Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 15.12.2022, Az.: 4 W 28/22

Aussetzung; EuGH-Vorlage; Vorlagebeschluss; Vorabentscheidungsverfahren; Prüfungsmaßstab; Vorlagekompetenz; Statthaftigkeit; Verwirkung; Vollharmonisierung; Verbraucherkreditrichtlinie; Verbraucherdarlehensvertrag; Widerruf; Rechtsmissbrauch; Einzelrichter; Kammervorlage; Zeitmoment; Umstandsmoment; grundsätzliche Bedeutung; Vorgreiflichkeit; Ermessen; Ermessensfehler; Parallelsache; Vertretbarkeitskontrolle; Willkür; gesetzlicher Richter; Auslegung; Auslegungszweifel; Unionsrecht; Rückübertragung; Letztentscheidungskompetenz; Annahmeverzug; Vorleistungspflicht; derzeit unbegründet; Leistungsverweigerungsrecht; Verzugszinssatz; Aussetzungsgrund; Änderung der Prozesslage; Grundsatzbedeutung; Grundsatzfrage; aktivlegitimiert; entscheidungsreif; Verfahrensfehler

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
15.12.2022
Aktenzeichen
4 W 28/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59340
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 30.06.2022 - AZ: 5 O 3084/21

Fundstelle

  • FA 2023, 53

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Wird ein Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO in entsprechender Anwendung ausgesetzt, um das Ergebnis einer in einem fremden Verfahren eingeleiteten EuGH-Vorlage abzuwarten, so ist diese Aussetzungsentscheidung gemäß § 252 ZPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.

2. In einem solchen Falle ist der Prüfungsmaßstab des Be-schwerdegerichts ob der originären Sachentscheidungskompe-tenz des Instanzgerichts beschränkt. Er erstreckt sich grundsätzlich lediglich auf die formelle Entscheidungserheblichkeit des fremden Vorlageverfahrens für das ausgesetzte Verfahren sowie die Prüfung von Ermessensfehlern.

3. Das Beschwerdegericht darf eine Ermessensausübung des erstinstanzlichen Gerichts nur darauf überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten oder ob Ermessenfehler gegeben sind.

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten werden der Aussetzungsbeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 30. Juni 2022 und der Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 29. August 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Landgericht Braunschweig zurückverwiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Mit Klageschrift vom 11. Mai 2021 nehmen die Kläger die Beklagte auf Rückabwicklung eines mit einem Kraftfahrzeugkaufvertrag verbundenen Darlehensvertrages nach Widerruf in Anspruch.

Der Kläger zu 2) als Darlehensnehmer schloss – vermittelt durch ein Autohaus – mit der Beklagten als Darlehensgeberin auf seinen Antrag vom 9. März 2011 hin einen Darlehensvertrag mit einer Laufzeit von 36 Monaten über einen Nettodarlehensbetrag in Höhe von 17.890,00 Euro. Das Darlehen diente der Teil-Finanzierung des Kaufs eines privat genutzten V. zu einem Kaufpreis in Höhe von 24.890,00 Euro. Den von dem Autohaus zur Verfügung gestellten Vertragsunterlagen waren eine Widerrufsinformation sowie die Darlehensbedingungen der Beklagten beigefügt, wobei wegen der Einzelheiten auf den Darlehensantrag vom 9. März 2011 (Anlage DB1) Bezug genommen wird. Die Beklagte kehrte die Darlehensvaluta an das verkaufende Autohaus aus. Der Kläger erbrachte an dieses vereinbarungsgemäß eine Anzahlung in Höhe von 7.000,00 Euro und leistete in der Folge die vereinbarten Zins- und Tilgungsraten an die Beklagte. Nach vollständiger Erfüllung des Darlehensvertrages übertrug die Beklagte im April 2014 das Sicherungseigentum an dem zu finanzierenden Fahrzeug auf den Kläger.

Mit Schreiben vom 11. Februar 2021 widerrief dieser seine auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung. Er vertritt die Ansicht, dass er bei Abschluss des Darlehensvertrages nicht ordnungsgemäß über sämtliche Pflichtangaben unterrichtet und die Widerrufsfrist damit nicht in Lauf gesetzt worden sei.

Die Beklagte meint demgegenüber, dass der Kläger im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben über sein Widerrufsrecht belehrt worden sei. Die Klage sei jedenfalls unschlüssig, weil der vorleistungspflichtige Kläger seinen Obliegenheiten zur Unterbreitung eines den Annahmeverzug begründenden Angebotes am Sitz der Beklagten zu angemessenen, die Wertverluste durch Fahrzeugnutzung berücksichtigenden Konditionen nicht nachgekommen sei. Ein etwaiges Widerrufsrecht des Klägers sei jedenfalls verwirkt bzw. dessen Ausübung rechtsmissbräuchlich.

Mit Verfügung vom 15. September 2021 hat die Berichterstatterin die Parteien auf die Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. – aufmerksam gemacht und ihnen insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.

Die Beklagte hat daraufhin an dem Einwand der Verwirkung festgehalten.

