Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.02.2016, Az.: 2 Ws 1/16

Klageerzwingungsverfahren: Anordnung der Wiederaufnahme wegen eines Straftatbestandes, der in den bisherigen Ermittlungen unbeachtet geblieben war

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.02.2016
Aktenzeichen
2 Ws 1/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 33181
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2016:0205.2WS1.16.0A

Amtlicher Leitsatz

Bieten sich in einem bislang ausschließlich wegen eines bestimmten Straftatbestandes (hier: Betrug) geführten Ermittlungsverfahren zureichende Anhaltspunkte für den Anfangsverdacht eines anderen Straftatbestandes (hier Vereiteln der Zwangsvollstreckung), so kann die Staatsanwaltschaft im Klageerzwingungsverfahren angewiesen werden, die Ermittlungen wieder aufzunehmen.

Tenor:

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Der Staatsanwaltschaft Verden wird aufgegeben, die Ermittlungen nach Maßgabe der nachfolgenden Beschlussgründe wieder aufzunehmen.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist der Sohn des am 31. März 2013 in B. verstorbenen Herrn H. R. Er legt der Beschuldigten und ihrem Sohn L. G. zur Last, sich zu seinem Nachteil eines Betruges bzw. des Vereitelns der Zwangsvollstreckung schuldig gemacht zu haben.

1. Der Antragsteller forderte nach dem Tod seines Vaters von der testamentarisch zur Alleinerbin eingesetzten Beschuldigten seinen Pflichtteil. Nachdem er seinen Anspruch nach Vorlage eines Verkehrswertgutachtens über die zum Nachlass gehörende Immobilie M. in S. im Einzelnen beziffert hatte und eine Zahlung nicht erfolgt war, erhob er am 26. Juni 2014 Klage zum Landgericht Verden. Am 12. November 2014 schloss der Antragsteller in einer Güteverhandlung, an der auch L. G. teilnahm, mit der Beschuldigten einen Vergleich, wonach ihm die Beschuldigte zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche 60.000 € zahlt. Am 25. Oktober 2014 hatte sein Prozessbevollmächtigter bei dem Prozessbevollmächtigten der Beschuldigten angefragt, ob die zuvor für die Beschuldigte angebotene Vergleichssumme von 50.000 € unmittelbar zur Verfügung gestellt werden könne. Hierauf hatte der Prozessbevollmächtigte der Beschuldigten unter dem 30. Oktober 2014 erklärt, dass "diesseits davon ausgegangen wird, dass die vorgeschlagene Einigung auch wie vorgeschlagen erfüllt werden kann."

Die Vergleichssumme wurde nicht gezahlt. Ein vom Antragsteller erteilter Zwangsvollstreckungsauftrag blieb erfolglos. In der am 21. Dezember 2015 abgegebenen eidesstattlichen Versicherung erklärte die Beschuldigte, dass sie die Forderung nicht zahlen könne.

2. Der Antragsteller hat der Staatsanwaltschaft Verden diesen Sachverhalt zur Prüfung unterbreitet, ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist, und zwar neben der Beschuldigten auch gegen Herrn L. G. Die Beschuldigte habe offenkundig ihr Vermögen auf ihren Sohn übertragen. Gegenüber dem Obergerichtsvollzieher E. habe sie erklärt, dass ihr Sohn ihre finanziellen Angelegenheiten regele.

Die Staatsanwaltschaft Verden hat die Ermittlungen hierauf ausschließlich gegen die Beschuldigte und allein wegen des Verdachts des Betruges aufgenommen. Die im Rahmen der Ermittlungen vernommene Zeugin M. V. hat erklärt, sie habe die Immobilie M. am 20. August 2014 gemeinsam mit ihrem Ehemann von der Beschuldigten erworben. Die Beschuldigte habe in einem handschriftlichen Schreibens selben Datums darum gebeten, den Kaufpreis von 120.000 € auf ihr Konto Nr. ... bei der Sparkasse in B. zu überweisen. Eine Kontoabfrage hat ergeben, dass die Eheleute V. den Kaufpreis in zwei Tranchen (83.303,50 € am 2. Oktober 2014 sowie 36.696,50 € am 6. Oktober 2014) auf das genannte Konto überwiesen haben. Am 9. Oktober 2014 wurden 110.000 € und am 20. Oktober 2014 weitere 10.000 € jeweils per Barscheck vom Konto abgehoben. Weitere Ermittlungen, um die näheren Umstände der Auszahlung und des Verbleibs des Geldes aufzuklären, hat die Staatsanwaltschaft nicht veranlasst.

