Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.01.2016, Az.: 1 Ws 652/15

Erledigung einer nach altem Recht angeordneten Sicherungsverwahrung gemäß Art. 316e Abs. 3 S. 1 EGStGB

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
14.01.2016
Aktenzeichen
1 Ws 652/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 38493
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hildesheim - 22.10.2015 - AZ: 23 StVK 257/15

Amtlicher Leitsatz

1. Bei der nach Art. 316e Abs. 3 Satz 1 EGStGB vorzunehmenden Prüfung der Erledigung einer nach § 66 StGB vor dem 1. Januar 2011 angeordneten Sicherungsverwahrung sind alleine die in § 66 StGB n.F. normierten formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung maßgeblich (Abweichung von OLG Nürnberg, StraFo 2014, 480 [OLG Nürnberg 18.09.2014 - 1 Ws 318/14]).

2. Eine Vorlagepflicht nach § 121 Abs. 2 GVG an den Bundesgerichtshof besteht trotz Abweichen von der Rechtsprechung eines anderen Oberlandesgerichts keine Veranlassung, wenn dieses selbst - bewusst oder unbewusst - von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs abgewichen ist und sich der Senat der Entscheidung des Bundesgerichtshofs anschließt.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim vom 22. Oktober 2015 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).

Gründe

I.

Der Verurteilte befindet sich für die Staatsanwaltschaft Lüneburg im Strafvollzug aufgrund der Anlassverurteilung des Landgerichts Lüneburg vom 5. Juli 2004 (22 KLs 602 Js 3187/03 - 13/03), wobei die Strafe nach dem derzeitigen Vollstreckungsplan am 23. Oktober 2016 vollverbüßt sein wird und dann die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in dieser Sache ansteht.

Das Landgericht Lüneburg verurteilte den Beschwerdeführer mit dem vorgenannten Anlassurteil in der Fassung des Beschlusses des Bundesgerichtshofes vom 8. Februar 2005 (3 StR 452/04) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubten Import von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren. Daneben wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Nach den Feststellungen hatte sich der damals 58 Jahre alte Verurteilte spätestens in der zweiten Hälfte des Jahres 2002 (noch während der Verbüßung von Strafhaft) dazu entschlossen, etwa 47 kg Kokain aus Guatemala zum gewinnbringenden Weiterverkauf über eine Scheinfirma in einem Kühlcontainer per Schiff zu importieren, wobei das in 43 Paketen verpackte Kokain im Dezember 2002 in Guatemala in dem Container versteckt wurde und am 14. Januar 2003 in R. durch die niederländischen Behörden entdeckt und von den 43 Paketen mit Kokain 42 Pakete mit harmlosen Inhalt ersetzt wurde, während ein Paket in dem Versteck belassen wurde. Der Container wurde im weiteren Verlauf nach H. transportiert, wo der Verurteilte die Pakete am 7. Februar 2003 ausbaute und an einen Mittäter übergab. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht auf § 66 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 StGB (in der Fassung des Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21. August 2002) gestützt.

Dem Urteil des Landgerichts Lüneburg war unter anderem folgende Vorverurteilung vorausgegangen: Am 23. Dezember 1997 verurteilte das Landgericht Hamburg den Beschwerdeführer wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, wegen vierfachen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Überlassen von Kraftfahrzeugbriefvordrucken, der vorsätzlichen Abgabe von Betäubungsmitteln in zwei Fällen, des vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen sowie des Überlassens von Kraftfahrzeugbriefvordrucken zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten, der folgende Einzelstrafen zugrunde lagen: fünf mal fünf Jahre; ein mal drei Jahre und sechs Monate; ein mal drei Jahre; ein mal zwei Jahre sowie je zwei mal neun, sechs, vier und zwei Monate. Diese Strafe verbüßte er unter anderem bis zum September 2000 im geschlossenen Vollzug und danach bis zum 29. November 2002 als Freigänger im offenen Vollzug.

Die Strafvollstreckungskammer hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 22. Oktober 2015 den Antrag des Verurteilten, die mit Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 5. Juli 2004 neben der Freiheitsstrafe ausgesprochene Anordnung der Sicherungsverwahrung aufzuheben, als unzulässig und den Hilfsantrag, die Anordnung der Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären, als unbegründet zurückgewiesen.

Gegen diesen seiner Verteidigerin am 2. November 2015 zugestellten Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner sofortigen Beschwerde mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 3. November 2015, die mit Schriftsatz der Verteidigerin vom 14. Dezember 2015 und mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 17. Dezember 2015 begründet worden ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde des Verurteilten als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die gemäß Art. 316 e Abs. 3 Satz 3 EGStGB i.V.m. §§ 454 Abs. 3 Satz 1, 463 Abs. 1 StPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Gründe des angefochtenen Beschlusses treffen zu. Das Beschwerdevorbringen greift ihnen gegenüber nicht durch.

Ergänzend ist lediglich folgendes auszuführen:

Die Feststellung der Erledigung der Sicherungsverwahrung kommt vorliegend allein aufgrund § 67 d Abs. 3 StGB oder aufgrund Art. 316 e Abs. 3 Satz EGStGB in Betracht.

1. Die Voraussetzungen des § 67 d Abs. 3 StGB liegen - wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend erkannt hat - offenkundig nicht vor, da hierfür bereits zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen sein müssen. Der Verurteilte befindet sich jedoch noch im Vorwegvollzug seiner Freiheitsstrafe von zwölf Jahren Dauer; der Vollzug der Sicherungsverwahrung hat somit noch nicht einmal begonnen.

