Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.11.2002, Az.: L 7 AL 304/98

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
26.11.2002
Aktenzeichen
L 7 AL 304/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 35390
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2002:1126.L7AL304.98.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - AZ: S 3 AL 321/97

Tenor:

  1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 22.Juli 1998 wird aufgehoben, soweit das Sozialgericht die Beklagte verurteilt hat, dem Kläger höheres Konkursausfallgeld unter Zugrundelegung eines über 951,50 DM hinausgehenden ausgefallenen Bruttoarbeitsentgelts zu gewähren.

    Die weitergehende Klage wird ebenfalls abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

    Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger zustehenden Konkursausfallgeldes (Kaug).

2

Der im Jahre 1947 geborene Kläger (verheiratet, 1 Kind, Lohnsteuerklasse III) war bei der H. Metall- und Apparatebau GmbH (Arbeitgeber) in I. als Abteilungsmeister zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 8.272,55 DM (7.250,00 DM Grundgehalt, 970,55 DM geldwerter Vorteil - PKW-Sachbezug - und 52,00 DM vermögenswirksame Arbeitgeberleistung) beschäftigt. Außerdem hatte er Anspruch auf Telefonkostenerstattung im März und April 1997 jeweils in Höhe von 100,00 DM sowie auf Auslagenersatz im März/April 1997 in Höhe von 265,83 DM.

3

Am 18. April 1997 wurde über das Vermögen des Arbeitgebers das Konkursverfahren eröffnet. Von Januar 1997 bis zum 28. Februar 1997 erfüllte dieser die Gehaltsansprüche des Klägers mit folgenden Einschränkungen: Im Januar 1997 (469,41 DM; vom 9. bis 17. Januar 1997) und im Februar 1997 (871,76 DM; vom 6. bis 21. Februar 1997) kürzte er das Grundgehalt um 20 %, weil er dem arbeitsunfähig krank geschriebenen Kläger, der wegen dieser Krankheit bereits vom 4. bis zum 19. Juli 1996 arbeitsunfähig gewesen war, das Gehalt fortzahlte. Der Kläger, der auch in der nachfolgenden Zeit vom 22. bis zum 28. Februar 1997 weiter arbeitsunfähig war, bezog während dieses zuletzt genannten Zeitraumes sein (ungekürztes) Gehalt fort sowie in der Zeit vom 23. bis 28. Februar 1997 Krankengeld in Höhe von 143,50 DM kalendertäglich (143,50 DM x 6 Kalendertage = 861,00 DM) brutto. Der Auszahlungsbetrag betrug 123,05 DM kalendertäglich (123,05 DM x 6 = 738,30 DM; Krankengeldmitteilung der Techniker Krankenkasse vom 4. April 1997 sowie Auskunft dieser Kasse ohne Datum, eingegangen am 8. November 2002).

4

Der Kläger arbeitete vom 1. März bis zum 17. April 1997 wieder, erhielt aber für diese Zeit keine Zahlungen. Sein Arbeitgeber machte vielmehr eine Überzahlung wegen Doppelbezugs von Gehalt und Krankengeld vom 22. bis zum 28. Februar 1997 (7 Kalendertage) in Höhe von 1.812,50 DM (Grundgehalt 7.250,00 DM dividiert durch 28 Kalendertage = 258,93 DM, multipliziert mit 7 Kalendertagen = 1.812,50 DM) gegen ihn geltend und rechnete in dieser Höhe gegen seinen Gehaltsanspruch für März 1997 auf.

5

Am 26. März 1997 beantragte der Kläger Kaug. Aufgrund der Verdienstbescheinigungen des Konkursverwalters vom 16. Mai und 26. Juni 1997, auf deren Inhalt im Einzelnen Bezug genommen wird, gewährte ihm das Arbeitsamt J. Kaug in Höhe von 7.970,89 DM (Bescheid vom 22. Mai 1997/Änderungsbescheid vom 29. September 1997). Mit seinem Widerspruch hat der Kläger u.a. die Berücksichtigung restlicher Gehaltsansprüche für Januar 1997 (469,41 DM), Februar 1997 (871,76 DM) und März 1997 (1.812,50 DM) sowie einen Urlaubsgeldanspruch erfolglos geltend gemacht (Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 1997).

