Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 22.12.2022, Az.: 2 UF 122/22
Beschwerde gegen den Entzug von Teilen des Sorgerechts wegen Kindeswohlgefährdung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 22.12.2022
- Aktenzeichen
- 2 UF 122/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59342
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- § 1666 BGB
Fundstellen
- FK 2023, 55
- FamRB 2023, 57-58
- FamRZ 2023, 533
- JAmt 2023, 242-243
- Jugendhilfe 2023, 204
- MDR 2023, 441-442
- NZFam 2023, 463
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Möglichkeit eines zukünftigen Ausfalls eines allein betreuenden Elternteils eines schwer behinderten Kindes stellt keine gegenwärtige Kindeswohlgefährdung dar. Die vorbeugende Fremdunterbringung zum Zwecke einer für das Kind vorteilhaften frühzeitigen Eingewöhnung in einer Einrichtung ohne konkreten Anlass rechtfertigt nicht den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Gesundheitsfürsorge.
2. Das Ausbleiben einer bestmöglichen Förderung eines Kindes durch den sorgeberechtigten Elternteil stellt keine Kindeswohlgefährdung dar. Soweit die grundlegenden, unverzichtbaren Lebensbedürfnisse des beteiligten Kindes sichergestellt sind, liegt es allein in der Verantwortung der sorgeberechtigten Eltern, inwieweit sie ihr Kind fördern.
3. Die Belastung des Umfelds eines umfänglich pflegebedürftigen behinderten Kindes, namentlich durch Störungen der Mitschüler, durch Beanspruchung von Pflegern und Betreuern und auch die praktische Erschwernis, dass mit dem alleinerziehenden Elternteil nur mittels Dolmetscher kommuniziert werden kann, stellen keine Gefährdung des Kindeswohls dar und rechtfertigen auch in der Summe nicht den Entzug von Teilen des Sorgerechts.
Tenor:
1. Auf die Beschwerde vom 29.06.2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Northeim vom 30.05.2022 aufgehoben.
2. Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin (im Folgenden genannt Mutter) wendet sich gegen den Entzug von Teilen des Sorgerechts durch das Amtsgericht – Familiengericht – Northeim.
Das Kind M. D. P. ist am ….2008 geboren und lebt mit seiner Mutter T. T. H. N. in einer Einzimmerwohnung in N. H.. Der Vater V. D. P. ist im Jahr 2018 verstorben. Die Eltern stammen aus Vietnam. Die Mutter lebt seit 15 Jahren in Deutschland. Ihre deutschen Sprachkenntnisse sind sehr begrenzt. Sie ist nicht berufstätig und bestreitet den Lebensunterhalt der Familie von Kindergeld, Witwenrente und dem Pflegegeld für M. Ihr Antrag auf Leistungen des Jobcenters wurde aufgrund des Vorhandenseins von Vermögen abgelehnt.
Das Kind M. ist geistig behindert, leidet unter frühkindlichem Autismus mit schwerer Entwicklungsstörung der Kommunikation und der Sprache. Zudem hat er erhebliche Defizite in den Bereichen soziale Interaktion, Alltagsbewältigung, Motorik, Spiel- und Arbeitsverhalten. Ihm fehlen die Fähigkeiten der Steuerung, Bewertung und Einsicht in sein Verhalten. Er hat einen hohen Förderbedarf und benötigt Betreuung rund um die Uhr, wobei die Einrichtung einer Familienhilfe aufgrund der Sprachbarriere der Mutter nicht zustande kam. M. besucht ganztags eine Förderschule, die I-schule des Pädagogischen Therapiezentrums (PTZ) E. Hier ist ein Schulbegleiter für ihn eingesetzt. Die Förderschule berichtet, er sei das mit Abstand schwierigste Kind, so sei er ständig in Bewegung, nehme Gegenstände in den Mund, halte keine Distanz zu anderen Menschen und spiele in unbeobachteten Momenten mit seinen Exkrementen. Er habe in der Förderschule Interesse nur an Bindfäden, Bändern und an Essen. Zum Teil schreie er laut auf und man wisse nicht, ob er Schmerzen habe oder was der Grund sei.
Das Kind M. kann nicht sprechen, sondern nur lautieren und in die Hände klatschen. Sein Händeklatschen wird seitens der Förderschule als zum Teil zwanghaft erlebt. Sein Gemütszustand ist zumeist fröhlich und er kann sich nonverbal verständigen, indem er mit der Hand auf Gegenstände zeigt. Er benötigt ständige Beaufsichtigung und Führung und kann sich nicht allein beschäftigen. Bei der Durchsetzung eigener Interessen kann er sehr rigoros werden und es kann bei Frustrationen zu Ausrastern in der Förderschule kommen. Den Berichten der Förderschule zufolge schlage er sich in Momenten des Ausrastens selbst mit der Hand ins Gesicht bis dieses gerötet ist, werfe sich auf den Boden und schlage den Kopf auf den Boden. In diesen Momenten müssen mehrere Erwachsene einschreiten und ihn auf einen Sitzsack tragen, bis er sich beruhigt. Es dauert dann 10 bis 15 Minuten, bis er sich beruhigt.
