Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 26.04.2006, Az.: 5 A 414/05

Bürgermeister; Demokratieprinzip; Erfolgswert; Ermächtigung; Gemeindevertretung; Gewaltenteilungsgrundsatz; hauptamtlich; Inkompatibilität; Klagebefugnis; Kommunalverfassungsstreitverfahren; kraft Amtes; Legitimation; Mandat; Mitglied; Mitgliedschaftsrecht; Mitwirkung; Mitwirkungsverbot; Ratsmitglied; Stimme; Stimmrecht; Verfassung; Volksvertreter

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
26.04.2006
Aktenzeichen
5 A 414/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 53182
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Das uneingeschränkte Stimmrecht des hauptamtlichen Bürgermeisters im Gemeinderat gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 NGO ist mit höherrangigem Recht vereinbar.

Tatbestand:

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Der Kläger, ein Mitglied des Rates der E., begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Ratsbeschlusses vom 12. Juli 2005, der die 1. Änderung des Flächennutzungsplanes 2020 zum Gegenstand hat.

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Die Firma F. ist Eigentümerin einer westlich der Straße „G.“ gelegenen Fläche. Im Flächennutzungsplan der Beklagten aus dem Jahre 1978 wurde der wesentliche Teil dieser Grundstücksfläche als Wohnbaufläche ausgewiesen. In seiner Sitzung am 12. Juli 2005 beschloss der Beklagte in geheimer Abstimmung die 1. Änderung des Flächennutzungsplanes 2020 und damit auch die Teiländerung 1.4 „H.“ mit 19 zu 18 zu 0 Stimmen dahingehend, dass der nord-westliche Teil der Grundstücksfläche (belegen zwischen der Grundschule I. und der Hochspannungsleitung) aus der Wohnbauflächendarstellung herausgenommen wurde und für den direkt an der Straße „G.“ angrenzenden Grundstücksteil eine Gemeinbedarfsfläche (Fläche für Schulerweiterung) und der südwestlich davon gelegene Grundstücksteil als Fläche für die Landwirtschaft dargestellt wurden. Ein weiterer Grundstücksteil wurde in Wohnbauland umgewandelt. Bei der Abstimmung nahm auch der hauptamtliche Bürgermeister der Stadt Buchholz, Herr J., teil.

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Der Kläger hat am 17. Oktober 2005 Klage erhoben. Er meint, der Wille des Rates sei durch die Mitwirkung des Bürgermeisters verfälscht worden. Die in § 31 Abs. 1 Satz 2 NGO - anders als etwa nach der Rechtslage in Hamburg oder Nordrhein-Westfalen - vorgesehene ausnahmslose Mitwirkung des Bürgermeisters kraft Amtes an Beschlüssen des Gemeinderates verstoße gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung und den der Inkompatibilität. Dadurch werde er, der Kläger, in seinem Recht auf ein freies Mandat als Ratsherr i. S. v. § 39 NGO verletzt. Mit den Grundsätzen des freien Mandates sei nicht vereinbar, dass der Bürgermeister bei einer Pattsituation wie der hier vorliegenden den Ausgang der Beschlussfassung durch seine Stimme beeinflusse. Denn dieser führe in erster Linie als Leiter der Verwaltung Beschlüsse anderer Organe aus und vertrete die Gemeinde nach außen. Er sei damit Behörde der Gemeinde und nicht ihr Legislativorgan. Im vorliegenden Fall habe der Bürgermeister die Entscheidung selbst vorbereitet, um diese zugleich in seiner Eigenschaft als Ratsmitglied nach Abstimmungen mit seiner Fraktion zu verabschieden. Darüber hinaus sei dem Bürgermeister in analoger Anwendung der §§ 26 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 3 NGO wegen Befangenheit die Mitwirkung an der Beschlussfassung untersagt gewesen. Die Befangenheit folge aus einer Interessenkollision infolge seiner Stellung als Leiter der Verwaltung und seiner Tätigkeit als Ratsmitglied. Hinzu komme eine durch das Abstimmungsverhalten des Bürgermeisters bewirkte Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund zu Gunsten Dritter, da die im Eigentum der K. stehenden Flächen als Wohnbauflächen entwidmet worden seien, während dies bei Flächen Dritter nicht der Fall sei.

