Amtsgericht Hildesheim
Beschl. v. 18.06.2009, Az.: 51 IE 2/09
Internationale Zuständigkeit für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- AG Hildesheim
- Datum
- 18.06.2009
- Aktenzeichen
- 51 IE 2/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 36220
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGHILDE:2009:0618.51IE2.09.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 3 Abs. 1 EuInsVO
- § 3 Abs. 1 InsO
Fundstellen
- ZIP 2009, 2070-2072
- ZInsO 2009, 1544-1545
Tenor:
- 1.
Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird als unzulässig zurückgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
- 3.
Der Gegenstandswert wird auf 300,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag ist unzulässig, Art. 3 I Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 (EuInsVO), §3 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO). Dem Amtsgericht Hildesheim fehlt die internationale Zuständigkeit für das vom Schuldner selbst beantragte Insolvenzverfahren.
Nach Art. 3 I 1 EuInsVO sind die Gerichte desjenigen Mitgliedstaats für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (sog. center of main interests oder COMI) hat. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Antragstellung. Verlegt der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen nach Antragstellung, aber vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats, bleibt das zunächst mit der Sache befasste Gericht für die Entscheidung über die Eröffnung dieses Verfahrens zuständig (vgl. EuGH, NZI 2006, 153 = EuZW 2006, 125 = ZIP 2006, 188 [EuGH 17.01.2006 - C 1/04]; BGH, NZI 2006, 297; BGH NZI 2006, 364; Kindler in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2006, IntsInsR Art. 3 Rn. 155; Mankowski NZI 2005, 368 [AG Celle 18.04.2005 - 29 IN 11/05]).
Umgekehrt ist das center of main interests bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung wandelbar angeknüpft, eine Verlegung noch kurz vor Antragstellung ist regelmäßig beachtlich.
Es zählt damit grundsätzlich der aktuelle Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners (das aktuelle center of main interests) zum Zeitpunkt der Antragstellung, der bei nicht selbständig tätigen natürlichen Personen regelmäßig an den Aufenthaltsort bzw. Wohnsitz anknüpft (vgl. Mankowski NZI 2005, 368 [AG Celle 18.04.2005 - 29 IN 11/05] [unter II.]). Die Gelegenheit aller Vermögenswerte und die Ansässigkeit der Gläubigergesamtheit an einem alten, inzwischen aufgegebenen gewöhnlichen Aufenthaltsort vermögen sich nur in Ausnahmefällen gegen den aktuellen gewöhnlichen Aufenthalt durchzusetzen. Dass vor dem Wegzug des Schuldners ins Ausland ein reiner Inlandsfall vorlag, ändert grundsätzlich nichts (vgl. Mankowski NZI 2005, 368 [AG Celle 18.04.2005 - 29 IN 11/05]).
Anders mag die Situation sein, wenn es sich bei dem Schuldner um eine selbständig tätige natürliche Person handelt und der Schuldner zum Zeitpunkt der Antragsstellung weiterhin ein Gewerbe am Sitz des inländischen Insolvenzgerichts betreibt, weil dann regelmäßig dort auch bei einem abweichendem Wohnort der Mittelpunkt der hauptsächlichen (wirtschaftlichen) Interessen des Schuldners liegt (vgl. Mankowski NZI 2005, 368 [AG Celle 18.04.2005 - 29 IN 11/05] [unter II.3.]).
Allerdings ist auch hierfür auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen. Übt der Schuldner (natürliche Person) zu diesem Zeitpunkt keine selbständige bzw. werbende Tätigkeit mehr aus, ist auf den Aufenthaltsort des Schuldners abzustellen, wenn nicht ausnahmsweise, z.B. bei Rechtsmissbrauch (z.B. forum shopping,) eine andere Beurteilung gerechtfertigt ist (vgl. Kindler in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Auflage 2006, IntsInsR Art. 3 Rn. 155; BGH NZI 2006, 364 [BGH 02.03.2006 - IX ZB 192/04] [unter II.2.b)bb) (2)]).