M. wird mittlerweile physisch zum erwachsenen Mann und entwickelt entsprechend Kraft. Körperlich überragt er mittlerweile seine Mutter. Sein Verhalten beschreibt die Förderschule als nicht alltagsadäquat und als nicht sozialverträglich. Ein Verständnis für fremdes Eigentum hat er nicht. Hat ein Kind in der Förderschule Geburtstag, so muss der Kuchen versteckt werden, da M. diesen sonst eigenmächtig und mit den Fingern zu sich nimmt. Beim Mittagessen kommt es vor, dass er sich an fremdem Essen vergreift. Auch hat er bereits Schokolade im Geschäft entwendet, als ihm danach war. Sein Essen nimmt er im Übrigen nur mit den Händen auf. Nach dem Bericht der Förderschule könne man mit ihm ein kultivierteres Essen üben, was jedoch zuhause wieder verlernt werde, da ihn seine Mutter offensichtlich zuhause füttert. Äußerlich ist er gut genährt und gepflegt. Gegenüber anderen Menschen wird er nie körperlich aggressiv. In sieben Jahren hat die Förderschule es noch nicht erlebt, dass M. einem anderen Kind etwas angetan hätte. In die Förderschule wird er per Einzelbeförderung gebracht, denn es sei vorgekommen, dass er sich im Bus nackt ausgezogen habe. Generell benötigt er eine vollumfängliche Begleitung und Betreuung in der Förderschule, da man ihn nicht unbeaufsichtigt lassen kann.
Die Mutter wird seitens der Schule als stark belastet erlebt. Es kommt vor, dass M. aus der Förderschule aufgrund Fehlverhaltens nach Hause geschickt und abgeholt werden muss. Dann weine die Mutter und könne eine Abholung mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum bewerkstelligen. Sie wird als liebevolle Mutter wahrgenommen. Das hiesige Gerichtsverfahren bereitet ihr jedoch Verlustängste. Die Verfahrensbeiständin sieht bei der Beziehung der beiden die Gefahr der Symbiose. Sie leben mit Ausnahme der Zeiten des Kindes in der Tageseinrichtung der Förderschule ununterbrochen zusammen. M. hat in der beengten Einzimmerwohnung kein eigenes Zimmer.
Die Familie ist dem Jugendamt Northeim seit dem Jahr 2018 bekannt. Damals problematisierte ein Mitarbeiter der Förderschule die familiäre Situation. Im Mai 2020 ging eine Meldung beim Jugendamt ein, dass es aus der Wohnung der Familie ständig lärme. Es werde gegrölt, gegen die Wand geschlagen und auch mit Metall auf das Balkongeländer geschlagen. Bei einem Hausbesuch fand das Jugendamt die Situation vor, dass während der Corona-Pandemie M. für 6 Wochen auf sich allein gestellt war, da die Mutter es verabsäumt hatte, einen Antrag auf Notbetreuung für M. bei der Förderschule zu stellen. Aus Sicht der Förderschule blockiere die Mutter seit langem jegliche Lösungsversuche für die Probleme des Kindes. Sie stimme zum Beispiel einer medikamentösen Behandlung, die M. nach Einschätzung des Jugendamts helfen würde, nicht zu und auch nehme sie familienentlastende Hilfen nicht an.
Mit Antrag vom 13.07.2020 regte das Jugendamt gegenüber dem Amtsgericht – Familiengericht – Northeim den Entzug von Teilen der elterlichen Sorge, namentlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts, der Gesundheitsfürsorge und des Antragsrechts nach den Sozialgesetzbüchern (SGB) an. Zur Begründung führte es aus, die Mutter unterstütze die Ziele der Förderschule und der Autismustherapie nur unzureichend. Hilfsmittel wie Bildkarten setze sie zuhause nicht ein, sondern übernehme alle Handlungen für das Kind. Dies führe jedoch zu Aggressionen und Autoaggressionen bei ihm. M. verstehe knappe Anweisungen in deutscher Sprache. Da die Mutter mit ihm nur vietnamesisch spreche, könne sie ihn jedoch in diesem Bereich nicht fördern. Im Bereich Alltagskompetenz benötige er eine konsequente Begleitung, Förderung und auch Erziehung. Die Mutter begrenze ihn jedoch nur körperlich. Dies werde jedoch nicht mehr möglich sein, wenn er größer wird. Das Sozialpädiatrische Zentrum habe aufgrund seines Bewegungsdrangs eine neuroleptische medikamentöse Einstellung empfohlen. Schulmedizinische Behandlungen lehne die Mutter jedoch ab, sie bevorzuge Naturheilmittel. Weiter benötige M. aufgrund seines Bewegungsdrangs, seiner Unselbständigkeit und seiner Verhaltensauffälligkeiten verbunden mit Verletzungsgefahr eine Betreuung rund um die Uhr. Fraglich sei daher, was passiere, wenn die Mutter als Betreuungsperson einmal ausfalle, sei es aufgrund eigener Krankheit oder aufgrund eigenen Älterwerdens. M. und seine Mutter seien in ihrer eigenen Welt verhaftet und die Mutter stelle keine Überlegungen für die Zukunft des Kindes an. Im Übrigen pflege und versorge sie das Kind gut. Hierbei opfere sie sich tagtäglich auf. Das Problem sei jedoch, dass M. früher oder später in einer Einrichtung für Erwachsene leben werde, was jedoch Vorbereitung erfordere, an der die Mutter derzeit nicht mitwirke.