Mit Verfügung vom 1. November 2021, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat die Berichterstatterin darauf hingewiesen, dass nach derzeitiger Einschätzung der Kammer fraglich sein dürfte, ob nach der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 9. September 2021 – verbundene Rechtssachen C-33/20, C-155/20 und C-187/20 – die Annahme ausgeschlossen sei, dass die Ausübung des Widerrufsrechts eines Verbrauchers gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 (hier: § 495 Abs. 1, § 355 BGB) durch innerstaatliches Recht (hier: § 242 BGB) beschränkt werden könne, welches – aufgrund einer umfassenden Bewertung der Umstände des Einzelfalles festgestelltes – rechtsmissbräuchliches Verhalten einer Partei (so auch eine unzulässige Rechtsausübung wegen illoyal verspäteter Geltendmachung eines Rechts) verbiete. Unter Hinweis auf den (Vorlage-) Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 12. Oktober 2021 – 6 U 715/19 –, juris, wurde den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Frage eingeräumt, ob der Rechtsstreit im Hinblick auf diesen Beschluss gemäß § 148 ZPO [sic!] bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union ausgesetzt werden solle.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 12. Oktober 2021 – 6 U 715/19 –, juris, enthält unter anderem folgende Vorlagefragen:

a) Ist Art. 14 der Richtlinie 2008/48 dahin auszulegen, dass das Widerrufsrecht des Verbrauchers nicht mehr besteht, wenn der Kreditvertrag von beiden Parteien vollständig erfüllt worden ist?

b) Falls Frage a) verneint wird:

Steht Art. 14 der Richtlinie 2008/48 einer Regelung im nationalen Recht eines Mitgliedstaates entgegen, die dazu führt, dass das Widerrufsrecht des Verbrauchers nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn der Kreditvertrag von beiden Parteien vollständig erfüllt worden ist?

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die Rechtsfrage bereits beantwortet sei.

Mit Verfügung vom 9. Dezember 2021, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, hat die Berichterstatterin erneut in Aussicht gestellt, dass die Kammer die Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf den genannten Vorlage-Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart erwäge und nochmals Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Die Kläger haben die in Aussicht gestellte Aussetzung des Verfahrens unter der Voraussetzung befürwortet, dass das Gericht von Verwirkung ausgehe; die Beklagte hat sich ihr entgegengestellt. Zunächst sei die Klägerin zu 1 nicht aktivlegitimiert. Mit dem Generalanwalt, dem der Europäische Gerichtshof nicht widersprochen habe, sei davon auszugehen, dass das Widerrufsrecht nicht mehr ausgeübt werden könne, wenn der Kreditvertrag – wie hier – von beiden Parteien vollständig erfüllt worden sei.

Mit Beschluss vom 26. Januar 2022 hat die Kammer in voller Besetzung den Rechtsstreit im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 12. Oktober 2021 – 6 U 715/19 – in analoger Anwendung des § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union über die Vorlagefragen ausgesetzt. Zur Begründung führt sie u.a. aus, dass die maßgeblichen Rechtsfragen keineswegs geklärt seien. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 26. Januar 2022 verwiesen.

Der hiergegen von der Beklagten eingelegten sofortigen Beschwerde hat die Kammer durch Beschluss vom 21. März 2022 abgeholfen und das Verfahren fortgesetzt. Eine Aussetzung des Verfahrens sei unter Berücksichtigung der aktuellen Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 25. Januar 2022 – XI ZR 559/20 – nicht erforderlich, da der Kläger im Falle eines wirksamen Widerrufs jedenfalls der ihm obliegenden Vorleistungspflicht nicht nachgekommen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Abhilfebeschluss vom 21. März 2022 Bezug genommen.

Durch Beschluss vom selben Tage hat die Kammer sodann die Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits gemäß § 348a Abs. 1 ZPO auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.

Im Termin vom 9. Juni 2022 hat die Einzelrichterin die Parteien darauf hingewiesen, dass das Gericht erwäge, den Rechtsstreit im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofes vom 31. Januar 2022 in analoger Anwendung des § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union über die – auch in diesem Rechtsstreit relevanten – Vorlagefragen auszusetzen. Anders als im Abhilfebeschluss der Kammer vom 21. März 2022 zunächst angenommen komme eine Abweisung der Klage als „derzeit unbegründet“ aufgrund der Nichterfüllung einer dem Kläger obliegenden Vorleistungspflicht nicht in Betracht. Der streitgegenständliche Darlehensvertrag stamme aus dem Jahre 2011. Insoweit sei hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufs § 357 BGB in der vom 11. Juni 2010 bis zum 4. August 2011 geltenden Fassung anwendbar, in dem jedoch eine Vorleistungspflicht des Verbrauchers nicht vorgesehen gewesen sei. Die entsprechende Regelung sei vielmehr erst am 13. Juni 2014 in § 357 Abs. 4 BGB eingefügt worden.

Durch Beschluss vom 30. Juni 2022 hat die Einzelrichterin das Verfahren entsprechend § 148 ZPO im Hinblick auf das durch Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofes vom 31. Januar 2022 – XI ZR 113/21 – in Gang gesetzte Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union ausgesetzt.

Die Vorlagefrage des Bundesgerichtshofes in dem Verfahren XI ZR 113/21 lautet:

„Ist Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48/EG dahin auszulegen, dass es den nationalen Gerichten nicht verwehrt ist, im Einzelfall bei Vorliegen besonderer, über den bloßen Zeitablauf hinausgehender Umstände die Berufung des Verbrauchers auf sein wirksam ausgeübtes Widerrufsrecht als missbräuchlich oder betrügerisch zu bewerten mit der Folge, dass ihm die vorteilhaften Rechtsfolgen des Widerrufs versagt werden können?“

Zur Begründung führt das Landgericht aus, dass bei der gegenständlichen Konstellation nach der bisherigen gefestigten Rechtsprechung die Annahme von Verwirkung in Betracht komme. Die Frage der Anwendbarkeit dieser Rechtsfigur sei vorliegend auch entscheidungserheblich, da der Widerruf dem Grunde nach wirksam erfolgt sei, nachdem die Beklagte vorliegend nicht ordnungsgemäß über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung informiert habe. Es sei offen, ob die Annahme von Verwirkung nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 9. September 2021 in jedem Falle ausgeschlossen sei. Eine Abweisung der Klage als „derzeit unbegründet“ komme aus den mitgeteilten Gründen nicht in Betracht. Die Voraussetzungen einer Kammervorlage nach § 348a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO lägen nicht vor. Zwar bejahe der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig eine solche Vorlagepflicht (unter Hinweis auf den Beschluss des Senats vom 14. Februar 2022 – 4 W 16/21 –, Rn. 87 ff., juris); dies überzeuge jedoch nicht. Schließlich erscheine die Aussetzung auch zweckmäßig. Die durch die Aussetzung eintretende Verfahrensverzögerung sei von überschaubarer Dauer. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 30. Juni 2022 verwiesen.