3. Mit Bescheid vom 28. August 2015 hat die Staatsanwaltschaft Verden das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Sie hat dies damit begründet, dass dem Antragsteller kein Vermögensschaden entstanden sei. Bei Abschluss eines Vergleichs ergebe sich ein solcher nur dann, wenn auf werthaltige Forderungen verzichtet werde. Der Antragsteller habe zwar täuschungsbedingt seinen Anspruch verloren, aber zugleich einen vollstreckbaren Titel erlangt, sodass sich sein Vermögen bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht vermindert habe. Bereits die Summe aus dem Vergleich habe der Antragsteller aber nicht vollstrecken können, weshalb auch ein höherer Betrag nicht durchzusetzen gewesen wäre.

Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 7. September 2015 Beschwerde erhoben, welche die Generalstaatsanwaltschaft in Celle mit Bescheid vom 4. Dezember 2015 zurückgewiesen hat.

4. Hiergegen richtet sich der am 30. Dezember 2015 erhobene Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Der Antragsteller strebt vorrangig die Anordnung der öffentlichen Klage gegen die Beschuldigte und Herrn G., hilfsweise weitere Ermittlungen durch den Senat an. Er beanstandet dabei auch, dass die Staatsanwaltschaft dem Verdacht eines Vereitelns der Zwangsvollstreckung bislang nicht nachgegangen sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift an den Senat vom 6. Januar 2016 beantragt, den von ihr als zulässig angesehenen Antrag als unbegründet zu verwerfen.

II.

Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist insoweit begründet, als Aufnahme und die Wiederaufnahme von Ermittlungen anzuordnen waren.

1. Der Senat kann die Erhebung der öffentlichen Klage auf der Grundlage des bisherigen Ergebnisses der Ermittlungen nicht beschließen. Ein hinreichender Tatverdacht hinsichtlich eines vor oder bei Abschluss des Vergleichs begangenen Betruges ergibt sich nicht.

a) Hinreichende Tatsachen dafür, dass dem Antragsteller mit Abschluss des Vergleichs ein Vermögensschaden entstanden ist, liegen nicht vor. Es fehlt an hinreichenden Anhaltspunkten für einen Vermögensschaden des Antragstellers, wie die Staatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat.

Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB setzt voraus, dass die Verfügung des Getäuschten zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens geführt hat (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl. (2016), § 263 RdNr. 111). Bei Abschluss eines Prozessvergleichs kommt dies in Betracht, wenn der geltend gemachte Anspruch wirtschaftlich werthaltig war und sich die Chancen, diesen zu realisieren, durch den Abschluss des Vergleichs verschlechtert haben. Bei von vornherein beabsichtigter Nichterfüllung der aus dem täuschungsbedingten Vergleich geschuldeten Leistung liegt, wenn diese nicht erbracht wird, kein weiterer (selbständiger) Vermögensschaden vor (vgl. BayObLG, Beschluss vom 29. Januar 2003 - 5 St RR 8/03 = NStZ 2004, 503).

