Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 17.08.2005, Az.: 4 B 143/05

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
17.08.2005
Aktenzeichen
4 B 143/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 43029
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2005:0817.4B143.05.0A

Amtlicher Leitsatz

Der Auftrieb von Rinder, die in einem in Thüringen angesiedelten Betrieb gehalten werden, auf ein in Niedersachsen gelegenes Wiesengrundstück zur Sommerweide, begründet bei summarischer Überprüfung keine weitere Beitragspflicht zur Niedersächsichen Tierseuchenkasse, wenn bereits Beiträge zur Thüringer Tierseuchenkasse geleistet worden sind.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller ist Landwirt mit einer Hofstelle in E. /Thüringen, auf der er 120 Rinder hält. Für diesen Tierbestand zog ihn die Thüringer F. mit Bescheid vom 21. Februar 2005 für das Jahr 2005 zu Beiträgen in Höhe von 435,00 € (45 Rinder x 3,00 € + 75 Rinder x 4,00 €) heran.

2

Der Antragsteller bewirtschaftet außerdem eine Wiesenfläche in der Gemarkung Staufenberg/Niedersachsen. Auf diese Fläche treibt er nach seinem Vortrag in der Antragsschrift aus seinem Tierbestand "im Sommer einige Rinder - weniger als fünf - zum Abweiden auf".

3

Die Antragsgegnerin sieht ein bei ihr am 30. Juni 2005 eingegangenes und vom Antragsteller nicht unterzeichnetes "Formblatt zur Verwaltung einer Registriernummer" als Meldung seines gesamten Rinderbestandes auch zu Beiträgen für die Niedersächsische F. an.

4

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 11. Juli 2005 zog die Antragsgegnerin den Antragsteller unter Bezugnahme auf die vorbezeichnete "Erstmeldung" zu einem Beitrag auch für die Niedersächsische F. in Höhe von 840,00 € (120 Rinder x 7,00 €) heran. In der Rechtsbehelfsbelehrung heißt es u.a.: "Zur Aussetzung der sofortigen Vollziehung ist ein gerichtliches Verfahren gem. § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag durchzuführen".

5

Mit seiner am 1. August 2005 beim Verwaltungsgericht Göttingen erhobenen Klage begehrt der Antragsteller die Aufhebung des Bescheides vom 11. Juli 2005 - 4 A 142/05 -. Zugleich sucht er um vorläufigen Rechtsschutz nach. Zur Begründung führt er aus, dass die doppelte Beitragserhebung unzulässig sei.

6

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

7

die aufschiebende Wirkung seiner am 1. August 2005 erhobenen Klage 4 A 142/05 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Juli 2005 anzuordnen.

8

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

9

Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid und hält eine doppelte Beitragserhebung für geboten, weil sie im Falle eines Tierverlustes auf niedersächsischem Gebiet leistungspflichtig sei, ohne Erstattung ihrer Aufwendungen von der Thüringer F. verlangen zu können.

10

Unter dem 8. August 2005 hat die Antragsgegnerin den Antragsteller wegen des festgesetzten Beitrages gemahnt, ihm Zahlungsfrist innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Mahnung gesetzt und für den Fall der Nichtleistung Beitreibung im Verwaltungszwangsverfahren angekündigt.

11

Wegen der übrigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

12

II.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig (1.) und begründet (2.).

13

1. Dem Antrag steht nicht entgegen, dass der Antragsteller vor Anrufung des Gerichts entgegen § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO nicht zuvor bei der Antragsgegnerin die Aussetzung der Vollziehung beantragt hat. Denn nach dem Inhalt der Mahnung vom 8. August 2005 droht dem Antragsteller in Kürze die Vollstreckung (vgl. VG Göttingen, Beschluss vom 22.6.2005 - 2 B 212/05; VG Braunschweig, Beschluss vom 5.7.2005 - 5 B 459/05 -). Damit ist der Ausnahmetatbestand des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO erfüllt. Von einer drohenden Vollstreckung muss aufgrund des Mahnungsinhalts auch ausgegangen werden, weil sich die Antragsgegnerin trotz richterlicher Nachfrage nicht gesondert zu ihrer Vollstreckungsankündigung erklärt hat.

14

Die Frage, inwieweit sich die dem Antragsteller erteilte falsche Rechtsbehelfsbelehrung, die auf eine unmittelbare Anrufung des Gerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO verweist, ohne das vorherige Antragserfordernis nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO zu benennen, auf die Zulässigkeit des gerichtlichen Rechtsschutzantrages auswirkt, kann im Hinblick auf die drohende Vollstreckung dahingestellt bleiben.

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2. Der Antrag ist auch begründet.

16

Gemäß § 80 Abs. 5, Abs. 4 Satz 3 VwGO soll das Gericht die sofortige Vollziehung der rechtzeitig erhobenen Klage gegen den gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 11. Juli 2005 anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen oder wenn die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rdnr. 851).

