Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 13.05.2020, Az.: 7 B 1093/20

Streitwertkatalog; FE-Klassen; Berufliche Interessen; Entziehung der Fahrerlaubnis; Strenge Anforderung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
13.05.2020
Aktenzeichen
7 B 1093/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71493
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Der nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beurteilende Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, über den nach Übertragungsbeschluss der Kammer vom 8. Mai 2020 der Einzelrichter entscheidet, ist unbegründet.

Dieser Eilantrag ist darauf gerichtet, die aufschiebende Wirkung der im Hauptsacheverfahren 7 A 1092/20 am 5. Mai 2020 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 2. April 2020 erhobenen Klage des Antragstellers wiederherzustellen, soweit es die Entziehung der Fahrerlaubnis, Ablieferungspflicht und Zwangsgeldandrohung anbelangt (§ 88 VwGO).

Mit diesem Bescheid hat der Antragsgegner dem Antragsteller (nach Anhörung, § 28 VwVfG) unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis entzogen, weil er unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln angetroffen wurde und ihm deshalb (angesichts des Konsums von Hartdrogen, nämlich Amphetamin) die fahrerlaubnisrechtliche Fahreignung fehlt.

Im Rahmen eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO kommt es darauf an, ob das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage höher als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes zu bewerten ist. Bei dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens maßgeblich zu berücksichtigen. Bei einer offensichtlich Erfolg versprechenden Klage überwiegt das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (Suspensivinteresse) das öffentliche Vollzugsinteresse. Der Antrag ist dagegen in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache offensichtlich keinen Erfolg haben wird, insbesondere wenn die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist.

Diese Abwägung geht aus zwei tragenden Gründen zum Nachteil des Antragstellers aus:

Da sich der angegriffene Bescheid hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis mit Ablieferungspflicht und Zwangsgeldandrohung voraussichtlich als völlig rechtmäßig erweist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt, weshalb die entsprechende Klage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO insoweit als unbegründet abzuweisen sein dürfte, kommt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht in Betracht, dazu 1.

Daneben kommt insoweit selbständig tragend aufgrund einer reinen Güterabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an dem sofortigen gefahrenabwehrrechtlichen Schutz der Allgemeinheit vor den vom Antragsteller womöglich ausgehenden Gefahren gegenüber seinem Interesse daran, aus privaten Gründen jedenfalls für den Lauf des Hauptsacheverfahrens noch die Fahrerlaubnis ausnutzen zu dürfen, vorläufiger Rechtsschutz nicht zum Zuge, weil solche Privatinteressen gegenüber dem öffentlichen Interesse im Fahrerlaubnisrecht nicht gewichtig genug sind, dazu 2.

1.

Die angegriffene Entziehung der Fahrerlaubnis stützt sich zu Recht auf §§ 3 Abs. 1 StVG, 46 Abs. 1 FeV und Nr. 9.1 Anlage 4 zu §§ 11-14 FeV.

Gemäß § 46 Abs. 3 iVm. § 11 Abs. 7 FeV war unmittelbar wegen des Konsums des Antragstellers von Amphetamin auf seine fahrerlaubnisrelevante Nichteignung zu schließen und ihm die Fahrererlaubnis zu entziehen, ohne dass es etwa weiterer vorheriger Aufklärungsmaßnahmen noch bedurft hätte.

