Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.09.2014, Az.: 10 WF 272/14

Ermittlung des einzusetzenden Einkommens im Rahmen der PKH/VKH

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.09.2014
Aktenzeichen
10 WF 272/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 23397
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2014:0905.10WF272.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 21.08.2014

Fundstellen

  • FamRZ 2015, 350
  • JurBüro 2014, 648-649
  • MDR 2014, 1288
  • NZS 2014, 953-954

Amtlicher Leitsatz

1. Zu den "Kosten der Unterkunft und Heizung" i.S.d. § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO gehören über die Kaltmiete und die direkten Heizkosten hinaus auch alle weiteren Mietnebenkosten, soweit diese nicht ausdrücklich bereits bei der Herleitung des Regelbedarfs berücksichtigt sind (vgl. bereits Senatsbeschluß vom 2. Dezember 2010 - 10 WF 362/10 - MDR 2011, 257 f. = JurBüro 2011, 145 f. = FuR 2011, 175 f. = BeckRS 2010, 30725 = juris = FamRZ 2011, 911 [Ls]).

2. In die Bestimmung des Regelbedarfs nach dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz sind - anders als bei früheren Ermittlungen - gesonderte Kosten für die Wasserversorgung nicht (mehr) eingeflossen. Entsprechende Aufwendungen sind daher seit Januar 2011 als Unterkunftskosten im Rahmen der Einkommensermittlung für die PKH/VKH berücksichtigungsfähig (Anschluß an OLG Frankfurt, Beschluß vom 14. Mai 2013 - 4 WF 74/13 = NJW 2013, 2370 f. = FamRZ 2014,410 f = juris; OLG Brandenburg, Beschluß vom 29. Mai 2013 - 15 WF 129/13 = FamRZ 2013, 1596 f. = NJW 2013, 3108 f. = juris; OLG Saarbrücken, Beschluß vom 23. Dezember 2013 - 6 WF 187/13 - MDR 2014, 408 f. = juris; OLG Dresden, Beschluß vom 15. Januar 2014 - 20 WF 1200/13 - MDR 2014, 241 f. = FamRZ 2014, 962 [Ls] = juris; Abgrenzung zum Senatsbeschluß vom 2. Dezember 2010 - aaO. - zur früheren Rechtslage).

3. Da bei der Herleitung des Regelbedarfs seit Januar 2011 mithin allein die Haushaltsenergie in Form von Strom bereits berücksichtigt ist, handelt es sich bei allen anderen Mietnebenkosten um "Kosten der Unterkunft und Heizung" i.S.d. § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO, die vom im Rahmen der VKH/PKH einzusetzenden Einkommen abzusetzen sind.

4. Bei der Ermittlung des im Rahmen der VKH/PKH einzusetzenden Einkommens sind aufgrund der Rechtsänderung zum 1. Januar 2014 gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 ZPO - abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des BGH (Beschluß vom 5. Mai 2010 - XII ZB 65/10 - FamRZ 2010, 2436 ff = MDR 2010, 948 = NJW-RR 2011, 3 f. = juris) - auch die Mehrbedarfe nach § 21 des SGB II bzw. § 30 SGB XII abzusetzen, also insbesondere auch die Mehrbedarfssätze für Alleinerziehende gemäß § 30 Abs. 3 SGB XII.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 21. August 2014 im Ausspruch zur Ratenanordnung geändert und insoweit angeordnet:

Die Antragstellerin hat derzeit keine Raten auf die Verfahrenskosten zu leisten.

Gründe

I.

Die Antragstellerin hat im vorliegenden, im Juli 2014 eingeleiteten Verfahren den Erlaß einer einstweiligen Gewaltschutzanordnung gegen den Antragsgegner betrieben, die nach persönlicher Anhörung am 30. Juli 2014 ergangen ist. Im Anhörungstermin haben die Beteiligten zudem eine Vereinbarung zum Umgang des gemeinsamen Kindes geschlossen.

Das Amtsgericht hat sodann mit Beschluß vom 21. August 2014 der Antragstellerin die für das Verfahren sowie die Umgangsvereinbarung nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe (VKH) unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten bewilligt und ihr zugleich die Zahlung von monatlichen Raten in Höhe von 99 € auf die Verfahrenskosten auferlegt.

