Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 14.11.2002, Az.: 3 A 238/01

Jagdschein; Körperverletzung; psychologische Stellungnahme; Straftat; Unzuverlässigkeit; Versagung; Waffengewalt; Zuverlässigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
14.11.2002
Aktenzeichen
3 A 238/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43422
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG - 29.01.2003 - AZ: 8 LA 183/02

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt die Erteilung eines Jagdscheins.

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Einen Antrag des Klägers auf Ausstellung eines Jagdscheins für das Jagdjahr 2001/02 vom 25.04.2001 wies der Beklagte nach Anhörung vom 30.05.2001 mit Bescheid vom 19.06.2001 – wie bereits mehrere entsprechende Anträge in den Jahren zuvor – wegen fehlender Zuverlässigkeit gemäß §§ 17 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Bundesjagdgesetz (BJagdG) unter Würdigung einer in der Auskunft des Bundeszentralregisters vom 23.05.2001 ausgewiesenen Vorstrafe zurück.

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Bei der Vorstrafe handelt es sich um die Verhängung einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu je 80.- DM durch einen seit dem 29.06.1994 rechtskräftigen Strafbefehl wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen einer Schusswaffe, teilgemeinschaftlich handelnd, sowie wegen vorsätzlichem unerlaubten Erwerb von Schusswaffen. Wegen der Einzelheiten des Strafbefehls wird auf die Ablichtung in den Verwaltungsvorgängen des Beklagten (Blatt 117 ff) Bezug genommen.

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Den Widerspruch des Klägers vom 22.06.2001 wies die Bezirksregierung Weser–Ems mit Bescheid vom 19.10.2001 zurück; hierauf wird Bezug genommen.

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Zur Begründung seiner am 08.11.2001 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit gemäß § 17 Abs. 4 Nr. 1 BJagdG greife bereits seit dem 30.06.1999 nicht mehr ein. Die strafrechtliche Verurteilung indiziere auch nicht das Vorliegen des Versagungstatbestands des § 17 Abs. 3 BJagdG, da anderenfalls die in § 17 Abs. 4 BJagdG enthaltende Befristung der Regelvermutung leer liefe. Nach Ablauf der Befristung treffe den Beklagten die Darlegungs– und Beweislast. Neben der Verurteilung lägen jedoch keine weiteren Tatsachen vor, die dem Kläger entgegengehalten werden könnten, denn dieser sei bis heute nicht wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die von ihm vorgelegte psychologische Stellungnahme vom 03.08.2000 belege substantiiert und nachvollziehbar, dass er über die erforderliche Einsichtsfähigkeit verfüge und mit einer Wiederholung nicht zu rechnen sei.

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Der Kläger beantragt,

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festzustellen, dass die Ablehnung der Ausstellung eines Jagdscheins für das Jagdjahr 2001/2002 mit Bescheid vom 19.06.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 19.10.2002 rechtswidrig ist.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung wiederholt und vertieft der Beklagte die Ausführungen der ablehnenden Bescheide.

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Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Das Rechtsschutzinteresse des Klägers ergibt sich aus dem Umstand, dass er auch für kommende Jagdjahre die Erteilung eines Jagdscheins begehrt, jedoch damit rechnen muss, dass ihm die Ausstellung mit gleichlautender Begründung verweigert wird.

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Die Klage ist aber unbegründet. Der Beklagte hat die Ausstellung des Jagdscheins zu recht gemäß §§ 17 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 BJagdG wegen fehlender Zuverlässigkeit des Klägers abgelehnt.