In der mündlichen Erörterung vor dem Amtsgericht Northeim am 22.09.2020 erklärte die Mutter, dass sie ihr Kind nie allein lasse. Sie erledige Einkäufe etc., wenn er in der Förderschule ist. Sollte sie einmal ausfallen, gebe es Freundinnen, die einspringen können.
Die Verfahrensbeiständin erklärt, für die weitere Entwicklung von M. sei es aus ihrer Sicht unverzichtbar, dass zeitnah in erheblichem Umfang mit M. gearbeitet werden kann. Sie sehe dafür nur die Möglichkeit der stationären Unterbringung.
Der Verfahrensbevollmächtigte der Mutter ließ erklären, dass sie bereit sei, sich von einem geeigneten Unterbringungsangebot für ihr Kind einen eigenen Eindruck zu verschaffen, wenngleich ihr ein Loslassen schwer falle.
Mit Datum vom 05.06.2021 wurde ein Kinder- und jugendpsychiatrisches Gutachten betreffend die Situation des Kindes M. erstattet. Es kommt zu dem Ergebnis, dass durch den Verbleib im mütterlichen Haushalt bei M. bislang keine Schädigung eingetreten ist. Der frühkindliche Autismus und die erhebliche Intelligenzminderung sind nicht heilbar. Die Bindung zur Mutter, ein bekanntes Umfeld und auch eine reizarme Umgebung sind für ihn vorteilhaft. Seine tiefgreifende Entwicklungsstörung und auch seine fehlenden Sprachfertigkeiten würden nicht verbessert werden, wenn seine Mutter besser deutsch spräche. Der Verlust der fürsorglichen Betreuung durch die Mutter bei Fremdunterbringung ist ein Faktor, der bei einer Fremdunterbringung zu berücksichtigen ist. Der Sachverständige empfiehlt die Installation ambulanter Maßnahmen. Diese habe die Familie bislang noch nicht in Anspruch genommen.
Weiter führt das Gutachten aus, dass eine Vollzeitpflege stets erforderlich sein werde. Diese könne durch eine Person geleistet werden, grundsätzlich auch durch die Mutter. Da M. jedoch älter und seine Mutter nicht jünger werde, werde auf lange Sicht eine Unterbringung in einer geeigneten Einrichtung wahrscheinlich nicht zu vermeiden sein.
Die Verfahrensbeiständin empfahl daraufhin die kurzfristige Installation ambulanter Hilfen.
Das Jugendamt kritisierte das Sachverständigengutachten mit Stellungnahme vom 12.08.2021. Bereits die Förderschule sei überfordert, genau wie auch die Mutter. Durch die fehlende Sprache sei sie nicht in der Lage, Anträge zu stellen und Hilfen zu erhalten. Es wirke, als bestünde aus ihrer Sicht kein Hilfebedarf. Das Jugendamt geht dabei davon aus, dass M. doch Lernfortschritte unternehmen könne, die ihm in der derzeitigen Situation verwehrt seien. Argumente gegen einen Verbleib des Kindes im Haushalt der Mutter seien der Schutz der Mutter vor Übergriffen des Sohnes, Förderung seines Sprachverständnisses, das Erlernen weiterer Fertigkeiten, eine umfassende autismusspezifische Förderung, das Erlernen von Ausdrucksmöglichkeiten, z.B. über Bildkarten, Förderung sozialadäquater Verhaltensweisen, Erlernen der Sprache, Erlernen einfacher Kulturtechniken, ganzheitliche Förderung, langfristige Perspektiventwicklung. Ambulante Hilfen könnten nur bei hinreichender sprachlicher Verständigungsmöglichkeit erfolgreich sein, an der es fehle. Zudem reichten sie nicht aus, M. auf ein Leben in einer Einrichtung vorzubereiten.
In seiner antwortenden Stellungnahme stimmte der Sachverständige den Ausführungen des Jugendamts im Ergebnis zu.
In der Stellungnahme des Verfahrensbevollmächtigten der Mutter vom 19.11.2021 wies dieser darauf hin, dass eine gegenwärtige Kindeswohlgefährdung nicht bestehe. Das Jugendamt argumentiere mit dem Gedanken der Prävention eines späteren Umstands, dass die Mutter nicht mehr für M. sorgen könne. Es könne sich allenfalls um eine zukünftige Gefährdung handeln. Im Übrigen bemühe sich die Mutter um Sprachförderung. Zudem bitte die Mutter darum, ihr die Besichtigung einer für M. geeigneten Einrichtung zu ermöglichen. Einer Unterbringung des Kindes M. habe sie noch nicht zugestimmt, sie wolle sich jedoch intensiv damit auseinandersetzen.