17

Vorliegend bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides. § 71 des Tierseuchengesetzes - TierSG - ermöglicht es den Bundesländern, von Rinderhaltern Beiträge für eine vom Land aufzubringende Entschädigung für Tierverluste zu erheben. Die Beitragsregelung ist in § 14 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Tierseuchengesetz - AGTierSG - enthalten. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 AGTierSG erhebt die Antragsgegnerin von den Tierbesitzern Beiträge. Nach § 14 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AGTierSG ist für die Berechnung der Beiträge maßgebend, wie viele Tiere am Tage der von der Antragsgegnerin durchgeführten amtlichen Erhebung (Stichtag) vorhanden waren. Nach § 14 Abs. 3 AGTierSG hat der Rinderbesitzer der Antragsgegnerin auch nach dem Stichtag eintretende Änderungen mitzuteilen, wenn (1.) sich die Anzahl der Tiere durch Zugänge - mit Ausnahme der im Bestand nachgeborenen Tiere - um mehr als 5% oder um mehr als 10 Tiere verändert oder (2.) eine Tierhaltung neu aufgenommen wird. Nach § 14 Abs. 3 Satz 3 AGTierSG ist die Antragsgegnerin berechtigt, in diesen Fällen für die zusätzlichen Tiere Beiträge nachzuerheben. Durch § 1 Abs. 2 ihrer Satzung für die Erhebung von Tierseuchenbeiträgen für das Jahr 2005 vom 9.11.2004 (Nds. MBl. S. 851) - Beitragssatzung 2005 - hat die Antragsgegnerin den 3. Januar 2005 zum amtlichen Stichtag bestimmt. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Beitragssatzung 2005 sind als Tierseuchenbeiträge für Rinder 7,00 € je Tier zu entrichten.

18

Es bestehen ernstliche Zweifel, ob diese Beitragsvoraussetzungen im Falle der 120 Rinder des Antragstellers vorliegen.

19

Die Antragsgegnerin ist bereits aus Kompetenzgründen nicht berechtigt, für den vom Antragsteller in Thüringen gehaltenen Rinderbestand Beiträge zur Niedersächsischen F. zu erheben. Darüber hinaus hat der Antragsteller am 3. Januar 2005 in Niedersachsen ersichtlich keine Rinder gehalten.

20

Soweit er nach dem 3. Januar 2005 einzelne Rinder - nach seinen Angaben: weiniger als fünf - auf eine Weide in Niedersachsen zur Sommerweide getrieben hat, sind die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Beitragsnacherhebung nach § 14 Abs. 3 AGTierSG ersichtlich nicht erfüllt. Weder hat sich der in Thüringen vorhandene Tierbestand erhöht, noch wurde eine Tierhaltung neu aufgenommen. Der vorübergehende Auftrieb von bis zu fünf ansonsten in Thüringen gehaltenen Rindern auf eine niedersächsische Weide stellt bei summarischer Überprüfung keine "Neuaufnahme" einer Tierhaltung in Niedersachsen im Sinne von § 14 Abs. 3 Nr. 2 AGTierSG dar. Etwas anderes mag gelten, wenn Tiere aus einer in Thüringen angesiedelten Produktionsstätte ausgegliedert und in einer zweiten Produktionsstätte des gleichen Betriebs in Niedersachsen eingegliedert werden. Ein solcher Fall mag auch der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 31.3.2003 - 1 A 386/02 MD - zugrunde liegen, nach der eine doppelte Beitragspflicht bereits dann entsteht, wenn "der Tierbestand mindestens einen Tag im Kalenderjahr im räumlichen Geltungsbereich" des zweiten Bundeslandes gelegen ist. Der Auftrieb von Rindern, die in einem in Thüringen angesiedelten Betrieb gehalten werden, auf ein in Niedersachsen gelegenes Wiesengrundstück zur Sommerweide, begründet bei summarischer Überprüfung keine weitere Beitragspflicht zur Niedersächsischen F., wenn bereits Beiträge für diese Tiere zur Thüringer F. geleistet worden sind. Andernfalls würden landwirtschaftliche Betriebe im Grenzbereich zweier Bundesländer unverhältnismäßig benachteiligt.

21

Dessen ungeachtet hat die Antragsgegnerin nicht substantiiert dargelegt, dass der Antragsteller nach dem 3. Januar 2005 sämtliche 120 Rinder, für die er zu Beiträgen herangezogen worden ist, nach Niedersachsen verbracht hat. Er selbst hat lediglich den Weideauftrieb von "weniger als fünf Rindern" eingeräumt. Auf das bei ihr am 30. Juni 2005 eingegangene "Formblatt zur Verwaltung einer Registriernummer", auf der die Zahl von 120 Rindern angegeben ist, kann sich die Antragsgegnerin bereits deshalb nicht berufen, weil es vom Antragsteller nicht unterzeichnet ist. Eigene Ermittlungen hat die Antragsgegnerin ersichtlich nicht angestellt.

22

Nach alledem war dem vorläufigen Rechtsschutzantrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

23

Die Streitwertfestsetzung findet ihre Rechtsgrundlage §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 3 GKG und wird in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf 1/4 des streitbefangenen Beitrages festgesetzt (840,00 € : 4 = 210,00 €).