Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 20.04.2006, Az.: 1 A 952/05
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 20.04.2006
- Aktenzeichen
- 1 A 952/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 44597
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2006:0420.1A952.05.0A
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Eine Klassenfahrt gehört zur "außerunterrichtlichen" Arbeit von Lehrkräften und ist durch deren Pflichtstundenzahl nicht erfasst.
- 2.
Nur die messbare Pflichtstundenzahl ist Ausgangspunkt und Grundlage der Lehrerbesoldung, die jedoch als Alimentation auch den Zeitaufwand für sonstige pädagogische Aufgaben grundsätzlich mitumfasst.
- 3.
Die Regelungen zu Lehrerpflichtstunden und zu Arbeitszeitkonten durch bloße Verwaltungsvorschriften ist z.Z. (noch) unbedenklich.
- 4.
Betreuungsleistungen während einer Klassenfahrt stellen eine deutliche Mehrbelastung dar.
- 5.
Eine gleichheitswidrige Belastung fehlt solange, wie bei pauschalierender Betrachtung der Jahresarbeitszeit ein Ausgleich für Mehrbelastung erfolgt oder jedenfalls möglich ist.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Ausgleich für die Teilnahme an einer Klassenfahrt in Form einer Gutschrift auf ihrem Arbeitszeitkonto.
Die Klägerin ist als Grundschullehrerin Beamtin auf Lebenszeit und unterrichtet an der Grundschule F. in G.. Ihr ist antragsgemäß Teilzeitbeschäftigung (mit 18 Wochenstunden) unter Ermäßigung der regelmäßigen wöchentlichen Regelstundenzahl mit entsprechend reduzierten Bezügen nach § 87 a NBG genehmigt worden (so Bescheid v. 6. August 2002 mit Folgebescheiden 2003-2005). In der Zeit vom 5. bis zum 9. September.2005 nahm sie an einer Klassenfahrt zur Insel H. teil.
Im Anschluss daran beantragte sie unter Bezug auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 22.8.2001 (- 5 AZR 108/00 - / BAGE 98, 368 = PersR 2003, 47), ihr für die Dauer der Klassenfahrt Dienstbezüge entsprechend den Bezügen einer vollbeschäftigten Lehrkraft zu gewähren, was durch Bescheid vom 27. Oktober 2005 unter Hinweis auf das Urteil des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 29.10.1996 - 5 L 2997/95 - (bestätigt durch Beschluss des BVerwG vom 5.9.1997 - 2 B 12.97 -) jedoch abgelehnt wurde.
Daraufhin hat die Klägerin am 25. November 2005 Klage erhoben und hervorgehoben, dass sie ihren Antrag mit der Klage abändere: Es gehe ihr nicht mehr um eine zusätzliche Vergütung, sondern nunmehr um Zeitausgleich. Die so geänderte Klage sei zulässig, weil - wäre die Änderung im gerichtlichen Verfahren vorgenommen worden - eine entsprechende Klageänderung sachdienlich iSv § 91 VwGO wäre. Im Übrigen verweist sie zur Begründung darauf, dass sie zwar - wie alle anderen Lehrkräfte auch - für die Teilnahme an der Klassenfahrt eine "Gutschrift" von 4 Unterrichtsstunden erhalten habe, aber diese mindere ihren fortbestehenden Anspruch auf Zeitausgleich nicht.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihrem Arbeitszeitkonto 10 Unterrichtsstunden gutzuschreiben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen,
und verweist zur Begründung auf ein Urteil der Kammer vom 15.12.2004 - 1 A 305/03 -, welches vom Nds. Oberverwaltungsgericht durch Beschluss vom 31.5.2005 - 5 LA 28/05 - bestätigt worden sei.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden entschieden werden kann, ist zulässig, aber nicht begründet.
Angesichts dessen, dass sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 21.12.2005 auf die geänderte Klage rügelos eingelassen hat, ist die abgeänderte Klage zulässig.
Die zulässige Klage ist jedoch nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den begehrten Ausgleich für die Teilnahme an der Klassenfahrt, und zwar weder in Form einer Vergütung noch in Form von einem - wie mit der Klage von ihr jetzt begehrt - zusätzlichen Stundenausgleich. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Bei der Durchführung einer Klassenfahrt handelt es sich um eine nicht durch die reguläre Arbeitszeit einer Lehrerin erfassbare sog. "außerunterrichtliche" Verpflichtung. Zwischen der Ausgestaltung und der Messbarkeit der Arbeitszeit von Lehrkräften auf der einen und von anderen Beamten mit festen Dienstzeiten auf der anderen Seite besteht ein wesentlicher Unterschied, der es dem Dienstherrn aufgrund seines Ermessensspielraums ermöglicht, lediglich die von einer Lehrkraft zu leistenden Pflichtunterrichtsstunden zum Ausgangspunkt für die Höhe der Besoldung nach § 6 Abs. 1 BBesG zu nehmen. Denn die Arbeitszeit der Lehrkräfte ist nur hinsichtlich ihrer abzuleistenden (Pflicht-) Unterrichtsstunden überhaupt messbar, während der Zeitaufwand für die übrigen pädagogischen Aufgaben (Vorbereitungen, Elternbesuche, Dienstbesprechungen, Konferenzen usw.) nicht in präzise messbarer und überprüfbarer Form, sondern nur grob pauschalierend bestimmt werden kann.
