Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 22.04.2022, Az.: 1 Ss 5/22
Keine anschließende Verwerfung durch Urteil nach Einspruchsrücknahme gegen Strafbefehl; Verfahrenshindernis durch Rechtskraft des Strafbefehls nach Einspruchsrücknahme; Besondere Ermächtigung des Verteidigers zur Einlegung des Einspruches gegen Strafbefehl; Anwaltliche Versicherung als Nachweis der Berechtigung zur Einspruchsrücknahme
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 22.04.2022
- Aktenzeichen
- 1 Ss 5/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 60841
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Stade - 26.11.2021
- AG Stade - 07.02.2022
Rechtsgrundlagen
- § 302 StPO
- § 312 StPO
- § 335 Abs. 1 StPO
- § 410 StPO
- § 433 Abs. 3 StPO
Redaktioneller Leitsatz
1. Der Einspruch des Angeklagten gegen Strafbefehl darf nach dessen Rücknahme nicht mehr durch Urteil verworfen werden. Denn mit der Rücknahme des Einspruchs wird der Strafbefehl rechtskräftig und stellt damit ein Verfahrenshindernis dar.
2. Für die Einlegung und Rücknahme eines Einspruchs gegen einen Strafbefehl benötigt der Verteidiger eine besondere Ermächtigung. Diese ist nicht formgebunden, sondern kann auch durch anwaltliche Versicherung erfolgen.
In der Strafsache
gegen A. H.,
geboren am ...,
wohnhaft: ...,
- Verteidiger: Rechtsanwalt L. aus D. -
wegen Beleidigung
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und die Richterin am Oberlandesgericht XXX am 22. April 2022 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Stade vom 7. Februar 2022 aufgehoben.
Der Einspruch gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Stade vom 26. November 2021 hat sich durch Rücknahme erledigt. Der vorgenannte Strafbefehl ist damit rechtskräftig.
Die Kosten des Revisionsverfahrens und die dem Betroffenen ab Einspruchsrücknahme entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
Das Amtsgericht Stade - Strafrichter - hatte mit Urteil vom 7. Februar 2022 den Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Stade vom 26. November 2021 verworfen.
Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten. Mit dieser rügt er, dass infolge der Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl ein Verfahrenshindernis bestanden habe.
Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
I.
Dem Angeklagten war in dem o.g. Strafbefehl zur Last gelegt worden, am 6. September 2021 eine Beleidigung begangen zu haben; deswegen wurde gegen ihn eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50 € festgesetzt. Auf seinen Einspruch hin hat das Amtsgericht Hauptverhandlungstermin auf den 7. Februar 2022 anberaumt.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 4. Februar 2022 hat dieser den Einspruch "namens und im Auftrag des Angeklagten" zurückgenommen. Das Schreiben ging am selben Tag via besonderes elektronisches Anwaltsfach beim Amtsgericht ein (vgl. Bl. 95 f. d.A.). Eine Vollmacht des Verteidigers findet sich nicht bei der Akte.
Nachdem der Angeklagte in der Hauptverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen war, hat das Amtsgericht den Einspruch gegen den Strafbefehl mit dem angefochtenen Urteil ohne Verhandlung zur Sache verworfen, da ihm die Rücknahme des Einspruchs zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war.
Mit seiner Revision begehrt der Angeklagte die Aufhebung des Verwerfungsurteils und begründet dies wie oben ausgeführt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Schreiben vom 5. April 2022 angeregt, die Akten zunächst an das Amtsgericht Stade zurückzusenden, um von dort zunächst eine ordnungsgemäße Zustellung des Urteils zu veranlassen. Denn dieses wurde lediglich an den Verteidiger zugestellt, obwohl sich bei der Akte keine Vollmacht befindet.
II.
Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Die nach §§ 335 Abs. 1, 312 StPO statthafte und gemäß § 341 Abs. 1, 345 StPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Angeklagten ist auch im Übrigen zulässig; insbesondere besteht auf Seiten des Angeklagten auch ein Rechtsschutzbedürfnis.
Dessen Beschwer ergibt sich daraus, dass das angegriffene Urteil den Anschein einer wirksamen Entscheidung erweckt, woraus sich ein Rechtsschutzbedürfnis für deren Beseitigung ergibt (ebenso OLG Koblenz, Beschluss vom 28. September 2021 - 4 OLG 32 Ss 147/21 -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 2. Juni 2008 - 2 Ss 190/08 -, NStZ-RR 2008, 383).
2. Die zulässige Revision ist auch begründet, da der Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl nach der vorherigen Einspruchsrücknahme nicht mehr durch Urteil verworfen werden durfte. Insbesondere ist die Einspruchsrücknahme wirksam erfolgt, obwohl sich keine schriftliche Vollmacht bei der Akte befindet. Zwar bedarf es für die Einspruchsrücknahme gemäß §§ 410 Abs. 1, 302 Abs. 2 StPO einer besonderen Ermächtigung seitens des Angeklagten. Diese ist indes nicht formgebunden (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2018 - 5 StR 484/18 -, juris Rn. 2 mwN). Ein Nachweis ist auch durch anwaltliche Versicherung möglich (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2014 - 1 StR 527/13 -, juris Rn. 28). Die Ermächtigung ergibt sich vorliegend eindeutig bereits aus der Erklärung des Rechtsanwalts, den Einspruch "namens und im Auftrag des Angeklagten" zurückzunehmen.
Die damit mit Eingang der Einspruchsrücknahme auf dem Server des Gerichts eingetretene Rechtskraft des Strafbefehls stellt ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis dar, durch das sich das gerichtliche Verfahren von selbst erledigt hat. Darauf, dass dem die Hauptverhandlung durchführenden Richter die Rücknahme des Einspruchs unbekannt geblieben ist, kommt es insoweit nicht (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 28. September 2021 aaO Rn. 10 mwN).
Das zu Unrecht ergangene Urteil des Amtsgerichts ist deshalb ersatzlos aufzuheben und feststellend auszusprechen, dass der Einspruch des Angeklagten durch Rücknahme erledigt und damit der Strafbefehl rechtskräftig geworden ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. § 411 Rn. 13 mwN; OLG Koblenz aaO Rn. 11).
Der Nachholung einer wirksamen Zustellung des angefochtenen Urteils bedurfte es nicht, da eine wirksame Revisionseinlegung erfolgt ist und die Revision vollumfänglich Erfolg hatte.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 3 StPO.