Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 14.09.2016, Az.: S 47 AS 422/14

Ersatzpflicht eines Sozialhilfeempfängers gegenüber dem Sozialhilfeträger aufgrund des Verbrauchs einer Erbschaft

Bibliographie

Gericht
SG Oldenburg
Datum
14.09.2016
Aktenzeichen
S 47 AS 422/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 25828
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOLDBG:2016:0914.S47AS422.14.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
LSG Niedersachsen-Bremen - 12.12.2018 - AZ: L 13 AS 297/16

Fundstellen

  • ZfSH/SGB 2017, 53-55
  • info also 2017, 94

Tenor:

Der Bescheid vom 10.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2014 wird aufgehoben. Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Ersatzpflicht der Klägerin aufgrund des Verbrauchs einer Erbschaft.

Die Klägerin stand bei dem Beklagten im Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - bis Februar 2012.

Die Klägerin informierte den Beklagten mit Schreiben vom 7.02.2012, dass ihr ein Teil der Erbschaft von ihrem am 21.11.2011 verstorbenen Vater zugeflossen ist und sie daher ab März 2012 keine Leistungen mehr brauche. Daraufhin hob der Beklagte mit Bescheid vom 9.02.2012 die Leistungsbewilligung ab März 2012 auf. Am 18.02.2012 verstarb die Mutter der Klägerin.

Am 20.12.2012 beantragte die Klägerin erneut Leistungen bei dem Beklagten.

Mit Anhörungsschreiben vom 25.02.2013 hörte der Beklagte die Klägerin zu einem Ersatzanspruch aufgrund möglicherweise vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit an.

Mit Bescheid vom 26.02.2013 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II vorläufig aufgrund Einkommens aus selbständiger Tätigkeit ab Dezember 2012 bis Mai 2013.

Die Klägerin wandte sich mehrfach schriftlich gegen den Vorwurf die Erbschaft verschwendet zu haben. Sie habe lediglich Ersatzanschaffungen für sehr alte und zum Teil beschädigte Möbel und Elektrogeräte, sowie für ihr 16-jähriges Auto und für Kleidung getätigt. Sie habe sich keine Luxusartikel gekauft. Neue Kleidung habe sie gebraucht, da sie sich eine bessere Ernährung leisten konnte und aufgrund dessen zugenommen habe. Sie habe, lediglich Kurzurlaube in D., E. und F. sowie ein Yogawochenende in G. verbracht. Außerdem habe es diverse Abbuchungen für Versicherungen und GEZ gegeben. Sie habe hohe Ausgaben für Hotelaufenthalte gehabt, da sie ihre Mutter einige Tage vor ihrem Tod besucht habe und auch den Haushalt ihres Vaters in Essen habe auflösen müssen. Ferner seien noch hohe Beerdigungskosten für ihre verstorbene Mutter angefallen. Im Übrigen sei sie sei nicht verpflichtet gewesen auf SGB-II Niveau weiterzuleben. Das habe ihr auch die Also H. mitgeteilt.

Unter dem 10.06.2013 erließ der Beklagte einen Bescheid mit der Überschrift: "Bescheid über die Ersatzpflicht der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 34 SGB II".

