Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 10.02.2016, Az.: 1 Ws 59/16
Glaubhaftmachung der Umsatzsteueransprüche des Fiskus durch Umsatzsteuerüberwachungsbogen und Rückstandsaufstellung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 10.02.2016
- Aktenzeichen
- 1 Ws 59/16
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 15967
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2016:0210.1WS59.16.0A
Rechtsgrundlagen
- StPO § 111g Abs. 2
- UStG § 18
- AO § 168
- AO § 249
Fundstelle
- wistra 2016, 287-288
Amtlicher Leitsatz
Für die nach § 111g Abs. 2 StPO erforderliche Glaubhaftmachung eines dem staatlichen Sicherungsanspruch vorausgehenden Umsatzsteueranspruchs des Fiskus, der aufgrund der nur elektronisch einzureichenden Umsatzsteuervoranmeldung zur Vorlage eines entsprechenden Vollstreckungstitels nicht in der Lage ist, genügen die Vorlage des Umsatzsteuerüberwachungsbogens sowie einer entsprechenden Rückstandaufstellung.
Tenor:
1. Der angefochtene Beschluss wird zu Ziff. 2, soweit er nicht die im Haftungsbescheid des Finanzamts H.-Land I vom 21. Oktober 2014 (Az. 23/200/41480) ausgewiesenen Solidarzuschlagbeträge betrifft, aufgehoben.
2. Die Zwangsvollstreckung des Drittbeteiligten zu 1) wird wegen der sich aus dem Umsatzsteuerüberwachungsbogen 2014 betreffend die Drittbeteiligte zu 2) i. V. m. der Rückstandsaufstellung vom 13. Januar 2016 ergebenden Beträge aus Umsatzsteuerrückständen für die Zeiträume September 2013, November 2013, Januar 2014 und Februar 2014 in Höhe von insgesamt 27.203,04 € in die in dem Vermögensermittlungsvorgang 4061 Js 13764/14 der StA Hannover bei der Drittbeteiligten zu 2) sichergestellten Vermögensgegenstände, nämlich
a) dem von der Drittbeteiligten zu 2) zur teilweisen Abwendung der mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 1. April 2015 angeordneten Pfändung des Kontoguthabens der Drittbeteiligten zu 2) bei der H. Sparkasse am 8. August 2014 auf das Konto der Landeskasse eingezahlten Geldbetrag in Höhe von 49.556,50 €,
b) dem Pkw Audi TT, SIN: xxx,
zugelassen.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Mit Anklage vom 29. August 2014 wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten mehrfache Steuerhinterziehung, teilweise in großem Ausmaß, sowie mehrfaches Vorenthalten von Arbeitsentgelt vor. U. a. sollen die Angeklagten zu 1) und 2) als Geschäftsführer der Drittbeteiligten zu 2) durch unrichtige Voranmeldungen Umsatzsteuer und durch falsche Lohnsteueranmeldungen Lohnsteuer in Höhe von insgesamt 91.911,00 € verkürzt haben. Das Amtsgericht Hannover hatte mit Beschluss vom 19. März 2014 (Az. 170 Gs 524/14) deswegen im Wege der Rückgewinnungshilfe zur Sicherung von Ansprüchen zugunsten des Landes Niedersachsen den dinglichen Arrest in Höhe von 164.680,00 €, u. a. gegen die Drittbeteiligte zu 2) als Gesamtschuldnerin, angeordnet. In Vollziehung des Arrestes wurden am 18. März 2014 der sich aus dem Tenor ergebende Pkw sowie am 1. April 2015 Ansprüche der Drittbeteiligten zu 2) gegen die H. Sparkasse aus Kontoführungsbeziehungen gepfändet. Zur Abwendung der Pfändung hat die Drittbeteiligte zu 2) einen Betrag von 49.556,50 € auf das Konto der Landeskasse eingezahlt.