Im Termin der mündlichen Anhörung vor dem Amtsgericht Northeim am 28.01.2022, welcher 2 Stunden dauerte, führte die Vertreterin des Sozialamts des Landkreises Northeim aus, dass es mittlerweile in der Förderschule Probleme mit sexualisiertem Verhalten des Kindes M. gebe. So habe er sich während des Unterrichts selbst befriedigt, der Schulbegleiter habe ihn gerade noch bewegen können, auf die Toilette zu gehen. Der Sachverständige wurde mündlich angehört und führte aus, dass bei M. frühkindlicher Autismus und eine hyperkinetische Mobilitätsstörung vorliegen. Noch einmal stellte er klar, dass dies nicht heilbar ist. Ein selbständiges Leben werde M. daher nie führen können. Er benötige eine Rund-um-Betreuung, könne bei intensivster Förderung kleine Fortschritte erzielen. Es gebe nur wenige Personen, die eine Betreuung als Bezugsperson leisten könnten. Seine Mutter habe er als engagiert erlebt, allerdings habe sie zu den behandelnden Ärzten nur unzureichend Kontakt gehalten, wobei gerade die Frage der Medikation mit Methylphenidat, einem verschreibungspflichtigen Betäubungsmittel, eine genaue Abstimmung erfordert habe. Die Behandlung sei höchstkomplex und die Medikation muss auf Wirkung und Nebenwirkung überprüft werden. Überdies kämen in der Pubertät nun die erwachende Sexualität des Kindes und sein Wachstum hinzu. Für M. werde es sicherlich schwierig, sich in einer Einrichtung einzufinden. Seine Mutter könne Fördermaßnahmen allerdings nicht ausreichend umsetzen, sie sorge gerade einmal für das, was M. gerade brauche, aber für nichts darüber hinaus.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Northeim hat das Kind M. angehört und es hierzu in der Förderschule besucht. Das Amtsgericht schildert hierbei die äußerliche Wahrnehmung des Kindes, welches erwartungsgemäß in ein Gespräch oder eine Interaktion mit der Richterin nicht getreten ist. Das Gericht schildert die Wahrnehmung einer engmaschigen Betreuung durch den Schulbegleiter, welche nach Aussage der Klassenlehrerin überhaupt erst den Schulbesuch des Kindes M. ermögliche.
Mit Beschluss vom 30.05.2022 hat das Amtsgericht – Familiengericht – Northeim der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Gesundheitssorge sowie das Antragsrecht nach den Sozialgesetzbüchern entzogen und im Wege der Einrichtung der Amtspflegschaft auf das Jugendamt des Landkreises Northeim übertragen. Zur Begründung führt das Amtsgericht aus, es sei überzeugt, dass die Mutter langfristig nicht in der Lage sein werde, die Betreuung und Versorgung des nunmehr 14 Jahre alten Kindes M. ohne Gefahr für dessen körperliches, seelisches und geistiges Wohl sicherzustellen. Eine alsbaldige Unterbringung des Kindes in einer geeigneten Einrichtung sei erforderlich. Die Mutter sei jedoch nicht damit einverstanden. Das Gericht stütze seine Überzeugung auf die Eindrücke im Termin, der Kindesanhörung, jedoch im Wesentlichen auch auf die Ausführungen des Sachverständigen. Der Sachverständige habe der Mutter zunächst zugetraut, die Betreuung von M. zu leisten und auch die Vorteile einer Unterbringung gegen die gravierenden Nachteile des Verlusts der Bezugsperson Mutter in der Begutachtung abgewogen. Jedoch lasse sich nicht absehen, wie die Betreuung des Kindes gewährleistet werden solle, wenn die Mutter einmal ausfalle oder auch wenn M. körperlich so erwachsen ist, dass sie ihn (vielleicht) nicht mehr begrenzen kann. Langfristig lasse sich eine Unterbringung wohl nicht vermeiden. Er benötige bereits jetzt eine umfassende Betreuung und sei in der Schule schwer zu begrenzen, es komme zu Ausfallerscheinungen wie Urinieren, Masturbieren und einer Weglauftendenz. Bei der Mutter liege eine nur eingeschränkte Einsicht in die Notwendigkeit weitergehender Förderung des Kindes und auch der Verbesserung der eigenen Sprachkompetenz vor. Sie gehe liebevoll bis zur Selbstaufgabe mit dem Kind um, jedoch fördere sie ihr Kind nicht dahingehend, dass es zumindest am Schulalltag weitestgehend ohne Probleme teilhaben könne. Sie werde auch in Zukunft nicht angemessen reagieren können, wenn sie einmal nicht mehr in der Lage sein wird, das Kind körperlich zu begrenzen. Dann werde es zu einer Gefährdung kommen. Zur Ermöglichung der stationären Unterbringung des Kindes M. sei der Entzug der Teilbereiche der elterlichen Sorge angemessen und erforderlich. Es wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen auf den Beschluss vom 30.05.2022.