Gegen diese Ratenzahlungsauflage richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin, die auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung auch eines Mehrbedarfs als Alleinerziehende hinweist, und die Mietnebenkosten insgesamt für berücksichtigungsfähig erachtet. Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 1. September 2014 der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat vorgelegt. Der Einzelrichter hat die Sache zur Entscheidung auf den Senat übertragen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Im Streitfall ist das Amtsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Antragstellerin über ein einzusetzendes Einkommen verfüge, aus dem sich für sie eine Verpflichtung zur Zahlung von Raten auf die Verfahrenskosten ergäbe. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

1. Die Antragstellerin verfügt ausweislich ihrer - einschließlich der erforderlichen Belege vorgelegten - Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aus dem Bezug von BAFöG-Leistungen, Wohngeld und Kindergeld über monatliche Einkünfte in einer Gesamthöhe von 1.779 €.

2. Davon hat das Amtsgericht zutreffend abgesetzt gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. a) ZPO die Freibeträge für die Antragstellerin (452 €) sowie ihrer beiden Kinder im Alter von einem bzw. acht Jahren unter Berücksichtigung des für die jüngere Tochter bezogenen Unterhaltsvorschusses (263 € + 299 € - 133 € = 429 €), gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 ZPO angemessene Versicherungsleistungen (Krankenversicherung und "Riestervertrag": 97,01 €), Studiengebühren (auf den Monat umgelegt 62,33 €) sowie angemessene Zins- und Tilgungsraten (50 €). Dies entspricht insgesamt einem Betrag von 1.090,34 €.

3. Als Unterkunfts- und Heizkosten gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO hat das Amtsgericht berücksichtigt 490 €, also die Kaltmiete (361,74 €), die Heizungskosten (82 €) sowie einen geschätzten Anteil der - in Höhe von 91 € zu leistenden - Mietnebenkosten, soweit er auf die Wasserver- und -entsorgung entfällt (46,26 €); der weitergehende Anteil der Mietnebenkosten sei dagegen aus dem Selbstbehalt zu decken.

a. Dabei hat das Amtsgericht jedoch übersehen, daß zu den nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 ZPO i.V. mit § 76 Abs. 1 FamFG in Abzug zu bringenden Kosten der Unterkunft und Heizung neben der Nettomiete (Kaltmiete) grundsätzlich auch die weiteren Betriebskosten zählen, soweit diese nicht ausnahmsweise bereits in dem nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 lit. a ZPO abzusetzenden Freibetrag enthalten sind (vgl. bereits Senatsbeschluß vom 2. Dezember 2010 - 10 WF 362/10 - MDR 2011, 257 f. = JurBüro 2011, 145 f. = FuR 2011, 175 f. = BeckRS 2010, 30725 = juris = FamRZ 2011, 911 [Ls]; OLG Saarbrücken, Beschluß vom 13. Dezember 2013 - 6 WF 191/13 - NZFam 2014, 410 f. = juris und Beschluß vom 23. Dezember 2013 - 6 WF 187/13 - MDR 2014, 408 f. = juris; OLG Koblenz Beschluß vom 3. Juli 1995 - 7 W 233/95 - FamRZ 1997, 679 f. = MDR 1995, 1165 f. = NJW-RR 1996, 1150 = juris; davon ausgehend auch BGH, Beschluß vom 8. Januar 2008 - VIII ZB 18/08 - FamRZ 2008, 781 = NJW-RR 2008, 595 = juris). Als derartige, bereits im Regelbedarf enthaltene Kosten kommen aber allein die Haushaltsenergie in Form von Strom (BT-Drucks. 17/3404, S. 55) sowie die Wasserver- und -entsorgung in Betracht. Insofern umfassen jedoch ausweislich der Aufstellung im Mietvertrag des konkreten Falls die Betriebskosten allein fragliche Kosten für Wasserver- und -entsorgung.

b. Zutreffend ist das Amtsgericht jedoch wiederum davon ausgegangen, daß - jedenfalls mittlerweile - auch die Kosten der Wasserver- und -entsorgung als Unterkunftskosten zu berücksichtigen sind.

aa. Auch der Senat ist in seinem Beschluß vom 2. Dezember 2010 (10 WF 362/10 - MDR 2011, 257 f. = JurBüro 2011, 145 f. = FuR 2011, 175 f. = BeckRS 2010, 30725 = juris = FamRZ 2011, 911 [Ls]) für den damaligen Zeitpunkt der seinerzeitigen ausdrücklichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Beschluß vom 8. Januar 2008 - VIII ZB 18/08 - FamRZ 2008, 781 = NJW-RR 2008, 595 = juris [Tz. 8]) gefolgt. Die Kosten der Wasserversorgung waren damals in § 2 Abs. 2 Nr. 3 der Verordnung zur Durchführung des § 28 des SGB XII (Regelsatzverordnung - RSV) ausdrücklich als regelsatzrelevante Verbrauchsausgaben erwähnt und somit bereits in den Regelsatz eingeflossen, so daß eine erneute Berücksichtigung im Rahmen der Wohnnebenkosten nicht in Betracht kam.