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Der Kläger beantragt,

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festzustellen, dass der Beschluss des Beklagten vom 12. Juli 2005 über die 1. Änderung des Flächennutzungsplanes 2020 hinsichtlich der Teiländerung 1.4 „H.“ rechtswidrig ist.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er hält die Klage mangels Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO bereits für unzulässig. Der Kläger könne sich nicht auf individuelle organschaftliche Rechte berufen. Denn durch den unterbliebenen Ausschluss des Bürgermeisters als möglicherweise befangenes Ratsmitglied werde das Stimmrecht als subjektives Recht des einzelnen Ratsmitgliedes nicht berührt. Der Ausschluss eines Ratsmitgliedes bewirke zwar die Erhöhung des Stimmgewichtes der anderen Ratsmitglieder. Dies sei aber nur ein Rechtsreflex des Mitwirkungsverbotes und keinesfalls eine vom Gesetzgeber bezweckte Nebenfolge des Ausschlusses. Jedenfalls sei die Klage aber unbegründet. Der Kläger übersehe, dass der Rat nicht der Legislative zuzuordnen sei, sondern ebenso wie der Bürgermeister als Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft der Exekutive i. S. d. Art. 20 Abs. 2 GG unterfalle. Daher komme der vom Kläger angeführte Grundsatz der Gewaltenteilung zwischen Rat und Bürgermeister nicht zum Tragen. Ein Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot der §§ 26 Abs. 1, 64 Abs. 3 NGO liege nicht vor, da die Entscheidung dem Bürgermeister keinen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil habe bringen können. Es fehle bereits an der Unmittelbarkeit, weil ein Flächennutzungsplan und seine Änderungen erst Wirksamkeit entfalteten, wenn der Landkreis die Genehmigung erteile und die ortsübliche Bekanntmachung erfolgt sei. Eine Analogie zu diesen Vorschriften scheitere daran, dass die vom Kläger vermutete Interessenkollision des Bürgermeisters infolge seiner Stellung als Behördenleiter und Ratmitglied nicht dem persönlichen bzw. privaten Bereich zuzuordnen sei. Da der kraft Amtes stimmberechtigte Bürgermeister seine demokratische Legitimation durch eine unmittelbare Wahl erhalte, liege ein Verstoß gegen das in Art. 28 GG normierte Demokratieprinzip ebenfalls nicht vor.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.

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1. Die Klage ist zulässig.

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Die im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreitverfahrens erhobene Feststellungsklage ist statthaft. Ein Rechtsverhältnis i. S. d. § 43 Abs. 1 VwGO kann auch - wie hier - organschaftliche Mitwirkungsrechte umfassen (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2005, § 43 Rdnr. 10 m. w. N.). Die Beteiligtenfähigkeit des Klägers und des Beklagten ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung von § 61 Nr. 2 VwGO. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Ein „berechtigtes Interesse“ i. S. d. § 43 Abs. 1 VwGO ist jedes schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Hier folgt das Feststellungsinteresse aus politischen und damit letztlich ideellen Gründen des Klägers, denn die Frage der Stimmberechtigung des hauptamtlichen Bürgermeisters ist von erheblicher politischer Bedeutung und wird auch bei der künftigen politischen Auseinandersetzung eine Rolle spielen.

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Dem Kläger steht die auch in einem Kommunalverfassungsstreitverfahren erforderliche Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO zu. Er kann geltend machen, durch die Mitwirkung des Bürgermeisters bei der Beschlussfassung über die 1. Änderung des Flächennutzungsplanes 2020 am 12. Juli 2005 möglicherweise in seinen eigenen subjektiven Mitgliedschaftsrechten verletzt zu sein. Eine derartige Verletzung in Mitgliedschaftsrechten im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreits liegt vor, wenn durch die von dem Mitglied des Organs Gemeinderat gerügte Maßnahme in einen gesetzlich geschützten Status eingegriffen wird, der dem Besitzstand zuzuordnen ist, den er als Mitglied des Organs Gemeinderat innehat. Hierzu rechnen bei einem kommunalen Mandatsträger z. B. das Recht auf Teilnahme und Beratung sowie Abstimmung in der Sitzung, das Recht, Anträge zu stellen und sich mit anderen Mitgliedern zu Fraktionen zusammenzuschließen, das Recht auf Sicherstellung der Geheimhaltung bei geheimen Wahlen (OVG Lüneburg, Urt. v. 28.2.1984 - 2 A 37/83 -, NVwZ 1985, 850), der Anspruch auf Einhaltung der Sitzungsöffentlichkeit (OVG Münster, Urt. v. 19.12.1978 - 2 K 652/76 -, OVGE 35, 8) und auf Unterbindung nachhaltiger Störungen des organinternen Funktionsablaufes wie etwa Rauchen (OVG Münster, Urt. v. 10.9.1982 - 15 A 1223/80 -, DVBl. 1983, 53 [OVG Nordrhein-Westfalen 19.02.1982 - 15 A 898/81]) oder das Tragen von politischen Ansteckern (OVG Koblenz, Beschl. v. 13.3.1985 - 7 B 6/85 -, DÖV 1985, 632).

