Sozialgericht Oldenburg
Beschl. v. 21.01.2016, Az.: S 26 AY 28/15 ER
Anspruch eines Asylbewerbers auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
Bibliographie
- Gericht
- SG Oldenburg
- Datum
- 21.01.2016
- Aktenzeichen
- S 26 AY 28/15 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 19920
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOLDBG:2016:0121.S26AY28.15ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs. 1 S. 8 AsylbLG
- § 9 AsylbLG
Fundstelle
- InfAuslR 2016, 160-161
In dem Rechtsstreit
...
hat die 26. Kammer des Sozialgerichts Oldenburg am 21. Januar 2016 durch die Richterin Karmeinsky beschlossen:
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 17. Dezember 2015 bis zum Abschluss des Hauptsachverfahrens, spätestens jedoch bis zum 31. März 2016, vorläufig und unter Rückforderungsvorbehalt ungekürzte Leistungen nach § 3 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz unter Anrechnung bereits geleisteter Leistungen zu gewähren.
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung ungekürzter Grundleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG -.
Der Antragsteller ist D. Staatsangehörigkeit.
Er erhält seit dem 13.10.2009, mit Bescheid vom 14.10.2009, von der Gemeinde E. Leistungen nach dem AsylbLG. Seit dem 1.5.2012 erhält er nur noch gekürzte Leistungen nach § 1a AsylbLG.
Mit Bescheid vom 11.6.2015 gewährte die Gemeinde E. dem Antragsteller für den Monat März 2015 um den sogenannten Taschengeldbetrag nach § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG gekürzte Leitungen in Höhe von 325,45 €. In den folgenden Monaten wurden nur gekürzte Leistungen in der genannten Höhe gewährt. Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 12.11.2015 Widerspruch ein und stellte gleichzeitig einen Überprüfungsantrag nach § 9 AsylbLG in Verbindung mit § 44 SGB XII. Mit Bescheid vom 11.12.2015 gewährte der Antragsgegner im Rahmen einer Teilabhilfe dem Antragsteller ab dem 1.4.2015 höhere gekürzte Leistungen nach § 1a AsylbLG in Höhe von monatlich 273,57 €. Zur Begründung führte er aus, dass aus Gründen, die der Antragsteller zu vertreten habe, aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten. Daher habe der Antragsteller nur einen eingeschränkten Leistungsanspruch nach § 1a AsylbLG. Bezüglich der Höhe der Leistungskürzung verwies er auf die aktuelle Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen mit Beschluss vom 30.04.2014 zu dem Aktenzeichen L 8 AY 71/13 B ER. Hiernach sei eine Leistungskürzung um die Werte aus den Abteilungen 9 und 11 der jeweiligen Regelbedarfsstufen weiterhin zulässig.
Gegen die gekürzte Leistungsgewährung richtet sich der am 17.12.2015 bei dem Sozialgericht Oldenburg gestellte Eilantrag.
Der Antragsteller macht geltend, dass die entsprechenden Kürzungen im Lichte der tragenden Ausführungen des Beschlusses vom LSG Niedersachsen-Bremen keinen Bestand haben könnten. Hiernach bedürfe es nach dem Wortlaut des § 1a AsylbLG in der Rechtsfolge stets einer Prüfung aller relevanten Umstände des Einzelfalls, welche Leistungen "im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten" seien. Hierfür müsse die zuständige Leistungsbehörde im konkreten Einzelfall den Sachverhalt ermitteln und in diese Einzelfallprüfung miteinbeziehen. Das LSG habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Anspruchseinschränkung anhand von Pauschalen sich von vornherein verbiete. An einer solchen Einzelfallprüfung fehle es hier.
Der Antragsteller beantragt (ausdrücklich),
den Antragsgegner im Rahmen einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller bis auf weiteres Leistung nach § 1 AsylbLG in einer Höhe zu gewähren, die derjenigen nach § 3 AsylbLG entspricht.
Der Antragsgegner beantragt,
Den Antrag abzulehnen.
Er macht geltend, der Antragsteller wirke im Rahmen des bei der Ausländerbehörde durchgeführten Verwaltungsverfahrens nicht hinreichend mit. Er beschaffe die erforderlichen Heimreise-/Identitätsdokumente nicht. Seine fehlende Mitwirkung sei ursächlich dafür, dass die Aufenthaltsbeendenden Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten. Obwohl dem Antragsteller am 11.8.2015 geraten worden sei, einen Härtefallantrag bei der niedersächsischen Härtefallkommission zu stellen und er darüber hinaus am 18.9.2015 von der Ausländerbehörde eine Zusicherung über die Erteilung einer uneingeschränkten Beschäftigungserlaubnis erhielt, sobald er einen Reisepass vorlege, kam er dem nicht nach. Die Leistungen aus den Abteilungen 9 und 11 erschienen hier nicht unabweisbar geboten, da bei dem vom Antragsteller gezeigten Verhalten eine Aufenthaltsverfestigung durch Freizeitaktivitäten, Unterhaltung, Kultur oder Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen nicht unterstützt werden müssten.