Für den somit erforderlichen Vergleich des Wertes des Vermögens des Antragstellers vor und nach Abschluss des Vergleichs fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten dazu, dass der Kaufpreis für die Immobilie bei Vergleichsschluss noch im Vermögen der Beschuldigten vorhanden war. Nur wenn dies der Fall war, könnte sich die Aussicht, den klageweise geltend gemachten Anspruch gegebenenfalls auch bei Durchsetzung im streitigen Verfahren später zu vollstrecken, vermindert haben. Anderenfalls hätte der Antragsteller lediglich auf einen Teil seines ohnehin wirtschaftlich wertlosen Anspruchs verzichtet.

b) Ein hinreichender Tatverdacht für die Annahme, dass die Beschuldigte den Antragsteller bereits vor Abschluss des Vergleichs getäuscht und hierdurch veranlasst hat, seinen Anspruch nicht zeitnah weiter durchzusetzen, ergibt sich ebenfalls nicht. Es fehlt an hinreichenden Anhaltspunkten für den erforderlichen Täuschungsvorsatz. Die von dem Antragsteller hierzu bekundeten Umstände gehen über einen bloßen Anfangsverdacht nicht hinaus.

2. Es besteht jedoch ein Anfangsverdacht für ein Vereiteln der Zwangsvollstreckung (§ 288 Abs. 1 StGB) durch das Abheben des mit dem Verkauf der Immobilie erzielten Kaufpreises vom Konto der Beschuldigten.

Der Beschuldigten drohte spätestens mit der Klageerhebung durch den Antragsteller die Zwangsvollstreckung. Die Zwangsvollstreckung droht, wenn zu erwarten ist, dass der Gläubiger sein Vermögensrecht zwangsweise alsbald durchsetzen wird und die Zwangsvollstreckung damit in nahe Aussicht gerückt ist. Maßgeblich ist die objektive Sachlage einschließlich aller Anzeichen für einen Betreibungswillen des Gläubigers. Hierfür genügt stets die Klageerhebung (vgl. Schünemann in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl. (2008), § 288 RdNr. 17 mit Hinweis auf RGSt 1, 37). Hier besteht der Verdacht, dass mit dem Abheben des Geldes vom Konto der Beschuldigten Bestandteile ihres Vermögens der Zwangsvollstreckung tatsächlich entzogen und damit beiseite geschafft wurden (vgl. Fischer, a.a.O., § 288 RdNr. 10). Aus dem Schreiben, welches die Zeugin V. vorgelegt hat, folgt, dass die Beschuldigte Kenntnis von der Überweisung des Kaufpreises auf ihr Konto hatte, sodass auch hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes ein Anfangsverdacht besteht.

Der Anfangsverdacht richtet sich gegen die Beschuldigte und auch gegen ihren Sohn L. G. Der Verdacht gegen L. G. ergibt sich neben dem Schreiben des Obergerichtsvollzieher E. vom 18. März 2015, wonach die Beschuldigte ihm gegenüber erklärt habe, dass ihr Sohn ihre finanziellen Angelegenheiten regele, aus dem Umstand, dass L. G. in den Verkauf der Immobilie eingebunden war und Kenntnis hatte von dem durch den Antragsteller angestrengten gerichtlichen Verfahren, in dem er u. a. an der Mediationsverhandlung teilgenommen hat. Zudem soll er die Angelegenheit mehrfach mit den Rechtsanwälten seiner Mutter besprochen haben.

Der zur Verfolgung der Vereitelung einer Zwangsvollstreckung gem. § 288 Abs. 2 StGB erforderliche Strafantrag ist rechtzeitig gestellt. Der Antragsteller hat vor den Abhebungen des Grundstückskaufpreises vom Konto der Beschuldigten erstmals durch die Akteneinsicht seines Rechtsanwaltes am 18.09.2015 erfahren und dann mit Schriftsatz vom 09.10.2015, der an diesem Tage auch bei der Generalstaatsanwaltschaft eingegangen ist, Strafantrag gegen die Beschuldigte und ihren Sohn L. G. erstattet.

3. Dem Anfangsverdacht wegen Vereiteln der Zwangsvollstreckung ist die Staatsanwaltschaft bislang nicht nachgegangen. Sie hat die näheren Umstände zur Auszahlung des Geldes vom Konto der Beschuldigten und dessen Verbleib nicht aufgeklärt. Die Sparkasse B. wurde nicht zu der Erklärung aufgefordert, ob eine Kopie der beiden vorgelegten Barschecks noch bei den dortigen Unterlagen vorhanden ist. Es wurde nicht ermittelt, welcher Mitarbeiter der Sparkasse mit den Auszahlungsvorgängen betraut war, und ob dieser ggf. Angaben zu der Person machen kann, die sich das Geld hat auszahlen lassen. Eine Anfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zu den Konten von L. G., anhand derer weitere Ermittlungen dazu veranlasst werden könnten, ob diesem das Geld zugeflossen ist, hat es ebenfalls nicht gegeben.