Gegen den ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 31.05.2022 zugestellten Beschluss wendet sich die Mutter mit der am 29.06.2022 bei dem Amtsgericht Northeim eingegangenen Beschwerde. Zur Begründung führt sie aus, es liege keine gegenwärtige Kindeswohlgefährdung vor. Die Mutter und M. hätten zudem ein soziales Umfeld in der buddhistischen Gemeinde in H., wo sie die Wochenenden zumeist verbringen. M. sei medikamentös eingestellt und seitdem sei er ruhiger. Die Mutter gebe das Medikament morgens und dann werde er mit dem Bus zur Schule gebracht. Zudem würden ausgewählt originelle Einzelfälle seiner Auffälligkeiten herangezogen, jedoch stellten diese die aktuelle Situation nicht insgesamt in Frage. Die Kindeswohlgefährdung sei mit einer möglichen Gefährdung auf lange Sicht begründet, was jedoch keine konkrete Gefährdung aktuell darstelle. Eine stationäre Unterbringung könne für M. überdies schwere seelische Folgen haben, denn er verliere dann in Person seiner Mutter seine einzige ihm nahestehende Bezugsperson. Zur Not würde sie mit M. in eine Kommune mit einer größeren vietnamesischen Gemeinde oder gar nach Vietnam zurückgehen, wenn es darum gehe, einen Ausfall der Mutter als Betreuungsperson aufzufangen. Es wird Bezug genommen auf die Beschwerde vom 29.06.2022.
In seiner Stellungnahme auf die Beschwerde erklärt das Jugendamt des Landkreises Northeim, dass die Probleme mit M. in der Förderschule fortbestünden. Eine Verbesserung sei nicht eingetreten. Er werde 1:1 betreut und die Verhaltensauffälligkeiten gebe es nach wie vor. So müsse er zum Teil separiert werden. Mit viel Arbeit könne er einfachste Dinge lernen, seine Mutter setze das Training jedoch zuhause nicht fort. Sie locke ihn, indem sie mit einer Essenstüte raschele. Er werde denkbar schlecht auf ein Leben in einer Erwachsenenwohngruppe vorbereitet.
Der Bericht des Pädagogisch-Therapeutischen Förderzentrums E. (der Förderschule) vom 30.08.2022 benennt die hinreichend bekannten Schwierigkeiten mit M., kommt am Ende jedoch zu folgendem Schluss: „Um M. bestmöglich fördern zu können, wünschen wir uns insgesamt eine größere Kooperationsbereitschaft der Mutter“.
Die Verfahrensbeiständin spricht sich im Verfahren dafür aus, dass M. klare und feste Strukturen benötige, die stringent über den gesamten Tag durchgehalten werden müssen. Dieses Ziel lasse sich nur in einer Einrichtung umsetzen. Es sei wichtig, dass M. zeitnah in eine Einrichtung ziehen könne.
Der Verfahrensbevollmächtigte der Mutter wies mit Schriftsatz vom 19.09.2022 darauf hin, dass es die Sprachbarriere sei, die es der Mutter so erschwere, die Hilfsangebote zu nutzen sowie Hinweise und Anweisungen zu verstehen. Noch einmal weist er darauf hin, dass M. eine Art soziale Integration in der buddhistischen Gemeinde H. widerfahre, zu der die Mutter ihn an Wochenenden mitnehme.
Der Senat hat das Kind M. persönlich angehört. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Kindesanhörungsvermerk vom 25.11.2022. Zudem hat der Senat die Beteiligten angehört. Es wird Bezug genommen auf das Protokoll des Anhörungstermins vom 29.11.2022.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Voraussetzungen der §§ 1666, 1666a BGB für den Entzug oder auch von Teilbereichen der elterlichen Sorge liegen nicht vor.
Ein Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts, der Gesundheitsfürsorge und des Rechts auf Anträge nach den Sozialgesetzbüchern gem. §§ 1666, 1666a BGB ist nach Maßgabe der bestehenden Tatsachengrundlage nicht gerechtfertigt.
Voraussetzung eines Eingriffs in die elterliche Sorge ist nach § 1666 Abs. 1 BGB eine Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des betroffenen Kindes oder seines Vermögens, welche die Eltern abzuwenden nicht gewillt oder in der Lage sind.
Eine gegenwärtige Kindeswohlgefährdung in Bezug auf das Kind M. kann hier jedoch nicht festgestellt werden.
Eine ein staatliches Eingreifen rechtfertigende Gefährdung des Kindeswohls ist gegeben, wenn bei weiterer unbeeinflusster Entwicklung der gegebenen Umstände der Eintritt eines Schadens oder die Verfestigung eines bereits eingetretenen Schadens im Sinne einer Störung der Entwicklung des Kindes mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 3. Februar 2017 – 1 BvR 2569/16 –, Rn. 44, zit. nach juris = FamRZ 2017, 524; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19. November 2014 – 1 BvR 1178/14 –, Rn. 23, zit. nach juris; BGH FamRZ 1956, 350 = NJW 1956, 1434; OLG Hamm FamRZ 2006, 359; OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. Dezember 2020 – 4 UF 177/20 –, Rn. 17, zit. nach juris). So liegt es hier jedoch nicht.
Eine Kindeswohlgefährdung folgt nicht aus der Erkrankung des Kindes M.