Hier steht die maßgebliche Tat (Konsum von Hartdrogen) zur Überzeugung des Gerichts (a.A.: der Antragsteller) fest, da im Blut des Antragstellers Amphetamin in einer insoweit hinreichenden (beträchtlichen) Höhe festgestellt wurde (372,8 ng/ml). Den insoweit entgegenstehenden Bekundungen des Antragstellers kann das Gericht nicht näher treten (siehe Beschluss vom 14. Dezember 2019 – 7 B 3414/19 – juris) und diese werden durch die Laboruntersuchung widerlegt. Die bloßen Zweifel an der Richtigkeit der labortechnischen Richtigkeit der Werte, die der Antragsteller in den Raum stellt, überzeugen nicht. Ebenso erbringt seine Eidesstattliche Versicherung, er habe am Wochenende keine Drogen konsumiert, nichts für ihn Günstigeres. Außerdem kann er sich nicht schlicht auf den Standpunkt zurückziehen, er hätte nicht konsumiert, weil sich schon aus den seitens der Polizei getroffenen Feststellungen (insbesondere der Auffälligkeiten) das Gegenteil ergibt, wie er auch selber es nach außergerichtlicher Akteneinsicht wissen sollte. Zudem greifen etwaige Verwertungsverbote hier im Gefahrenabwehrrecht nicht durch (ausführlich: Beschluss vom 10. Januar 2020 – 7 B 3622/19 – juris).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (Beschl. v. 31. März 2017 – 12 ME 26/17 – V.n.b.; Beschl. v. 13. September 2012 – 12 ME 210/12 – V.n.b.; Beschl. v. 30. Juni 2009 – 12 ME 112/09 – juris, Rn. 8) und der Kammer (Beschl. v. 14. Dezember 2019 – 7 B 3414/19 – juris, Rn. 12; Beschl. v. 23. Januar 2014 – 7 B 6904/13 – juris, Rn. 23) schließt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Ziffer 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV bereits der einmalige Konsum sog. harter Drogen, zu denen auch Amphetamine gehören (Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes, ausgenommen Cannabis), im Regelfall und so auch hier die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aus.

Eines darüber hinausgehenden Nachweises einer Drogenabhängigkeit, eines regelmäßigen Konsums oder auch nur – bei gelegentlichem Konsum – des Unvermögens zur Trennung von Drogenkonsum und Kraftfahrzeugführung bedarf es hingegen nicht (Nds. OVG Lüneburg, Beschl. v. 13. September 2012 – 12 ME 210/12 – V.n.b.; VG Oldenburg, GB v. 11. Juni 2015 – 7 A 1603/15 – juris, Rn. 24 f.). Auch stellt ein insoweit rechtstreues Verhalten den Regelfall dar und vermag somit weder eine besondere Berücksichtigung und schon gar keine „Privilegierung“ zu rechtfertigen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 11. Dezember 2019 – 11 ME 372/19 – V.n.b.).

Dem Antragsgegner stand bei seiner Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis kein Ermessen zu. Vielmehr war dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aufgrund der durch den Amphetaminkonsum feststehenden Ungeeignetheit zum Führen eines Fahrzeugs zwingend zu entziehen. Es verblieb daher kein Raum für eine gesonderte Abwägung, zumal mit der Fahrerlaubnisentziehung verbundene besondere persönliche und berufliche Erschwernisse an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme nichts ändern. Das Interesse, derartige Nachteile zu vermeiden, muss hinter dem öffentlichen Interesse, die übrigen Verkehrsteilnehmer wirksam vor gefährdendem Verhalten zu schützen, zurücktreten (Nds. OVG Lüneburg, Beschl. v. 1. April 2009 – 12 LA 130/08 – V.n.b.; VG Oldenburg, Beschl. v. 23. Juli 2019 – 7 B 2033/19 – juris, Rn. 32). Danach müssen selbst bei Berufskraftfahrern, mithin Personen, die aufgrund ihrer Berufstätigkeit auf eine Fahrerlaubnis angewiesen sind, angesichts der hohen Bedeutung der Verkehrssicherheit und des Interesses der übrigen Verkehrsteilnehmer, dass ungeeignete Kraftfahrer vom öffentlichen Straßenverkehr ferngehalten werden, private, insbesondere berufliche Interessen des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers zurücktreten, weshalb auch der drohende Verlust des Arbeitsplatzes bei Entziehung der Fahrerlaubnis nicht dem öffentlichen Interesse am Entzug des Fahrerlaubnis entgegengesetzt werden kann (Nds. OVG Lüneburg, Beschl. v. 21. Januar 2000 – 12 M 231/00 – juris, Rn. 5 m.w.N.; Nds. OVG Lüneburg, Beschl. v. 19. Februar 1997 – 12 L 216/97 – juris, Rn. 2; Nds. OVG Lüneburg, Beschl. v. 1. Oktober 1996 – 12 M 5477/96 – V.n.b.). Berufliche und private Erschwernisse ändern an der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis nichts; steht (wie hier) die Nichteignung des Fahrerlaubnisinhabers fest, so ist die Fahrerlaubnis mithin zwingend zu entziehen und verbleibt für mildere Maßnahmen kein Raum (Nds. OVG Lüneburg, Beschluss vom 4. Dezember 2008 - 12 ME 298/08 -, juris, Rn 13), siehe zuvor.