Die von dem Senat getroffene Anordnung, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder aufzunehmen hat, sieht das Gesetz nicht ausdrücklich vor. Es bestimmt lediglich in § 173 Abs. 3 StPO, dass das Oberlandesgericht zur Vorbereitung seiner Entscheidung Ermittlungen anordnen und mit ihrer Vornahme einen beauftragten oder ersuchten Richter betrauen kann. Die Strafprozessordnung geht dabei aber offensichtlich von dem Verfahrensgang aus, der bei der gerichtlichen Kontrolle des Legalitätsgrundsatzes nach §§ 172 ff. StPO die Regel bildet, nämlich, dass die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, die nach ihrer pflichtgemäßen Auffassung erforderlichen Ermittlungen durchgeführt und dann unter Berücksichtigung des Ermittlungsergebnisses das Verfahren eingestellt hat. In solchen Fällen soll nach der gesetzlichen Regelung des Klageerzwingungsverfahrens das Oberlandesgericht über die Erhebung der Klage auch dann entscheiden, wenn sich, aus welchen Gründen auch immer, in diesem Verfahren die Notwendigkeit ergibt, zusätzlich Ermittlungen durchzuführen, von denen die Entscheidung abhängt. Auch besteht hinsichtlich des Umfangs der Ermittlungen grundsätzlich keine Einschränkung. Das Gericht kann zwar selbst aufwendige und komplexe Ermittlungen durchführen (vgl. Graalmann-Scherer in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. (2007), § 173 RdNr. 14). Nach herrschender Meinung sollen diese Tätigkeiten aber in erster Linie "lückenschließender" Art sein und nicht darauf hinauslaufen, dass das Oberlandesgericht das Ermittlungsverfahren überwiegend oder vollständig führt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 16. Januar 2004 - 2 Ws 6/04 -; Beschluss vom 9. Februar 2011 - 1 Ws 435/10 = NStZ-RR 2011, 280 [OLG Celle 09.02.2011 - 1 Ws 435/10]; Graalmann-Scherer in Löwe/Rosenberg, a.a.O., § 175 RdNr. 18; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. (2015), § 173 RdNr. 3). Denn dies wäre mit der prinzipiellen strafprozessualen Aufgabenverteilung nicht vereinbar, in der dem Gericht grundsätzlich die Kontrollfunktion zukommt, ob die Staatsanwaltschaft als verantwortliche Ermittlungsbehörde entsprechend dem Legalitätsprinzip gehandelt hat. Mit der Anerkennung einer Ermittlungsanordnung in Ausnahmefällen wird zudem der durch die Abschaffung der gerichtlichen Voruntersuchung nach §§ 178 - 197 StPO a.F. durch Art. 1 Nr. 57 des 1. StVRG vom 9. Dezember 1974 entstandenen Regelungslücke Rechnung getragen. Deshalb kommt eine Anordnung an die Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen wieder aufzunehmen, insbesondere dann in Betracht, wenn der Sachverhalt zwar durch die Staatsanwaltschaft in einem beschränkten Umfang aufgeklärt worden ist, diese Aufklärung aber nach Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts in einem wesentlichen Kernbereich des Sachverhalts so unvollständig ist, dass weitere umfangreiche Ermittlungen notwendig sind (so OLG Celle, Beschluss vom 16. Januar 2004, a.a.O.; OLG Rostock, Beschluss vom 12. März 2004 - 1 Ws 120/03 - juris). Hier ist dies der Fall.

4. Eine Kostenentscheidung ergeht gemäß § 177 StPO nicht (vgl. OLG Hamm StV 2002, 128; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2001, 387; LR-Graalman-Scherer a.a.O., § 177 RdNr. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. (2015), § 177 RdNr. 3).

5. Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).