Gegen diesen ihr am 1. Juli 2022 zugestellten Beschluss hat die Beklagte am 5. Juli 2022 sofortige Beschwerde eingelegt mit der Begründung, dass der Beschluss gegen die Vorlagepflicht nach § 348a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO verstoße. Das Landgericht erkenne selbst, dass es gegen die Auffassung des angerufenen Gerichts entscheide.

Das Landgericht Braunschweig hat der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 29. August 2022, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Durch Beschluss vom 1. September 2022 hat die Berichterstatterin das Beschwerdeverfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat zur Entscheidung übertragen.

Mit Verfügung vom 2. September 2022 hat der Vorsitzende die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass nach § 348a Abs. 3 ZPO auf eine erfolgte oder unterlassene Vorlage ein Rechtsmittel grundsätzlich nicht gestützt werden könne, und insoweit Gelegenheit zu ergänzender Begründung der Beschwerde gegeben.

Wegen der Einzelheiten der daraufhin eingegangenen Stellungnahme der Beklagten wird auf den Schriftsatz vom 13. September 2022 Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Beklagten vom 5. Juli 2022 gegen den Aussetzungsbeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 30. Juni 2022 ist zulässig und hat auch in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg.

1.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig.

a)

Gegen den Aussetzungsbeschluss in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO mit Blick auf ein Parallel-Vorlagefahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV ist die sofortige Beschwerde gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 252 ZPO statthaft (zum Ganzen bereits OLG Braunschweig, Beschluss vom 14. Februar 2022 – 4 W 16/21 –, Rn. 29-41, juris).

Nach § 252 ZPO findet gegen die Entscheidung, durch die auf Grund der Vorschriften des entsprechenden Titels oder auf Grund anderer gesetzlicher Bestimmungen die Aussetzung des Verfahrens angeordnet oder abgelehnt wird, die sofortige Beschwerde statt.

Zwar ist nach herrschender Auffassung § 252 ZPO einschränkend dahin auszulegen, dass eine sofortige Beschwerde nicht statthaft ist, soweit das Gericht das Verfahren in Verbindung mit einer eigenen Vorlageentscheidung an ein höheres Gericht ausgesetzt hat (OLG Köln, Beschluss vom 13. Mai 1977 – 6 W 80/76 –, Rn. 22 ff., juris; OLG Celle, Beschluss vom 10. Oktober 2008 – 9 W 78/08 –, Rn. 1, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. Oktober 2014 – 4 W 33/14 –, Rn. 13 ff., juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Oktober 2020 – 6 W 53/20 –, Rn. 9, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 10. August 2022 – 23 W 42/21 –, Rn. 11, juris; MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 252 Rn. 17; BeckOK ZPO/Jaspersen, 46. Ed. 01.09.2022, ZPO § 252 Rn. 4; Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 252 ZPO Rn. 2).

Begründet wird dies zum einen damit, dass die Anfechtbarkeit einer solchen Entscheidung den Sinn und Zweck des § 252 ZPO verfehlte. Denn die Möglichkeit der Überprüfbarkeit einer Aussetzungsentscheidung gemäß § 252 ZPO diene dazu, einem (unberechtigten) Verfahrensstillstand entgegenzutreten. Durch die Vorlage einer Auslegungsfrage im Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV trete ein solcher jedoch nicht ein, da das Vorabentscheidungsverfahren – wenn auch in einem weiteren Sinne – als Teil des Zivilprozesses anzusehen sei (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. Oktober 2014 – 4 W 33/14 –, Rn. 14, juris; OLG Köln, Beschluss vom 13. Mai 1977 – 6 W 80/76 –, Rn. 26, juris; Musielak/Voit/Stadler, 19. Aufl. 2022, ZPO § 252 Rn. 1; kritisch: Pfeiffer, NJW 1994, 1996 <1998 ff.>). Zum anderen würde die Überprüfbarkeit einer solchen Aussetzungsentscheidung den allgemeinen prozessrechtlichen Grundsatz verletzen, dass Instanzgerichte ihre Sachentscheidung ohne Steuerung und Einflussnahme von außen treffen dürften und müssten (OLG Köln, Beschluss vom 13. Mai 1977 – 6 W 80/76 –, Rn. 31 ff., juris). Erachtete man nun jedoch eine Anfechtbarkeit als statthaft, liefe dies auf eine von der gesetzlichen Ermächtigung nicht gedeckte Überprüfung der Vorlageentscheidung und -kompetenz des aussetzenden und vorlegenden Gerichts durch das Beschwerdegericht hinaus. Denn die Aussetzungsentscheidung sei untrennbar mit der Vorlageentscheidung verbunden (BeckOK ZPO/Jaspersen, 46. Ed. 01.09.2022, ZPO § 252 Rn. 4; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. Oktober 2014 – 4 W 33/14 –, Rn. 14 f., juris).