Mit Antrag vom 26. Januar 2015 hat der Drittbeteiligte zu 1) die Zulassung der Zwangsvollstreckung in die gesicherten Vermögenswerte wegen ausstehender Lohnsteuer in Höhe von 47.288,30 € sowie Solidarzuschlägen in Höhe von 2.145,89 € und Umsatzsteuer für die Zeiträume September 2013 (910,82 €), November 2013 (801,48 €), Januar 2014 (21.568,94 €) und Februar 2014 (4.657,01 €) beantragt. Hierzu hat der Drittbeteiligte zu 1) einen Haftungsbescheid für die geltend gemachten Lohnsteuerrückstände und den Solidarzuschlag sowie elektronische Übersichten, aus denen sich die angefallenen Umsatzsteuerbeträge sowie die entsprechenden Rückstände ergeben, eingereicht.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Kammer die Zwangsvollstreckung lediglich auf der Grundlage des Haftungsbescheides für die geltend gemachte Lohnsteuer in Höhe von 47.288,30 € zugelassen und im Übrigen den Antrag zurückgewiesen. Hinsichtlich des geltend gemachten Solidarzuschlags fehle es an einem Zusammenhang zwischen dem Haftungsbescheid und den erhobenen Tatvorwürfen. Hinsichtlich der Umsatzsteuer habe der Drittbeteiligte zu 1) trotz Aufforderung keinen Vollstreckungstitel vorgelegt und das Bestehen der Forderungen nicht glaubhaft gemacht. Es hätte jedenfalls der eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen der Drittbeteiligten zu 2) oder aber eines Umsatzsteuerbescheides bedurft. Der eingereichte Umsatzsteuerüberwachungsbogen sowie die Rückstandsaufstellung stellten hingegen keinen Titel i. S. v. § 218 AO dar.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Drittbeteiligten zu 1), soweit der Antrag auf Zulassung der Zwangsvollstreckung auch hinsichtlich der geltend gemachten Umsatzsteuerbeträge zurückgewiesen worden ist. Unter Hinweis auf § 18 UStG führt er aus, dass ein vollstreckbarer Titel nicht vorgelegt werden könne.
Die Drittbeteiligte zu 2) hat in ihrer Stellungnahme ausgeführt, dass die Umsatzsteuer dem Drittbeteiligten zu 1) nicht zustehen würde. Zudem sei das Finanzamt H.-Land I für die Maßnahme unzuständig, da der Sitz der Geschäftsleitung der Drittbeteiligten zu 2) sich mittlerweile in H. befinde. Schließlich liege auch ein Fall der Übermaßvollstreckung vor, da bereits weitere Vermögenswerte gepfändet worden seien.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 111g Abs. 2 S. 2, 311 StPO) und hat auch in der Sache Erfolg. Der Drittbeteiligte zu 1) hat glaubhaft gemacht, dass ihm als Verletztem aus der Straftat, die Gegenstand der Arrestanordnung ist, ein Anspruch erwachsen ist.
1. Dass ausstehende Steueransprüche auf eigenständigen steuerlichen Entstehungstatbeständen beruhen und nicht erst aufgrund des der Straftat zugrunde liegenden Geschehens zur Entstehung gelangt sind, steht der Anwendung des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB nicht entgegen. Denn hiervon werden auch die Ansprüche des durch eine Straftat Geschädigten erfasst, die zwar bereits vor der Straftat bestanden haben, die aber Gegenstand der Straftat sind (vgl. BGH, NStZ 2001, 155). Insoweit kann Verletzter im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB auch der Fiskus sein (vgl. Fischer, 63. Aufl., § 73 StGB Rn. 21 m.w.N.).
2. Die erhobenen Einwendungen der Drittbeteiligten zu 2) gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung sind unabhängig von den hierfür erforderlichen Voraussetzungen von vornherein nicht geeignet, die Entscheidung des Gerichts zu beeinflussen. Denn die Drittbeteiligte zu 2) verkennt, dass mit der Regelung des § 111g StPO eine Überprüfung des geltend gemachten Anspruchs an sich nicht erfolgt. Vielmehr ist lediglich zu prüfen, ob der Antragsteller zu dem durch § 111g Abs. 1 StPO zählenden Kreis privilegierter Berechtigter gehört, demgegenüber die erfolgte Vermögenssicherung keine Wirkung entfaltet. Ob die Zwangsvollstreckung, die von Seiten des Antragstellers nach einer etwaigen Freigabe gemäß § 111g Abs. 2 StPO ermöglicht wird, zulässig ist, kann von Seiten des Schuldners daher nur im Zwangsvollstreckungsverfahren zur Überprüfung gestellt werden.