bb. Allerdings hat sich zwischenzeitlich die Rechtslage im maßgeblichen System der Sozialhilfe wesentlich geändert. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 3/09, 4/09 - BVerfGE 125, 175) hat der Gesetzgeber mit dem zum 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Gesetz zur Ermittlung des Regelbedarfs nach § 28 SGB XII (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz - RBEG, BGBl. I, 453) die Grundlagen des Regelbedarfs neu bestimmt und im einzelnen offengelegt. Der als Anlage zu Artikel 1 des Gesetzentwurfs veröffentlichten Aufstellung (BT-Drs. 17/3404, S. 139) sind unter lfd. Nr. 28 bis 67 die in die zugrundegelegte Einkommens- und Verbrauchsstichprobe für den Bereich "Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung" eingeflossenen Faktoren aufgeführt, ohne daß dabei aber Kosten für Wasserver- und -entsorgung enthalten wären. Von diesem Befund ist ausdrücklich auch das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 12. Juli 2012 (B 14 AS 153/11 R - BSGE 111, 211 ff. = juris [Tz. 68] im Rahmen der Überprüfung der Angemessenheit der Höhe des Regelbedarfs ausgegangen. Dementsprechend geht auch die neuere obergerichtliche Rechtsprechung davon aus, daß für die Zeit seit Januar 2011 die Wasserver- und -entsorgungskosten als Bestandteil der Mietnebenkosten im Rahmen der Unterkunftskosten zu berücksichtigen sind (OLG Frankfurt, Beschluß vom 14. Mai 2013 - 4 WF 74/13 = NJW 2013, 2370 f. = FamRZ 2014,410 f = juris; OLG Brandenburg - Beschluß vom 29. Mai 2013 - 15 WF 129/13 = FamRZ 2013, 1596 f. = NJW 2013, 3108 f. = juris; OLG Saarbrücken, Beschluß vom 23. Dezember 2013 - 6 WF 187/13 - MDR 2014, 408 f. = juris; OLG Dresden, Beschluß vom 15. Januar 2014 - 20 WF 1200/13 - MDR 2014, 241 f. = FamRZ 2014, 962 [Ls] = juris). Dem schließt sich der Senat ausdrücklich an.

c. Mithin sind im Streitfall auch die Mietnebenkosten uneingeschränkt zu berücksichtigen, so daß sich die maßgeblichen Unterkunfts- und Heizkosten auf 534,74 € belaufen.

4. Schließlich macht die Antragstellerin auch zutreffend geltend, daß zwischenzeitlich im Rahmen der Ermittlung des einzusetzenden Einkommens für PKH/VKH Mehrbedarfsbeträge zu berücksichtigen sind.

Zwar war der Bundesgerichtshof in seinem Beschluß vom 5. Mai 2010 (XII ZB 65/10 - FamRZ 2010, 2436 ff = MDR 2010, 948 = NJW-RR 2011, 3 f. = juris) zu dem Ergebnis gelangt, daß es sich selbst bei im Hinblick auf derartigen Mehrbedarf tatsächlich bezogenen Leistungen um Einkommen des Berechtigten handele, hinsichtlich dessen ein pauschaler Abzug im Rahmen des § 115 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht komme. Dies hat allerdings der Gesetzgeber für die Zeit seit 1. Januar 2014 bewußt durch das Gesetz zur Änderung des Prozeßkostenhilfe- und Beratungshilferechts geändert und § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO um eine neue Ziffer 4 ergänzt; danach sind vom einzusetzenden Einkommen abzusetzen Mehrbedarfe nach § 21 des SGB II und nach § 30 SGB XII. Zu berücksichtigen sind daher insbesondere auch die in § 30 Abs. 3 SGB XII vorgesehenen Mehrbedarfe für Alleinerziehende. Da die Antragstellerin mit zwei Kindern unter sechzehn Jahren zusammenlebt und allein für deren Pflege und Erziehung sorgt, ist für sie ein Betrag in Höhe von 36% der Regelbedarfsstufe I entsprechend 147,96 € abzusetzen.

5. Damit sind vom Einkommen der Antragstellerin in Höhe von 1.779 € insgesamt 1.773,04 € abzusetzen, so daß ein einzusetzendes Einkommen von 5,96 € verbleibt. Danach ergäben sich gemäß § 115 Abs. 2 Satz 1 ZPO in hälftiger Höhe auf volle Euro abgerundete Raten, also 2 €, von deren Festsetzung aufgrund eines Betrages von weniger als 10 € jedoch gemäß § 115 Abs. 2 Satz 3 abzusehen ist.