Das Kind M. hat einen vollumfänglichen Pflege- und Betreuungsbedarf. Es ist geistig behindert, leidet unter frühkindlichem Autismus mit schwerer Entwicklungsstörung der Kommunikation und der Sprache (zu Definition, Klassifikation und Leitsymptomen des Krankheitsbildes siehe Sinzig, Frühkindlicher Autismus, Berlin Heidelberg 2011, S. 8 f.). Zudem hat M. erhebliche Defizite in den Bereichen soziale Interaktion, Alltagsbewältigung, Motorik, Spiel- und Arbeitsverhalten. Er leidet unter hyperkinetischen Verhaltensweisen. All seine gesundheitlichen Einschränkungen sind nicht heilbar und seine Pflege und Betreuung verlangen von seiner Mutter und den Betreuern der Förderschule einen Einsatz bis an die Grenzen der Belastung.
Die Erkrankung bereitet dem Kind M. schwere Einschränkungen. Soweit ihm nicht eine intensive Pflege und Betreuung zuteil würde, wäre sein Wohl gefährdet, denn M. kann nicht für sich selbst sorgen und wird dies auch nie tun können. Einer latent vorhandenen Kindeswohlgefährdung aufgrund der erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigung des Kindes wird gegenwärtig durch Maßnahmen der Mutter begegnet. M. wird im privaten Bereich durchgängig durch sie betreut und zu Schulzeiten geht er in die Förderschuleinrichtung des Pädagogischen Therapiezentrums. Aktuell gewährleistet seine Mutter die umfassende Pflege in eigener Person und auch durch die Betreuung in der Förderschule. Das kinder- und jugendpsychiatrische Sachverständigengutachten vom 05.06.2021 kommt zu dem Ergebnis, dass durch den Verbleib M. im Haushalt der Mutter bislang keine Schädigung eingetreten ist und die Mutter in der Lage ist, die Elternschaft schadensfrei für M. auszuüben.
Ein Fall der Verwahrlosung oder Vernachlässigung des Kindes M. liegt nicht vor. Hierunter verstünde man insbesondere Unzulänglichkeiten in der andauernden oder wiederholten persönlichen Betreuung, mangelhafte Pflege, Ernährung und Bekleidung, Aufsicht und Fürsorge (Johannsen/Henrich/Althammer-Jokisch, 7. Aufl. 2020, BGB § 1666, Rn. 76). Einem solchen Vorwurf ist die Mutter jedoch nicht ausgesetzt. Nach den im Verfahren vorliegenden Berichten des Jugendamts, der Verfahrensbeiständin oder der Förderschule gewährleistet die Mutter die Versorgung des Kindes M. in körperlicher und seelischer Hinsicht. Sie wird als liebevolle Mutter beschrieben. Äußerlich wird das Kind M. als gut ernährt und bis auf wenige Ausnahmen auch als gepflegt wahrgenommen. Das Sachverständigengutachten vom 05.06.2021 führt aus, die Mutter versuche alles umzusetzen, was ihr zur Förderung M. geraten werde.
Dass der Mutter die Bewältigung des Alltags mit einem behinderten Kind gelingt, zeigte auch die Kindesanhörung. Zu dem Termin der Kindesanhörung reiste die Mutter eigenständig mit M. mit der Bahn und öffentlichen Verkehrsmitteln in eine für sie fremde Stadt und offenbarte hier keinerlei Schwierigkeiten. Nach dem Eindruck des Senats in der Kindesanhörung geht die Mutter sehr liebevoll, umsichtig und sorgsam mit ihrem Kind um und wird seinen besonderen Bedürfnissen in jeder Hinsicht gerecht. Zwischen beiden war eine starke Bindung und ein intuitives Verständnis wahrnehmbar. Die Anwesenheit seiner Mutter vermittelte M. Sicherheit in der ungewohnten Situation bei Gericht.
Es reicht zur Begründung einer gegenwärtigen Kindeswohlgefährdung auch nicht aus, dass M. nach Ansicht des Jugendamts bereits jetzt in einer für ihn geeigneten Einrichtung leben und sich eingewöhnen sollte. Im hiesigen Verfahren wird die Kindeswohlgefährdung seitens des Jugendamts und durch das erstinstanzliche Gericht damit begründet, dass M. nicht auf alle Zeit durch seine Mutter wird betreut werden können und früher oder später in einer geeigneten Unterbringungseinrichtung wird leben müssen. Hieran sei er frühzeitig zu gewöhnen, da es ihm mit zunehmendem Alter schwerer fallen wird.