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Im vorliegenden Fall ergibt sich die Klagebefugnis aus Folgendem: Das Stimmrecht des Ratsmitglieds umfasst nicht allein das Recht abzustimmen, sondern auch den Anspruch darauf, dass seine Stimme mit dem ihr nach dem Kommunalverfassungsrecht zukommenden Gewicht bei der Abstimmung berücksichtigt wird. Mit der Mitgliedschaft im Rat wird eine Rechtsstellung erworben, die sich bei Abstimmungen nach § 47 Abs. 1 NGO dahin konkretisiert, dass Beschlüsse grundsätzlich mit Stimmenmehrheit gefasst werden und dass bei Stimmengleichheit ein Antrag abgelehnt ist. Dies bedeutet nicht nur rechnerisch, dass mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen für einen Beschluss erforderlich sind, sondern auch, dass allein die Stimmen der Stimmberechtigten maßgeblich sind. Werden bei Abstimmungen nicht nur die Stimmen der Stimmberechtigten mitgezählt, sondern auch solche nicht stimmberechtigter Personen, so würde das sich in der Zahl der Stimmberechtigten und der genannten Abstimmungsregel konkretisierte (Abstimmungs-)Mitwirkungsrecht des einzelnen Ratsmitglieds rechtswidrig geschmälert und diesen zur klageweisen Wahrung seines Stimmrechts im Kommunalverfassungsstreit berechtigen (OVG Münster, Beschl. v. 21.12.1995 - 15 B 3104/95 -, NVwZ-RR 1997, 52). Das Stimmrecht des Klägers würde somit hier verletzt, wenn der Bürgermeister zu seiner Stimmabgabe nicht berechtigt gewesen wäre. Auch das OVG Lüneburg (Urt. v. 19.3.1991 - 10 L 51/89 -) sieht Mitgliedschaftsrechte dann als verletzt an, wenn das zahlenmäßige Gewicht der einzelnen Stimme durch eine rechtsfehlerhafte Zusammensetzung des Rats verfälscht wird. In diesem Fall kann der Erfolgswert der einzelnen Stimme beeinträchtigt sein mit der Folge, dass das einzelne Ratsmitglied in einer eigenen Rechtsposition verletzt ist. Anders liegt es nur dann, wenn die fehlerhafte Mitwirkung eines möglicherweise aus individuellen Gründen befangenen Ratsmitgliedes geltend gemacht wird (OVG Koblenz, Urt. v. 29.8.1984 - 7 A 19/84 -, NVwZ 1985, 283; OVG Münster, Beschl. v. 7.8.1997 - 15 B 1811/97 -, NVwZ-RR 1998, 325, 326).

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2. Die Klage ist aber unbegründet.

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Die vom Kläger begehrte Feststellung kann nicht getroffen werden. Der Beschluss des Beklagten vom 12. Juli 2005 über die 1. Änderung des Flächennutzungsplanes 2020 ist nicht rechtswidrig. Das in § 31 Abs. 1 Satz 2 NGO vorgesehene Stimmrecht des hauptamtlichen Bürgermeisters verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Die Doppelfunktion des hauptamtlichen Bürgermeisters als Leiter der Verwaltung und stimmberechtigtes Mitglied des Gemeinderates begegnet mithin keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

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Der Grundsatz der Gewaltenteilung ist nicht verletzt. Dieser in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG normierte Grundsatz ist für das Grundgesetz zwar ein tragendes Organisations- und Funktionsprinzip und dient der gegenseitigen Kontrolle der Staatsorgane und damit der Mäßigung der Staatsherrschaft. Grundsätzlich lassen sich die Staatsgewalten in die drei selbständigen und dem Grunde nach voneinander getrennten Bereiche der gesetzgebenden Gewalt (Legislative), der exekutiven Gewalt und der Judikative einordnen. Ein Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz ist hier nicht gegeben. Dies gilt aber nicht bereits deshalb, weil sowohl der Bürgermeister einer Gemeinde als auch der Gemeinderat nicht der Legislative, sondern der Exekutive zugeordnet werden. Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG muss die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern und - weil die Gemeindeebene den Ländern zugeordnet wird - auch in den Gemeinden den Grundsätzen u. a. des demokratischen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen. Zu diesen Grundsätzen gehört auch der Gewaltenteilungsgrundsatz (BVerfG, Beschl. v. 10.6.1953 - 1 BvF 1/53 -, BVerfGE 2, 307, 319). Auch wenn kommunale Verwaltungsträger wie z. B. eine Gemeinde unterstaatliche Verwaltungsträger auf örtlicher Ebene sind und sie damit zur mittelbaren Staatsverwaltung, der Exekutive, auf Ebene der Länder gehören, muss dem Gewaltenteilungsgrundsatz auch auf Gemeindeebene Rechnung getragen werden. Dies bedeutet, dass - jedenfalls dem Grundsatz nach - ein Gemeindeparlament und eine Gemeindeverwaltung bestehen und diese - jedenfalls dem Grundsatz nach - getrennt sind. Diesem Gebot tragen Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 57 Abs. 2 Satz 1 NV dadurch Rechnung, dass sie auf Gemeindeebene eine aus Wahlen hervorgegangene Volksvertretung vorsehen.