Ob diese Ausnahme – wie im vorliegenden Fall – auch dann gilt, wenn das Verfahren mit Blick auf eine bereits erfolgte Vorlage in einem anderen Verfahren ausgesetzt wird, mithin die Aussetzung nicht mit einer eigenen Vorlage verbunden wird, ist streitig (vgl. dazu – offen lassend –: OLG Celle, Beschluss vom 14. März 2016 – 13 W 3/16 (Kart) –, Rn. 3 f. m.w.N., juris; dagegen: Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 252 ZPO Rn. 2; BeckOK ZPO/Jaspersen, 46. Ed. 01.09.2022, ZPO § 252 Rn. 4; dafür: OLG Celle, Beschluss vom 10. Oktober 2008 – 9 W 78/08 –, Rn. 3, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. Oktober 2014 – 4 W 33/14 –, Rn. 16 ff., juris).

Aus Sicht des Senats streiten die besseren Argumente für die Anfechtbarkeit von solchen Aussetzungsbeschlüssen, die nicht mit einer eigenen Vorlage des aussetzenden Gerichts an den Gerichtshof der Europäischen Union verbunden sind.

Weil § 252 ZPO nach seinem Wortlaut uneingeschränkt für jede Art der Aussetzungsentscheidung aufgrund gesetzlicher Bestimmungen gilt, einschließlich der Aussetzung nach § 148 ZPO in entsprechender Anwendung in Verbindung mit Art. 267 AEUV, ist gerade begründungsbedürftig, warum der Anwendungsbereich der Norm für die Aussetzung ohne eigene Vorlage teleologisch zu reduzieren sein soll (vgl. zu diesem Gedanken Pfeiffer, NJW 1994, 1996 <1998>). In diesem Lichte ist folgerichtig die Übertragbarkeit der für die Unanfechtbarkeit eines mit einem eigenen Vorlagebeschluss verbundenen Aussetzungsbeschlusses vorgebrachten Argumentation auf die hier zur Entscheidung anstehende Konstellation einer kritischen Würdigung zu unterziehen.

Einem Vergleich mit der hier gegebenen Fallgestaltung halten die dort angeführten Gesichtspunkte zur Überzeugung des Senats nicht stand.

Zwar wird gegen die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde in der hier zur Entscheidung anstehenden Konstellation angeführt, dass sich – auch aus Sicht der Parteien – für den Verfahrensablauf kein Unterschied zu der Situation ergebe, in der das Gericht die Aussetzung mit einer eigenen – unanfechtbaren – Vorlageentscheidung verbindet (OLG Celle, Beschluss vom 10. Oktober 2008 – 9 W 78/08 –, Rn. 3, juris; dem folgend: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. Oktober 2014 – 4 W 33/14 –, Rn. 18, juris). Dem stehe nicht entgegen, dass es bei der Aussetzung wegen der Vorlage eines anderen Verfahrens an der Identität mit der Vorlageentscheidung fehle (wie Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 252 ZPO Rn. 2, meint). Denn auch insoweit gehe es letztlich darum, dem Beschwerdegericht eine Überprüfungskompetenz dahingehend einzuräumen, ob das Gericht dem Gerichtshof der Europäischen Union die der Aussetzung zugrundeliegende Frage hätte vorlegen dürfen (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. Oktober 2014 – 4 W 33/14 –, Rn. 18, juris).

Dieser Argumentation ist noch insoweit zuzustimmen, als die Entscheidungskompetenz des aussetzenden Gerichts mit Blick auf die Erforderlichkeit einer Vorlage im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens grundsätzlich unangetastet bleiben muss. Dies führt aus Sicht des Senats jedoch nicht dazu, dass bei Anfechtbarkeit einer isolierten Aussetzungsentscheidung mit Blick auf ein fremdes Vorlageverfahren der Sinn und Zweck des § 252 ZPO verfehlt würde. Nur dies könnte aber eine teleologische Reduktion rechtfertigen.

Bei der isolierten Aussetzungsentscheidung ist es nicht so, dass das fremde Vorlageverfahren in Wahrheit Teil des auszusetzenden Zivilprozesses sei. Dies stellt sich auch für die Parteien so dar. Denn diese werden durch die isolierte Aussetzungsentscheidung vielmehr mit einem „fremden“ Vorlageverfahren konfrontiert, das Auswirkungen auf die rechtliche Beurteilung des von ihnen unterbreiteten Sachverhalts zeitigen soll, gegebenenfalls sogar ohne Rücksicht darauf, ob sie sich selbst darauf berufen haben.

Richtig ist zwar, dass das aussetzende Gericht im Falle der Bezugnahme auf ein fremdes Vorlageverfahren nichts anderes zum Ausdruck bringt, als die Einschätzung, dass in dem Falle, in dem es das fremde Vorlageverfahren nicht gäbe, selbst gehalten wäre, ein Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen (so auch Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. Oktober 2014 – 4 W 33/14 –, Rn. 18, juris). Jedoch ist die Entscheidung, mit einer eigenen Vorlageentscheidung hervorzutreten, mit deutlich mehr Begründungsaufwand verbunden, als diejenige, die sich lediglich auf eine andere Entscheidung beruft und so die Erkenntnisse eines fremden Vorlageverfahrens für den eigenen Prozess fruchtbar macht. Für eine Anfechtbarkeit in diesen Fällen spricht denn auch das berechtigte Rechtsschutz-Bedürfnis der Parteien, die insoweit „nur“ mit einem fremden Vorlageverfahren konfrontiert werden. Ihr berechtigtes Anliegen besteht in diesen Fällen deshalb darin, überprüfen zu lassen, ob überhaupt eine entscheidungserhebliche Vorlagefrage in der „Parallelsache“ vorliegt und deshalb eine Aussetzung gerechtfertigt ist (vgl. hierzu auch BeckOK ZPO/Jaspersen, 46. Ed. 01.09.2022, ZPO § 252 Rn. 4). Schließlich wird das Abwarten auf die fremde Vorlageentscheidung, auf welche die Parteien selbst keinerlei Einfluss haben, für sie absehbar mit einer nicht unerheblichen Verzögerung des eigenen Rechtsstreits verbunden sein (vgl. Pfeiffer, NJW 1994, 1996 <1999 f.>).

