Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 31.01.2023, Az.: 3 Ss 3/23

Vorliegen eines tauglichen Eröffnungsbeschlusses durch einen unvollständig ausgefüllten Vordruck

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
31.01.2023
Aktenzeichen
3 Ss 3/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 10859
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 28.07.2022 - AZ: 900 Ns 5/21

Fundstellen

  • NStZ 2023, 444-445
  • StRR 2023, 2
  • StraFo 2023, 145

Amtlicher Leitsatz

Ein wirksamer Eröffnungsbeschluss liegt auch bei einem unvollständig ausgefüllten Vordruck vor, dem weder der Name des damaligen Angeschuldigten noch das gerichtliche Aktenzeichen zu entnehmen ist, wenn dieser mit der Bezeichnung der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft sowie des Js-Aktenzeichens eine ausreichende Bezeichnung der Anklage enthält und sich das Verfahren nur gegen einen einzigen Angeklagten richtet.

In der Strafsache
gegen K. W.,
geboren am ...,
wohnhaft ...,
- Verteidiger: Rechtsanwalt R., H.
Rechtsanwalt A. T., H. -
wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte
hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Richter am Oberlandesgericht XXX und XXX sowie die Richterin am Oberlandesgericht XXX am 31. Januar 2023 einstimmig beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 9. kleinen Strafkammer des Landgerichts Stade vom 28. Juli 2022 im Ausspruch über die Höhe der Tagessätze mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

  2. 2.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Stade zurückverwiesen.

  3. 3.

    Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tostedt hat den Angeklagten am 10. Februar 2021 wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 200 € verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat die 9. kleine Strafkammer des Landgerichts Stade mit Urteil vom 28. Juli 2022 verworfen.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allg. Sachrüge gestützten Revision.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 9. Januar 2023 beantragt, die Revision des Angeklagten gem. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die statthafte und insgesamt zulässig erhobene Revision hat lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zumindest vorläufig Erfolg. Im Übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Zur Begründung nimmt der Senat Bezug auf die auch unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Gegenerklärung vom 25. Januar 2023 im Wesentlichen zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 9. Januar 2023.

Der ergänzenden Erörterung bedarf nur das Folgende:

1.) Soweit die Revision die Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses bezweifelt, weil der hierzu verwendete Vordruck nicht vollständig ausgefüllt worden ist, liegt ein Verfahrenshindernis, das zur Aufhebung des Urteils und zur Einstellung des Verfahrens nach § 206a StPO führt, nicht vor.

Die Revision macht jedoch im Ansatz zutreffend geltend, dass das den Eröffnungsbeschluss enthaltende Schriftstück aus sich heraus oder in Verbindung mit anderen Urkunden oder Aktenbestandteilen eindeutig erkennen lassen muss, dass der zuständige Richter die Eröffnung des Hauptverfahrens tatsächlich beschlossen hat. Hierfür ist die Verwendung von Vordrucken grundsätzlich zulässig. Sie müssen aber eindeutig abgefasst sein; bei einem unvollständig ausgefüllten Vordruck ist der Eröffnungsbeschluss nur dann ordnungsmäßig erlassen, wenn sich die fehlenden Teile aus den ausgefüllten Teilen des Vordruckes, auch z.B. aus einer evtl. anschließenden Terminsverfügung, unzweideutig ergänzen lassen (OLG Hamm, Beschluss vom 11. August 2016 - III-1 RVs 55/16 -, juris). Ein ausgefüllter Vordruck, bei dem weder die Anklage konkretisiert noch der Angeschuldigte bezeichnet ist, enthält in der Regel keinen wirksamen Eröffnungsbeschluss (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16. Januar 2012 - 1 Ss 59/11 -, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 4. März 2009 - 1 Ss 13/09 -, juris). Ein wirksamer Eröffnungsbeschluss liegt nach der Rechtsprechung jedoch vor, wenn dieser den Namen des Angeklagten sowie - mit der Bezeichnung der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft sowie des Js-Aktenzeichens - eine ausreichende Bezeichnung der Anklage enthält, so dass deutlich geworden ist, in welchem Verfahren die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet werden soll (BGH, Beschluss vom 17. September 2019 - 3 StR 229/19 -, juris).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist vorliegend ein wirksamer Eröffnungsbeschluss gegeben, denn der ausgefüllte und von der Amtsrichterin unterschriebene Vordruck bezeichnet die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft, deren Aktenzeichen und das Datum der Anklageschrift. Der Umstand, dass es im ausgefüllten Vordruck lediglich ("In pp.") heißt und diesem der Name des damaligen Angeschuldigten nicht zu entnehmen ist, führt vorliegend nicht zu einer anderen Bewertung. Denn in Fällen, bei denen sich das Verfahren - wie hier - nur gegen einen einzigen Angeklagten richtet und sich aus einer zugleich unterschriebenen Terminsverfügung eindeutig der Wille des Gerichts ergibt, das Hauptverfahren nach Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen gegen diesen Angeklagten eröffnen zu wollen, ist die namentliche Bezeichnung des Angeklagten ausnahmsweise entbehrlich.