6

Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat auf die am 7. November 1997 erhobene Klage die Kaug-Bewilligungsbescheide der Beklagten geändert und diese verurteilt, an den Kläger weiteres Kaug in Höhe von 1.955,51 DM brutto zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen (Gerichtsbescheid vom 22. Juli 1998).

7

Gegen diesen der Beklagten am 30. Juli 1998 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 27. August 1998 beim erkennenden Gericht Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie vorträgt: Die Gehaltskürzung für Januar 1997 (469,41 DM) betreffe die Zeit vom 9. bis zum 17. Januar 1997 und beziehe sich nicht auf den Kaug-Zeitraum (18. Januar bis 17. April 1997). Die teilweise Nichterfüllung des Gehaltsanspruchs für die Zeit vom 6. bis zum 21. Februar 1997 (871,76 DM) sei zu Gunsten des Klägers bei der Kaug-Bewilligung berücksichtigt. Das ergebe sich aus der Bescheinigung des Konkursverwalters vom 16. Mai 1997 und der Märzabrechnung des Arbeitgebers. Dort sei zusätzlich ein Betrag von 871,76 DM als ausgefallenes Gehalt ausgewiesen. Den im Februar 1997 zuviel gezahlten Betrag von 1.812,54 DM habe der Arbeitgeber zu Recht von dem Gehaltsanspruch für März 1997 abgesetzt.

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Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des SG Hildesheim vom 22. Juli 1998 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

9

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

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die Berufung zurückzuweisen.

11

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

12

Das Gericht hat Auskünfte des Konkursverwalters vom 12. September 2002 und der Techniker Krankenkasse K. vom 1. Oktober 2002 eingeholt, auf deren Inhalt verwiesen wird.

13

Die den Kläger betreffenden Leistungsakten des Arbeitsamts J. - Kaug 2773 - sind Gegenstand des Verfahrens gewesen. Auf die Prozess- und vorgenannten Beiakten sowie des Sachvortrags der Beteiligten wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14

Der Gerichtsbescheid vom 22. Juli 1998 ist rechtskräftig, soweit das SG die Klage wegen behaupteter weiterer ausgefallener Ansprüche auf Arbeitsentgelt abgewiesen hat, weil diese nicht nachgewiesen seien (§ 141 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Kläger hat keine Berufung eingelegt.

15

Die jedenfalls kraft Zulassung statthafte Berufung der Beklagten (§§ 105 Abs. 2, 143, 144 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 SGG) und infolge dessen zulässig.

16

Das Rechtsmittel ist zum Teil begründet. Der den Fallumständen nicht entsprechende Gerichtsbescheid des SG ist im Ergebnis nur teilweise zu halten.

17

Gemäß § 141 b Abs. 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) hat Anspruch auf Kaug ein Arbeitnehmer, der bei Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Da das Konkursverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers am 18. April 1997 eröffnet worden ist, umfasst der dreimonatige Kaug-Zeitraum im Sinne des § 141 b Abs. 1 Satz 1 AFG die Zeit vom 18. Januar bis zum 17. April 1997. In diesem Zeitraum ist der Kläger mit Arbeitsentgeltansprüchen ausgefallen, die über die vom Konkursverwalter bescheinigten Ansprüche in Höhe von 951,50 DM hinausgehen.

18

Die 469,41 DM, die der Kläger im Januar 1997 nicht erhalten hat, betreffen den Beschäftigungszeitraum vom 9. bis zum 17. Januar 1997 und daher nicht den erst ab 18. Januar 1997 beginnenden Kaug-Zeitraum. Sie sind deshalb nach § 141 b Abs. 1 Satz 1 AFG nicht zu berücksichtigen. Im Übrigen - für die Zeit vom 18. Januar bis zum 31. Januar 1997 - ist der Gehaltsanspruch des Klägers durch den Arbeitgeber in vollem Umfange erfüllt (§ 362 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Das zieht auch der Kläger nicht in Zweifel.