Die grundsätzliche Überprüfbarkeit einer so die Dispositionsfreiheit der Parteien tangierenden isolierten Aussetzungsentscheidung entspricht gerade dem Zweck des § 252 ZPO. Erst recht verbietet sich deshalb eine teleologische Reduktion dieser Norm. Dem Gebot der grundsätzlichen Nichtüberprüfbarkeit der eigenen Vorlagekompetenz des aussetzenden Gerichts (ohne eigene Vorlage) kann auch bei einer isolierten Aussetzungsentscheidung mit Blick auf eine Vorlage in einem anderen Verfahren durch Anwendung eines dies berücksichtigenden begrenzten Prüfungsmaßstabes des Beschwerdegerichts Rechnung getragen werden.

b)

Die sofortige Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere formgerecht innerhalb der Zwei-Wochen-Notfrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO eingelegt worden.

2.

Die sofortige Beschwerde erweist sich auch als – zumindest vorläufig – begründet.

Hierbei ist der Prüfungsmaßstab des Beschwerdegerichts auf der Tatbestandsseite der Aussetzungsnorm umfassend (BeckOK ZPO/Jaspersen, 46. Ed. 01.09.2022, ZPO § 252 Rn. 7). Das Beschwerdegericht prüft uneingeschränkt, ob ein Aussetzungsgrund gegeben ist (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2005 – II ZB 30/04 –, Rn. 6, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 20. April 2021 – I-4 W 17/21 –, Rn. 5, juris) und damit die tatbestandliche Voraussetzung für die Ausübung des Ermessens vorliegt (KG Berlin, Beschluss vom 6. Dezember 2007 – 12 W 83/07 –, Rn. 7, juris).

Auf der Rechtsfolgenseite hingegen verengt sich der Prüfungsmaßstab auf die Kontrolle von Ermessensfehlern (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2005 – II ZB 30/04 –, Rn. 6, juris). Dem Beschwerdegericht ist es daher verwehrt, sein eigenes Ermessen an die Stelle des dem Erstgericht eingeräumten Ermessens zu setzen (KG Berlin, Beschluss vom 6. Dezember 2007 – 12 W 83/07 –, Rn. 6, juris).

Auf dieser Grundlage ist unter Beachtung eines eingeschränkten Prüfungsmaßstabes des Beschwerdegerichts ein Aussetzungsgrund gegeben (a). Die Entscheidung ist nicht deshalb grob verfahrensfehlerhaft, weil die Einzelrichterin eine Vorlage an die Kammer gemäß § 348a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO unterlassen hat (b). Allerdings erweist sich die Entscheidung als ermessensfehlerhaft (c).

a)

Ein Aussetzungsgrund ist gegeben, weil die Voraussetzungen des § 148 ZPO in entsprechender Anwendung vorliegen.

Das Landgericht hat den bei ihm anhängigen Rechtsstreit mit Blick auf den Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofes vom 31. Januar 2022 – XI ZR 113/21 u.a. – ausgesetzt, weil es der Ansicht ist, dass die Beantwortung der von dem Bundesgerichtshof gestellten Vorlagefrage durch den Gerichtshof der Europäischen Union für den zur Entscheidung anstehenden Rechtsstreit vorgreiflich sei.

aa)

Die entsprechende Anwendung des § 148 ZPO ist in einer solchen Konstellation nach einhelliger Auffassung grundsätzlich zulässig, wenn die betreffende entscheidungserhebliche Frage bereits in einem anderen Verfahren vorgelegt wurde (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 – VIII ZR 236/10 –, Rn. 9, juris; BGH, Beschluss vom 14. Mai 2014 – VII ZR 102/12 –, Rn. 7 m.w.N., juris; KG Berlin, Beschluss vom 7. November 2012 – 6 W 136/12 –, Rn. 3, juris; Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 148 ZPO Rn. 3b m.w.N.).

bb)

Die Entscheidungserheblichkeit der von dem Bundesgerichtshof gestellten Vorlagefrage für den von dem Landgericht Braunschweig zu entscheidenden Rechtsstreit ist zu bejahen.

(1)

Das Landgericht stuft den ihm zur Entscheidung unterbreiteten Sachverhalt, in dem der Widerruf erst nach vollständiger Erfüllung des Darlehensvertrages erklärt wurde, als Verwirkungsfall ein und musste sich daher die Frage stellen, ob es die aus § 242 BGB hergeleitete Rechtsfigur der Verwirkung nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. – noch zur Anwendung bringen kann.

Die Vorlagefrage des Bundesgerichtshofes befasst sich – u.a. – mit ebendieser Konstellation, in der die Widerrufserklärung erst nach Beendigung des Darlehensvertrages erfolgt.

Mit der Vorlage des Bundesgerichtshofes verbindet das Landgericht die Erwartung, dass trotz der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 9. September 2021 doch noch eine Klarstellung dergestalt erfolgen könnte, dass für das Rechtsinstitut der Verwirkung im Falle von vollständig erfüllten Verbraucherdarlehensverträgen ein Anwendungsbereich verbleibt.

Dies ist nicht zu beanstanden.

