Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 01.11.1993, Az.: 1 W 26/93
Kündigung eines Mietvertragsverhältnisses über Wohnraum wegen Eigenbedarfs für Angehörige; Individualisierende Betrachtungsweise im Mietrecht; Vorlagepflicht oder Vorlagerecht des Landgerichts; Begriff der Familie; Begriff und Eigenschaft der Familienangehörigen; Erfordernis einer persönlichen Beziehung zwischen Vermeiter und begünstigter Person bei Kündigung wegen Eigenbedarfs
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 01.11.1993
- Aktenzeichen
- 1 W 26/93
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1993, 18871
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1993:1101.1W26.93.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG ... - AZ: 7 S 61/93
- AG ... - AZ: 16 C 366/92
Rechtsgrundlagen
- § 564b Abs. 2 Nr. 2 BGB
- Art. 14 GG
Fundstellen
- AZRT 1994, 27
- FamRZ 1994, 1246-1247 (amtl. Leitsatz)
- NJW-RR 1994, 597-598 (Volltext mit amtl. LS)
- WuM 1993, 731-732 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Räumung einer Mietwohnung
Redaktioneller Leitsatz
Für die Cousine kann Eigenbedarf geltend gemacht werden, da sie Familienangehörige i. S. v. § 564b Abs. 2 Nr. 2 BGB ist, sofern zwischen ihr und dem Vermieter eine enge Bindung i. S. e. sozialen Kontakts besteht.
In dem Rechtsstreit
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
durch
den Präsidenten des Oberlandesgerichts ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
am 1. November 1993
beschlossen:
Tenor:
Es ergeht folgender Rechtsentscheid:
Ein Abkömmling einer Schwester der Mutter des Vermieters ist Familienangehöriger i. S. von § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB, sofern weitere besondere Umstände vorliegen, die eine enge Bindung des Vermieters zu dieser Person ergeben.
Gründe
I.
Der Kläger vermietete dem Beklagten durch schriftlichen Vertrag vom 29.09.1980 eine Drei-Zimmer-Wohnung in seinem Haus in .... Mit Schreiben vom 19.06.1991 kündigte er diesen Vertrag wegen Eigenbedarfs fristgerecht zum 31.07.1992 unter Hinweis auf das Widerspruchsrecht des Beklagten. Zur Begründung des Eigenbedarfs teilte er in dem Schreiben mit, er benötige die Wohnung für seine Cousine ... die aus Polen nach Deutschland gekommen sei und mit vier Personen in einer 14 qm großen Sozialwohnung lebe. Sechs Wochen vor Ablauf der Kündigungsfrist forderte der Kläger den Beklagten auf, die Kündigung zu bestätigen, da er sonst davon ausgehe, daß dieser nicht ausziehen wolle; in diesem Fall werde er Räumungsklage erheben. Der Beklagte räumte die Wohnung nicht. Am 05.08.1992 reichte der Kläger die Räumungsklage beim Amtsgericht ... ein. Diese Klage wurde am 02.09.1992 zugestellt.
Der Kläger meint, seine Cousine sei Familienangehörige i.S.v. § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB, so daß er zur Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs berechtigt sei. Seine Verwandte lebe außerdem in unzumutbaren Verhältnissen. Es komme hinzu, daß Frau ... sich bereit erklärt habe, ihn - den Kläger - in seinen alten Tagen zu betreuen. Er sei zu 80 % schwerbehindert und nach dem Tod seiner Ehefrau kaum in der Lage, mit seiner Lebensführung zurechtzukommen.
Der Beklagte tritt der vom Kläger geäußerten Rechtsansicht entgegen. Er ist außerdem der Auffassung, daß sich das Mietverhältnis nach § 568 BGB auf unbestimmte Zeit verlängert habe, da der Kläger nicht innerhalb von zwei Wochen nach Ablauf der Kündigungsfrist Klage erhoben habe. Schließlich behauptet der Beklagte, der Kläger habe ihm zu einem Zeitpunkt, als dessen Cousine bereits in Deutschland gewohnt habe, zugesichert, er könne so lange in der Wohnung bleiben, wie er wolle.
