Amtsgericht Celle
Beschl. v. 18.04.2005, Az.: 29 IN 11/05
Bestimmung des zuständigen Gerichts für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei grenzüberschreitenden Sachverhalten; Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen; Statthaftigkeit eines Sekundärinsolvenzverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- AG Celle
- Datum
- 18.04.2005
- Aktenzeichen
- 29 IN 11/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 25517
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGCELLE:2005:0418.29IN11.05.0A
Rechtsgrundlage
- Art. 3 Abs. 1 S. 1 EulnsVO
Fundstellen
- DStR 2005, XIV Heft 25 (Kurzinformation)
- EuZW 2005, 415-416 (Volltext mit amtl. LS)
- NZI 2005, 410-411 (Volltext mit amtl. LS)
- NZI 2005, 368-373 (Urteilsbesprechung von Prof. Dr. P. Mankowski)
- ZInsO 2005, 895-896 (Volltext mit red. LS)
- ZInsO 2005, 1017-1026 (Urteilsbesprechung von Wiss. Mit. Béla Knof)
Tenor:
- 1.
Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird als unzulässig zurückgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
- 3.
Der Gegenstandswert wird auf-300,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag ist unzulässig, § 3 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO).
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegen nicht vor. Eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Celle ist nach den Regeln des Internationalen Insolvenzrechts gem. Art 3 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Europäischen Verordnung für das Insolvenzverfahren (EulnsVO) nicht gegeben.
Der Anwendungsbereich der EüInsVO ist eröffnet Innerhalb der EU (abgesehen von Dänemark) hat die EulnsVO Geltungsvorrang vor dem autonomen deutschen Internationalen Insolvenzrecht [vgl. Braun/Liersch, Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2004, vor . §§ 335-358 Rn. 24]. Der zur Anwendung der EulnsVO erforderliche grenzüberschreitende Sachverhalt innerhalb der EU liegt hier vor. Der Schuldner hatte bereits zurzeit der Antragstellung am 31.01.20Ö5 seinen Wohnsitz in England.
Gem. Art. 3 Abs. 1 S. 1 EulnsVO sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei grenzüberschreitenden Sachverhalten die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat.
Für die Beurteilung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen muss auf den Zeitpunkt des Insolvenzantrages abgestellt werden. Es kommt nicht in Betracht, an den Zeitpunkt der Entstehung der Verbindlichkeiten anzuknüpfen [vgl. BGH NZI2004, 139 ff, mit Anm. Liersch]. Dies würde zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen. In der Praxis werden regelmäßig verschiedene Verbindlichkeiten innerhalb eines längeren Zeitraums begründet und innerhalb dieses Zeitraums kann sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen mehrfach ändern. In diesem Fall ergeben sich Zuständigkeitskollisionen, welche die EulnsVO gerade vermeiden will.
Ob statt des Zeitpunkts der Antragstellung ggf. der Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung maßgeblich ist, kann hier offen gelassen werden. Die Frage, welches Gericht zuständig ist, wenn der Schuldner zwischen Insolvenzantrag und Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Mittelpunkt seines hauptsächlichen Interesses verlegt, stellt sich hier bislang nicht. Der Schuldner hatte bereits vor dem Insolvenzantrag seinen Wohnsitz gewechselt. Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners war zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung nicht in Deutschland.
Für die Bestimmung des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen kommen mehrere Kritereien in Betracht. Als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ("center of main interests") i.S.d. Art. 3 EulnsVO gilt der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und für Dritte feststellbar ist (Erwägungsgrund 13 zur EulnsVO). Dabei ist vor allem auf die Gläubigersicht abzustellen [vgl, auch Pannen/Riedemann, NZI2004, 646ff. (651)]. Bei unselbstständig Erwerbstätigen ist an den Wohnsitz oder an den Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes anzuknüpfen. Dabei ist grundsätzlich der Wohnsitz als Anknüpfungspunkt maßgeblich [Duursma-Kepplinger, Kommentar zur Europäischen Insolvenzverordnung, Wien, 2002, Art. 3 Rn. 22; Huber, ZZP114 (2001), 140.].