19

Die 20-%ige Gehaltskürzung im Februar 1997 (871,76 DM) für die Zeit vom 6. bis zum 21. Februar 1997 ist kaug-begründend berücksichtigt. Sie ist in der Verdienstausfallbescheinigung des Konkursverwalters vom 16. Mai 1997 in dem für März 1997 bescheinigten Gesamtbrutto (7.758,79 DM) enthalten, wie sich aus der Gehaltsabrechnung des Arbeitgebers für den Monat März 1997 erschließt.

20

Für den Monat März 1997 haben der Konkursverwalter - und ihm folgend die Beklagte - den Gehaltsanspruch des Klägers nur teilweise zu Recht als durch Aufrechnung erfüllt angesehen (§§ 387, 389 BGB), nämlich nur in Höhe von 861,00 DM. Nur in dieser Höhe hat dem Arbeitgeber gegen den Kläger ein Anspruch zugestanden, mit dem er gegen dessen Märzgehalt wirksam hat aufrechnen können. Denn nur in Höhe der Krankengeldleistung für die Zeit vom 23. bis zum 28. Februar 1997 (861,00 DM) hatte der Kläger keinen gleichzeitigen Lohnfortzahlungsanspruch. Für den 22. Februar 1997 kommt eine Gehaltsüberzahlung wegen Krankengeldbezugs ohnehin nicht in Betracht.

21

Der Gehaltsfortzahlungsanspruch des Klägers gegen seinen Arbeitgeber für die Zeit vom 22. bis zum 28. Februar 1997 war nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EntgFG) - eingeführt durch Art. 53 des Gesetzes vom 26.05.1994, BGBl I, S. 1014, 1065 - in der Fassung des Art. 3 Nr. 1 Buchst a des Gesetzes vom 25.09.1996 (BGBl I, S. 1476, 1477) begründet. Danach hatte ein Arbeitnehmer, der durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Diese Voraussetzungen waren in dem oben genannten Zeitraum erfüllt. Das ziehen die Beteiligten auch nicht in Zweifel. Entgegen § 4 Abs. 1 Satz 1 EntgFG in der Fassung des Art. 3 Nr. 2 Buchst. a des vorgenannten Gesetzes a.a.O. (Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 v.H.) hatte der Kläger nach § 5 seines Anstellungsvertrages vom 26. Januar 1989 Anspruch auf Entgeltfortzahlung in voller Höhe. Nach Meinungsverschiedenheiten der Arbeitsvertragsparteien über die Höhe der Entgeltfortzahlung hatte sich der Arbeitgeber bereit erklärt, sich an die einzelvertraglichen Vereinbarungen zu halten (Schreiben an den Kläger vom 14. März 1997). § 4 Abs. 1 Satz 1 EntgFG in der oben genannten Fassung war zugunsten des Klägers abdingbar (§ 12 EntgFG).

22

Nach den Ausführungen des Konkursverwalters in seiner Auskunft vom 12. September 2002 beruht der Abzug der für die Zeit vom 22. bis 28. Februar 1997 in Höhe von 1.812,50 DM angeblich wegen gleichzeitigen Krankengeldbezuges zu viel geleisteten Entgeltfortzahlung auf dem EntgFG. Die Rechtsauffassung, der Entgeltfortzahlungsanspruch entfalle (teilweise) bei gleichzeitigem Krankengeldbezug, findet im EntgFG keine Stütze. Daran haben auch die nachfolgenden Gesetzesänderungen - das Entgeltfortzahlungsgesetz ist hier in der vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 1998 gültig gewesenen Fassung anzuwenden - nichts geändert (vgl. hierzu Art. 3 des Gesetzes vom 25.09.1996 a.a.O.; Art. 12 des Gesetzes vom 12.12.1996, BGBl I, S. 1859, 1861; für die Zeit ab 1. Januar 1999 vgl. auch Art. 7 des Gesetzes vom 19.12.1998, BGBl I, S. 3843, 3849).