Das Amtsgericht ... der Klage durch Urteil vom 03.02.1993 nach Vernehmung der Frau ... stattgegeben und den Beklagten zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verurteilt. Gegen diese Entscheidung hat der Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
Das Landgericht ... hat am 02.08.1993 beschlossen, einen Rechtsentscheid über folgende Fragen einzuholen:
- 1.
Gehört ein Abkömmling einer Schwester der Mutter des Vermieters zum Personenkreis des § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB?
- 2.
Kommt es bei der Beurteilung der Eigenschaft eines Familienangehörigen im vorstehenden Sinne auf das Hinzutreten weiterer besonderer Umstände an, die eine enge Bindung des Vermieters zu dieser Person ergeben?
Das Landgericht hat zuvor Stellungnahmen der Parteien zu seiner beabsichtigten Verfahrensweise eingeholt.
II.
Die Vorlage ist zulässig. Die gestellten Fragen sind entsprechend der vom Landgericht vertretenen Auffassung dahin zu beantworten, daß ein Abkömmling einer Schwester der Mutter des Vermieters, also dessen Cousine (Verwandtschaft vierten Grades in der Seitenlinie) Familienangehöriger i.S.v. § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB ist, sofern zwischen beiden eine enge Bindung im Sinne eines sozialen Kontakts besteht.
1.
Die Vorlage ist nach § 541 Abs. 1 S. 1, 2. Halbsatz ZPO zulässig. Die Rechtsfragen betreffen den Bestand eines Mietvertragsverhältnisses über Wohnraum; sie sind gesetzlich nicht geregelt und - soweit ersichtlich ist - bisher durch Rechtsentscheid eines Oberlandesgerichts noch nicht entschieden; außerdem haben die Fragen grundsätzliche Bedeutung.
a)
Der Vorlagebeschluß geht zutreffend davon aus, daß der Begriff der Familienangehörigen in § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB selbst nicht definiert ist. Eine Anlehnung an den entsprechenden Begriff in § 8 Abs. 2 des H. Wohnungsbaugesetzes kommt nach herrschender Meinung nicht in Betracht, weil dieses Gesetz mit der Förderung des sozialen Wohnungsbaus einen anderen Zweck verfolgt. Dabei mag eine generalisierende Betrachtungsweise im Interesse der Gleichbehandlung geboten sein. Vorliegend geht es aber darum, ob ein Individual-Schuldverhältnis aufgelöst werden kann, das grundsätzlich Bestandsschutz genießt. Aus diesem Grund ist im Mietrecht eine individualisierende Betrachtungsweise geboten (vgl. Sternel, Mietrecht, 3. Aufl. 1988, IV. Rdn. 139; Staudinger-Sonnenschein, BGB, 12. Aufl. 1978, § 564 b Rdn. 61; Palandt/Putzo, BGB, 51. Aufl., § 564 b Rdn. 45, jew.m.w.N.).
Die Fragen des Vorlagebeschlusses haben auch grundsätzliche Bedeutung. Denn es ist zu erwarten, daß diese bei der Kündigung wegen Eigenbedarfs bedeutsamen Probleme auch künftig wiederholt auftreten und auch unterschiedlich beantwortet werden. Die vom Landgericht gestellten Fragen sind, wie es weiter erforderlich ist (Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl., § 541 Rdn. 12 m.w.N.), noch nicht durch den Bundesgerichtshof oder eine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung geklärt.
Die Antwort auf die Frage, ob zur Blutsverwandtschaft weitere besondere Umstände hinzutreten müssen, ist in einigen Entscheidungen von Amts- und Landgerichten angesprochen bzw. als unproblematisch vorausgesetzt worden (vgl. dazu Belege unter 2.). Durch Rechtsentscheid eines Oberlandesgerichts ist das Problem aber noch nicht behandelt worden.
b)
Die Vorlagefragen sind auch für die Entscheidung über die eingelegte Berufung erheblich. Das um einen Rechtsentscheid angegangene Gericht hat von Amts wegen die Entscheidungserheblichkeit zu prüfen, und zwar auf der Grundlage der Tatsachenfeststellung und der Rechtsanwendung des Landgerichts (OLG Celle NdsRpfl. 1984, 43, 44 m.w.N.).