2.) Den Urteilsgründen ist in ihrer Gesamtheit noch hinreichend zu entnehmen ist, dass der Angeklagte den festgestellten kräftigen Stoß gegen die Schutzweste des Zeugen PK B., durch den dieser das Gleichgewicht verlor und zurücktaumelte, in feindseliger Willensrichtung beging. Denn jedenfalls den Erwägungen der Berufungskammer im Rahmen der Beweiswürdigung ist eindeutig zu entnehmen, dass der Angeklagte den Geschädigten als Polizeibeamten wahrgenommen hatte und über das Verhalten der Polizeibeamten insgesamt verärgert war.

Besondere Darlegungsanforderungen an den Tatrichter im Rahmen der Beweiswürdigung waren entgegen der Annahme des Angeklagten ersichtlich nicht gegeben. Dabei kann der Senat offenlassen, ob in Konstellationen wie hier - bei denen mehrere in einem "Lager" stehende Polizeibeamte den Angeklagten belasten - die besonders strengen Regeln zur Beweiswürdigung in der Konstellation "Aussage gegen Aussage" Anwendung finden (vgl. hierzu einerseits: KG, Beschl. v. 12.12.2018 ? 161 Ss 150/18, NStZ 2019, 360 [BGH 05.09.2018 - 2 StR 421/17]; andererseits: OLG Frankfurt, Beschluss vom 06.11.2009 - 1 Ss 390/08, BeckRS 2011, 328). Denn vorliegend finden die Angaben der Belastungszeugen durch andere in den Urteilsgründen mitgeteilte Beweisergebnisse Bestätigung, so dass eine "Aussage gegen Aussage-Konstellation" ohnehin nicht gegeben war (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2019, Az.: 5 StR 451/19-, juris). Der von der Berufungskammer festgestellte kräftige Stoß gegen die Schutzweste des Zeugen PK B., durch den dieser das Gleichgewicht verlor und zurücktaumelte, wird nicht nur durch weitere Polizeibeamte, sondern indiziell auch durch die in den Urteilsgründen dargelegten Inhalte der Videos ("20200613_Einsatz W._1.MP4" und "20200613_Einsatz W._2.MP4") bestätigt. Zwar macht die Revision insoweit im Ansatz zutreffend geltend, dass die in den Urteilsgründen vorgenommene ergänzende Bezugnahme auf den Inhalt der Videos durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet (BGH, Urteil vom 7. September 2022 - 6 StR 225/22 -, juris; BGH, Urteil vom 2. November 2011 - 2 StR 332/11 -, BGHSt 57, 53-55; OLG Celle, Beschluss vom 7. April 2022, Az.: 2 Ss (OWi) 49/22). Die Urteilsgründe enthalten jedoch auch ohne die unwirksame ergänzende Verweisung eine aus sich heraus verständliche Beschreibung und Würdigung des sich aus den Videos ergebenden Geschehens, die eine umfassende Beurteilung ihres Aussagegehaltes durch den Senat ermöglicht. Danach enthält das Video des Tatgeschehens ein Geräusch, das einem Schlag bzw. einem Stoß gegen die Schutzweste des Geschädigten entspricht und dem Geräusch schließen sich unruhige, verwackelte Bilder an, die auf unkontrollierte Bewegungen des die Bodycam führenden Zeugen B. schließen lassen. Hinzu kommt, dass dem weiteren Video zahlreiche Dialoge zu entnehmen sind, deren Inhalt ebenfalls das vom Landgericht festgestellte Tatgeschehen unterstreicht.

2. Die Festsetzung der Höhe der Tagessätze auf 200 EUR hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung indes nicht stand.

