Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 02.09.2015, Az.: 1 Ws 368/15

Weitere Vollstreckung im Inland nach erfolgter Vollstreckung im Ausland ohne Vollstreckungsübernahmeersuchen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
02.09.2015
Aktenzeichen
1 Ws 368/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 35522
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2015:0902.1WS368.15.0A

Fundstelle

  • NStZ-RR 2016, 92-93

Amtlicher Leitsatz

Wird eine im Inland verhängte Freiheitsstrafe im Ausland teilweise vollstreckt, ohne dass ein Ersuchen um Vollstreckungsübernahme gestellt worden ist, steht Art. 8 Abs. 2 ÜberstÜbk der weiteren Vollstreckung im Inland nicht entgegen.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Der Verurteilte wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen einen Beschluss der Strafvollstreckungskammer, mit welchem diese seine Einwendungen gegen die Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Osterholz-Scharmbeck vom 18. März 2010 (in Deutschland) zurückgewiesen hat. Dem liegt im wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Das Amtsgericht Osterholz-Scharmbeck hat mit Urteil vom 18. März 2010 gegen den Verurteilten wegen Diebstahls in drei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verhängt. Nachdem der Verurteilte sich der Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe in Deutschland nicht gestellt hatte, erließ die Staatsanwaltschaft Verden am 11. Juni 2010 einen Europäischen Haftbefehl zum Zwecke der Vollstreckung in Deutschland. Nach Festnahme des Verurteilten in Polen lehnte das Bezirksgericht Danzig mit Beschluss vom 25. Januar 2011 die Auslieferung des Verfolgten nach Deutschland ab und beschloss darüber hinaus, dass die gegen den Verurteilten verhängte Freiheitsstrafe in Polen zu vollstrecken ist. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Danzig vom 12. Mai 2011 wurde die Vollstreckung aufgrund des Gesundheitszustands des Verurteilten ausgesetzt; zum nachfolgenden Strafantritt stellte sich der Verurteilte nicht. Erneut wurde mit Beschluss vom 21. Mai 2013 eine Haftunterbrechung angeordnet. Am 23. Mai 2014 wurde der Verurteilte vorzeitig aus der Strafhaft entlassen und der Strafrest wurde zur Bewährung ausgesetzt. Ein förmliches Ersuchen der zuständigen deutschen Justizbehörden um Übernahme der Vollstreckung in Polen wurde nicht gestellt; auch blieb der Europäische Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Verden in Kraft. Infolgedessen wurde der Verurteilte am 23. Mai 2015 in Deutschland schließlich festgenommen und hier der Strafvollstreckung zugeführt.

Hiergegen richten sich die vom Verurteilten erhobenen Einwendungen. Er ist der Auffassung, durch Einleiten der Vollstreckung der Freiheitsstrafe durch die Republik Polen richte sich das weitere Vollstreckungsverfahren allein nach polnischem Recht; eine Vollstreckung der Freiheitsstrafe in Deutschland sei nicht mehr zulässig.

II.

Das statthafte und zulässig eingelegte Rechtsmittel des Verurteilten hat in der Sache keinen Erfolg. Die Strafvollstreckungskammer hat aus letztlich zutreffenden tatsächlichen wie rechtlichen Erwägungen die vom Verurteilten gegen die Vollstreckung der Freiheitsstrafe erhobenen Einwendungen zurückgewiesen. Insoweit kann auf die grundsätzlich zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung zunächst Bezug genommen werden.

Die Strafvollstreckungskammer hat insbesondere zutreffend darauf abgestellt, dass der Annahme einer wirksamen Übernahme der Vollstreckung der vom Urteil des Amtsgerichts Osterholz-Scharmbeck verhängten Freiheitsstrafe durch die polnischen Justizbehörden das Fehlen eines entsprechenden Ersuchens seitens der deutschen Justizbehörden entgegensteht. Hierbei kann dahinstehen, ob die Justizbehörden der Republik Polen zutreffend davon ausgehen, sie seien infolge der abgelehnten Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung nach Deutschland berechtigt oder gar verpflichtet, die zu Grunde liegende Freiheitsstrafe in ihrem Hoheitsbereich zu vollstrecken. Denn Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten (RB-EuHB) begründet im Falle des Ablehnens der Vollstreckung eines europäischen Haftbefehls lediglich die Pflicht, entgegen der Auffassung des Verurteilten indessen kein eigenständiges Recht des ersuchten Staates, die fragliche Freiheitsstrafe in eigener Zuständigkeit zu vollstrecken.

Voraussetzung einer derartigen Vollstreckungsübernahme bleibt ein förmliches Ersuchen des Urteilsstaats im Sinne von Art. 5 des sowohl von Deutschland als auch von Polen ratifizierten Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen vom einen 21. März 1983 (ÜberstÜbK). Ein derartiges Ersuchen liegt indessen nicht vor. Nach Art. 5 Abs. 2 ÜberstÜbK werden entsprechende Ersuchen vom Justizministerium des ersuchenden Staates (resp. der entsprechenden Länder, vgl. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., Art 5 ÜberstÜBk Rn. 5) an das Justizministerium des ersuchten Staates gerichtet und werden auch die Antworten auf demselben Weg übermittelt. Bereits hieran fehlt es. Eine wirksame Übernahme der Vollstreckung und ein sich hieran anschließender Verlust der Strafvollstreckungskompetenz auf deutscher Seite im Sinne von Art. 8 Abs. 2 ÜberstÜbk liegen mithin nicht vor.