Es ist dem Beschwerdegericht im Rahmen des § 252 ZPO grundsätzlich verwehrt, die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch das Erstgericht zu überprüfen, denn diese Prüfung ist dem Rechtsmittel gegen die spätere Sachentscheidung vorbehalten (Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 252 ZPO Rn. 5, unter Hinweis u.a. auf OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. November 1997 – 13 W 51/97 –, Rn. 7, juris = OLGR Düsseldorf 98, 83, und OLG Celle, Beschluss vom 27. Mai 1975 – 2 W 16/75 –, NJW 1975, 2208 <2208>; a.A.MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 252 Rn. 18, der meint, dass das Beschwerdegericht bei der rechtlichen Prüfung, ob ein Aussetzungsgrund gegeben sei, keinen Beschränkungen unterworfen sei).

Für diese eingeschränkte Prüfungsdichte des Beschwerdegerichts spricht der bereits im Rahmen der Statthaftigkeits-Prüfung erwähnte prozessrechtliche Grundsatz der Selbständigkeit des Instanzgerichtes, wonach die materiell-rechtliche Beurteilung des zur Entscheidung unterbreiteten Sachverhaltes in den originären Verantwortungsbereich des aussetzenden Gerichts fällt, in den einzugreifen dem im Wege des § 252 ZPO angerufenen Beschwerdegericht nicht ansteht (OLG Celle, Beschluss vom 27. Mai 1975 – 2 W 16/75 –, NJW 1975, 2208 <2208>).

Vor diesem Hintergrund hat der Senat „einzig und allein die formellen Voraussetzungen des § 148 ZPO [zu prüfen], also ob das ,andere Verfahren‘ auf der vom Prozeßgericht mitgeteilten materiellen Grundlage vorgreiflich ist“ (OLG Celle, Beschluss vom 27. Mai 1975 – 2 W 16/75 –, NJW 1975, 2208 <2208>; ebenso: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. November 1997 – 13 W 51/97 –, Rn. 7, juris).

Ob darüber hinausgehend dem Beschwerdegericht gar eine Vertretbarkeitskontrolle hinsichtlich der rechtlichen Würdigung durch das aussetzende Gericht gestattet ist (so neuerdings OLG München, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 8 W 1818/21 –, Rn. 32 ff., juris), kann vorliegend dahinstehen.

Denn selbst unter Anlage eines solchen Maßstabes wäre die rechtliche Würdigung des Landgerichts dahingehend, Verwirkungsfragen für entscheidungserheblich zu halten, keineswegs zu beanstanden.

In vorliegender Konstellation, in welcher der Widerruf von dem Verbraucher erst zu einem Zeitpunkt erklärt wird, in dem der Verbraucherdarlehensvertrag beiderseits beendet ist und die Sicherheiten zurückübertragen wurden, von der Begründetheit des von dem Darlehensgeber erhobenen Verwirkungseinwandes auszugehen, entsprach – vorbehaltlich der Prüfung der Umstände des Einzelfalles – bis zum Ergehen der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. – der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und der Obergerichte (vgl. nur BGH, Urteile vom 12. Juli 2016 – XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105, Rn. 40, juris, und XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123, Rn. 37, juris; BGH, Urteil vom 11. Oktober 2016 – XI ZR 482/15 –, BGHZ 212, 207, Rn. 30, juris; BGH, Urteil vom 14. März 2017 – XI ZR 442/16 –, Rn. 27, juris; BGH, Beschluss vom 23. Januar 2018 – XI ZR 298/17 –, Rn. 9, juris; BGH, Urteil vom 16. Oktober 2018 – XI ZR 69/18 –, Rn. 12, juris; BGH, Urteil vom 18. Februar 2020 – XI ZR 25/19 –, Rn. 12, juris) und ist damit vertretbar.

(2)

Mit Blick auf die von dem Landgericht zugrunde gelegte materielle Rechtslage erweist sich das vom Bundesgerichtshof durch Beschluss vom 31. Januar 2022 – XI ZR 113/21 u.a. – eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union als vorgreiflich.

(a)

Eine formelle Entscheidungserheblichkeit, die sich allein auf die Prüfung erstreckt, ob die Vorlagefragen des Parallel-Vorlageverfahrens zu der Begründung passen, die das aussetzende Gericht für seine Aussetzungsentscheidung liefert (so bereits OLG Braunschweig, Beschluss vom 14. Februar 2022 – 4 W 16/21 –, Rn. 63, juris), liegt vor.

Der Bundesgerichtshof möchte wissen, ob Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48/EG dahin auszulegen sei, dass es den nationalen Gerichten nicht verwehrt sei, im Einzelfall bei Vorliegen besonderer, über den bloßen Zeitablauf hinausgehender Umstände die Berufung des Verbrauchers auf sein wirksam ausgeübtes Widerrufsrecht als missbräuchlich oder betrügerisch zu bewerten mit der Folge, dass ihm die vorteilhaften Rechtsfolgen des Widerrufs versagt werden können.

Das Landgericht erachtet den Einwand der Verwirkung wie dargestellt als einschlägig, sieht sich aber an einer entsprechenden Entscheidung wegen möglicherweise entgegenstehender Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union gehindert. Es erhofft sich von dem Parallel-Vorlageverfahren des Bundesgerichtshofes eine Klärung dahingehend, ob es bei Widerruf nach Beendigung des Darlehensvertrages möglicherweise verbleibende Konstellationen für die Berücksichtigung von Treu und Glauben geben kann.

(b)

Die Prüfung einer weitergehenden, in diesem Sinne materiellen Entscheidungserheblichkeit ist dem Senat ob des eingeschränkten Prüfungsmaßstabes grundsätzlich verwehrt. Die materielle Entscheidungserheblichkeit, genauer: die materielle Abhängigkeit, meint hierbei die Prüfung des Beschwerdegerichts dahingehend, ob das Parallel-Vorlageverfahren in der Sache tatsächlich dazu geeignet ist, eine Frage zu beantworten, die für das ausgesetzte Verfahren entscheidungserheblich ist (so bereits OLG Braunschweig, Beschluss vom 14. Februar 2022 – 4 W 16/21 –, Rn. 66, juris).