Eine vor dem Insolvenzantrag bereits beendete selbständige Tätigkeit einer natürlichen Person oder eine beendete werbende Tätigkeit einer juristischer Person wirkt danach grundsätzlich weder als Anknüpfungspunkt für die nationale örtliche Zuständigkeit nach §3 InsO noch für den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (COMI) im Sinne von Art. 3 EuInsVO fort (vgl. AG Celle NZI 2005, 410 [AG Celle 18.04.2005 - 29 IN 11/05] (zum Antragszeitpunkt nicht mehr selbständiger Schuldner, der vor Antragstellung ins Ausland verzogen war) m.Anm. Mankowski, NZI 2005, 368, [AG Celle 18.04.2005 - 29 IN 11/05] u. Knof, ZInsO 2005, 1017; BayObLG, NJW-RR 2000, 349 = NZI 1999, 457; BayObLG, NZI 2004, 88 [BayObLG 25.07.2003 - 1Z AR 72/03]; BayObLG NZI 2004, 90 [BayObLG 13.08.2003 - 1Z AR 83/03] [unter II.3.a)]; OLG Braunschweig, NZI 2000, 266; OLG Hamm, NZI 2000, 220; vgl. auch Klöhn NZI 2006, 383 [unter III]; a.A. AG Hamburg NZI 2006, 120; Klöhn NZI 2006, 383).
Nicht nur der dauerhafte Wechsel des Aufenthaltsortes, sondern auch die endgültige Aufgabe einer werbenden/selbständigen Tätigkeit im Inland - soweit sie vor Antragstellung erfolgen - verändert folglich den urspünglichen Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen dieses Schuldners (vgl. Mankowski NZI 2005, 368 [AG Celle 18.04.2005 - 29 IN 11/05]; AG Celle NZI 2005, 410 [AG Celle 18.04.2005 - 29 IN 11/05]).
Nach diesen Maßgaben ist das Amtsgericht Hildesheim hier für die Durchführung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers international unzuständig, weil der Schuldner im hiesigen Bezirk keinen Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit und auch sonst keinen Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (COMI) (mehr) hat.
Nach den Ergebnissen der durchgeführten Ermittlungen haben ergeben und ausweislich des Antrages hat der Antragsteller zum Zeitpunkt der Antragstellung - am 11.05.2009 - weder einen Geschäftssitz im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Hildesheim unterhalten nocht hier seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort gehabt, sondern seine selbständige Tätigkeit bereits Ende 2008 eingestellt und seinen Wohnsitz und tatsächlichen Aufenthalt bereits im Januar 2009 nach Hilversum (Niederlande) verlegt. Daß der Schuldner noch Eigentumer eines hier belegen Grundstücks ist, vermag an der Beurteilung des neuen Mitelpunktes nichts zu ändern. Entsprechend hat auch der beauftragte Sachverständige, Rechtsanwalts Gutmann, in seiner Stellungnahme vom 27.05.2009 die internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts Hildesheim für das beantragte Hauptinsolvenzverfahren verneint (vgl. S. 6 der Stellungnahme = Bl. 39 d.A.). Die Umdeutung des Antrages in Bezug auf ein (isoliertes, d.h. vor Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens eröffnetes) Partikularinsolvenzverfahren schied schon deswegen aus, weil die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 EuInsVO nicht vorliegen.
Zum einen erscheint die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in den Niederlanden nicht ausgeschlossen (vgl. Art. 3 Abs. 4 lit a EuInsVO), zum anderen liegt lediglich ein Eigenantrag vor und kein Fremdantrag eines inländischen Gläubigers (vgl. Art. 3 Abs. 4 lit. b EUInsVO).
Das Gericht hat durch Verfügung vom 04.06.2009 (Bl. 33 Rs d.A.) auf die Zweifel an seiner internationalen Zuständigkeit hingewiesen. Die Stellungnahme des Schuldners. (Bl. 46 d.A.) gab keinen Anlaß, von der Beurteilung abzurücken.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§4 InsO, 91 ZPO; die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf §58 GKG. Sie entspricht dem Mindestwert, da pfändbares Vermögen nach dem bisherigen Kenntnisstand nicht vorhanden ist.