Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 07.04.2022, Az.: 2 Ss (OWi) 49/22
Vorsätzliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 07.04.2022
- Aktenzeichen
- 2 Ss (OWi) 49/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 49447
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- § 46 Abs. 1 OWiG
In der Bußgeldsache
gegen M. W . ,
geb. am ...,
wohnhaft ...,
deutscher Staatsangehöriger,
- Verteidiger: ...
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Soltau vom 19.11.2021 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Richter am Oberlandesgericht XXX am
7. April 2022 beschlossen:
Tenor:
- 1.
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
- 2.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Soltau zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Soltau hat den Betroffenen in der Hauptverhandlung vom 19.11.2021 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 480 € verurteilt und ein Fahrverbot von 1 Monat gegen verhängt.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, wie erkannt.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist begründet.
Der Betroffene hat bereits mit der erhobenen Sachrüge Erfolg. Auf die darüber hinaus angebrachten Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.
Das angefochtene Urteil hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 29.03.2022 hierzu folgendes ausgeführt:
"Dem angefochtenen Urteil ist nicht zu entnehmen, dass der Abstand des Messfahrzeugs zum gemessenen Fahrzeug auf der gesamten Messstrecke von 626 m gleichbleibend oder größer werdend gewesen wäre. Dies ist jedoch Voraussetzung für die Annahme eines standardisierten Messverfahrens mit dem System PPS ProVida 2000 Modular in der Betriebsart "MAN", wenn die Messung nicht separat über die Weg-/Zeittasten begonnen und beendet wird, sondern durch Betätigen der Synchron-Taste (vgl. S. 3 d. A.). Dass die Geschwindigkeitsmessung durch manuelle Betätigung der Synchrontaste gestartet wurde, ist den Urteilsgründen zu entnehmen (UA S. 3). Dies legt es nahe, dass die Messung entsprechend beendet worden ist, auch wenn das Urteil hierzu keine näheren Angaben enthält. Wenn aber der Abstand während der Messung geringer geworden wäre, hätte die Geschwindigkeit des Messfahrzeugs nicht mindestens der des Tatfahrzeugs entsprochen. Die Lücke im Urteil ist deshalb entscheidungserheblich.
Sie kann nicht durch den Verweis auf das Messvideo gem. §§ 267 Abs. 1 S. 3 StPO, 46 Abs. 1 OWiG ausgefüllt werden. Das Rechtsbeschwerdegericht kann dem nicht nachgehen. In der Verweisung auf ein elektronisches Speichermedium liegt keine wirksame Bezugnahme (BGH, Urt. v. 02.11.2011 - 2 StR 332/11 = BGHSt 57, 53; OLG Bamberg, Beschl. v. 19.07.2017 - 3 Ss OWi 836/17 -, juris; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, 64. Aufl., § 267 Rdn. 9). Das Gesetz sieht nur einen Verweis auf Abbildungen vor, d. h. auf eine Wiedergabe der Außenwelt, die unmittelbar durch den Gesichts- oder Tastsinn wahrgenommen werden kann. Abgesehen davon kann wirksam nur auf bei den Akten befindliche Abbildungen verwiesen werden. Wo sich das Messvideo befindet, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Fest verbunden mit der Urschrift des Urteils ist es auch nicht."
Diesen Erwägungen tritt der Senat bei. Die aufgezeigten Rechtsfehler nötigen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen. Infolge dessen war die Sache gem. § 79 Abs. 6 OWiG zur neuen Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Soltau zurückzuverweisen.
In der neuen Hauptverhandlung wird u.a. auch zu klären sein, aus welchen Gründen die Polizeibeamten eine mehrfache Geschwindigkeitsmessung des Betroffenen vorgenommen haben und welches konkrete Prozedere der Messbeamte K. bei der Überprüfung der Eichmarken an dem Messgerät angewandt hat. Überdies wird - ggf. durch Hinzuziehung eines Sachverständigen - die Frage zu beantworten sein, welche Auswirkungen der bei dem eingesetzten Fahrzeug im Raum stehende mehrfache Reifenwechsel auf die Messgenauigkeit des verwendeten Messgeräts gehabt haben könnte und ob eine Neueichung des Messgeräts nach dem Wechsel von der Winter- auf die Sommerbereifung notwendig gewesen wäre. Gleiches gilt für die Hintergründe und die etwaigen Auswirkungen der beiden auf dem Messvideo zu erkennenden Zeitsprünge vor der Geschwindigkeitsmessung des Betroffenen auf die Messgenauigkeit. Es könnte sich anbieten, hierzu einen auskunftsfähigen Mitarbeiter der Herstellerfirma zu befragen.