Zwar erscheint der Einwand des Beklagten, das Mietverhältnis habe sich gemäß § 568 BGB auf unbestimmte Zeit verlängert, weil der Kläger nicht innerhalb von zwei Wochen nach Ablauf der Mietzeit seinen Widerspruch gegen die Fortsetzung des Mietverhältnisses erklärt habe, nicht von vornherein unberechtigt. Das Landgericht hat jedoch seine Ansicht, daß ein Fortsetzungswiderspruch auch schon vor Ablauf der Frist abgegeben werden könne, nachvollziehbar dargelegt (Seite 5 des Beschlusses). Die Ansicht des Landgerichts ist im Ergebnis nicht offensichtlich unhaltbar und daher von dem um den Erlaß eines Rechtsentscheids angerufenen Gericht hinzunehmen (OLG Karlsruhe NJW 1990, 581 [OLG Karlsruhe 18.10.1989 - 3 ReMiet 1/89] m.w.N.; OLG Hamm Wohnungswirtschaft und Mietrecht = WuM 1985, 213, 214 [OLG Hamm 22.04.1984 - 4 RE Miet 7/84]; OLG Celle a.a.O.; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1981, 39; OLG Hamburg WuM 1986, 12 [OLG Hamburg 26.09.1985 - 4 U 62/85]). Der Mietrechtsstreit bleibt trotz des Vorlagebeschlusses beim Landgericht anhängig, und es ist nicht Aufgabe des Oberlandesgerichts, zu Problemen des konkreten Falles Stellung zu nehmen, die die vorgelegten Rechtsfragen nicht unmittelbar betreffen.
Der Erheblichkeit der vom Landgericht gestellten Fragen steht nicht entgegen, daß bei Schlüssigkeit des Vorbringens des Beklagten vermutlich eine Beweisaufnahme über die Behauptung zu erfolgen hätte, der Kläger habe ihm zu einem Zeitpunkt, als seine Cousine bereits in Deutschland war, zugesagt, er dürfe in der Wohnung bleiben, solange er wolle. Wenn es von der Beantwortung einer Rechtsfrage abhängt, ob sofort ein Urteil ergehen kann oder zunächst eine Beweisaufnahme notwendig wird, besteht für das Landgericht aus Gründen der Prozeßökonomie eine Vorlagepflicht oder zumindest ein Vorlagerecht (BGHZ 101, 244, 249 [BGH 01.07.1987 - VIII ARZ 2/87]; OLG Karlsruhe NJW 1990, 581 [OLG Karlsruhe 18.10.1989 - 3 ReMiet 1/89]; Baumbach/Albers, ZPO, 51. Aufl., § 541 Rdn. 6 m.w.N.). Falls das Landgericht erst den erforderlichen Beweis erheben würde, dann aber wegen der Entscheidungserheblichkeit einer bestimmten Rechtsfrage gleichwohl die Sache dem Oberlandesgericht vorlegen müßte, könnte sich ergeben, daß die Beweisaufnahme für die Entscheidung über die Berufung bereits aus Rechtsgründen unerheblich gewesen ist. Damit wären vermeidbare Kosten entstanden.
Dem Vorlagebeschluß ist zu entnehmen (Seite 8), daß das Landgericht aufgrund der vom Amtsgericht durchgeführten Beweisaufnahme offenbar das Vorhandensein einer engen Bindung zwischen dem Kläger und seiner Cousine für gegeben ansieht. Dieser Umstand steht der Zulässigkeit der Vorlagefrage 2. nicht entgegen. Das Landgericht könnte diese Frage aufgrund seiner Beweiswürdigung im Ergebnis wohl unbeantwortet lassen. Dennoch ist eine Stellungnahme des Senats zum Zweck der besseren Abgrenzung des Begriffs des Familienangehörigen i.S.v. § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB und damit zur genaueren Beantwortung der ersten Frage erforderlich.
c)
Das Landgericht hat die Vorlagefragen abstrakt und präzise gestellt. Die Fragen sind entgegen der Behauptung des Beklagten auch unabhängig vom konkreten Streitfall zu beantworten. Zwar ist das Oberlandesgericht zur Entscheidung des Mietrechtsstreits der Parteien nicht zuständig, darf also dem Landgericht insoweit den Inhalt des von ihm zu treffenden Urteils nicht vorschreiben. Wenn das um einen Rechtsentscheid angegangene Oberlandesgericht die vom Berufungsgericht gestellten Rechtsfragen beantworten will, kann das aber zur Folge haben, daß das Oberlandesgericht sich mit Problemen des konkreten Falles befassen muß, auch wenn diese die Vorlagefragen nicht unmittelbar betreffen, für deren Entscheidungserheblichkeit aber von Bedeutung sind. Das geschieht allerdings nur mittelbar und ohne Bindung des Landgerichts. Die im Vorlagebeschluß formulierten Rechtsfragen dürfen vom Oberlandesgericht nur dann beantwortet werden, wenn es auf sie zur Entscheidung über die Berufung ankommt.