23

Zwar missbilligt der Gesetzgeber einen Doppelbezug von Arbeitsentgelt und sozialen Arbeitsentgeltersatzleistung. Das Doppelbezugsverbot verwirklicht er beim Zusammentreffen von Gehalts- mit Krankengeldansprüchen aber dadurch, dass er nicht den Anspruch auf Arbeitsentgelt antastet, sondern das Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld anordnet (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - SGB V -). Das in § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V zum Ausdruck kommende Verbot einer Kumulation von Arbeitsentgelt und Arbeitsentgeltersatzleistung beherrscht das soziale Leistungsrecht auch im Übrigen. So ruht beispielsweise gemäß § 142 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch auch der Anspruch auf Alg beim Zusammentreffen mit anderen Sozialleistungen (Arbeitsentgeltersatzleistungen). Selbst im allgemeinen Dienstleistungsrecht muss sich der zur Dienstleistung Verpflichtete, der nach näherer Bestimmung seinen Vergütungsanspruch durch krankheitsbedingte Dienstleistungsverhinderung nicht verliert, den Betrag anrechnen lassen, der ihm für die Dauer der Verhinderung aus einer aufgrund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Kranken- oder Unfallversicherung zukommt (§ 616 Abs. 1 Satz 2 BGB).

24

Wegen der Besonderheiten des vorliegenden Falles hält es der Senat für geboten, die Rechtsfolge des hier anzuwendenden § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V beim Zusammentreffen von Arbeitsentgelt und Krankengeld im Sinne der Rechtsfolge des - hier nicht unmittelbar einschlägigen - § 616 Abs. 1 Satz 2 BGB (Zusammentreffen von allgemeiner Dienstleistungsvergütung und Krankengeld) umzukehren und den Gehaltsanspruch in Höhe des gleichzeitigen Krankengeldbezuges im Wege der allgemeinen Rechtsanalogie entfallen zu lassen. Anders ist das Doppelleistungsverbot in Fällen dieser Art nicht zu verwirklichen. Der Kläger bekäme zusätzlich zum Krankengeld auch noch das Arbeitsentgelt, hier in Gestalt des Kaug als Arbeitsentgeltersatzleistung.

25

Der Fall des Klägers ist dadurch gekennzeichnet, dass er das - ihm zu Unrecht gewährte (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) - Krankengeld behalten darf. Der unberechtigte Krankengeldbezug ist rechtlich gesichert, weil die Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuches nicht vorliegen. Die Techniker Krankenkasse hat das Krankengeld auch nicht zurückgefordert. Sie hat auch nicht erklärt, dass sie dies noch tun wolle.

26

Mithin ist die Entgeltfortzahlung nur für die Zeit vom 23. bis zum 28. Februar 1997 und insoweit auch nur in Höhe des gleichzeitigen Krankengeldzuges (861,00 DM) als überhöht anzusehen. Nur insoweit hat der Arbeitgeber gegen das Märzgehalt des Klägers wirksam aufrechnen können, der demgemäß nur in Höhe von weiteren 951,50 DM (1.812,50 DM - 861,00 DM) mit seinem Märzgehalt 1997 als ausgefallen im Rechtssinne anzusehen ist.

27

Die Höhe des nachzuzahlenden Kaug wird die Beklagte bei einem Grundurteil wie diesem (§ 103 Abs. 1 Satz 1 SGG) gemäß § 141d Abs. 1 Satz 1 AFG festzusetzen haben.

28

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

29

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Die Frage, ob eine unberechtigte Krankengeldleistung, die der versicherte Arbeitnehmer behalten darf, seinen gleichzeitigen Arbeitsentgeltanspruch in Höhe des Krankengeldbezuges entfallen lässt, ist - soweit ersichtlich - in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht geklärt.