Die Möglichkeit eines zukünftigen Ausfalls eines allein betreuenden Elternteils eines schwer behinderten Kindes stellt jedoch keine gegenwärtige Kindeswohlgefährdung dar. Der Ansatz, eine Eingewöhnung eines pflegebedürftigen Kindes in einer Einrichtung sei frühzeitig zu beschreiten, weil diese ihm später schwerer falle, betont die Praktikabilität und nimmt einseitig in den Blick, dass sich ein akuter Handlungsbedarf in Zukunft einmal ergeben könnte. Die Annahme, die Mutter werde ab einem gewissen Zeitpunkt möglicherweise die Betreuung ihres Kindes nicht mehr leisten können, mag sich gegebenenfalls in Zukunft als wahr herausstellen, jedoch ist dieser Fall bislang nicht eingetreten und bleibt bis zum aktuellen Zeitpunkt hypothetisch. Eine aktuelle Kindeswohlgefährdung ergibt sich hieraus nicht. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Gefährdung muss auf konkreten Verdachtsmomenten beruhen und insbesondere bei einer Trennung des Kindes von seinen Eltern gilt kraft Verfassungsrechts ein besonders strenger Kontrollmaßstab (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 7. April 2014 – 1 BvR 3121/13 –, Rn. 23, zit. nach juris; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. November 2016 – XII ZB 149/16 –, Rn. 16, zit. nach juris). Eine nur abstrakt denkbare Gefährdung des Kindeswohls genügt diesen Anforderungen nicht und kann einen teilweisen Sorgerechtsentzug nicht rechtfertigen. Zudem vernachlässigt dieser Ansatz im vorliegenden Fall das Gutachtenergebnis, wonach die Betreuung durch die Mutter und die Vermeidung von Veränderungen für das Störungsbild und das Wohlbefinden des Kindes M. gegenwärtig sogar wohltuend sind.
Soweit beanstandet wird, die Mutter fördere das Kind M. im häuslichen Umfeld nicht ausreichend, folgt auch hieraus keine Gefährdung des Kindeswohls.
Das Ausbleiben einer bestmöglichen Förderung eines Kindes durch den sorgeberechtigten Elternteil stellt keine Kindeswohlgefährdung dar. Soweit die grundlegenden, unverzichtbaren Lebensbedürfnisse des beteiligten Kindes sichergestellt sind, liegt es allein in der Verantwortung der sorgeberechtigten Eltern, inwieweit sie ihr Kind fördern.
Zu vergegenwärtigen ist, dass die erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigung des Kindes M. nicht heilbar ist. Pflege und Betreuung sind für ihn lebensnotwendig und bieten ihm die erforderliche Unterstützung im Alltag. Aufgrund seiner erheblichen Beeinträchtigung wird M. jedoch nie für sich allein sorgen können. Er wird immer im höchsten Maße unterstützungsbedürftig sein. Die Fähigkeit des Kindes M. zu lernen, ist hierbei minimal und sehr begrenzt. Es kann daher nicht argumentiert werden, dass die Mutter mit ihm in der Förderschule eingeübte marginale Verbesserungen seines Verhaltens wie z.B. ein kultivierteres Aufnehmen der Mahlzeiten oder das Benutzen von Bildkarten zuhause nicht übe. Es gehört nämlich nicht zur Ausübung des Wächteramts des Staates aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, gegen den Willen der Eltern für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 – 1 BvR 2681/07 –, Rn. 18, zit. nach juris). Das Grundgesetz hat den Eltern zunächst die primäre Entscheidungszuständigkeit bezüglich der Förderung ihrer Kinder zugewiesen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2014 – 1 BvR 3121/13 –, Rn. 18, zit. nach juris). Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 – 1 BvR 2681/07 –, Rn. 17, zit. nach juris). Dabei wird in Kauf genommen, dass Kinder wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2014 – 1 BvR 3121/13 –, Rn. 18, zit. nach juris).
Der Begriff der „Kindeswohlgefährdung“ ist im Lichte des Grundgesetzes auszulegen ist. Es reicht zur Begründung einer Kindeswohlgefährdung aus den oben genannten Gründen nicht aus, auf die Einhaltung eines objektivierten bestmöglichen Zustandes hinzuweisen oder auszuführen, dass dieser nicht gewahrt wird. Damit würde das Recht des Kindes und der Eltern verletzt, die Pflege und Erziehung ohne staatliche Zielvorgabe und ohne staatlichen Eingriff in der Familie zu erledigen. Das Wohl vieler Kinder, die nicht unter optimalen Lebensumständen aufwachsen und deren Talente nicht bestmöglich angeregt und gefördert werden, ist nicht gefährdet, auch wenn ihm besser gedient werden könnte.
Unter dem Wohl des Kindes sind allein die grundlegenden, unverzichtbaren Lebensbedürfnisse des beteiligten Kindes zu verstehen, auf deren vollständige und sichere, unbedingte, voraussetzungslose Erfüllung es in seinem gerade erreichten Stand der Entwicklung angewiesen ist (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 5. Januar 2016 – 13 UF 12/15 –, Rn. 22, zit. nach juris). Auf diese Weise ist der Begriff des Kindeswohls gegen ein Abgleiten in Kleinigkeiten zu bewahren, um den staatlichen Eingriff zu beschränken und dem Freiheitsrecht von Kindern und Eltern (Art. 6 Abs. 2 und 3 GG) zu entsprechen. Dementsprechend liegt die Einsatzgrenze des Kindesschutzrechts dort, wo die Grundlagen des verfassungsrechtlichen Menschenbildes (Fähigkeit zur Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und sozialen Gemeinschaft) gefährdet sind, wobei sich eine gegenwärtig vorhandene Gefahr sowohl aus einem elterlichen Handeln (z.B. Gewaltanwendung gegenüber dem Kind) als auch aus einem elterlichen Unterlassen (z.B. Vernachlässigung des Kindes) ergeben kann.