3. Entgegen der Ansicht der Kammer genügen die vom Drittbeteiligten zu 1 vorgelegten Unterlagen zur Glaubhaftmachung i. S. d. § 111g Abs. 2 S. 3 und 4 StPO. Der Vorlage eines entsprechenden Vollstreckungstitels bedurfte es nicht. Gemäß § 249 Abs. 1 AO können die Finanzbehörden Verwaltungsakte, mit denen eine Geldleistung gefordert wird, im Verwaltungsweg vollstrecken. Eines solchen Verwaltungsaktes bedarf es gemäß § 249 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 168 AO jedoch nicht, wenn von Seiten der Finanzbehörde eine erfolgte Steueranmeldung des Steuerschuldners zu keiner Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer oder zu einer Steuervergütung führt. Insoweit können auch die von der Drittbeteiligten zu 2) erfolgten Steueranmeldungen Grundlage für Vollstreckungsmaßnahmen der Finanzbehörden sein. Da gemäß § 18 Abs. 1 UStG eine Voranmeldung der anfallenden Umsatzsteuer nur mittels amtlich vorgeschriebenen Datensatzes durch Datenfernübertragung nach Maßgabe der Steuerdatenübermittlungsverordnung vorgenommen werden kann, ist die Finanzbehörde in diesem Fall zwar nicht in der Lage, einen entsprechenden Vollstreckungstitel vorzulegen, dennoch aber berechtigt, auch aus dieser Anmeldung gemäß §' 249 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 168 AO Vollstreckungsmaßnahmen durchzuführen. Sieht das Gesetz aber eine solche Verfahrensweise vor, kann der Finanzbehörde hinsichtlich der beantragten Freigabe von im Wege der Rückgewinnungshilfe gesicherten Vermögenswerten nicht entgegengehalten werden, dass sie keinen Vollstreckungstitel vorgelegt habe. Dementsprechend fordert auch der Wortlaut des § 111g StPO nicht zwingend die Vorlage eines Titels, sondern lediglich die Glaubhaftmachung dafür, dass vollstreckbare Ansprüche bestehen, die aufgrund ihres Tatbezuges dem staatlichen Anspruch auf Verfall vorgehen. Dies hat der Drittbeteiligte zu 1) mit dem eingereichten Umsatzsteuerüberwachungsbogen und der beigefügten Rückstandsaufstellung getan. Aus diesen Unterlagen geht nämlich hervor, wann die elektronisch übermittelten Voranmeldungen beim Drittbeteiligten zu 1) eingegangen waren, welche Umsätze angemeldet gewesen sind und welche Steuerschuld unter Berücksichtigung etwaiger Abzüge sich ergeben hat. Einen darüber hinausgehenden Informationsgehalt im Hinblick auf Begründung und Umfang der Steuerschuld weist der ursprünglich übersandte Datensatz auch nicht auf. Da somit keine Zweifel daran bestehen, dass der Drittbeteiligte zu 1) auf der Grundlage der eingereichten Voranmeldungen berechtigt ist, die Vollstreckung gegen die Drittbeteiligte zu 2) zu betreiben, besteht auch kein Bedürfnis für eine erweiterte Glaubhaftmachung als die, die der Drittbeteiligte zu 1) bereits vorgenommen hat.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 3 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 58. Aufl., § 473 StPO, Rn. 36). Eines besonderen Ausspruchs über die Pflicht zum Tragen der dem Drittbeteiligten zu 1) entstandenen notwendigen Auslagen bedurfte es nicht, da Gläubiger und Schuldner der Auslagenerstattung jeweils die Landeskasse ist.