Die Pflicht des Antragstellers zur Ablieferung des Führerscheins folgt aus §§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, 47 Abs. 1 FeV. Hiernach besteht auch im Falle einer angefochtenen Einziehungsverfügung die Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern, wenn die zuständige Behörde – wie hier – die sofortige Vollziehung ihrer Verfügung angeordnet hat.

Die Rechtmäßigkeit der nach § 64 Abs. 4 Satz 1 NPOG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Zwangsgeldandrohung folgt aus § 70 Abs. 1 NVwVG i.V.m. §§ 64 Abs. 1, 65 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 67, 70 NPOG.

2.

Nichts anderes gibt sich, soweit das Gericht unabhängig von Voranstehendem selbständig tragend eine reine Güterabwägung vornimmt:

Unbeschadet der dargestellten voraussichtlichen Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse im Rahmen einer reinen Güterabwägung zum Schutze der Allgemeinheit (und dabei auch des Antragstellers selber) das Privatinteresse, weshalb der Antrag ebenfalls unbegründet ist. Insbesondere kann der Antragsteller seine privaten Interessen nicht erfolgreich ins Feld führen. So ergibt sich nichts Anderes, wollte man ergänzend noch private Interessen und damit verbundene Fragen, z.B. nach der Erreichbarkeit und – wie hier – dem Erhalt eines Arbeitsplatzes, in den Blick nehmen und solche Interessen im Rahmen einer Güterabwägung dem allgemeinen Interesse der Gefahrenabwehr im Fahrerlaubnisrecht gegenüberstellen. Mit der Fahrerlaubnisentziehung verbundene besondere persönliche und berufliche Erschwernisse berühren nämlich die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht. Das Interesse, derartige Nachteile zu vermeiden, muss hinter dem öffentlichen Interesse, die übrigen Verkehrsteilnehmer sowie den Betroffenen selber wirksam vor gefährdendem Verhalten zu schützen, zurücktreten (OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. April 2009 - 12 LA 130/08 -), ständige Rechtsprechung. Danach müssen selbst bei Berufskraftfahrern, mithin Personen, die aufgrund ihrer Berufstätigkeit auf eine Fahrerlaubnis zwingend angewiesen sind, angesichts der hohen Bedeutung der Verkehrssicherheit und des Interesses der übrigen Verkehrsteilnehmer, dass ungeeignete Kraftfahrer im öffentlichen Straßenverkehr ferngehalten werden, private, insbesondere berufliche Interessen des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers zurücktreten, weshalb der drohende Verlust des Arbeitsplatzes bei Entziehung der Fahrerlaubnis nicht dem öffentlichen Interesse am Entzug der Fahrerlaubnis entgegengesetzt werden kann (OVG Lüneburg, Beschluss vom 21. Januar 2000 - 12 M 231/00 -, juris, std. Rspr. d. 12. Senats, vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. Februar 1997 - 12 L 216/97 -, juris, sowie Beschluss vom 1. Oktober 1996 - 12 M 5477/96 -).