Das Vorhandensein aller unverzichtbaren Bedürfnisse des Kindes M. werden durch die Pflege und Betreuung der Mutter und die umfassende Betreuung in der Förderschule gewährleistet. Das Fehlen der Förderung der minimalen Lernkapazität des Kindes begründet nach den zuvor dargestellten Grundsätzen daher keine Kindeswohlgefährdung. Das Sachverständigengutachten vom 05.06.2021 führt hierzu sogar aus, dass aufgrund der geistigen Beeinträchtigung des Kindes M. es unwahrscheinlich ist, dass bessere Deutschkenntnisse der Mutter den Spracherwerb M. positiv beeinflussen können, bzw. zumindest nicht dazu führen würden, dass er lernen würde, deutsch zu sprechen.
Soweit das Jugendamt in seiner Stellungnahme vom 12.08.2021 schreibt, die Vorteile einer Unterbringung des Kindes M. bestünden u.a. in einer umfassenden autismusspezifischen Förderung und einer langfristigen Perspektiventwicklung, bleibt in Anbetracht des Krankheitsbildes des Kindes unklar, was hierdurch verlässlich erreicht werden kann. Das Jugendamt führt Einzelheiten hierzu nicht aus. Es lässt sich nicht aufzeigen, dass der Status quo des Kindes im Vergleich zur aktuellen Situation verlässlich verbessert werden könnte und insbesondere auch nicht, dass es einer Gefährdung gleichkäme, ihm diese Förderung vorzuenthalten.
Auch die Gesundheitsfürsorge sowie die Befugnis, Rechte nach den Sozialgesetzbüchern wahrzunehmen, werden durch die Mutter allen Berichten zufolge nicht in kindeswohlgefährdender Weise ausgeübt. Soweit dem Kind Medikamente verschrieben wurden, ist nicht bekannt, dass die Mutter diese nicht verabreicht hätte. Soweit Familienhilfe nicht beantragt und installiert werden konnte, ist dies an der Sprachbarriere der Mutter gescheitert. Allein die Notwendigkeit, dass bei diesen Vorgängen stets ein Dolmetscher für die Sprache Vietnamesisch hinzuzuziehen ist, ist praktisch umständlich, kann jedoch keine Kindeswohlgefährdung begründen und einen Teilsorgerechtsentzug in den Bereichen Gesundheitsfürsorge und Anträgen nach den Sozialgesetzbüchern unter Praktikabilitätsgesichtspunkten nicht rechtfertigen.
Der Eingriff in das Elternrecht der Mutter ist ferner unverhältnismäßig. Die Maßnahme des Teilsorgerechtsentzugs muss geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismäßig sein (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2016 – XII ZB 149/16 –, Rn. 27, zit. nach juris). An der Eignung zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung fehlt es nicht nur, wenn die Maßnahme die Gefährdung des Kindeswohls nicht beseitigen kann; vielmehr ist die Maßnahme auch dann ungeeignet, wenn sie mit anderweitigen Beeinträchtigungen des Kindeswohls einhergeht und diese durch die Beseitigung der festgestellten Gefahr nicht aufgewogen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 – XII ZB 247/11 –, Rn. 29, zit. nach juris).
Die negativen seelischen Folgen einer Trennung des Kindes M. von seiner Mutter und einer Fremdunterbringung sind daher zu berücksichtigen und müssen durch die hinreichend gewisse Aussicht auf Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbessert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. April 2018 – 1 BvR 383/18 –, Rn. 16, zit. nach juris). Erstinstanzliche Feststellungen zu dieser Frage gibt es nicht. Jedoch ist mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen, dass es bei dem unter frühkindlichem Autismus leidenden Kind eine psychische Belastung bewirken wird, sein häusliches Umfeld sowie seine Mutter als die wichtigste und vertrauteste Person seines privaten Umfelds zu verlieren. Demgegenüber würde sich durch die Unterbringung des Kindes M. keine signifikante Verbesserung der Situation einstellen, denn Pflege und Betreuung werden aktuell bereits gewährleistet.
Die Ausfallerscheinungen im Verhalten des Kindes M. wie z.B. das Entkleiden, Übergriffigkeiten bei fremdem Essen, Ansätze der Masturbation und sonstige Situationen, die ein Eingreifen von Betreuern erfordern, würden im Übrigen auch bei Unterbringung in einer Einrichtung nicht ausbleiben und würden auch hierdurch nicht behoben werden können.
Auch aus der Belastung des Umfelds des Kindes M. folgt keine Kindeswohlgefährdung. Soweit andere Schüler in der Förderschuleinrichtung sich durch Ausfallerscheinungen gestört fühlen, liegt hierin keine Gefährdung des Kindes M. Gleiches gilt für die Belastungsgrenzen der Pfleger und Betreuer im alltäglichen Umgang mit ihm.
Ebenso wenig wie die Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines Dolmetschers bei der Kommunikation mit der Mutter, können die erheblichen praktischen Erschwernisse der Betreuung eines behinderten und umfänglich pflegebedürftigen Kindes eine Gefährdung des Kindeswohls darstellen und den Entzug von Teilen des Sorgerechts rechtfertigen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 80, 81 FamFG.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Der Senat weicht auch nicht in einer Rechtsfrage von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder eines anderen Oberlandesgerichts ab.