Er führte aus, dass die Klägerin ihr Vermögen, welches ihr ab dem 1.02.2012 in Höhe von insgesamt 49.003,99 EUR ausgezahlt worden sei, bis auf den Betrag von 6.548,12 EUR ausgegeben habe. Nach Abzug von notwendigen Ausgaben sei ein Vermögenswert in Höhe von 27.33 0,01 EUR übrig geblieben. Diesen habe die Klägerin bis auf 6.548,12 EUR in nur 9 Monaten verbraucht. Dies ergäbe einen monatlichen Verbrauch in Höhe von 2.309,10 EUR. Sie habe sich damit bewusst in den Bezug von Arbeitslosengeld II begeben. Es seien im Anhörungsverfahren keine Gründe vorgetragen worden die gegen eine Ersatzpflicht sprächen. Es läge kein wichtiger Grund für ihr Verhalten vor. Die Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II seien zumindest grob fahrlässig herbeigeführt worden. Der verbliebene Restbetrag liege unmittelbar unter dem Vermögensfreibetrag, was darauf schließen lasse, dass die Klägerin gewusst habe, wie viel Geld sie zur Verfügung haben durfte. Es sei ihr bekannt gewesen, dass wenn sie das Geld monatlich in dieser Höhe ausgebe, sie innerhalb von kurzer Zeit wieder in Leistungsbezug falle. Man gehe davon aus, dass ihr der doppelte Leistungssatz zuzüglich Krankenversicherung von monatlich ca. 150 EUR und Miete eine ausreichende Möglichkeit zur besseren Ernährung und Anschaffung zusätzlicher Kleidung gereicht hätte. Sie sei deshalb zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. Umfang und Höhe der zu ersetzenden Leistung würden in einem gesonderten Bescheid mitgeteilt.

Mit Schreiben vom 2.07.2013 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Sie trägt vor, ihr sei ein Betrag in Höhe von maximal 44.620,65 EUR zugeflossen. Hiervon seien dann noch die notwendigen Ausgaben abzuziehen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2014 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Hiergegen hat die Klägerin am 5.03.2014 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie ergänzend vor, der Leistungsbescheid sei nicht im Hinblick auf die Erbschaft sondern nur im Hinblick auf die Einkommenserzielung aus selbstständiger Tätigkeit vorläufig erfolgt

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 10.06.2013 in Gestalt des Widerspruches vom 14.02.2014 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, § 34 SGB II ermögliche es auch eine Ersatzpflicht dem Grunde nach festzustellen, ohne bereits den Ersatzanspruch in konkreter Höhe geltend machen zu müssen. Er verweist hierzu auf das Urteil des SG Braunschweig vom 23.2.2010 (- S 25 AS 1128/08 -). Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Vorliegend ist eine Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - statthaft.

Bei dem Schreiben des Beklagten vom 10.06.2013 handelt es sich um einen sogenannten feststellenden Verwaltungsakt. Sein Regelungsgehalt erschöpft sich in der Feststellung, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 Absatz 1 Satz 1 SGB II in der Fassung vom 24.03.2011 vorliegen.

