen Bereichs gehandelt. Dies sei Aufgabe des schulpsychologischen Dienstes.

4

Dagegen hat der Kläger am 9. April 1999 Klage erhoben. Es seien keine lediglich schulischen Fördermaßnahmen durchgeführt worden. Als Symptomfolge beruhe die Lernstörung ja gerade auf dem Grundleiden.

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Der Kläger beantragt,

1. den Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 1999 aufzuheben,

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2. die Beklagte zu verurteilen, ihm 6.255,75 DM, umgerechnet in Euro, zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und verweist auf weitere im Klagverfahren eingeholte Gutachten des MDKN vom 27. September 1999, 28. Juni 1999 und 7. Mai 1999. Das Heilverfahren habe keinen anhaltenden Erfolg gehabt, da bereits am 21. Februar 2000 ein erneuter Antrag auf stationäre Rehabilitation wegen schwerer auditiver Verarbeitung s- und Wahrnehmungsstörung, Erziehungsproblemen und Übergewicht gestellt worden sei. Die Therapie in Bad A. sei ausschließlich pädagogisch, nicht medizinisch. Es handele sich um eine unkonventionelle Behandlungsmethode, die bisher noch nicht vom zuständigen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen positiv begutachtet worden sei. Zudem besitze die Tinnitusklinik nur eine Zulassung als Akutkrankenhaus.

9

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines phoniatrisch-pädaudiologischen Gutachtens der Frau Prof. Dr. L. , Universitätsklinikum M. . Die Gutachterin hat das Gutachten zusammen mit Frau Dr. L.-R. oder Diplom-Logopädin S. und dem Diplom-Psychologen M. am 26. November 2001 erstellt.

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Wegen des Ergebnisses der Begutachtung und der näheren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet.

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Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Wegen des in der gesetzlichen Krankenversicherung verankerten Sachleistungsprinzips ist die hier von dem Kläger begehrte Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) nur möglich, soweit das SGB V dies vorsieht. In Betracht kommt hier allenfalls ein Anspruch gemäß § 13 Abs. 3 SGB V. Konnte danach die Krankenkasse sine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für selbstbeschaffte Leistungen Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Grundvoraussetzung ist, dass es sich um eine Leistung handelt, die dem Grunde nach einen Sachleistungsanspruch ausgelöst hätte. Das ist bei der stationären Behandlung des Klägers in der Tinnitusklinik A. nicht der Fall. Stationäre Behandlungen werden grundsätzlich nur als Krankenhausbehandlung gemäß § 39 SGB V oder als medizinische Rehabilitationsmaßnahme gemäß § 40 Abs. 2 SGB V erbracht. Bereits die formalen Voraussetzungen für beide Möglichkeiten sind nicht gegeben. Für eine stationäre Krankenhausbehandlung bedarf es einer ärztlichen Verordnung und Einweisung. Eine solche liegt zweifelsohne nicht vor. Auch besteht Anspruch auf vollstationäre Behandlung nur in einem gemäß § 108 SGB V zugelassenem Krankenhaus. Eine solche Zulassung besitzt die Tinnitusklinik A. nicht. Gemäß § 40 Abs. 2 SGB V kann die Krankenkasse stationäre Behandlung mit Unterkunft und Verpflegung in einer Rehabilitationseinrichtung erbringen, mit der ein Vertrag nach § 111 SGB V besteht. Zwar besteht mit der Tinnitusklinik A. ein Versorgungsvertrag gemäß § 111 Abs. 2 SGB V. Dieser schließt aber als Vertrag zur Erbringung von Rehabilitationsleistungen nicht die hier streitige dreiwöchige Therapie zur Behandlung der zentralen auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (ZAVS) ein. Im Übrigen wäre die Leistung, sollte sie als Rehabilitationsmaßnahme gemäß § 40 SGB V zu qualifizieren sein, eine Ermessensleistung der Beklagten, die vom Gericht nur eingeschränkt überprüfbar ist.

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Die stationäre Therapie hätte aber selbst dann nicht von der Beklagten erbracht werden dürften, wenn mit der Tinnitusklinik A. ein Vertrag bestehen würde. Die dort angebotene dreiwöchige Therapie zur Behandlung der ZAVS ist eine Behandlungsmethode, die bisher in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht durchgeführt wurde. Sie wurde erstmals, auf Initiative des Leiters der Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie an der MHH, Prof. Dr. P. entwickelt und von der Tinnitusklinik A. angeboten. Aussagekräftige Studien über den Erfolg der Therapie gibt es noch nicht. Es handle sich somit um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode gemäß § 135 SGB V. Als solche darf sie zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben haben. Solche positiven Empfehlungen liegen nicht vor. Es ist bisher noch nicht einmal ein Antragsverfahren eingeleitet worden, auch ein sogenanntes Systemversagen kann deshalb nicht vorliegen. Im Übrigen wird die Therapie, soweit bekannt, lediglich in der Tinnitusklinik A. durchgeführt. Selbst wenn es stimmen würde, dass es mittlerweile eine zweite Klinik gibt, die das Konzept übernommen hat, wäre dies noch keine nennenswerte Anzahl. Von einer weiten Verbreitung der Therapiemethode und allgemeiner Anerkennung in Fachkreisen kann deshalb nicht ausgegangen werden.

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Darauf, ob bei dem Kläger überhaupt eine Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsrechts vorliegt, kommt es deshalb nicht mehr an.

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Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.