Mithin ist der Eilantrag selbständig tragend auch aufgrund dieser Abwägung abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und berücksichtigt die Ziffern 46.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11). Hiernach ist für die Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen A und BE ein Streitwert in Höhe von 5.000,00 € vorgesehen. Eine Addition der Streitwerte hinsichtlich der einzelnen Fahrerlaubnisklassen findet dabei (a.A.: der Antragsteller) nicht statt (Nds. OVG Lüneburg, Beschl. v. 29. November 2013 – 12 ME 187/13 – juris, Rn. 10). Die gleichzeitige Entziehung anderer Klassen, beispielsweise etwa der Klasse A, wirkt sich nicht wertsteigernd aus. Eine Addition ist regelmäßig nicht vorzunehmen. Es bleibt bei der Festsetzung des Wertes für die insgesamt bedeutendste (die „wertvollste“, die herausgehobene) FE-Klasse. Insoweit verweist das Gericht auf den Beschluss des Nds. Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 19. August 2015 – 12 ME 133/13 –, in dem es heißt:

„Von einer Addierung wird grundsätzlich - und auch hier - abgesehen (vgl. Beschl. d. Sen. v. 29.11.2013 - 12 ME 187/13 -, Blutalkohol 51, 130, juris). Eine Addierung im Hinblick auf die - u.a. Krafträder umfassende - Fahrerlaubnisklasse A erscheint unverhältnismäßig. Sie würde zu einer Streitwertfestsetzung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren in Höhe von 6.250,- EUR (bzw. 12.500,- EUR im Hauptsacheverfahren) führen. Demgegenüber bliebe es bei Verfahren betreffend die - regelmäßig beruflich benötigten - Fahrerlaubnisse etwa der Klassen CE oder DE bei der niedrigeren Streitwertfestsetzung in Höhe von 7.500,- EUR - bzw. 3.750,- EUR für das Eilverfahren -, obwohl die sich für einen Fahrerlaubnisinhaber ergebende Bedeutung der Sache (§ 52 Abs. 1 GKG) in diesen Fällen eine größere sein dürfte.“

Das OVG hat seine diesbezügliche Rechtsprechung erneut mit Beschluss vom 21. Januar 2020 (12 OA 14/20) bekräftigt und dort Folgendes ausdrücklich festgehalten:

„Der Senat legt der Streitwertbemessung in ständiger Rechtsprechung aus den Nummern 46.1. bis 46.9 des bezeichneten Katalogs nur die von der Entziehung betroffene Fahrerlaubnisklasse mit dem jeweils höchsten Wert zu Grunde, d. h. maximal den 1,5-fachen Auffangwert. Eine Addition erfolgt auch dann nicht, wenn die Fahrerlaubnisklassen selbstständig nebeneinander stehen.

Der Senat hat dem entsprechend bereits in der vom den Beschwerdeführern zitierten Beschluss vom 7. Juni 2005 (- 12 OA 81/05 –) ausgeführt:

„Sind – wie vorliegend – mehrere Fahrerlaubnisklassen betroffen, so legt der Senat seiner Streitwertfestsetzung nur noch die höchste streitbefangene Fahrerlaubnis-klasse, und zwar (bei mehreren gleich hohen) nur einmal, zugrunde. Eine Erhöhung wegen weiterer streitbefangener Klassen nimmt er in solchen Fällen selbst dann nicht mehr vor, wenn die maßgebliche Klasse die anderen Klassen nicht umfasst.“

Soweit seinerzeit eine Ausnahme für die Fahrerlaubnisklasse E gemacht wurde, hatte dies seinen Grund darin, dass diese Klasse selbstständig nicht erteilt werden konnte, der in dem damals aktuellen Katalog von 2004 für die Klasse E genannte Wert mithin nur als zu addierender Betrag gewertet werden konnte.

Ob die Fahrerlaubnisklassen eigenständige Bedeutung haben, ist danach mithin unerheblich. An dieser Rechtsprechung hat der Senat festgehalten (vgl. etwa Beschl. v. 15.10.2019 - 12 ME 162/19 -, juris) und sieht auch aktuell keinen Anlass, diese zu ändern.“

So liegt der Fall.

Da im vorliegenden Eilverfahren lediglich eine vorläufige Regelung getroffen wird, ist der Wert nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren (2.500,00 €).