Eine andere Betrachtung ergibt sich auch nicht aus dem Rahmenbeschluss des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehenden Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union (RB-Freiheitsstrafen). Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Zuschrift zutreffend ausgeführt:

"Das Ersuchen liegt in dem Verfahren nach diesem Rahmenbeschluss gemäß Art. 4 in der Übersendung eines Formulars ("Bescheinigung", ähnlich dem EuHB) zusammen mit einer Ausfertigung des Urteils. Schon hieraus ergibt sich, dass der Urteilsstaat ("Ausstellungsstaat") frei ist in seiner Entscheidung, ob ein Ersuchen gestellt werden soll oder nicht. Insbesondere kann eine Übersendung davon abhängig gemacht werden, dass der Urteilsstaat seine Entscheidung, ein Ersuchen zu senden, davon abhängig machen kann, dass er sich zuvor versichert hat, "dass die Vollstreckung der verhängten Sanktion durch den Vollstreckungsstaat der Erleichterung der Resozialisierung der verurteilten Person dient (Art. 4 Abs. 2 RB-Freiheitsstrafen). Diese Regelungen würden unterlaufen, wenn der Vollstreckungsstaat von sich aus die Vollstreckung übernehmen könnte. Dem entspricht auch die Möglichkeit des Vollstreckungsstaates gemäß Art. 4 Abs. 5 RB-Freiheitsstrafen, den Urteilsstaat um Übersendung der Bescheinigung zu ersuchen. Der Vollstreckungsstaat kann also von sich aus ein Ersuchen um Übernahme der Vollstreckung stellen. Der Urteilsstaat ist aber nicht verpflichtet, dem nachzukommen ("Ersuchen im Sinne dieses Absatzes begründen keine Verpflichtung für den Ausstellungsstaat, das Urteil zusammen mit der Bescheinigung zu übermitteln." Art. 4 Abs. 5 Satz 2 RB-Freiheitsstrafen). Eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung unter Hinzuziehung der Grundgedanken des RB-Freiheitsstrafe ergibt mithin, dass auch im Geltungsbereich des Europäischen Haftbefehls eine Vollstreckungsübernahme auf einen ausdrücklichen Antrag des Vollstreckungsstaates zurückgehen muss - jedenfalls aber nicht ohne seine entsprechende Zustimmung erfolgen kann."

Dieses für eine wirksame Übernahme der Vollstreckung notwendige Ersuchen kann vorliegend weder in dem Europäischen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Verden vom 11. Juli 2010 noch in dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Verden an das Bezirksgericht in Danzig vom 9. November 2011 gesehen werden. Ein Vollstreckungshilfeersuchen ist regelmäßig mit Bedingungen verbunden, die eine effektive Strafvollstreckung nach den Vorstellungen des Vollstreckungsstaates sicherstellen. Solche Bedingungen können keine Aufnahme in einen Europäischen Haftbefehl finden. Im Hinblick auf den Schriftwechsel der Staatsanwaltschaft Verden mit dem Bezirksgericht in Danzig im November 2011 kann nicht außer Acht bleiben, dass zu diesem Zeitpunkt mit Beschluss des Bezirksgerichts Danzig vom 25. Januar 2011 die Übernahme der Vollstreckung durch die polnischen Justizbehörden bereits angeordnet worden und durch eine Entscheidung vom 12. Mai 2011 die Vollstreckung der Freiheitsstrafe auch bereits ausgesetzt worden war. Ein bei Übernahme der Vollstreckung greifender Vertrauenstatbestand konnte somit schon in zeitlicher Hinsicht durch die nachfolgende Korrespondenz nicht begründet werden. Abgesehen davon kann das Schreiben der Staatsanwaltschaft Verden vom 9. November 2011 vom Wortlaut her nicht als Vollstreckungshilfeersuchen ausgelegt werden. Es handelt sich vielmehr unmissverständlich um die Anfrage, "ob noch ein förmliches Vollstreckungsersuchen" gestellt werden muss und ob die Vollstreckung bereits eingeleitet worden ist.

III.

Soweit die Staatsanwaltschaft Verden erklärt hat, es sei beabsichtigt, die Zeiten der Vollstreckung in Polen auf die Vollstreckung der Freiheitsstrafe in Deutschland anzurechnen, ist dies nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens. Gegen eine solche Anrechnung wird aber nichts zu erinnern sein. Insoweit bemerkt der Senat lediglich ergänzend, dass hierzu auch auf eine entsprechende Anwendung der Regelung in § 71 Abs. 5 Satz 2 IRG zurückgegriffen werden könnte.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

V.

Gegen diesen Beschluss ist nach § 304 Abs. 4 StPO ein Rechtsmittel nicht eröffnet.