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Nach § 17 Abs. 3 BJagdG fehlt es an der erforderlichen Zuverlässigkeit, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß die auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfende Person sich in einer der in § 17 Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 BJagdG näher beschriebenen Art und Weise verhalten wird. Diese Prüfung ist anhand einer umfassenden Einbeziehung und Bewertung aller Tatsachen vorzunehmen, die für die zu treffende zukunftsbezogene Beurteilung bedeutsam sein können. Eine zeitliche Grenze, von der ab die vor der behördlichen Entscheidung liegenden Tatsachen nicht mehr Grundlage der vorgeschriebenen zukunftsbezogenen Bewertung sein dürfen, zieht das Gesetz nicht. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, welche Bedeutung dem zeitlichen Abstand, der zwischen den festgestellten Tatsachen und der behördlichen Entscheidung liegt, für die zu treffende zukunftsbezogene Entscheidung beizumessen ist. Es hängt hiernach allein von den gesamten Umständen des Einzelfalls ab, ob Tatsachen, die mehr als fünf Jahre zurückliegen, allein oder jedenfalls im Zusammenhang mit anderen Tatsachen eine der in § 17 Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 BJagdG umschriebenen Annahmen rechtfertigen oder ob sie angesichts ihres Inhalts, ihrer geringen Gewichtigkeit, wegen inzwischen veränderter Verhältnisse oder angesichts der inzwischen verflossenen Zeit nicht mehr zur Beurteilung der Zuverlässigkeit herangezogen werden dürfen (so BVerwG, Beschluss vom 28.10.1983, 1 B 144/83, juris). Insoweit vermag auch ein einmaliges Fehlverhalten die persönliche Unzuverlässigkeit zu begründen, wenn sich daraus ein solches Maß an Unverantwortlichkeit erkennen lässt, dass Grund zu der Annahme besteht, dem Betroffenen sei auch in Zukunft eine Waffenführung mit der erforderlichen Vorsicht nicht zuzutrauen (OVG Münster, Urteil vom 12.08.1981, 4 A 197/81, juris; VG Bremen, Beschluss vom 27.05.1997, 2 KV 557/97, juris).

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Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß die Vorschrift des § 17 Abs. 4 Nr. 1 BJagdG, wonach die erforderliche Zuverlässigkeit "in der Regel" fehlt, wenn die auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfende Person in der dort näher beschriebene Weise rechtskräftig verurteilt worden ist, nur eingreift, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind. Diese Fristbestimmung setzt lediglich der Berücksichtigung von Tatsachen eine Grenze, die - anders als die nach den gesamten Umständen des Einzelfalls zu bewertenden Tatsachen im Sinne von § 17 Abs. 3 BJagdG - schon für sich allein "in der Regel" den Mangel der erforderlichen Zuverlässigkeit begründen, d.h. die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigen, sofern nicht - ausnahmsweise - besondere Umstände vorliegen, die im Einzelfall diese Annahme entkräften. Die in § 17 Abs. 4 Nr. 1 BJagdG normierte Fünf-Jahresfrist dient ausschließlich der Eingrenzung der Tatbestände, die "in der Regel" ohne weiteres zur Verneinung der erforderlichen Zuverlässigkeit führen; für den Bereich des § 17 Abs. 3 BJagdG, in dem in jedem Falle eine umfassende Prüfung aller Umstände des Einzelfalls nötig ist, läßt sich aus ihr daher nichts herleiten (so BVerwG, Beschluss vom 28.10.1983, 1 B 144/83, juris).

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Im Fall des Klägers führt diese Gesamtwürdigung unter Anknüpfung an die mit Strafbefehl geahndete Straftat auch bei Einbeziehung der vorgelegten psychologischen Stellungnahme sowie des Umstands keiner weiteren strafrechtlichen Auffälligkeiten zur Annahme einer fehlenden Zuverlässigkeit im Sinne der §§ 17 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 BJagdG.

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Bezüglich der Bewertung der dem Strafbefehl zugrunde liegenden Tat schließt sich das Gericht den Ausführungen des Beklagten sowie des Widerspruchsbescheids an. Ausweislich des Strafbefehls waren dem Kläger in mehrfacher Hinsicht gravierende waffenrechtliche Verstöße zur Last zu legen, die es bereits für sich genommen in Frage stellen, ob bei Berücksichtigung des Klägervortrags im Übrigen dessen persönliche Zuverlässigkeit zu bejahen war. Bei der Tatwaffe handelte es sich um eine vom Kläger in eine scharfe Waffe umgebaute „Salutflinte“, die nicht in die Waffenbesitzkarte eingetragen war und für die er auch keinen Waffenschein besaß. Ferner war er im Besitz einer waffenbesitzkartenpflichtigen Büchse sowie einer weiteren waffenbesitzkartenpflichtigen Druckluftwaffe, die beide nicht in der Waffenbesitzkarte eingetragen waren. Derartige Straftaten originär waffenrechtlicher Natur stellen die Zuverlässigkeit des Täters grundsätzlich nachhaltig und anhaltend in Frage und begründen – auch über die Regelfrist des § 17 Abs. 4 BJagdG hinaus – massive Zweifel an dessen persönlicher Zuverlässigkeit; dies gilt insbesondere hinsichtlich der strafbaren Umgestaltung einer Salutwaffe zu einer scharfen Waffe und der darin zum Ausdruck kommenden gesteigerten Bereitschaft, sich über die geltenden Bestimmungen des Waffenrechts hinwegzusetzen.