Der Bescheid vom 10.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.02.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Es mangelt ihm bereits an einer Ermächtigungsgrundlage. Gemäß § 34 SGB Abs. 1 Satz 1 SGB II a.F. ist, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. Es handelt sich hierbei um einen öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch. Die Ersatzpflicht tritt kraft Gesetzes ein, sobald die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 vorliegen (Link in: Eicher SGB 2, 3. Aufl. § 34 Rn. 3). Die Vorschrift des § 34 SGB II ermächtigt den Leistungsträger den Ersatzanspruch durch Leistungsbescheid geltend zu machen. Dieser muss hinreichend bestimmt sein, d.h. einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben (Link a.a.O. Rn. 56; Schwitzky in: LPK-SGB II, 5. Aufl. § 34 Rn. 25). Der Bescheid ist i.S.d. § 33 SGB X nur dann inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn der Adressat des Verwaltungsakts die Höhe der Haftungsschuld erkennen kann (Link a.a.O.). Nach Ansicht der Kammer ermächtigt § 34 SGB II den Beklagten nicht dazu, die Ersatzpflicht zunächst nur dem Grunde nach festzustellen, ohne diese bereits in ihrer Höhe geltend zu machen. Ein Bescheid, der feststellt, dass die Klägerin sozialwidrig gehandelt hat und dem Grunde nach zum Ersatz verpflichtet ist, ist nach Ansicht der Kammer nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Die Kammer vermag sich der anderen Ansicht (Schwitzky a.a.O. Rn. 26 unter Bezug auf das Urteil des SG Braunschweig vom 23.02.2010 - S 25 AS 1128/08) nicht anzuschließen. Soweit sich die Entscheidung des SG Braunschweig einzig auf das Urteil des BVerwG vom 5.05.1983 (- 5C 112/81-) zu der nicht mehr gültigen Vorschrift des § 92a Bundessozialhilfegesetz - BSHG - stützt, ist diese Rechtsprechung nach Ansicht der Kammer nicht auf die Vorschrift § 34 SGB II inhaltsgleich übertragbar. Zwar hat der Erstattungsanspruch aus § 34 SGB II seinen Ursprung in der vorgenannten Vorschrift gefunden. Jedoch ist er im Gegensatz zu der Parallelvorschrift im SGB XII (§ 103 SGB XII) an den Kostenerstattungsanspruch aus dem BSHG nur angelehnt (vgl. BSG zu § 34 SGB II in der bis zum 31.3.2011 gültigen Fassung, Urteil vom 02. November 2012 - B 4 AS 39/12 R -). Dies wird deutlich in der zum Teil unterschiedlichen Ausgestaltung der Vorschriften. Im Gegensatz zu § 103 Abs. 1 Satz 2 SGB XII ist i.R.d. § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB II von Amts wegen von der Geltendmachung des Ersatzanspruches abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde. Die Vorschrift aus dem BSHG jedoch beließ dies, ebenso wie die Parallelvorschrift im SGB XII, im Ermessen der Behörde. Im Übrigen spricht der Wortlaut des § 34 SGB II selbst von einem Ersatzanspruch (vgl. Satz 2 und 3 das Absatzes 1). Damit wird klar, dass § 34 Abs. 1 SGB II einen Ersatzanspruch regelt und hierzu ermächtigt (vgl. BSG a.a.O.). Nach Ansicht der Kammer ist der Leistungsträger nach § 34 SGB II nicht auch zum Erlass eines Feststellungsbescheids als sogenanntes "Minus" ermächtigt. Das BSG hat für die fast wortgleiche bis zum 31.3.2011 gültige Fassung des § 34 SGB II ausgeführt, dass eine einschränkende Auslegung der Vorschrift geboten sei, weil es sich um eine Ausnahme von dem Grundsatz handele, dass existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit zu leisten sind. Ein solcher die Ersatzpflicht dem Grunde nach feststellender Verwaltungsakt, kann sich selbst als belastende Maßnahme darstellen und eine Rechtsbeeinträchtigung auslösen, so dass er einer ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage bedarf. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Erstattungsanspruch nach § 34 SGB II seiner Höhe nach nicht begrenzt ist. Nach Bestandskraft des die Tatbestandsvoraussetzungen feststellenden Bescheides könnte ein darauf folgender Leistungsbescheid nur noch der Höhe nach und nicht mehr im Hinblick auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen angegriffen werden. Ein Bescheid der jedoch nur das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen und die Erstattungspflicht dem Grunde nach feststellt, ohne zugleich tatsächlich Erstattung in einer konkreten Höhe zu verlangen, verdeutlicht dem Betroffenen nicht die mögliche Tragweite einer solchen Entscheidung und motiviert ihn nicht in gleicher Weise, gegen eine solche Entscheidung einen Rechtsbehelf einzulegen. Auch besteht kein praktisches Bedürfnis für den Erlass eines solchen Grundlagenbescheides. Denn die Ersatzpflicht tritt bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen bereits kraft Gesetzes ein und bedarf eines solchen Feststellungsbescheids im Hinblick auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nicht. Auch vermag ein solcher Bescheid nicht den Ablauf der Frist gemäß § 34 Abs. 3 SGB II zu hemmen (Link a.a.O. Rn. 56; Schwitzky a.a.O. Rn. 26). Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG. Die Berufung ist gemäß § 143 SGG zulässig.