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Das Prinzip der Gewaltenteilung ist aber nirgends rein verwirklicht. Es bestehen zahlreiche Gewaltenverschränkungen und -balancierungen. Das Grundgesetz fordert nicht eine absolute Trennung, sondern die gegenseitige Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten. Dabei muss die in der Verfassung vorgegebene Verteilung der Gewichte zwischen den drei Gewalten gewahrt bleiben. Keine Gewalt darf eine von der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht über eine andere Gewalt erhalten. Keine Gewalt darf der für die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben erforderlichen Zuständigkeiten beraubt werden. Der Kernbereich der verschiedenen Gewalten ist unveränderbar. Damit ist ausgeschlossen, dass eine der Gewalten die ihr von der Verfassung zugeschriebenen typischen Aufgaben verliert. Für das Verhältnis von Legislative und Exekutive bedeutet dies, dass dem Parlament als Legislative die Aufgabe der Normsetzung zusteht. Nur das Parlament besitzt hierfür die demokratische Legitimation. Der Exekutive obliegt die Regierung und die Vollziehung von Gesetzen im Einzelfall (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 17.7.1996 - 2 BvF 2/93 -, UPR 1997, 24 m. w. N.). Der Volksvertretung auch auf kommunaler Ebene muss daher in den jeweiligen Kommunalverfassungen eine materiell gewichtige Rolle zugewiesen werden.

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Dieses Erfordernis wird jedoch nicht dadurch in Frage gestellt, dass dem Bürgermeister ein Stimmrecht im Gemeinderat zuerkannt ist. Zwar hat diese Regelung eine relative Minderung des Gewichts des Stimmrechts der unmittelbar gewählten Ratsmitglieder und damit des Klägers zur Folge. Der Kernbereich dieser „Gewalten“ wird durch diese auf eine einzelne Person bezogene Verschränkung hingegen nicht tangiert. Eine gleiche Gemengelage findet sich seit langem im Landes- und Bundesbereich, wo Mitglieder der Landes- und Bundesregierung oftmals auch zugleich stimmberechtigte Parlamentsabgeordnete sind, ohne dass dies zu durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken geführt hat (vgl. hierzu Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Kommentar, Stand: August 2005, Art. 20 Ziffer V. Rndr. 46 m. w. N.). Daher begegnet es unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung auch keinen durchgreifenden Bedenken, dass der hauptamtliche Bürgermeister als Leiter der „Exekutive“ von Amts wegen auch stimmberechtigtes Mitglied im Gemeinderat als „Legislative“ ist.

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Gleiches gilt für den Grundsatz der Inkompatibilität. Ein Verstoß gegen Vorschriften gemäß § 35 a NGO über die Inkompatibilität liegt nicht vor. Eine derartige Beschränkung bedarf der verfassungsrechtlichen Ermächtigung, die sie in Art. 137 Abs. 1 GG und Art. 61 NV findet. Hierdurch soll die organisatorische Gewaltenteilung in personeller Hinsicht gewährleistet werden. Es soll verhindert werden, dass sich durch „Personalunion“ die Kontrolleure der Verwaltung selbst kontrollieren. Damit soll der Gefahr von Entscheidungskonflikten und Verfilzungen entgegengewirkt werden. Die Anordnung einer Inkompatibilität ist daher von der Ermächtigung nur gedeckt, wenn sie Personen betrifft, deren berufliche Stellung die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit von Interessen- und Entscheidungskonflikten nahe legt. Da hier eine Grenzziehung schwierig ist, hat der Gesetzgeber bei der Bestimmung der von der Inkompatibilität betroffenen beruflichen Funktionen einen weiten Einschätzungsspielraum. Diesen kann er durch generalisierende Tatbestände ausfüllen, die an die Wahrscheinlichkeit einer Konfliktlage anknüpfen (Wefelmeier, in: KVR-NGO, Kommentar, Stand: Januar 2006, § 35 a Rdnr. 2 und 3 m. w. N.). Von Verfassungs wegen ist eine Erstreckung der Inkompatibilität des Amtes des hauptamtlichen Bürgermeisters auf das Amt eines Ratsherren oder einer Ratsfrau daher auch nach Art. 137 Abs. 1 GG nicht geboten. Art. 137 Abs. 1 GG erlaubt eine Beschränkung des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 und des Art. 48 Abs. 2 GG, fordert sie aber nicht zwingend. Gleiches gilt für Art. 61 NV. Daher ist der niedersächsische Gesetzgeber nicht verpflichtet, bei der Ausgestaltung seiner Kommunalverfassung das Stimmrecht des Bürgermeisters in bestimmten Fällen - etwa vergleichbar der Rechtslage in Hamburg oder Nordrhein-Westfalen - einzuschränken oder auszuschließen.