Unter Berücksichtigung eines nur eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hinsichtlich der instanzgerichtlichen Einschätzung der Sach- und Rechtslage, welche in dessen originärem Verantwortungsbereich zu verorten ist, könnte sich eine solche Prüfung der materiellen Entscheidungserheblichkeit durch das Beschwerdegericht allenfalls auf eine Unvertretbarkeits- bzw. Willkürkontrolle beschränken (in diese Richtung bereits: OLG Celle, Beschluss vom 14. März 2016 – 13 W 3/16 (Kart) –, Rn. 20 und Rn. 31, juris).

Diese äußerste Grenze ist hier keinesfalls überschritten. Das Landgericht, das die Aussetzung auf die Vorlage-Entscheidung des Bundesgerichtshofes gestützt hat, folgt – mit Blick auf einen überschaubaren und damit mit dem Parallel-Vorlageverfahren vergleichbaren Sachverhalt – der Einschätzung der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

b)

Entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht ist kein Verfahrensfehler darin zu erblicken, dass die Einzelrichterin den Rechtsstreit nach den Hinweisen im Termin vom 9. Juni 2022 gemäß § 348a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht erneut der Kammer zur Prüfung der Übernahme vorgelegt hat.

Nach dieser Vorschrift legt der Einzelrichter den Rechtsstreit der Zivilkammer zur Entscheidung über eine Übernahme vor, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Sache oder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergeben.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lagen nicht vor.

Bei der Auslegung der Norm ist zunächst ihr Sinn und Zweck zu berücksichtigen: Dieser ist auf die Durchführung eines ökonomischen Verfahrens ausgerichtet, dem eine Rückgabe nach erfolgter Übertragung grundsätzlich widerspricht, sodass die Rückgabe auf Ausnahmefälle zu beschränken ist (Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 348a ZPO Rn. 8). Dies hat auch im Wortlaut der Norm Ausdruck gefunden, nach dem nur eine „wesentliche“ Änderung der Prozesslage die Kammervorlage gebietet.

Eine Änderung der Prozesslage liegt vor, wenn sich die Gegebenheiten, die die Kammer bei der Übertragungsentscheidung gemäß § 348a Abs. 1 ZPO berücksichtigt hat oder hätte berücksichtigen müssen, nach der Übertragung auf den Einzelrichter geändert haben. Es kann sich dabei um neues Vorbringen der Parteien (Sachvortrag und Beweisantritte) zum Streitgegenstand, um eine Klageänderung, aber auch um neue Rechtsprechung handeln, durch die der beabsichtigten Entscheidung des Rechtsstreits grundsätzliche Bedeutung zuwächst (MüKoZPO/Stackmann, ZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 348a Rn. 40).

All dies hat vorliegend nicht stattgefunden.

Zwar mag bei Reduktion der Betrachtung auf den reinen äußeren Ablauf auf den ersten „unbefangenen“ Blick der Umstand irritieren, dass die Einzelrichterin vorliegend mit der angefochtenen Aussetzungsentscheidung diametral entgegen der von der Kammer in voller Besetzung durch den Abhilfebeschluss vom 21. März 2022 verlautbarten Rechtsansicht entschieden hat. Sie hat dies jedoch nicht ohne Begründung getan, sondern ausdrücklich darauf abgestellt, dass die Kammer in voller Besetzung dem Rechtsfehler unterlegen sei, eine Rechtslage zugrunde zu legen, die bei Abschluss des streitgegenständlichen Darlehensvertrages in zeitlicher Hinsicht noch keine Geltung beanspruchen konnte, und so – aus Sicht der Einzelrichterin folgerichtig – zu Unrecht von der derzeitigen Unbegründetheit der Klage und somit der fehlenden Vorgreiflichkeit der im Parallel-Vorlageverfahren gestellten Auslegungsfrage ausgegangen sei.

Diese rechtliche Bewertung zu korrigieren, war die Einzelrichterin befugt, ohne den Rechtsstreit der Kammer erneut wegen tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten oder Grundsatzbedeutung zur Entscheidung vorzulegen. Denn angesichts des Ausnahmecharakters der Vorschrift genügt eine Veränderung in der Beurteilung der im Wesentlichen unveränderten Prozesslage für eine erneute Vorlage nicht (Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 348a ZPO Rn. 8).

Entgegen der Ansicht der Beklagten führt auch der Umstand, dass die erkennende Einzelrichterin nach ihrer Ansicht ausdrücklich gegen die Rechtsauffassung der eigenen Rechtsmittelinstanz entschieden habe, nicht zu einem schweren Verfahrensfehler, der entgegen der Grundregel der Unanfechtbarkeit nach § 348a Abs. 3 ZPO wegen Willkür, Entzug des gesetzlichen Richters und des damit verbundenen Verfassungsverstoßes ausnahmsweise ein Rechtsmittel begründen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 – VI ZR 4/06 –, BGHZ 170, 180-182, Rn. 5, juris; BeckOK ZPO/Fischer, 46. Ed. 01.09.2022, ZPO § 348 Rn. 58).

Die Einzelrichterin hat der Aussetzung mit Blick auf das Parallel-Vorlageverfahren des Bundesgerichtshofes selbst keine Grundsatzbedeutung zugemessen und dieser Frage kommt angesichts der höchstrichterlichen Entscheidung in dieser Frage auch keine Grundsatzbedeutung zu.