Wohnsitz und Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Schuldners sind in England. Der Schuldner geht einer unselbstständigen Tätigkeit als Zahntechniker bei einem Zahnarzt in England nach und hat derzeit nicht die Absicht, nach Deutschland zurückzukehren. Er hat bereits vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens Maßnahmen getroffen, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland zu klären und weit gehend aufzulösen. Zum Zeitpunkt des Eigeninsolvenzantrages am 31.01.2005 war der Schuldner mit seiner Familie bereits nach Wimbome/England übergesiedelt. Der Schuldner selbst besucht Deutschland nunmehr nur selten und hat bis auf wenige ' Ausnahmen keine weiter gehenden. Kontakte nach Deutschland, welche den Schluss zuließen, dass mit einer baldigen Rückkehr zu rechnen ist
Auch aus Sicht der Gläubiger ist der gewöhnliche Aufenthaltsort des Schuldners England. Dort hat er eine gültige Anschrift und von dort fuhrt er seine Geschäftskorrespondenz. Er geht dort der Verwaltung seines persönlichen Vermögens nach. Insofern ist er für die Gläubiger in England eher erreichbar als in Deutschland.
Zwar verfugt der Schuldner über die deutsche Staatsangehörigkeit. In seinem Personalausweis ist als Wohnsitz noch Bergen eingetragen. Auch liegen die Ursachen und Beweggründe für die Stellung des Insolvenzantrages in der wirtschaftlichen Tätigkeit des . Schuldners in Deutschland. Dies sind jedoch unter der hier maßgeblichen Regelung der EulnsVO keine hinreichenden Anknüpfungspunkte für die Begründung einer Zuständigkeit deutscher Gerichte für das Insolvenzverfahren.
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht daraus, dass der europäische Verordnungsgeber die Wahl des Anknüpfungspunktes "Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen" damit begründet, dass die Gläubiger des Schuldners diesen Ort kennen und somit die rechtlichen Risiken für den Insolvenzfall kalkulierbar werden [vgl. Erläuternder - Bericht zur EulnsVO, Rn. 75]. Auch könnte man davon ausgehen, dass sich am Ort des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen der Großteil des schuldnerischen Vermögens und die Mehrheit der Gläubiger befinden [vgl-Duursma-Kepplinger, a.a.O., Art. 3 Rn. 12]. Zwar ist hier gerade Gegenteiliges der Fall. Nach der bisherigen Gläubigeraufstellung des Schuldners handelt es sich ausschließlich um Gläubiger mit Sitz in Deutschland. Die Mehrheit der Gläubiger und vermutlich der Großteil des Vermögens des Schuldners befindet sich in Deutschland. Die Regelungen der EulnsVO lassen jedoch über den Anknüpfungspunkt des Mittelpunktes der hauptsächlichen Literessen hinaus keine anderen Anknüpfungspunkte für die Zuständigkeit zu.
Auch die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens gem. Art. 27 EuInsVO in Deutschland nach Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in England oder die Eröffnung eines isolierten Partikularinsolvenzverfahrens kommt nicht in Betracht. Zum einen fehlt es an einem entsprechenden Antrag, zum anderen liegen die Voraussetzungen gem. Art. 27 i.V.m. Art. 2 lit. h EulnsVO nicht vor. Es fehlt an einer Niederlassung des Schuldners in Deutschland. Der Schuldner beschäftigte zürn Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung keine Arbeitnehmer mehr in Deutschland.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 4 InsO, 91 ZPO; [...].
Streitwertbeschluss:
Der Gegenstandswert wird auf-300,00 EUR festgesetzt.
[D]ie Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 GKG. Sie ergibt sich aus der Höhe der Forderung.