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Der nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG auch die Gemeinden geltende Grundsatz der repräsentativen Demokratie des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG ist ebenfalls gewahrt. Der Bürgermeister ist zwar kein gewählter Volksvertreter i. S. d. Homogenitätsgebotes des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG, sondern Ratsmitglied kraft Amtes gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 NGO. Der niedersächsische Landesgesetzgeber hat sich jedoch in konsequenter Fortsetzung der Verleihung des Status als Ratsmitglied dafür entschieden, ihm für die Tätigkeit als Ratsmitglied gleiche Befugnisse wie den Ratsfrauen und Ratsherrn einzuräumen. Dies ist mit dem Homogenitätsgebot vereinbar, da Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG den Ländern in der Gestaltung des Landesrechts verfassungsrechtlichen Spielraum lässt. (OVG Münster, Beschl. v. 21.12.1995 - 15 B 3104/95 -, a. a. O.; Wefelmeier, in: KVR-NGO, a. a. O., § 39 Rdnr. 5). Außerdem erhält auch der hauptamtliche Bürgermeister einer Gemeinde seine demokratische Legitimation durch eine unmittelbare Wahl durch das Gemeindewahlvolk gemäß § 61 NGO.

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Ein Verstoß gegen die Vorschriften über das Mitwirkungsverbot gemäß §§ 64 Abs. 3, 26 Abs. 1 Satz 1 NGO ist nicht gegeben. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 NGO darf, wer ehrenamtlich tätig ist, in Angelegenheiten der Gemeinde nicht beratend oder entscheidend mitwirken, wenn die Entscheidung ihm selbst oder näher bestimmten Verwandten einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann. Dieses Mitwirkungsverbot gilt nach § 64 Abs. 3 NGO für den hauptamtlichen Bürgermeister entsprechend. Als unmittelbar gilt nach § 26 Abs. 1 Satz 3 NGO nur derjenige Vorteil oder Nachteil, der sich aus der Entscheidung ergibt, ohne dass, von der Ausführung von Beschlüssen abgesehen, weitere Ereignisse eintreten oder Maßnahmen getroffen werden müssen. Im vorliegenden Fall greift dieses Verbot unmittelbar nicht. Dies stellt auch der Kläger nicht in Abrede. Da für die Wirksamkeit von Flächennutzungsplänen gemäß § 6 Abs. 1 und 5 BauGB die Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde und deren ortsübliche Bekanntmachung erforderlich sind, fehlt es an der Unmittelbarkeit (Behrens, in: KVR-NGO, a. a. O., § 26 Rdnr. 57). Überdies fehlt es daran, dass die Entscheidung über die 1. Änderung des Flächennutzungsplanes 2020 dem Bürgermeister oder einem der in § 26 Abs. 1 Satz 1 NGO angesprochenen Verwandten einen erkennbaren unmittelbaren persönlichen Vorteil oder Nachteil bringt. Dass nach Ansicht des Klägers die Entscheidung ohne sachlichen Grund eine Ungleichbehandlung bestimmter Gruppen bewirkt, begründet ebenso wenig wie die Stellung des Bürgermeisters als Ratsmitglied und Leiter der Verwaltung eine Besorgnis der Befangenheit i. S. d. § 26 Abs. 1 Satz 1 NGO. Die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift scheidet aus, weil es an einer vergleichbaren Sachlage und einer Regelungslücke fehlt.

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§ 26 NGO betrifft nur die Befangenheit aus persönlichen und nicht aus institutionellen Gründen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

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Gründe für die Zulassung der Berufung sind nicht gegeben.