Gemäß § 40 Abs. 2 StGB bestimmt das Gericht die Höhe eines Tagessatzes unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters, wobei in der Regel von dem Nettoeinkommen auszugehen ist, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Wenn der Angeklagte - der zu Auskünften nicht verpflichtet ist - keine, unzureichende oder gar unzutreffende Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen macht, sind diese grundsätzlich durch Finanzermittlungen aufzuklären (vgl. Nr. 14 RiStBV). Eine Schätzung des Einkommens ist immer dann angezeigt, wenn eine Ausschöpfung der Beweismittel das Verfahren unangemessen verzögern würde oder der Ermittlungsaufwand zu der zu erwartenden Geldstrafe in einem unangemessenen Verhältnis stünde (BeckOK StGB/Heintschel-Heinegg, 45. Ed. 1.2.2020, StGB § 40 Rn. 18). Eine volle Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Beweismittel ist dabei nicht geboten. Jedoch darf nicht "ins Blaue hinein" geschätzt werden; vielmehr setzt eine Schätzung die konkrete Feststellung der Schätzungsgrundlagen voraus; bloße Mutmaßungen genügen nicht. Die Grundlagen, auf welche sich die Schätzung stützt, müssen festgestellt und erwiesen sein sowie im Urteil überprüfbar mitgeteilt werden (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 1. Juni 2015 - 2 BvR 67/15 -, juris).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht.

Das Landgericht hat das Einkommen des Angeklagten auf 6.000 € netto nach Abzug seiner Unterhaltsverpflichtungen geschätzt, wobei es berücksichtigt hat, dass der Angeklagte nicht nur Geschäftsführer, sondern auch Gesellschafter eines "größeren" Handwerksbetriebes mit einer "gewissen" Anzahl von Angestellten sei. Zudem sei der Betrieb des Angeklagten auch Ausbildungsbetrieb und die Betriebsräumlichkeiten seien großzügig und gut ausgestattet.

Die getroffenen Feststellungen zu dem von dem Angeklagten betriebenen Handwerksbetrieb tragen nicht die Schlussfolgerung, dass der Angeklagte in dem relevanten Betrachtungszeitraum ein monatliches Nettoeinkommen von 6.000 Euro netto nach Abzug seiner Unterhaltsverpflichtungen erzielt hat.

Insoweit bleibt bereits im Ausgangspunkt die vom Landgericht in Ansatz gebrachte Höhe der abgezogenen Unterhaltsverpflichtungen unklar, denn das angefochtene Urteil erschöpft sich in der Mitteilung, ein Sohn des Angeklagten sei noch in der Ausbildung und werde von dem Angeklagten unterhalten. Das Urteil lässt jedoch Informationen dazu vermissen, ob die Ehefrau des Angeklagten ein eigenes Einkommen erzielt oder ob auch Unterhaltszahlungen des Angeklagten an seine Ehefrau in Abzug zu bringen waren.

Im Übrigen stellen sich die dargestellten Erwägungen des Landgerichts zur Höhe des Einkommens als bloße Mutmaßungen dar, denn das Urteil lässt konkrete Feststellungen zur Größe des Betriebes, zur Anzahl der Angestellten und Auszubildenden vermissen.

3. Da die Festsetzung der Tagessatzhöhe in aller Regel losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig überprüft werden kann (vgl. BGHSt 27, 70, 72; 34, 90, 92) und hier keine Anhaltspunkte für eine andere Beurteilung bestehen, führt der festgestellte Mangel lediglich zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang und zu einer entsprechenden Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur erneuten Festsetzung der Tagessatzhöhe.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Zur Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Angeklagten, der hierzu keine Angaben macht, können in zwei Schritten Finanzermittlungen durchgeführt werden. Zunächst kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) um Auskunft über die Kontostammdaten des Angeklagten ersucht werden (§ 24c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KWG). Ein solches Auskunftsersuchen ist nicht an eine bestimmte Schwere der zu verfolgenden Straftat gebunden und auch in Fällen nur leichter Kriminalität zulässig (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 13.2.2015 ? 4 Ws 19/15, NStZ 2016, 48 [OLG Stuttgart 13.02.2015 - 4 Ws 19/15]). Nach Erhalt der Auskunft zu den Kontostammdaten können die betreffenden Kreditinstitute um Auskunft zu den dort geführten Konten des Angeklagten ersucht werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2021 - III-2 RVs 11/21 -, juris). Alternativ kommt hinsichtlich der aufzuklärenden Einkommensverhältnisse auch die Anordnung einer Durchsuchung in Betracht, wobei allerdings die Möglichkeit der Finanzermittlungen sowie die Schätzungsbefugnis gem. § 40 Abs. 3 StGB in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubeziehen sind (BeckOK StGB/Heintschel-Heinegg, 45. Ed. 1.2.2020, StGB § 40 Rn. 16).