Zwar sei eine Anpassung der Leistungskürzung nach der seit dem 24.10.2015 gültigen Fassung des § 1a AsylbLG noch nicht erfolgt, dies werde jedoch nachgeholt werden. Der Antragsteller habe auch nach der Neufassung des Gesetzes weiterhin keinen Anspruch auf ungekürzte Leistung.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen sozialrechtlichen sowie ausländerrechtlichen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners verwiesen. Sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz SGG ist zulässig und begründet. Danach sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 GG i.V.m. 920 Abs. 2 ZPO).
Der Antrag ist begründet. Der Antragsgegner hat die mit Bescheid vom 11.12.2015 verfügte gekürzte Leistungseinschränkung auf eine Rechtsgrundlage gestützt, die zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung nicht mehr in Kraft war. Es ist nicht möglich die Entscheidung, in eine Entscheidung nach § 1a AsylbLG in der seit dem 24.10.2015 geltenden Fassung (geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 20.10.2015 BGBl. I 1722) umzudeuten. Denn § 1a AsylbLG hat eine wesentliche Änderung auf Tatbestands- wie auch Rechtsfolgenseite erfahren.
Er enthält nunmehr folgende Regelung:
(1) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5 und Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 6, soweit es sich um Familienangehörige der in § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5 genannten Personen handelt, die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, erhalten Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist.
(2) 1Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 5, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen, haben ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag keinen Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6, es sei denn, die Ausreise konnte aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, nicht durchgeführt werden. 2lhnen werden bis zu ihrer Ausreise oder der Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt. 3Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können ihnen auch andere Leistungen im Sinne von § 3 Absatz 1 Satz 1 gewährt werden. 4Die Leistungen sollen als Sachleistungen erbracht werden.
(3) 1Absatz 2 gilt entsprechend für Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. 2Für sie endet der Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6 mit dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung oder Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung folgenden Tag. 3Für Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 6, soweit es sich um Familienangehörige der in Satz 1 genannten Personen handelt, gilt Absatz 1 entsprechend.
(4) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 oder 5, für die in Abweichung von der Regelzuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) nach einer Verteilung durch die Europäische Union ein anderer Mitgliedstaat oder ein am Verteilmechanismus teilnehmender Drittstaat, der die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 anwendet, zuständig ist, erhalten ebenfalls nur Leistungen nach Absatz 2.
In Ergänzung hierzu regelt § 14 AsylbLG:
(1) Die Anspruchseinschränkungen nach diesem Gesetz sind auf sechs Monate zu befristen.
(2) Im Anschluss ist die Anspruchseinschränkung bei fortbestehender Pflichtverletzung fortzusetzen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen der Anspruchseinschränkung weiterhin erfüllt werden.
Im Übrigen hat das Gericht erhebliche Zweifel, ob die Voraussetzungen einer gekürzten Leistungsgewährung derzeit vorliegen.
Insoweit wird weiterhin gefordert, dass aus von dem Leistungsbezieher selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Dies bedeutet, dass die von der Ausländerbehörde in Betracht gezogenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen nicht durchgesetzt werden können (vgl. Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 1a AsylbLG i.d.F. v. 10.12.2014 zu dem gleichlautenden Tatbestandsmerkmal). Derzeit werden unter Zugrundelegung des Vortrags des Antragsgegners offensichtlich aufenthaltsbeendende Maßnahmen seitens der Ausländerbehörde nicht beabsichtigt. Diese hat vielmehr den Antragsteller mit Schreiben vom 18.09.2015 zur Vorlage eines Identitätspapiers aufgefordert, um ihm eine unbeschränkte Arbeitserlaubnis (Integration in den Arbeitsmarkt mit weiterer Verfestigung des Aufenthalts) erteilen zu können. Ferner hat sie ihm angeraten, einen Härtefallantrag bei der Nds. Härtefallkommission zu stellen und hierzu ausgeführt, dass nach Aktenlage Nichtannahmegründe nicht ersichtlich seien sowie das Nachgehen einer Erwerbstätigkeit sich vorteilhaft auswirken könnte. Eine Absicht der Ausländerbehörde, den Aufenthalt des Antragstellers zu beenden, kann das Gericht derzeit nicht erkennen.
Auch nach der nunmehr geltenden Gesetzesfassung ist von einem des Regel-Ausnahme-Verhältnisses der Leistungsgewährung nach § 3 AsylbLG und der eingeschränkten Leistungsgewährung nach § 1a AsylbLG auszugehen. Dies hat zur Folge, dass der zuständige Leistungsträger bei erheblichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der abgesenkten Leistungsgewährung - jedenfalls in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - zu verpflichten ist, existenzsichernde Leistungen nach § 3 AsylbLG in ungekürzter Höhe zu erbringen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30.04.2014 - L 8 AY 71/13 B ER -). Insoweit hat der Antragsgegner dem Antragsteller die um die Werte aus den Abteilungen 9 und 11 der Regelbedarfsstufe 1 ebenfalls zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Die Beschwerde ist nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, da der Berufungswert von 750,- Euro nicht erreicht wird.