Der erkennende Senat hat sich in der in dem angefochtenen Beschluss zitierten Entscheidung vom 14. Februar 2022 – 4 W 16/21 –, Rn. 87 ff., juris, dahingehend positioniert, dass zu dem damaligen Zeitpunkt, und zwar nach Ergehen der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 9. September 2021 und vor Veröffentlichung der Vorlageentscheidung des Bundesgerichtshofes vom 31. Januar 2022 – XI ZR 113/21 –, die Frage der Interpretation der EuGH-Entscheidung verbunden mit der Aussetzung im Hinblick auf ein Parallel-Vorlageverfahren eines einzigen Oberlandesgerichts eine Grundsatzfrage darstelle, die vor der Aussetzung eine Kammervorlage gemäß § 348a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO gebiete. Dieser Zeitpunkt lag in der Anfangsphase der Unsicherheit über die Interpretation der EuGH-Entscheidung. Diese war dadurch geprägt, dass bis dahin nur ein einziges Oberlandesgericht sich durch seinen Vorlagebeschluss dahingehend positioniert hatte, dass auf diesem Gebiet Auslegungsfragen verblieben seien. Die Vorlageentscheidung des Bundesgerichtshofes vom 31. Januar 2022 war zu diesem Zeitpunkt weder dem Ausgangsgericht bei Erlass seiner dort angefochtenen Entscheidung noch dem erkennenden Senat zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung bekannt, da noch unveröffentlicht.

Eine Grundsatzfrage stellt sich freilich dann nicht mehr, wenn – wie hier durch den Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofes selbst – höchstrichterlich geklärt ist, dass die Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union Auslegungsfragen offenlässt.

Der Rechtsstreit hat eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne der Norm, wenn er eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung für die Allgemeinheit hat (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2002 – XI ZR 71/02 –, BGHZ 152, 182-194, Rn. 25, juris). Rechtsstreitigkeiten, deren Bedeutung über eine Entscheidung des Einzelfalls hinausgeht, sollen in der Kammerzuständigkeit bearbeitet und entschieden werden (MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 348 Rn. 10).

Ist die Rechtsfrage allerdings schon höchstrichterlich entschieden und will das Gericht keine abweichende Entscheidung treffen, so fehlt es an einer grundsätzlichen Bedeutung (MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 348 Rn. 15; BeckOK ZPO/Fischer, 46. Ed. 01.09.2022, ZPO § 348 Rn. 46).

So verhält es sich hier.

c)

Allerdings erweist sich die Aussetzungsentscheidung als ermessensfehlerhaft.

Die Anordnung der Aussetzung steht gemäß § 148 ZPO grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, das die Erfolgsaussichten des anderen Verfahrens und die mit der Aussetzung eintretende Verfahrensverzögerung gegeneinander abzuwägen (BGH, Beschluss vom 7. Mai 1992 – V ZR 192/91 –, Rn. 6, juris) und zu prüfen hat, ob die gebotene Verfahrensförderung auf andere Weise besser – schneller – zu erreichen ist (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2006 – VII ZB 39/06 –, Rn. 11, juris).

Wie bereits dargelegt darf das Beschwerdegericht eine Ermessensausübung des erstinstanzlichen Gerichts nur darauf überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten oder ob Ermessenfehler gegeben sind (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – II ZB 16/20 –, Rn. 20, juris). Dabei ist zu prüfen, ob das erstinstanzliche Gericht alle wesentlichen Gesichtspunkte in seine Entscheidung einbezogen hat (BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – II ZB 16/20 –, Rn. 20, juris). Ob es zweckmäßig ist, ein Verfahren auszusetzen, kann hingegen nicht nachgeprüft werden (BGH, Beschluss vom 25. Juli 2019 – I ZB 82/18 –, Rn. 38, juris; vgl. zum Ganzen bereits OLG Braunschweig, Beschluss vom 28. Juni 2022 – 4 W 20/22 –, Rn. 51 - 52, juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 28. Juni 2022 – 4 W 13/22 –, Rn. 61 - 62, juris).

Hier hat die Einzelrichterin nicht sämtliche Gesichtspunkte abgewogen und bei der Aussetzungsentscheidung einbezogen.

So hat die Beklagte mehrfach darauf hingewiesen, dass die Klägerin zu 1 nicht aktivlegitimiert sei, was zur Folge haben könnte, dass der Rechtsstreit jedenfalls in Bezug auf sie entscheidungsreif wäre. Dass das aussetzende Gericht diesen Umstand bedacht hat, ergibt sich aus der Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht.

3.

Nach alledem war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 572 Abs. 3 ZPO).

Eine eigene Sachentscheidung ist dem Beschwerdegericht verwehrt. Denn angesichts des entfalteten Prüfungsmaßstabes steht es ihm nicht an, die materiell-rechtliche Bewertung des Einwandes der fehlenden Aktivlegitimation vorzunehmen und seine Ermessensausübung an die Stelle derjenigen des Ausgangsgerichts zu setzen (ebenso BeckOK ZPO/Jaspersen, 46. Ed. 01.09.2022, ZPO § 252 Rn. 8). Es liegt in der originären Entscheidungskompetenz des Ausgangsgerichts, den Einwand der fehlenden Aktivlegitimation zu prüfen und im Falle der Begründetheit des Einwandes sodann zu entscheiden, wie es damit umzugehen gedenkt.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Das durch die Aussetzungsentscheidung ausgelöste Beschwerdeverfahren stellt sich als Bestandteil des Hauptverfahrens dar (BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – II ZB 16/20 –, Rn. 23, juris; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2005 – II ZB 30/04 –, Rn. 12, juris).

IV.

Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 574 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.