2.
Der Senat beantwortet die vorgelegten Rechtsfragen, wie aus dem Tenor der Entscheidung ersichtlich ist.
a)
Die Vorschrift des § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB beschreibt den Begriff des Familienangehörigen nicht. Zur näheren Bestimmung des Begriffs liegt es nahe, zunächst auf das Familienrecht zurückzugreifen. Familie, und zwar eine Großfamilie, ist danach die Gesamtheit der durch Ehe oder Verwandtschaft verbundenen Personen. Eltern und Kinder bilden eine Kleinfamilie (MüKo/Rebmann, BGB, 2. Aufl., Bd. V., 1. Halbband, Einleitung Rdn. 2 m.w.N.). Zu den Angehörigen einer Familie gehören demgegenüber auch Stief- und Pflegekinder sowie Pflegeeltern. Nach diesen im Familienrecht gebräuchlichen Bezeichnungen ist ein weiblicher Abkömmling einer Schwester der Mutter des Vermieters, also dessen Cousine, Familienangehöriger. Vermieter und Cousine sind miteinander verwandt, da sie von derselben Großmutter abstammen.
Bei dem Versuch einer Beschreibung des Begriffs i.S. von § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB besteht Einigkeit darüber, daß die Person, deretwegen eine Kündigung wegen Eigenbedarfs möglich ist, Angehöriger im familienrechtlichen Sinn sein müsse und daß ein bestimmter Verwandtschaftsgrad nicht gefordert werden könne (Palandt/Putzo, a.a.O., § 564 b Rdn. 45; LG Münster WuM 1991, 107 [LG Münster 22.11.1990 - 8 S 334/90]). Die Rechtsprechung hat im übrigen jeweils Einzelfallentscheidungen getroffen. Danach sind Ehegatten, Kinder, Eltern (OLG Karlsruhe NJW 1982, 889 [OLG Karlsruhe 14.01.1982 - 9 ReMiet 3/81]; AG München WuM 1990, 511 [AG München 15.06.1990 - 237 C 12944/90]), Großeltern und Enkel (AG Köln WuM 1989, 250 [AG Köln 21.12.1988 - 211 C 440/88]) Familienangehörige i.S.v. § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB. Das Gleiche gilt für Schwiegereltern (AG Friedberg/Hessen WuM 1985, 116). Für eine Tante der Ehefrau des Vermieters (Schwägerschaft im dritten Grad in der Seitenlinie) wurde ebenfalls die Angehörigeneigenschaft bejaht, allerdings zusätzlich ein besonderer persönlicher Kontakt verlangt (AG Frankfurt WuM 1991, 108). Auch für Stiefkinder (LG München I. WuM 1990, 23 - nur Leitsatz) und für Neffen des Vermieters (LG Münster WuM 1991, 107 [LG Münster 22.11.1990 - 8 S 334/90]; AG München WuM 1990, 511 [AG München 15.06.1990 - 237 C 12944/90]; AG Oldenburg WuM 1990, 512 [AG Oldenburg 10.09.1990 - 19 C 381/90 XXIII]) wurde eine besondere enge Beziehung gefordert.
Daß grundsätzlich auch die Cousine als Familienangehörige i.S. von § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB anzusehen ist, erscheint im Hinblick auf das Eigentumsrecht des Vermieters nach Art. 14 GG erforderlich. Würde man den Begriff des Familienangehörigen etwa nur auf Verwandte in gerader Linie begrenzen, wäre dies eine unzulässige Einschränkung des Verfügungsrechts des Vermieters, zumal der Gesetzestext keine Anhaltspunkte für diese Auslegung enthält. Eine derartige Vorgehensweise wäre kaum sachgerecht zu begründen und erschiene willkürlich.
b)
Wenn der Vermieter die Wohnung für einen Abkömmling einer Schwester seiner Mutter benötigt und deshalb Eigenbedarf geltend macht, müssen jedoch weitere besondere Umstände hinzutreten, um die Kündigung zu rechtfertigen.