Daher ist es dem Dienstherrn überlassen, durch eine bloße Pflichtstundenregelung (§ 3 der ArbZVO-Lehr idF v. 2.8.2004, Nds. GVBl. S. 302) die für Lehrkräfte geltende Arbeitszeit zu konkretisieren und hieraus - bundesrechtlich - besoldungsrechtliche Konsequenzen zu ziehen (vgl. § 20 BBesG iVm Anlage I, dort u.a. BBesGr A 12). Dabei ist im Hinblick auf die maßgebliche Arbeitszeit und Besoldung eine Aufspaltung in Pflichtstunden und solche pädagogischen Aufgaben, die als "außerunterrichtlicher" Aufwand daneben erfüllt werden (wie z. B. hier die Teilnahme an Klassenfahrten), nicht zulässig. Gerade hierin liegt der grundlegende Unterschied zum Vergütungsrecht der Angestellten und Arbeiter. Während deren Vergütung als vertragliche Gegenleistung für konkret erbrachte Leistungen anzusehen ist, stellt die Beamtenbesoldung im Sinn einer Alimentation einen Ausgleich für die Wahrnehmung der Gesamtheit aller dienstlichen Funktionen dar (BVerwG, Beschl. v. 5.9.1997 - 2 B 12.97 -; Nds. OVG, Urt. v. 29.10.1996 - 5 L 2997/95 -). Aus diesem Grund konnte der Hinweis der Klägerin auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 22. August 2001 nicht durchgreifen, ist der entsprechende Antrag daher auch zu Recht durch Bescheid vom 27. Oktober 2005 abgelehnt worden.
2. Die Tatsache, dass die Arbeitszeit der Lehrer - wie auch der übrigen Beamten (vgl. Nds. ArbZVO) - in Teilen lediglich im Verordnungswege durch bloße Verwaltungsvorschriften und nicht durch ein parlamentarisches Gesetz verbindlich geregelt und festgelegt worden ist, gibt zu Bedenken grundsätzlicher Art (noch) keinen Anlass. Vgl. dazu v. Roetteken in Anm. zu BVerwG v. 21.9.2005 - 2 B 25/05 - v. 7.12.2005 in jurisPR-ArbR 49/2005 Anm. 4:
"Die Auffassung des BVerwG zur Zulässigkeit von Pflichtstundenregelungen durch Verwaltungsvorschrift wird von einigen zweitinstanzlichen Gerichten geteilt (...). Dabei wird allerdings betont, nur im Hinblick auf die bereits durch Rechtssatz erfolgte allgemeine Arbeitszeitregelung für Beamte sei der Gesetzesvorbehalt gewahrt, müsse doch die Lehrerarbeitszeit das dadurch aufs Jahr vorgegebene Maß der Arbeitszeit einhalten..."
"...Geht man für das jeweilige Bundesland von der normativen Geltung des allgemeinen für Beamte geltenden Arbeitszeitrechts aus und rechnet man insoweit die wöchentliche Arbeitszeit in eine Jahresarbeitszeit um, besteht allerdings kein Anlass, im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt Pflichtstundenregelungen nur in Gestalt eines Gesetzes oder einer auf Gesetz beruhenden Norm zuzulassen. Da sich das Maß der zeitlichen Beanspruchung im Lehrerdienst aufs Jahr gerechnet bereits aus den Normen des Beamtenarbeitszeitrechts ergibt, kann die Festlegung der Pflichtstunden auch als bloße Ausübung des dienstlichen Weisungsrechts im Sinne von Vorschriften, die § 55 Satz 2 BBG gleichen, verstanden werden.
"...Das BVerwG hatte sich in seinem Beschluss auch mit der Frage zu befassen, ob im Sinne der Rechtsfortbildung nach wie vor an dem Prüfungsmaßstab festgehalten werden kann, dass sich der Umfang der außerunterrichtlichen Tätigkeit eines Lehrers nur grob pauschalierend schätzen lassen könne, wobei dem Verordnungsgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe."
3. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Betreuungsleistungen und sonstigen pädagogischen Aufgaben während einer Klassenfahrt, die sich über mehrere Tage erstreckt, unzweifelhaft eine deutliche Mehrbelastung des teilzeitbeschäftigten Lehrers darstellen. Vgl. Deinert in Anm. zu BVerwG-Urt. v. 23.9.2004 - 2 C 61/03 - (BVerVGE 122, 65 f.) v. 13.4.2005 in jurisPR -ArbR 15/2005 Anm. 3:
"Auch wenn die Bemessung der Vergütung nach der Pflichtstundenzahl erfolgt und alle anderen Arbeiten des Lehrers als nicht messbar mit der Vergütung abgegolten sind, lässt sich doch nicht leugnen, dass die Rund-um-die-Uhr-Betreuung anlässlich einer Klassenfahrt zu einer nennenswerten Mehrbelastung und -verantwortung des teilzeitbeschäftigten Lehrers führt."
Dieser Mehrbelastung ist im vorliegenden Fall mit der "Gutschrift" von 4 Unterrichtsstunden Rechnung getragen worden, so dass schon deshalb - bei grob pauschalierender Betrachtung der Jahresarbeitszeit der Klägerin - ein hinreichender Ausgleich gewährt worden ist, u.zw. auch angesichts dessen, dass ein solcher Ausgleich unterschiedslos allen - auch den vollzeitig beschäftigten - Lehrkräften gewährt wird. Bei einer nur grob pauschalierenden Betrachtung der Gesamtarbeitszeit ist das rechtlich nicht zu beanstanden.
Darüber hinaus hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 23. September 2004 (- 2 C 61.03 - / BVerwGE 122, 65 f. = NVwZ 2005, 594 f.) festgestellt, dass eine gleichheitswidrige Belastung der Lehrer, die an einer Klassenfahrt teilgenommen haben, nur dann vorliegt, wenn ihnen während des maßgeblichen Zeitraums der Teilzeitbeschäftigung kein Ausgleich gewährt werden kann.
Ein derartiger Ausgleich im Sinne des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts kann jedoch in Niedersachsen gewährt werden: Insoweit ist auf die entsprechenden Erlasse des Niedersächsischen Kultusministeriums hinzuweisen, nämlich den über die "Teilzeitbeschäftigung von Lehrkräften nach §§ 80 a und 87 a NBG" vom 28. August 1995 bzw. 30. Dezember 2004 und die speziellen für die Teilnahme von teilzeitbeschäftigten beamteten Lehrern an Klassenfahrten ergangenen Erlasse vom 7. Oktober 2002 und 26. Januar 2005. Insbesondere die entsprechend dem Umfang der Reduzierung hinsichtlich Dauer und Anzahl der Klassenfahrten vorgegebene reduzierte Inanspruchnahme dieser Lehrer stellt - bei pauschalierender Betrachtung der Jahresarbeitszeit - einen hinreichenden Ausgleich für die pädagogische Mehrbelastung durch eine Klassenfahrt dar. Hierbei kommt es nach dem Bundesverwaltungsgericht nicht darauf an, ob von dieser in den Erlassen genannten Maßnahmen bisher tatsächlich Gebrauch gemacht worden ist. Ebensowenig kommt es darauf an, ob sich für eine mit einem Bruchteil der vollen Wochenstunden beschäftigten Lehrerin - wie die Klägerin - ein mathematisch exakter Ausgleich herstellen lässt, wenn sie nur an jeder zweiten (oder dritten oder vierten usw.) Klassenfahrt teilzunehmen hat. Es genügt, dass es möglich ist, jedenfalls einen annähernden Ausgleich für die Mehrbelastung zu schaffen. Dies ist nach den Regelungen in Niedersachsen eindeutig der Fall (vgl. insoweit Urteil der Kammer v. 22.6.2005 - 1 A 357/03 - ).
Darüber hinaus ist entgegen der Rechtslage in Schleswig-Holstein, wo die Teilnahme der Lehrer an Klassenfahrten verpflichtend ist, die Teilnahme an Klassenfahrten in Niedersachsen für die Lehrer "freiwillig". Der an einer Klassenfahrt teilnehmende Lehrer, der sich damit pädagogischen Aufgaben - ähnlich wie bei Elternbesuchen - aus Verantwortungs- und Pflichtgefühl und zum Zwecke der Erfüllung langfristiger Erziehungsaufgaben unterzieht, hat es selbst in der Hand, sich entsprechend der Teilzeitreduzierung über einen längeren Zeitraum einen Ausgleich zu verschaffen. Bei grob pauschalierender Betrachtung der Gesamtarbeitszeit ist das ein ausreichender Ausgleich.
Ein Anspruch gerade auf Freizeitausgleich für die konkrete Klassenfahrt hat die Klägerin angesichts dieser Sach- und Rechtslage daher nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe, die Berufung nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO zuzulassen, sind nicht gegeben.