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Jedenfalls vor dem Hintergrund des unter Einsatz von Waffengewalt vorsätzlich begangenen Körperverletzungsdelikts lässt sich die Zuverlässigkeit des Klägers nicht bejahen. Ausweislich des Strafbefehls hat der Kläger im Anschluss an eine körperliche Auseinandersetzung in einem geschlossenen Raum (Sportlerheim) und somit aus räumlicher Nähe mit einer Langwaffe (Flinte) gezielt drei Schüsse auf eine Person abgegeben und diese dadurch im Gesicht verletzt. Dieses in Anbetracht des aufgrund der von Gesetzes wegen geforderten hohen Sorgfaltsmaßes im Umgang mit Waffen in besonderem Maße gravierende Tatgeschehen rechtfertigt auch zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidungen die Annahme, dass sich der Kläger auch künftig im Sinne des § 17 Abs. 3 Nr. 1 – 3 BJagdG verhalten werde und es mithin an der persönlichen Zuverlässigkeit fehlt. Insoweit haben sich die Behörden zu recht jedwede bagatellisierende Bewertung der vom Kläger begangenen Straftaten versagt. Zudem fällt zu Lasten des Klägers ins Gewicht, dass er zum Tatzeitpunkt Inhaber eines Jagdscheins und einer Waffenbesitzkarte gewesen ist und mithin über ausgeprägte einschlägige Kenntnisse bezüglich des Umgangs mit Waffen sowie der einschlägigen Rechtsvorschriften hatte.

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Die seitens des Klägers vorgelegte psychologische Stellungnahme rechtfertigt keine anderweitige Würdigung. Diesbezüglich hat bereits der Diplom–Psychologe des Fachdienstes Gesundheit des Beklagten – auf dessen Stellungnahme vom 28.09.2000 Bezug genommen wird – substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, aus welchen fachlichen Gründen diese Stellungnahme nicht tragfähig ist, ohne dass sich der Kläger hiermit seinerseits substantiiert auseinander gesetzt hätte. Vielmehr begründet die psychologische Stellungnahme bzw. die in ihr wiedergegebenen Einlassungen des Klägers anläßlich der Exploration am 21. und 26.08.2000 ihrerseits nachhaltige Zweifel an der persönlichen Zuverlässigkeit des Klägers. Danach hat der Kläger das dem Strafbefehl zugrunde liegende Tatgeschehen in weitgehender Abweichung von den Angaben des Strafbefehls und dem diesem zugrundeliegenden Ermittlungsergebnis in bagatellisierender Weise unter Verneinung bzw. Herabsetzung eines ihm zurechenbaren vorwerfbaren Tatverhaltens abweichend geschildert. Dieses Verhalten des Klägers spricht für eine Verdrängung und Leugnung eigenen Fehlverhaltens und widerspricht der Annahme einer genügenden Einsichtsfähigkeit zum Zeitpunkt der Exploration. Dass sich die psychologische Stellungnahme selbst mit diesem sich aufdrängenden Gesichtspunkt nicht wertend auseinandersetzt belegt die Richtigkeit der seitens des Fachdienstes Gesundheit des Beklagten vorgenommenen Bewertung ihrer Aussagekraft.

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Der Umstand, dass der Kläger in den letzten Jahren nicht mehr straffällig geworden ist, vermag die persönliche Zuverlässigkeit nicht zu begründen. Insoweit ist es dem Kläger zwar gelungen, die grundlegenden Verhaltensanforderungen einer staatlichen Gemeinschaft zu erfüllen, so dass ihm nicht entgegengehalten werden kann, dass er durch weitere Straftaten die fehlende persönliche Zuverlässigkeit nachgewiesen hat. Für einen Umkehrschluss auf das positive Vorliegen einer Zuverlässigkeit ist dieser Umstand allein jedoch nicht tragfähig.