Die Frage, ob in ähnlichen Fällen derartige weitere Umstände, vor allem eine besondere Nähe-Beziehung, erforderlich sind, ist in verschiedenen Gerichtsentscheidungen angesprochen worden, ohne daß allerdings Rechtsentscheide von Oberlandesgerichten ergangen sind (vgl. LG Braunschweig WuM 1972, 127, 129 zu § 1 Abs. 2 Nr. 2 KüSchG; AG München WuM 1990, 511, 512 [AG München 15.06.1990 - 237 C 12944/90]; AG Oldenburg WuM 1990, 512 [AG Oldenburg 10.09.1990 - 19 C 381/90 XXIII]; AG Frankfurt WuM 1991, 108). Es ist unstreitig, daß der Begriff des Familienangehörigen eingegrenzt werden muß, um andererseits auch die Interessen des Mieterschutzes angemessen berücksichtigen zu können. Auch der Gesetzeswortlaut deutet auf eine derartige Begrenzung hin. Wenn der Vermieter sich darauf berufen will, daß er die Wohnung für sich oder seine Familien-"angehörigen" benötige, bedeutet dies, daß er die Wohnung für sich selbst bzw. die ihm nahe verbundenen Personen beansprucht ("Eigen-"bedarf). Um den Kreis der Berechtigten angemessen zu begrenzen, wird in Rechtsprechung und Literatur bei weiter entfernten Familienangehörigen nahezu übereinstimmend ein besonderer sozialer Kontakt gefordert, der eine sittliche Verantwortung für den Wohnbedürftigen ergibt; es müßten auch familiäre Bindungen bestehen, ohne daß die Eigenschaft als lediglich Familienangehöriger ausreiche (Sternel, a.a.O., IV. Rdn. 139 m.w.N.; AG München WuM 1990, 511 [AG München 15.06.1990 - 237 C 12944/90]; AG Frankfurt WuM 1991, 108).
Diese Erfordernisse sind jedenfalls für das vorliegend zu beurteilende Verwandtschaftsverhältnis sachgerecht. Zweck der Kündigung wegen Eigenbedarfs ist es, dem Vermieter die Möglichkeit zu geben, sein Eigentum selbst oder durch Angehörige zu nutzen. Der im Mietrecht ebenfalls zu berücksichtigende Mieterschutz gebietet es, den zunächst weit auszulegenden Begriff des Familienangehörigen angemessen zu begrenzen. Zu diesem Zweck erscheint es erforderlich, über die Blutsverwandtschaft hinaus bei Verwandten 4. Grades in der Seitenlinie eine besondere persönliche Beziehung zwischen dem Vermieter und der begünstigten Person zu verlangen. Bei Verwandten in gerader Linie ist eine derartige Beziehung zu vermuten, bei weiter entfernten Verwandtschaftsverhältnissen aber nicht mehr ohne weiteres anzunehmen. Sie muß dann im Einzelfall nachgewiesen werden. Anhaltspunkte für eine Grenzziehung zwischen beiden Bereichen können den Vorschriften der Prozeßordnungen über das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen entnommen werden, denen ebenfalls eine vergleichbare Wertung zugrunde liegt (inhaltsgleich: § 383 Abs. 1 Nr. 1-3 ZPO sowie § 52 Abs. 1 Nr. 1-3 StPO). Das Erfordernis einer besonderen persönlichen Beziehung bei entfernteren Angehörigen ist am ehesten geeignet, den mit Fürsorge für die eigene Familie begründeten Bedarf des Vermieters nachvollziehbar zu machen, um ein Abgrenzungskriterium zu schaffen zwischen seinen schutzwürdigen Belangen und denjenigen des Mieters, die ebenfalls schutzbedürftig sind. Dadurch wird auch der Vermieter nicht unbillig belastet, da der Nachweis einer engen Beziehung im Regelfall unschwer wird erbracht werden können.