2. Auch aufgrund von Art. 316 e Abs. 3 Satz 1 EGStGB kommt die Feststellung der Erledigung der Sicherungsverwahrung nicht in Betracht.

a) Nach Art. 316 e Abs. 3 Satz 1 EGStGB erklärt das Gericht eine nach § 66 StGB vor dem 1. Januar 2011 rechtskräftig angeordnete Sicherungsverwahrung, um welche es sich vorliegend handelt, für erledigt, wenn die Anordnung ausschließlich auf Taten beruht, die nach § 66 StGB in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung nicht mehr Grundlage für eine solche Anordnung sein können. Wie das Landgericht Hildesheim zutreffend ausgeführt hat, sind bei der Prüfung, ob die damaligen Anlass- und Vortaten auch vom Katalog des nunmehr geltenden § 66 StGB erfasst wären, allein die in § 66 StGB n. F. normierten formellen Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung zu prüfen (so auch die ganz herrschende Meinung, vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 7. Februar 2014 - Ws 9/14 -; OLG Bamberg, Beschluss vom 7. März 2012 - 1 Ws 115/12 -; OLG Koblenz, Beschluss vom 3. August 2011 - 1 Ws 385/11 -; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Oktober 2011 - 3 Ws 580/11 - [zu sogenannten "Mischfällen], bestätigt vom BGH mit Beschluss vom 25. April 2012 - 5 StR 451/11, jeweils bei juris). Dies entspricht auch dem im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers. Danach soll die Vorschrift des Art. 316 e Abs. 3 Satz 1 EGStGB nur dann greifen, "wenn alle Taten, die nach bisherigem Recht die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB erfüllen, nicht mehr unter den Katalog des neuen Rechts fallen würden" (BT-Drs. 17/3403 Seite 51). Der Gesetzgeber wollte durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) mit Art. 316 e Abs. 3 Satz 1 EGStGB eine Übergangsregelung treffen, mit der ein - gegenüber dem Prüfungsverfahren nach § 67 c Abs. 1, § 67 e Abs. 1 StGB vereinfachtes - Verfahren zur Erledigung auf der Grundlage alten Rechts rechtskräftig angeordneter Sicherungsverwahrungen "ohne weitere Hang- oder Gefährlichkeitsprüfung" zur Verfügung gestellt wird (BGH, Beschluss vom 25. April 2012 - 5 StR 451/11 -, juris, Rn 23).

b) Die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB n. F. werden durch die rechtskräftig vom Landgericht Lüneburg im Urteil vom 5. Juli 2004 festgestellten Anlasstaten erfüllt. Nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 b) StGB n. F. muss wegen einer Anlass- oder Vortat eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat, die unter das Betäubungsmittelgesetz fällt und mit einem Höchstmaß an Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist, verhängt worden sein. So liegt es hier: Der Beschwerdeführer wurde wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (Strafrahmen: von einem Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe) in Tateinheit mit unerlaubten Import von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG (Strafrahmen: zwei Jahre bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe) zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Darüber hinaus erfüllen auch die mit Urteil des Landgerichts Hamburg vom 23. Dezember 1997 festgestellten Vortaten die formalen Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 Nr. 1 b StGB n. F.

III.

Der Senat musste die Sache nicht gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG dem Bundesgerichtshof vorlegen.

Zwar weicht die vorliegende Entscheidung von dem Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 18. September 2014 (1 Ws 318/14, juris) ab, da dieses in einem ähnlich gelagerten Sachverhalt die Anordnung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung in entsprechender Anwendung von § 67 c Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz, Ziffer 1. StGB mit der Begründung für erledigt erklärt hat, dass trotz Vorliegens der formalen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung - den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2333/08 u. a. - BVerfGE 128, 326) und des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 7. Juli 2011 (2 StR 184/11 - NStZ 2012, 32) entsprechend - bei Betäubungsmittelstraftaten allein die Verletzung oder Gefährdung des Rechtsguts der Volksgesundheit nicht zur Anordnung der Sicherungsverwahrung ausreiche, vielmehr besondere - im dort entschiedenen Fall nicht vorliegende - Umstände hinzutreten müssten, die den Betäubungsmittelhandel für Leib oder Leben Anderer im Einzelfall konkret gefährlich erscheinen lassen, um so dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderer Weise Rechnung zu tragen.

Die Vorlegungspflicht entfällt aber, wenn nach dem Ergehen einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes - auch einer unveröffentlichten - ein Oberlandesgericht (ggf. in Unkenntnis dieser Entscheidung oder in Übersehung der Vorlegungspflicht) abweichend entschieden hat und ein anderes Oberlandesgericht sich dem Bundesgerichtshof anschließt und damit von dem anderen Oberlandesgericht abweicht (Franke in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 121 GVG, Rn. 47).

So liegt es hier. Soweit das Oberlandesgerichts Nürnberg in seiner Entscheidung vom 18. September 2014 neben den formellen Voraussetzungen auch die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung prüft, weicht dieses bereits von der Entscheidung des Bundesgerichtshofes gemäß Beschluss vom 25. April 2012 (5 StR 451/11, juris) ab, wonach die Feststellung der Erledigung der Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß Art. 316 e Abs. 3 Satz 1 EGStGB allein anhand der in § 66 StGB n. F. normierten formellen Voraussetzungen zu erfolgen hat.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.